Achtung Steuerfallen

Firmenumzug im Visier der Betriebsprüfer

14.10.2011 von Renate Oettinger
Wie sich betriebswirtschaftlich bedingte Veränderungen infolge einer Unternehmensverlagerung steuerlich auswirken, sagt Thomas Rohler

Viele Unternehmen verlagern Tätigkeiten auf Tochter- oder Schwestergesellschaften im Ausland. Diese betriebswirtschaftlich motivierten Restrukturierungen können weitreichende steuerliche Auswirkungen haben. Welche Rahmenbedingungen zu beachten sind und welcher Handlungsspielraum bleibt, zeigt der nachfolgende Beitrag.

Achtung, Steuerbelastung! Neu gegründete Tochtergesellschaften im Ausland können teuer werden.
Foto: Fotolia, Orlando Florin Rosu

In Deutschland planen, im Ausland produzieren und die Produkte und Dienstleistungen lokal über Auslandsvertretungen vertreiben: Viele Mittelständler folgen dem Beispiel von Großunternehmen. Sie verlagern betriebliche Funktionen an ausländische Standorte oder Tochtergesellschaften. Damit begegnen Unternehmen dem anhaltend hohen Wettbewerbsdruck und nutzen die Chancen der Globalisierung. Einige Tätigkeiten können von nahe stehenden Firmen im Ausland deutlich kostengünstiger und effizienter abgewickelt werden. Doch Vorsicht: Firmenlenker sollten die Rechnung nie ohne den Fiskus machen. Potenziellen Einsparungen können erhebliche steuerliche Mehrbelastungen gegenüberstehen.

Im Visier der Betriebsprüfer

Der Fiskus beäugt alle Formen von grenzüberschreitenden Restrukturierungen sehr kritisch. Die Finanzbehörden fürchten, dass ihnen langfristig Steuereinnahmen entgehen und fordern deshalb einen finanziellen Ausgleich. Handelt es sich um eine steuerlich relevante Funktionsverlagerung, wird das Gewinnpotenzial der verlagerten Tätigkeit ermittelt und einer sofortigen Besteuerung unterworfen. Erfolgt eine Übertragung, ohne eine Preisanpassungsmöglichkeit zu regeln, wird die einmalig vorgenommene Besteuerung zudem in die Zukunft gerichtet überwacht. In derartigen Fällen kann der Fiskus innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren einen einmaligen Nachschlag verlangen, wenn die Tätigkeit zu "billig" übertragen wurde.

Was wertet der Fiskus als Funktionsverlagerung? Das Bundesfinanzministerium hat in einem umfangreichen Anwendungserlass die gesetzlichen Rahmenbedingungen präzisiert. Nichtsdestotrotz bleiben in der Praxis zahlreiche Punkte unklar oder gehen über den gesetzlich abgesteckten Rahmen hinaus. Dies ist umso bedauerlicher, als sich die Identifikation und Bewertung von Funktionsverlagerungen zu einem Schwerpunkt bei Betriebsprüfungen mit Auslandsbezug entwickeln wird.

Der Fiskus kann angesichts der zum Teil schwierigen Auslegung ab dem Veranlagungszeitraum 2008 erhebliche Mehrsteuern festsetzen. Zudem kann es wegen der fehlenden Akzeptanz im Ausland zu effektiven Doppelbelastungen des Steuerpflichtigen kommen. International tätige Unternehmensgruppen sollten sich deshalb frühzeitig und systematisch mit den steuerlichen Konsequenzen auseinandersetzen und mögliche Gestaltungsoptionen nutzen.

Grundsätzlich gilt: Eine steuerlich relevante Funktionsverlagerung liegt vor, wenn eine Geschäftstätigkeit im Ausland aufgenommen und gleichzeitig dieselbe Tätigkeit in Deutschland eingeschränkt oder eingestellt wird. Die Geschäftstätigkeit selbst und die der Geschäftstätigkeit zuzuordnenden Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile , das sogenannte Transferpaket, müssen hierzu zumindest wirtschaftlich auf das nahe stehende ausländische Unternehmen übertragen werden. Eine wichtige Voraussetzung ist darüber hinaus eine gewisse Eigenständigkeit der Funktion, die es ermöglicht, ihr bestimmte Erträge oder Aufwendungen sowie bestimmte Chancen und Risiken zuzuordnen. Im Regelfall geht es um die Verlagerung einer Produktions- bzw. Vertriebsfunktion.

