Mit Verve Richtung Industrie 4.0

Festo geht in die Wachstumsoffensive

11.03.2015 von Karin Quack
Langsam, aber sicher entdecken die Unternehmen ihre IT als Wachstumsmotor. Zu den Trendsettern gehört die Festo AG. Die neue IT-Strategie des Familienunternehmens und Global Players untermauert das. Eine wichtige Rolle spielt darin die Automatisierung der Fertigung.

Das Thema Industrie 4.0 ist bei Festo allgegenwärtig: Forschung und Entwicklung befassen sich damit; der Produktionsbereich setzt sich damit auseinander; die IT trägt das Ihre dazu bei. Mit Peter Post, Leiter des Bereichs Corporate Research and Technology, hat der Automatisierungsspezialist auf der Business-Seite quasi einen Industrie-4.0-Guru an Bord. Sein Pendant auf der IT-Seite ist Roger Kehl, seit Anfang vergangenen Jahres Leiter Information Management.

Der Konzern hat in den kommenden drei Jahren erhebliche Investitionen eingeplant, um schneller als der Markt zu wachsen. Diese Unternehmensstrategie im Blick, ist Kehl ziemlich bald nach seinem Amtsantritt darangegangen, die IT-Strategie des 18.000 Mitarbeiter starken und in über 60 Ländern vertretenen Unternehmens grundsätzlich zu erneuern.

Die neue Strategie setzt beim IT-Team selbst an. "Wir müssen die Fertigungstiefe reduzieren und uns Effizienzziele setzen", so der CIO - "schon, um die Komplexität einzudämmen." Eigenen Angaben zufolge will Kehl die Kosten im Run-Bereich trotz Wachstums stabil halten. Es gehe nicht darum, Personal abzubauen. Festo wolle das derzeit 400-köpfige IT-Team für wichtigere Aufgaben entlasten.

Foto: Festo

Eine Produktionsstraße für die Zukunft

"Durch die Entwicklung neuer Technologien trägt Festo zur Stärkung des Technologiestandorts Deutschland bei", teilte die Festo AG im September vergangenen Jahres mit. Gemeint waren vor allem Entwicklungen im Bereich Industrie 4.0. Festo Didactic hat ein auf SAP ME basierendes Modell einer Produktionsstraße entwickelt, an dem die neuen Techniken erlernt werden sollen. Im neuen Werk Scharnhausen wird das Modell nun auch "in echt" umgesetzt.

Die Säulen der IT-Strategie

Mehr IT-Effizienz ist aber nur eine von insgesamt drei Säulen der neuen IT-Strategie. Die zweite betrifft die Prozesseffizienz. "Wir in der IT wollen dem Unternehmen helfen, für seine Kunden noch smarter zu werden", verspricht Kehl. Ein Mittel zu diesem Zweck sind zum Beispiel Verbesserungen im Supply-Chain-Management. Die Ziele heißen hier geringere Prozesskosten in Produktion und Logistik sowie noch mehr Liefertreue.

Ein Thema, das in diesem Zusammenhang wichtig werden wird, ist die Predictive Maintenance. Hier geht es darum, aufgrund der über eine Maschine gesammelten Daten etwaige außerplanmäßige Wartungsaktivitäten vorherzusagen. So lässt sich die Produktionsplanung frühzeitig darauf abstimmen, Engpässe werden vermeidbar.

Eine Herausforderung sind dabei die unterschiedlichen Datenformate und -strukturen der Maschinenhersteller. Produzierende Konzerne wie Festo zielen darauf ab, die wartungsrelevanten Daten aller Maschinen in einer Fertigungsstätte zusammenzufügen. So erhält das Unternehmen eine Gesamtübersicht über seine Produktionsmittel. Dazu müssen allerdings die Hersteller ihre Daten in einem Standardformat zur Verfügung stellen.

Und hier ist einer der Haken und Ösen, die derzeit noch verhindern, dass die viel zitierte Industrie 4.0 so richtig abhebt: Es mangelt an allgemein verbindlichen Standards. Allerdings gibt es bereits einige Versuche, hier Abhilfe zu schaffen. Dazu Kehl: "Zu den aktuell erarbeiteten Referenzarchitekturen zählen vor allem UMCM (Universal Machine Connectivity for MES) vom MES Dachverband sowie die Architektur der OPC-UA-Foundation."

Deshalb hält Kehl an der Option auf eine solche ganzheitliche Lösung fest. In der Zwischenzeit hat sein Team für die Instandhalter bei Festo eine mobile Lösung entwickelt: Die Techniker tragen auf dem iPad quasi das Abbild der gesamten Fabrik mit sich. Macht eine Maschine Probleme, können sie deren "Biografie" im Detail abrufen.

Mit dem Tablet nehmen die Techniker gegebenenfalls auch Fotos auf, lösen Bestellungen von Ersatzteilen aus und dokumentieren die Ergebnisse von Instandhaltungsmaßnahmen. Die Applikation für diese Lösung hat Festo mit ifp consulting entwickelt. Laut Kehl lässt sich dank der Prozessvereinfachung ein fünfstelliger Betrag pro Jahr und Halle einsparen. Der Return on Investment habe sich innerhalb eines Jahres eingestellt.

Die Fertigung der Zukunft

Um die unter dem Begriff Industrie 4.0 subsumierten Möglichkeiten der Automatisierung in der Praxis zu erproben, hat Festo in Scharnhausen bei Stuttgart eine Technologiefabrik errichtet. Hier wird das Unternehmen produktiv umsetzen, was der Konzernbereich Festo Didactic bereits - in Zusammmenarbeit mit SAP - als Lernmodell erarbeitet hat: eine "hochflexible Produktionsstraße ", die auf der Softwareseite eng mit dem SAP-Modul ME (Manufacturing Execution) integriert ist.

