Überraschende Personalentscheidung

Ex-SAP-Chef Léo Apotheker übernimmt Zügel bei Hewlett Packard

01.10.2010 von Martin Bayer
Die Entscheidung der HP-Verantwortlichen, Ex-SAP-Chef Leo Apotheker als neuen CEO zu berufen, kam für viele überraschend. Experten befürchten, dass dem SAP-Veteranen die notwendige Erfahrung fehlt.

Hewlett-Packards CEO-lose Zeit endet mit einem Paukenschlag. Der im Frühjahr dieses Jahr bei SAP geschasste Léo Apotheker soll das Ruder beim weltgrößten IT-Konzern übernehmen und dem unglücklichen Mark Hurd nachfolgen, der Anfang August 2010 über eine Liaison mit einer Mitarbeiterin und Fehlern in der Spesenabrechnung stolperte. Damit entscheiden sich die HP-Verantwortlichen erneut für einen externen Manager - bereits Hurd und seine Vorgängerin Carleton Fiorina waren von außen gekommen. Insider berichten, dass zwar auch intern Kandidaten geprüft wurden, diese aber offenbar nicht den Ansprüchen genügten. Kandidaten für den Chefposten gab es einige, darunter Top-Executives wie Todd Bradley, Ann Livermore und Dave Donatelli. Die Entscheidung für Apotheker nähren Spekulationen, einer oder mehrere der internen CEO-Kandidaten könnten HP verlassen. Bis dato liegen dazu jedoch keine Informationen oder Stellungnahmen vor.

Zu den externen Kandidaten, die Insidern zufolge ebenfalls für den Chefposten in Frage gekommen wären, zählten NCR-Chef Bill Nuti, Steve Mills, Leiter von IBMs Softwaresparte, und Microsofts Top-Manager Stephen Elop, der mittlerweile bei Nokia angeheuert hat. Allerdings habe keiner der anderen Kandidaten Interesse gehabt, hieß es. Für Apotheker bedeutet der Posten den Aufstieg in eine höhere Liga. HP kommt als weltgrößter IT-Konzern auf einen Jahresumsatz von rund 115 Milliarden Dollar und beschäftigt über 300.000 Mitarbeiter weltweit. Bei SAP verantwortete Apotheker Jahreseinnahmen von rund 15 Milliarden Dollar und steuerte eine Belegschaft von etwa 47.000 Köpfen. In einem ersten kurzen Kommentar zu seinem Posten sprach Apotheker von einem großen Privileg. HP sei eine Ikone der weltweiten IT-Branche. Sein neuer Posten sei ein Traumjob, den jeder gerne haben würde.

Eine Nummer zu groß für Apotheker?

Es dürfte schwer werden für Léo Apotheker in die Fussstapfen von Mark Hurd zu treten. Der ehemalige NCR-Chef, der 2005 auf den Chefsessel von HP wechselte, lieferte bis zu seinem unglücklichen Abgang im August dieses Jahres eine einzige große Erfolgsstory ab. Hurd brachte den angeschlagenen IT-Riesen wieder auf Kurs. Er senkte massiv die Kosten, trimmte die internen Prozesse auf mehr Effizienz, erweiterte kontinuierlich das Portfolio durch Zukäufe und machte HP so zum größten IT-Konzern der Welt - vor dem Erzrivalen IBM. Allerdings hatte der Ruhm auch seine Schattenseiten: Hurd sparte auch massiv bei den Investitionen für Forschung und Entwicklung und musste sich dafür erst vor wenigen Tagen nachträglich öffentliche Schelte durch IBM-Chef Samuel Palmisano anhören. Auch die Stimmung innerhalb der HP-Belegschaft soll angesichts des strikten Sparkurses und der zahlreichen Stellenstreichungen in den vergangenen Jahren nicht die beste sein.

