Capgemini ist mit seinem Geschäftsmodell wie alle großen IT-Dienstleister vom digitalen Wandel massiv betroffen. Was tun Sie, um diese Herausforderung zu meistern?
Schulte: Der Fokus von Capgemini lag immer auf großen Kunden, für die wir ein strategischer Partner sein wollen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass wir die Transformation unserer Kunden eng begleiten. Wir helfen ihnen, sich ins digitale Zeitalter zu bewegen. Mit deren Digitalisierungsanstrengungen entwickeln auch wir uns weiter. Dabei hilft uns, dass wir Applikationen bauen, die individuell sind. In der digitalen Welt ist das wichtig: Wir entwickeln spezifische Lösungen.
Unsere zweite Qualifikation besteht darin, dass wir integrieren, was bereits da ist. Das haben wir immer gemacht, hier sehen wir unsere Stärke. Und schließlich hilft es uns auch, dass wir schon seit vielen Jahrzehnten sowohl ein Standbein in der Management-Beratung als auch in der IT-Implementierung haben. In der digitalen Welt wächst das zusammen.
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Die Hälfte der Mitarbeiter sitzt in Indien
Was haben Sie getan, um Ihre Kosten zu senken und für die Kunden auch in dieser Hinsicht attraktiv zu sein?
Schulte: Wir haben unsere Cost of Delivery radikal heruntergefahren. Als einziger Europäer haben wir früh auf Indien gesetzt. Von den 200.000 Mitarbeitern, die wir weltweit beschäftigen, sitzt die Hälfte in Indien. Zusätzlich haben wir Nearshore-Kapazitäten, beispielsweise in Polen, von wo aus wir auch deutschsprachige Services liefern können.
Die Kunden wollen nicht nur durch Fähigkeiten, sondern auch durch gute Kostenstrukturen überzeugt werden. Capgemini erwirtschaftet für den lokalen Markt inzwischen den größeren Teil der Wertschöpfung in Indien, sowie Polen und weiteren Ländern.
Wir sitzen hier in Ihrem Digital Lab. Digitale Innovationen sind für Sie wie für die ganze Wirtschaft gerade besonders wichtig. In welcher Relation steht dieser Bereich zu Ihrem klassischen Geschäft mit Anwendungsentwicklung und -pflege, SAP-Einführung oder Outsourcing?
Schulte: Global betrachtet ist unser Geschäft zu rund einem Drittel in der digitalen Welt angekommen, ein stark wachsender Bereich. Rund ein Viertel entfällt auf Managed Services, weitere rund 40 Prozent auf Projekte, die nicht unbedingt digital sind. Das ist etwa der Fall, wenn der Kunde ein ERP-System eingeführt haben will. Da haben übrigens alle Anbieter unterschiedliche Definitionen, aber für uns ist das nicht digital.
Digital Labs wie dieses hier helfen sicher, neue Ideen auszubrüten. Aber wie gelingt es Unternehmen, die entstehenden Innovationen nachhaltig in ihre eigene Organisation hineinzutragen?
"Die Definition eines MVP ist immer ein Drama"
Schulte: Um kreative Lösungen zustande zu bringen, ist so ein Lab hilfreich. Wir bringen Experten vom Kunden mit Leuten zusammen, die so etwas schon mal gemacht haben, auch mit Technologiepartnern, Startups etc. Früher hat man dann ein Proof of Concept gemacht, aber das will heute keiner mehr haben. Jetzt wird versucht, eine Lösung gleich über ein Minimum Viable Product umzusetzen.
Die Definition eines solchen MVP ist allerdings immer ein Drama. Es gibt unterschiedliche Sichten darauf, was "Minimum" in dem Zusammenhang bedeutet. Hier bedarf es Führung, jemand muss sagen: Das ist mein Produkt, ich setze das jetzt durch. Das funktioniert in vielen Organisationen nicht wirklich rund. Geschäftsführung und oder Marktorganisation haben häufig ihre eigenen Sichten auf ein MVP.
Um ein MVP zu definieren und durchzusetzen, braucht man den Rückhalt des Topmanagements. Auch ein Produkt-Management ist wichtig, es geht ja auch um die Frage: Wie wird das MVP über Releases weiter ausgebaut?