Die Abgrenzung in der Praxis ist schwierig. Wird etwa im Ausland eine Funktion aufgenommen, ohne dass im Inland die entsprechende Tätigkeit eingestellt wird, liegt eine Funktionsverdoppelung vor. In diesen Fällen lässt sich eine Besteuerung der übergehenden Gewinnpotenziale verhindern. Zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen gilt dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es fünf Jahre lang zu keiner Einschränkung der inländischen Funktion kommt. Die Finanzverwaltung überwacht dies genau; Maßstab ist der im Inland erzielte Umsatz. Ab einem Umsatzrückgang von einer Million Euro im Vergleich zum Vorjahr stufen die Finanzbehörden den Fall als Funktionsverlagerung ein.

Weitere Fälle

Nicht jede Auslandsaktivität ist eine Funktionsverlagerung. Neben der Funktionsverdoppelung existieren weitere Fälle, in denen der Fiskus keine Schlussbesteuerung der abgehenden Gewinnpotenziale erwartet: etwa wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden, eine Mitarbeiterentsendung innerhalb eines Konzerns stattfindet oder eine Geschäftstätigkeit im Ausland ganz neu aufgenommen wird. Um Diskussionen mit dem Betriebsprüfer zu vermeiden, sollten die betroffenen Unternehmen sich eng an den Regelungen des Anwendungserlasses orientieren und die Verlagerungsvorgänge sorgfältig dokumentieren.

Gestaltungsmöglichkeiten konsequent ausschöpfen

Die steuerlichen Folgen einer Funktionsverlagerung können Unternehmen in mehrfacher Hinsicht treffen. Gerade wenn rentable Funktionen übertragen werden oder bedeutende Synergieeffekte beim aufnehmenden Unternehmen bestehen, droht eine hohe Sofortbesteuerung. Oft fehlen der Unternehmensgruppe dafür die liquiden Mittel. Hinzu kommt die Gefahr der Doppelbesteuerung: In nicht allen Ländern können aufnehmende Unternehmen das Entgelt für ein Transferpaket steuerlich berücksichtigen.

Schon in der Planungsphase sollten Unternehmen deshalb alle steuerlichen Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten im Blick haben. Die steuerlichen Belastungen aus grenzüberschreitenden Restrukturierungen können durch die nachfolgend dargestellten Gestaltungsoptionen reduziert werden.

Nutzungsüberlassung:

Die sofortigen Steuerbelastungen einer Funktionsverlagerung, lassen sich vermeiden, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter (z.B. Kundenstamm oder Patente) im Rahmen eines Nutzungsverhältnisses über einen längeren Zeitraum überlassen und nicht übertragen werden. Vorteil: Bei einer Nutzungsüberlassung werden die stillen Reserven nicht sofort, sondern im Laufe der Nutzung - und damit in der Regel über mehrere Jahre verteilt - besteuert.

Wichtig ist, dass die Auslandsfirma für die Nutzung ein laufendes, marktgerechtes Entgelt zahlt. Zwar muss das inländische Unternehmen die Lizenzeinnahmen versteuern, doch kann das ausländische Unternehmen die Lizenzgebühr als Betriebsausgaben geltend machen. Eine Doppelbesteuerung wird vermieden. Vorteilhaft ist darüber hinaus, dass mit der Vereinbarung eines Nutzungsverhältnisses regelmäßig eine umsatz- oder gewinnabhängige Vergütung vereinbart werden kann, die die Anwendung der gesetzlichen Preisanpassungsklausel ausschließt.

Funktionsverdoppelungen:

Nur selten werden Funktionen im Inland komplett abgebaut und im Ausland in derselben Form wieder aufgebaut. Kann ein Unternehmen gegenüber den Finanzbehörden belegen, dass keine Einschränkung der inländischen Funktion erfolgt ist, liegt eine Funktionsverdoppelung vor. Auch hier sind marktgerechte Vergütungen für eventuell überlassene immaterielle Werte zu vereinbaren.

Vorsicht ist geboten, wenn es im Inland in den ersten fünf Jahren nach der Verdoppelung zu Umsatzrückgängen kommt. Wird eine Verlagerung unterstellt, haben Unternehmen nur dann überzeugende Argumente in der Hand, wenn sie die Sachverhalte genau und zeitnah dokumentieren, etwa durch Plan-Ist-Vergleiche, Ursachenanalysen oder Maßnahmenpläne.

Öffnungsklauseln:

Zusätzliche Gestaltungsoptionen bieten zwei der drei gesetzlich geregelten Öffnungsklauseln. Wer die Voraussetzungen für diese Ausnahmeregelungen erfüllt, kann anstelle der Gesamtbewertung auf die Bewertung der tatsächlich verlagerten Einzelwirtschaftsgüter abstellen. So kann eine deutlich niedrigere Bemessungsgrundlage für die Besteuerung erzielt werden.