Das Besondere an dieser Produktionsstraße ist ihre weitgehende Automation. Die Produkte buchen sich selbständig in die Arbeitsstation ein und werden nach ihrer individuellen Konfiguration produziert. Auf einem Merkmalsträger, beispielsweise einem RFID-Chip, tragen sie alle notwendigen Informationen mit sich.

Enabler für neues Geschäft

Die dritte Säule der IT-Strategie soll neues Geschäft ermutigen und ermöglichen. Hierfür hat Kehl eine Reihe von Großprojekten initiiert. Sie widmen sich Themen wie CRM und Analytics, Vertriebseffizienz, Product-Information- Management (PIM) und E-Business. Michael Mölleken, auf der Vorstandebene für Finanzen, Informations-Management und Technologie verantwortlich, bescheinigt der IT ein Selbstverständnis als "Innovationstreiber".

In der Fertigung der Zukunft mit ihren intelligenten Produkten wird die Software eine immer größere Rolle spielen, führt Kehl aus. Festo setze hier auf interdisziplinäre Teams, die an der Schnittstelle zwischen Hard- und Software einheitliche Lösungen mit durchgängiger Architektur entwickelten. Sowohl der "Enabler" Kehl als auch der "Tüftler" Post suchen deshalb neben den vorhandenen noch viele neue IT-Mitarbeiter.

Fünf Fragen zum Thema Industrie 4.0 an den Festo-CIO Roger Kehl

Foto: Festo

Seit Anfang 2014 ist Roger Kehl CIO und Member of the Executive Committee der Festo AG.Zuvor hatte der Diplomkaufmann und promovierte Politologe Posi-tionen bei renommierten Beratungsunternehmen inne. Zuletzt war er Mitglied des deutschen Management Board von Atos IT Solutions and Services, zuvor Managing Director bei Siemens IT Solutions & Services.Erfahrungen im produzierenden Gewerbe sammelte Kehl bei unterschiedlichen Arbeitgebern, so als Global Head Automotive Industry bei Siemens (SIS).

CW: Was unterscheidet Industrie 4.0 von der computerintegrierten Fertigung (CIM)?

Roger Kehl: Industrie 4.0 ist weit mehr. Sie betrifft die interne Vernetzung des Shop Floor; vollautomatisierte Bearbeitungszentren produzieren selbständig in mehreren Arbeitsschritten halbfertige oder fertige Produkte. Im Extremfall sind sie mit mehreren Hundert IP-Adressen ausgestattet. Damit verbunden ist eine Umkehrung der Produktionssteuerung - von zentral zu dezentral. Zudem geht es bei Industrie 4.0 letztlich nicht nur um Produktivitätssteigerung, sondern um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Dienstleistungen.

CW: Inwiefern ist Industrie 4.0 ein Wettbewerbsvorteil für die deutsche Industrie?

Roger Kehl: Der Trend geht zur komplexen, kundenspezifischen Produktion. Hinzu kommt: Die Märkte werden volatiler, Schwankungen in der Auftragsmenge nehmen zu. Beides erfordert eine hohe Flexibilität der industriellen Fertigung. Effizient, flexibel und termingerecht auf Kundenanforderungen reagieren zu können wird zum Erfolgsfaktor. Industrie 4.0 liefert höhere Qualität bei schnellerer Taktung und besserer Verfügbarkeit.

CW: Und welche Rolle spielt die IT-Abteilung beim Thema Industrie 4.0?

Roger Kehl: Als Enabler schlägt die IT aktiv neue Technologien für die Umsetzung vor. Die erfolgreiche Umsetzung kann sie allerdings nicht allein leisten, weil bei Industrie 4.0 nun einmal die virtuelle und die reale (Shop-Floor-)Welt aufeinandertreffen. Spätestens für die Umsetzung in der Fabrik müssen IT und Engineering partnerschaftlich kooperieren. Allerdings werden jetzt IT-Themen zum festen Bestandteil von Lastenheften beim Einkauf von Maschinen und Anlagen. Dabei tritt die IT häufig nicht nur als Umsetzer, sondern auch als Impulsgeber auf, weil die Innovationszyklen in der IT deutlich kürzer als im Maschinenbau sind.

CW: Wo verläuft die Trennlinie zwischen IT und Engineering?

Roger Kehl: Die IT steht tatsächlich oft vor der Frage: Wie weit reichen unsere Kompetenzen? Die Standardantwort darauf lautet: Wir betreuen das Produktionsnetz bis zur Ebene der Maschinenansteuerung. Was sich darunter befindet, ist Kompetenz der Maschinenbauer/Mechatroniker. Allerdings lassen sich die Ebenen nicht immer sauber trennen - zum Beispiel beim Thema Embedded Software. Auf jeden Fall ist die IT für die Infrastruktur verantwortlich, für Entwicklungsplattform, Datenbanken, Server, aber nicht unbedingt für die Software, die auf dieser Basis entwickelt wird; die gehört ins Produkt-Management. Und dann gibt es noch den Forschungs- und Entwicklungsbereich, der die Produkte intelligent macht.

CW: Wie spielt Industrie 4.0 mit dem Internet of Things und Big Data zusammen?

Roger Kehl: In der Fabrik werden IoT und Big Data künftig eine große Rolle spielen. Die zunehmende Datenmenge und die Echtzeitdatenverarbeitung eröffnen neue Möglichkeiten für Fabriksteuerung und Reaktionsfähigkeit. Es entstehen Anwendungsfälle wie Predictive Maintenance. Darüber hinaus werden unsere Kernprodukte durch Embedded Software immer intelligenter. Sie bilden die Grundlage für neue Geschäftsmodelle, beispielsweise die automatische Nachbestellung im Servicefall. (qua)