Unternehmen arbeiten heute oft auch an MVPs, die ihr eigenes Geschäftsmodell disruptiv angreifen…
Schulte: Ja, und das ist der Grund dafür, dass viele MVPs nicht skalieren. Das hat damit zu tun, dass das neue Produkt das alte auffressen würde. Viele Kunden sagen sich: Den heutigen Umsatz habe ich sicher, aber eine Wette auf das neue Produkt ist erstmal nur eine Wette. Da ist ja auch was dran. Aber nichts zu tun, ist auch keine Alternative.
Tatsächlich läuft es heute so, dass jemand zum Vorstand geht und sagt: Ihr müsst Euch mal Blockchain anschauen, da liegen Potenziale für Euch. Der Vorstand hört aber auch: Die Technologie ist komplex, das Ganze ist risikobehaftet, es gibt noch viele offene Fragen bezüglich Performance und Use Cases. Also sagen sich viele: Wir müssen nicht immer der First Mover sein. Sollen sich andere erstmal die Hörner abstoßen. Blockchain ist nur ein Beispiel.
Das kann dann aber böse Überraschungen geben…
Schulte: Ja, ich glaube man muss die Diskussion umdrehen. Welches Risiko gehe ich ein, wenn ich hier nicht dabei bin? Oder wenn ich zu spät starte? Eine konstante Risikoanalyse findet tatsächlich meistens nicht statt. Es gibt nur eine Positivdiskussion über potenzielle zusätzliche Umsätze. Aber die Risiken müssen mit gleichem Gewicht gewertet werden.
Wir hatten bei Capgemini den CIO einer weltweit sehr erfolgreichen Bank zu Gast, der hat gesagt: "Wir haben uns Blockchain genau angeschaut, das ist kein Thema für uns". Ob er richtigliegt, darüber mag man streiten, aber er hat eine gründliche Risikoanalyse vorgenommen und eine fundierte Entscheidung getroffen. Diese Portfoliodiskussionen müssen fortlaufend durchgeführt werden, sie sind sehr wichtig.
Es geht um Kosten, Agilität und kreative Ideen
Die Digitalisierung erschöpft sich nicht mit der Einrichtung eines Digital Labs. Wo setzen Sie an, um ihre Kunden insgesamt in der Transformation zu unterstützen?
Schulte: Ich habe einen Kunden, der gerne ausführt, man müsse über drei Herausforderungen nachdenken, wenn es um digitale Fitness geht: über Kosten, über Time-to-market und darüber, frischer und agiler im Kundenkontakt zu werden - vibrant sozusagen. Das sind auch nach meiner Meinung die drei wesentlichen Baustellen.
Wenn es um Kosten geht, reden wir im Wesentlichen über Automatisierung. Das kann mit Robotern geschehen, die bestimmte Tätigkeiten übernehmen - insbesondere auf der prozessualen Ebene mit Robotic Process Automation. Überall da, wo ein Prozess schlank aufgesetzt werden kann, im ERP zum Beispiel, braucht man dagegen keine Roboter.
Was bedeutet dies für den BPO-Markt?
Schulte: Je weiter wir hier mit der Automatisierung vorankommen, desto kleiner wird für einen Anbieter der Markt für Business Process Outsourcing. Alles, was man automatisieren kann, muss man nicht mehr ins BPO oder in eine Shared-Services-Organisation geben.
Zurück zu Ihren drei Herausforderungen…
Schulte: Der zweite Aspekt Speed verlangt, die installierte Basis zu optimieren. Das hat viel mit digitalen Techniken und Methoden zu tun, beispielsweise beim Thema Digital Twin. Wir unterstützen unsere Kunden darin, Produktserien zu verkleinern und trotz der Personalisierung schnell am Markt sein. Für Maschinen oder Fahrzeuge können für jedes Produkt digitale Zwillinge entstehen, die dann im Aftersales-Service wichtig werden und den Aufwand massiv reduzieren.
Und zum Thema Agilität im Kundenkontakt: Hier investieren viele Unternehmen, um besser zu werden. Viel wird von DevOps gesprochen. Jedoch: Wenn man DevOps wirklich durchziehen will, muss man die Anwendungslandschaft umbauen. Man braucht eine Service-orientierte Architektur, eine skalierbare, gut adaptierte Cloud-Infrastruktur und DevOps-Prozesse.
Im Zusammenhang mit digitaler Innovation wird oft eine tolerantere Fehlerkultur eingefordert. Was halten Sie davon?
