Freie Datenbanken in der Nische

13.10.2004 von Wolfgang Sommergut
Die Open-Source-Erfolgsgeschichte von Linux ist das Vorbild für freie Datenbanken. Doch deren Domäne bleiben vorerst einfache Web-Anwendungen. Zu den Grundannahmen von Open-Source-Theoretikern gehört schon lange, dass freie Software vor allem die IT-Infrastruktur revolutionieren werde. Sie soll besonders das Geschäft mit Betriebssystemen, Web- oder Mail-Servern sowie Datenbanken entscheidend verändern.

Während Linux und Apache diese Prognose in den beiden ersten Kategorien zu bestätigen scheinen, hat Open Source offenbar nur geringe Auswirkungen auf den Datenbankmarkt. Zumindest trauen die großen Hersteller der freien Konkurrenz nicht zu, wesentliche Anteile zu gewinnen.

Administrations-Tools von freien Datenbanken haben oft nicht den Standard ihrer kommerziellen Gegenspieler.

Hersteller spenden Code

Auf den ersten Blick mag diese Haltung unverständlich erscheinen, weil das Open-Source-Lager gerade in diesem Jahr bei Datenbanken erhebliche Fortschritte gemacht hat. So gaben mit IBM und Computer Associates zwei große Hersteller den Code ihrer Produkte frei: Big Blue spendete "Cloudscape" an die Apache Software Foundation, CA erklärte "Open Ingres" zur quelloffenen Software. Ferner steht der Open-Source-Veteran "PostgreSQL" vor der Fertigstellung von Version 8, die neben den bisher unterstützten Unix-Systemen auch Windows mit einer nativen Ausführung berücksichtigt. Außerdem publizierte das Firebird-Team die Version 1.5 seiner Datenbank, und MySQL 4.1 kommt gerade auf den Markt.

Die großen Drei des Datenbankgeschäfts, Oracle, IBM und Microsoft, reagierten schon vor einiger Zeit auf die Herausforderung durch die freie Konkurrenz. Sie sicherten ihr Geschäft mit preiswerten Light-Versionen ihrer Produkte nach unten ab. Microsoft bietet bisher mit der "Microsoft Database Engine" (MSDE) sogar eine kostenfreie SQL-Engine an, die Entwickler in ihre Anwendungen integrieren und unbeschränkt mit ihrer Software weitergeben können. Die Company kündigte für den "SQL Server 2005" eine Express-Version an, die gegenüber der MSDE deutlich aufgewertet wird. Sie erhält ein mit Wizards gespicktes grafisches Frontend und profitiert zudem von den Neuerungen der Voll-version. So beinhaltet SQL Server Express die komplette XML-Unterstützung inklusive Xpath und Xquery, erlaubt die Programmierung von Stored Procedures in allen .NET-Sprachen und lässt sich über den Microsoft Operations Manager administrieren.

Ähnlich verfährt die IBM mit ihrer "Express"-Version des Datenbankflaggschiffs "DB2". Sie unterliegt wie die Einsteigerprodukte der Konkurrenz einigen Hardwareeinschränkungen, etwa bei der Zahl der CPUs oder dem nutzbaren Speicher. Zudem fehlen mehrere Highend-Features, die den großen Ausführungen vorbehalten bleiben. Das Angebot von Big Blue wirkt aufgrund des heterogenen Produktportfolios allerdings etwas inkonsistent. So gibt es die Express-Version nur für Linux und Windows, aber für keines der IBM-Systeme. Wenn Anwender den Möglichkeiten der kleinen Ausführung entwachsen, steht ihnen unter Umständen der Wechsel der Plattform bevor. Dieser Einwand gilt übrigens auch für die kostenlose Variante "Adaptive Server Enterprise" von Sybase, die es nur für Linux gibt.

Gegen freie Datenbanken spricht, dass ...

die großen Anbieter mit preiswerten Light-Ausführungen das

untere Segment umwerben;

diese Einsteigerversionen den meisten freien Datenbanken

technisch überlegen sind;

ein Aufstieg zu kommerziellen Enterprise-Versionen die Änderung

der Applikationen erfordert;

die Light-Versionen eng mit den Plattformen der großen Hersteller

verzahnt sind (Administration, Tools);

hohe Supportkosten den Wegfall der Lizenzkosten häufig wettmachen;

Standardsoftware nur selten für freie Datenbanken zertifiziert ist.