Die erste der beiden praxisrelevanten Ausnahmen greift, wenn keine "wesentlichen" immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile verlagert werden. Die andere Öffnungsklausel lässt sich anwenden, wenn mindestens ein genau bezeichnetes "wesentliches" immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist. "Wesentlich" ist ein immaterielles Wirtschaftsgut immer dann, wenn es in qualitativer Hinsicht zur Ausübung der Funktion erforderlich ist und qualitativ betrachtet mehr als 25 Prozent des Gesamtwerts der Funktion ausmacht.

Bei der Bestimmung der Relationen kann es sinnvoll sein, das Transferpaket gegebenenfalls durch materielle Wirtschaftsgüter, etwa ein Warenlager oder Barmittel, anzupassen. Auch wenn nach dem Wortlaut der Öffnungsklauseln der Eindruck entsteht, man könne hiermit alle Gesamtbewertungsfälle vermeiden, ist dies leider nicht so. Zumindest die Finanzverwaltung verlangt bei beiden Varianten die Berücksichtigung geschäftswertbildender Faktoren, was de facto wiederum auf eine Gesamtbewertung hinausläuft.

Routineunternehmen:

Ein Anwendungsfall für die erste Öffnungsklausel ist die Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen. Hier unterstellt der Fiskus, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden. Von einem Routineunternehmen spricht man, wenn das ausländische Unternehmen ausschließlich für das übertragende Unternehmen tätig ist und die Entgelte nach der Kostenaufschlagsmethode oder einem vergleichbaren Verfahren berechnet werden.

Laut Anwendungserlass fallen darunter außerdem Fälle, in denen beispielsweise ein sogenanntes "shared service center" innerhalb eines Konzerns für mehrere Unternehmen tätig ist, sich der Preis für die erbrachten Dienstleistungen aber an den angefallenen Kosten orientiert. Vorteil: Als Grundlage für die Bewertung kann die Summe der Einzelverrechnungspreise der verlagerten (materiellen) Wirtschaftsgüter herangezogen werden. Im günstigsten Fall werden gar keine Wirtschaftsgüter übertragen, so dass die Verlagerung steuerneutral abläuft.

Liegt eine steuerlich relevante Funktionsverlagerung vor, kommt der Frage der Bewertung des Transferpakets eine entscheidende Bedeutung zu. Durch eine sach- und fachgerechte Wertermittlung können Unternehmen die Besteuerung maßgeblich zu ihren Gunsten beeinflussen. Die Berechnung ist eine Wissenschaft für sich. Der Anwendungserlass verweist insoweit an vielen Stellen auf die vom Institut der Wirtschaftsprüfer entwickelten Bewertungsgrundsätze für Unternehmen bzw. für immaterielle Wirtschaftsgüter. Letztlich ist die Bewertung von vielen zum Teil komplexen Faktoren abhängig. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung sollten die entscheidenden Kriterien identifiziert und vorteilhaft einbezogen werden.

Untätigkeit wird vom Fiskus bestraft. Die Finanzbehörden ordnen eine Funktionsverlagerung als außergewöhnlichen Geschäftsvorfall ein und verpflichten Unternehmen zur verstärkten Mitwirkung. Wer keine Wertermittlung vornimmt und diese nicht hinreichend dokumentiert, sieht sich schnell einer Schätzung des Finanzamts gegenüber, die in aller Regel zu überhöhten Werten führt. Zudem drohen Strafzuschläge von 5 bis 10 Prozent des vom Fiskus hinzugeschätzten Betrags.

Abhilfe schafft eine systematische Planung. Es ist dringend erforderlich, die kalkulatorische Grundlage von Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Auslandsgesellschaften genau zu dokumentieren. Bei gewichtigen Fällen sollte schon vor einer Verlagerung eine gutachterliche Stellungnahme über die Angemessenheit der Bewertung eingeholt werden. Nur so können Unternehmen auch gegenüber eifrigen Betriebsprüfern stichhaltig argumentieren und eine steuerliche Mehrbelastung vermeiden.

Steuerfallen erkennen und umgehen

Unternehmen sollten sich frühzeitig mit allen "verlagerungsnahen" Fällen auseinandersetzen. Eine systematische Darlegung und Einstufung aller Auslandsaktivitäten in Abstimmung mit sachkundigen Beratern ist Pflicht. So können Unternehmen die steuerlichen Sachverhalte zu ihren Gunsten auslegen und hohe Nachzahlungen vermeiden.

Der Autor Thomas Rohler ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater der Wirtschaftskanzlei DHPG in Bergisch Gladbach mit Tätigkeitsschwerpunkt im internationalen Steuerrecht. www.dhpg.de