Schulte: Das ist immer so ein Reflex: Wir müssen mehr Fehler zulassen! In der agilen Entwicklung ist ja auch das, was herauskommt, am Anfang fehlerhaft. Man probiert Dinge aus, verwirft sie wieder und lernt aus der Fehlerbehebung. Wahr ist aber, dass wir auch in der digitalen Welt von fehlerfreien Endprodukten ausgehen. Keiner will ein fehlerbehaftetes Produkt haben. Und wir würden wohl auch nicht autonom fahren wollen, wenn die entsprechende Software fehlerbehaftet sein könnte. Man kann also nicht einfach sagen: Wir lassen mehr Fehler zu.
Wir hatten hier vor einiger Zeit ein Event, da fragte die Moderatorin den CDO eines Automobilzulieferers, ob er nicht auch der Meinung sei, dass man in der digitalen Welt mehr Fehler zulassen müsse. Er hat sie schockiert angesehen und gesagt: Wir bauen Bremsen! Die Anforderungen an eine Fehlerkultur sind unterschiedlich. Generell ist es so, dass Manager dann Karriere machen, wenn sie keine Fehler zulassen. So haben wir es gelernt. Und diese Kultur muss sich in der Tat ändern.
Anwender in den Fachbereichen nicht überfordern
Viele Unternehmen möchten am liebsten mehr IT-Aufgaben ins Business verlagern und die Mitarbeiter in den Fachabteilungen befähigen, selbst zu entwickeln oder sich zu Data Scientists fortzubilden. Können Sie als Capgemini dazu einen Beitrag leisten?
Schulte: Wenn wir heute Plattformen beim Kunden aufbauen, dann wird erwartet, dass die Softwareentwicklung - aufbauend auf diesen Plattformen - einfacher wird. Wir entwerfen gerade für einen Handelskonzern eine Plattform für das Financial Reporting. Dabei gehen wir so vor, dass wir zuerst eine gewisse Anzahl an Reports erstellen und dabei die Fachabteilung darauf trainieren, weitere Reports selbst zu generieren. Unser Geschäft ist es, diese Plattform aufzubauen und die Anwender zu trainieren.
Führt das nicht ins Chaos?
Schulte: Einfache Reports können die meisten Fachabteilungen selbst generieren, aber je mehr dort gemacht wird, desto mehr Wildwuchs resultiert daraus. Das ist kein industrialisiertes Vorgehen. Die Analysten sagen, dass künftig 40 Prozent der IT-Themen ins Business wandern. Wir verkaufen tatsächlich mehr Projekte ans Business, aber oft ist es schwierig zu sagen, wer überhaupt uns zentrale Ansprechpartner ist. Dass müssen wir jedes Mal neu herausfinden. Meistens ist am Ende ein Dreigestirn von IT, Business und Einkauf zuständig.
Wir beobachten zum Beispiel bei einem großen Automobilkonzern, dass er immer mehr Aufgaben aus seiner IT-Organisation herausnimmt und ans Business übergibt. Das ist durchaus ein Trend, aber in der Regel sitzt immer noch die IT mit am Tisch. In der digitalen Welt steigt die Heterogenität für die IT-Organisation wieder, deshalb braucht es eine ordnende Hand. An einer starken IT-Organisation führt kein Weg vorbei. Denken Sie etwa an Datensicherheit und Compliance. Wenn Sie Ihre IT komplett dezentralisieren, ist das nicht mehr einzufangen.
Capgemini ist breit aufgestellt, Sie bedienen alle wichtigen Branchen. Welche Industrien sind aus Ihrer Sicht vom digitalen Wandel am stärksten betroffen?
Schulte: Die Digitalisierung beschäftigt alle Industrien stark, aber ich würde sagen, Versicherungen sind besonders intensiv betroffen. Kundeninteraktion und Vertriebsmodelle ändern sich komplett, und die Automatisierung wird in allen Bereichen, in denen es keinen direkten Kundenkontakt gibt, heftig sein. Die Versicherungen werden sich komplett umstellen müssen.
Ansonsten trifft die Digitalisierung Industrieunternehmen stark. Das Thema Industrie 4.0 ist ja nicht mehr ganz neu. Die Produktion verändert sich, hybride Produkte entstehen - ein Auto etwa, wo Maschine, Elektronik und IT das Produkt ausmachen. Aber die Automatisierungseffekte, wie wir sie in den Versicherungen sehen werden, wird es dort nicht so geben.