Abgespeckte Varianten

Übersichtlicher gestaltet sich die "Edition One" von Oracle. Auch sie ist eine abgespeckte Variante der 10g-Datenbank mit Leistungseinschränkungen in puncto nutzbare Hardware. Bei Bedarf nach mehr Leistung stehen die Standard- und Enterprise-Edition für dieselben Betriebssysteme zur Verfügung. Betrachtet man die ungebrochene Erfolgsgeschichte von Linux oder Apache, dann stellt sich natürlich die Frage, wieso ausgerechnet bei Datenbanken kommerzielle Light-Versionen die Open-Source-Konkurrenz bremsen sollen. Das Beispiel Web-Server zeigt ja, dass die kostenlose Vollversion von Microsofts "Internet Information Server" den Siegeszug von Apache nicht stoppen konnte. Die Light-Versionen der großen Datenbanken scheinen verglichen damit weniger attraktiv. IBM und Oracle verlangen nämlich dafür Lizenzgebühren, Microsofts Offerte setzt die Anschaffung eines kostenpflichtigen Windows-Servers voraus. Dennoch sprechen einige Argumente dafür, dass die Rechnung der

großen Anbieter aufgehen könnte.

Als wesentlichen Grund nennen die Vertreter aller drei Firmen den Entwicklungsrückstand der freien Datenbanken. Die Light-Versionen der führenden Anbieter machen zwar Abstriche beim Funktionsumfang, sind im Kern aber für den Un-ternehmenseinsatz ausgelegt und haben sich darin seit längerem bewährt. Sie bieten etwa moderne Administrationswerkzeuge und lassen sich auch über entsprechende Agents in die großen System-Management-Frameworks einbinden.

Als Infrastruktur-Companies ermöglichen die großen Drei die Verwaltung der Datenbanken innerhalb der gleichen Konsole, von der aus auch die meisten anderen Komponenten der jeweiligen Plattform administriert werden. Demgegenüber beschränken sich die meisten freien Datenbanken teilweise auf einfache Web-Frontends. Ferner kommen alle Light-Versionen mit Funktionen wie Auto-Tuning besonders kleineren Firmen ohne eigenen Datenbankadministrator (DBA) zugute.

Bei Bedarf können Anwender ohne Anpassung ihrer Software auf die größeren Ausführungen umsteigen, die über all jene Enterprise-Features verfügen, an denen es den meisten freien Datenbanken mangelt. Dazu zählen etwa fortgeschrittene Cluster-Funktionen, Standby-Datenbanken, Java- oder .NET-Unterstützung für Stored Procedures oder integriertes Storage-Management. Trotz der Abstraktionsmöglichkeiten, die Standards für den Datenzugriff (JDBC, ADO, ODBC, etc.) bieten, bereitet der Wechsel eines DBMS zumeist erheblichen Aufwand. Verantwortlich dafür sind inkompatible SQL-Dialekte oder Unterschiede bei den Datentypen.

Ausbau möglich

Aufstiegsmöglichkeiten bieten die großen Hersteller indes nicht nur im traditionellen Einsatzbereich. Schon seit längerer Zeit zeichnet sich eine Entwicklung von bloßen relationalen Datenbanken hin zu Plattformen für das Daten-Management ab. Dies zeigt sich etwa in der Integration von Olap, Data Mining oder Reporting. Daneben eignen sich die führenden Produkte immer besser als Speicher für Dokumente aller Art. In diese Kategorie fallen auch die umfangreichen XML-Features.

Auch hier ließe sich mit Blick auf Linux argumentieren, dass eine große Open-Source-Community den Rückstand gegenüber den kommerziellen Projekten aufholen kann. Linux erfreut sich allerdings der tatkräftigen Unterstützung zahlreicher Firmen, darunter auch jener der IBM. Diese Konstellation existiert bei Datenbanken nicht. Am ehesten eine Ausnahme macht hier die schwedische MySQL, die von der SAP einen Technologietransfer in Form der MaxDB erhielt. Die Walldorfer haben ein gewisses Interesse daran, dass für die hauseigene ERP-Lösung eine freie Datenbankalternative existiert. Schließlich sind mit Oracle und Microsoft zwei der großen Datenbankhersteller Konkurrenten bei betriebs-wirtschaftlicher Software.

Know-how für freie Teams

Ohne den Rückhalt großer Firmen lässt sich das notwendige Datenbankwissen kaum organisieren, mit dem freie Teams eine veritable Konkurrenz aufbauen könnten. Dieses ist offenbar wesentlich dünner gesät als das nötige Know-how, um einen Compiler oder eine grafische Benutzeroberfläche zu entwickeln. Das zeigt sich daran, dass bei Firebird immer noch jene Leute federführend sind, die Interbase aus der Taufe hoben und über die Akquisition von Ashton Tate zu Borland gelangten.

Noch deutlicher manifestiert sich dieser Mangel bei MySQL, das praktisch ausschließlich vom festen Programmiererteam der schwedischen Company geschrieben wird und daher auch nicht dem Entwicklungsmodell von Open Source folgt. Mit beschränkten Mitteln und ohne Rückgriff auf eine große Community kann man Oracle, IBM oder Microsoft nur schwer Paroli bieten. So sind die Update-Zyklen von MySQL zumindest nicht kürzer als jene von Oracle, und das bei einem Entwicklungsstand, der Standard-Features wie Trigger, Views oder Stored Procedures immer noch vermissen lässt. Angesichts der begrenzten Kapazitäten verfolgt MySQL eine Akquistionsstrategie, wie etwa mit dem Zukauf der InnoDB-Engine oder der von Alzato erworbenen Cluster-Lösung. Zusammen mit der parallelen Entwicklung von MaxDB erwächst damit für das Unternehmen eine erhebliche Integrationsaufgabe.

Kostenvorteil fraglich

Obwohl Oracle und IBM für ihre Einsteigerversionen Lizenzgebühren verlangen, sind sie unter dem Strich nicht unbedingt teurer als die quelloffenen Konkurrenten. MySQL unterliegt zwar der General Public License (GPL), aber nur dann, wenn die Datenbank Teil einer offenen Anwendung ist. Andernfalls kommt die kommerzielle Lizenz mit ihren zugegebenermaßen moderaten Gebühren zum Zug. Im Gespräch mit der computerwoche bezifferte Kaj Arnö, Vice President MySQL, deren Anteil auf über 50 Prozent des Gesamtvolumens. Kostspieliger als die Anschaffung fällt indes der Support aus. Die beste Variante der Basisunterstützung schlägt mit 12000 Euro pro Jahr zu Buche. Oracle hält dem entgegen, dass es für ein technisch überlegenes Produkt wie die 10g Edition One jährlich nur 22 Prozent des Anschaffungspreises in Rechnung stelle.

Ähnlich präsentiert sich die Supportsituation bei anderen freien oder kostenlosen Datenbanken. Sybase fordert für den Support von "ASE Express" mindestens 2200 Dollar. Auch bei Firebird erreichen die Kosten für den Support durch das Team von IBPhoenix schnell mehrere tausend Euro, bei PostgreSQL obliegt die Preisgestaltung den dafür existierenden Dienstleistern.

Eine weitere Hürde von freien Datenbanken beim Unternehmenseinsatz besteht darin, dass Firmen nur selten die reine Technik zum Speichern von Informationen kaufen. Vielmehr steht die Wahl einer Datenbank meist bei der Anschaffung einer bestimmten Applikation an. Das trifft besonders auch für das untere Segment zu, wenn kleinere Firmen etwa Branchenlösungen oder kaufmännische Software benötigen. Diese sind praktisch immer für die Datenbanken der großen Anbieter zertifiziert, aber nur selten für ihre quelloffenen Konkurrenten.

Verflechtungen sichern Position

Die großen Drei fördern diesen Trend, indem sie selbst eine Reihe von Lösungen auf ihre Datenspeicher satteln. Im Fall von Oracle sind das die Applications oder die Collaboration Suite, IBM bietet auf Basis von DB2 ein ganzes Portfolio von Content-Management-Lösungen, und Microsoft setzt den SQL Server etwa beim "Sharepoint Portal Server" voraus.

Die großen Firmen verflechten allerdings ihre Datenbanken nicht nur mit ihrer Software-Infrastruktur (etwa bei der Administration) und den Anwendungen, sondern auch mit ihren Entwicklungswerkzeugen. Besonders aggressiv geht hier wiederum Microsoft zu Werke, das gleichzeitig mit der Magerversion des SQL Server 2005 eine kostenlose Express-Variante mehrerer Programmierwerkzeuge angekündigt hat. Auch Oracles "Jdeveloper" ist eng auf die hauseigene Datenbank abgestimmt und kostet nichts. IBMs Java-IDE ist ohnehin Open Source und bietet Plugins zur Modellierung von DB2-Datenbanken.

Die freien Gegenspieler brillieren hingegen beim Zusammenspiel mit offenen Scriptsprachen wie PHP oder Perl. Sie sind die natürliche Wahl für Web-Anwendungen auf Basis von Linux und Apache, also innerhalb des "LAMP"-Stapels. Die meisten von MySQL reklamierten vier Millionen Anwender dürften sich solcher Konfigurationen bedienen. Dort haben freie Datenbanken ihre Domäne, was sich etwa daran zeigt, dass sie Teil der meisten Web-Hosting-Pakete sind. Auf diesem Feld werden sie kaum von kommerziellen Produkten zu verdrängen sein. In Unternehmen dürften Open-Source-Datenbanken indes ein Randphänomen bleiben.