Ob das Apotheker ändern kann, ist fraglich. Bei SAP war der Manager für seinen bisweilen rüden Umgangston gegenüber Kunden und den eigenen Mitarbeitern bekannt. Seinen Rausschmiss haben unter anderem auch miserable interne Umfragewerte befeuert. Es ist eine schwere Hypothek, die Apotheker bei HP schultern muss. Als CEO-Erfahrung kann der 57-jährige Manager lediglich neun Monate vorweisen - vom Mai 2009 bis Anfang Februar 2010. Davor musste er sich den Chefsessel bei SAP mit Henning Kagermann teilen. Auch seine Branchenerfahrung ist begrenzt. Apotheker arbeitete seit 1988 durchgehend bei SAP. Sein Knowhow beschränkt sich auf Business-Software und hier in erster Linie auf das direkte Geschäft mit Großkunden.

Sein Abgang bei SAP im Frühjahr 2010 war alles andere als glorreich. Auch wenn man ihm sicher nicht allein den Ärger um die Erhöhung der Wartungsgebühren ankreiden konnte - die Entscheidung haben auch Manager wie Kagermann oder SAP-Gründer Hasso Plattner mit getragen - musste Apotheker als Sündenbock herhalten. Der Ärger mit den Kunden, Widerstände und Unzufriedenheit in der eigenen Belegschaft und die unsicheren wirtschaftlichen Aussichten haben Plattner - die graue Emminenz bei SAP, die immer noch die Fäden zieht - dazu veranlasst, die Notbremse zu ziehen und Apotheker zu feuern.

Bei Hewlett-Packard wird Apotheker erst einmal viel lernen müssen. Er wird eine wesentlich breitere Produktpalette kontrollieren müssen, die vom Tintenstrahldrucker über Netzequipment bis zum Highend-Unix-Server, von brachenspezifischen Serviceleistungen bis hin zu System-Management-Tools reicht. Darüber hinaus wird der gebürtige Aachener seinen Vertriebshorizont deutlich erweitern müssen. Neben dem Großkundengeschäft gilt es, ein breites Partnernetz für den Mittelstand und das globale Consumer-Geschäft zu steuern.

IT-Branche reagiert skeptisch

Vor diesem Hintergrund überwiegen die skeptischen Meinungen zu dieser Personalentscheidung. Die Kommentare in Analystenkreisen schwanken von "erstaunlich" bis "idiotisch". Viele Branchenbeobachter fragen sich, was den Ausschlag für Apotheker gegeben hat. Offen wird darüber spekuliert, ob die Berufung als Zeichen zu werten sei, dass HP in das Geschäft mit Business Software einsteigen will. Irritiert zeigte man sich auch über die Tatsache, dass Apotheker sein Amt erst zum 1. November antritt, obwohl der Manager derzeit keinen Posten innehat. Auch die Börse reagierte zunächst skeptisch: Nach Bekanntwerden der Personalentscheidung rutschte der Kurs um vier Prozent ab.

Bis dato stellt das Softwaregeschäft die Achillesferse im HP-Portfolio dar. Bis auf einzelne Bereiche wie System-Management-Tools oder das mit der Palm-Übernahme eingekaufte mobile Betriebssystem WebOS hat der Konzern an dieser Stelle eine offene Flanke - die nun offenbar geschlossen werden soll. Um die von der Börse geforderten Wachstumsraten umzusetzen, muss der Konzern sein Portfolio ausbauen, da die Margen im angestammten Hardwaregeschäft immer stärker unter Druck geraten. Im Servicebereich ist das mit der Übernahme von EDS bereits geschehen. Im Softwaresegment hat sich dagegen bislang wenig getan.

Konkurrenten wie beispielsweise IBM sind an dieser Stelle wesentlich aktiver. Längst bildet das Software-Business bei Big Blue eine tragende Säule des gesamten Geschäfts. Ein Großteil des Profits geht auf das Konto der Softwaresparte. Kontinuierlich hat IBM in den vergangenen Jahren dieses Segment vor allem durch Zukäufe ausgebaut. Neben dem Datenbank- und Middleware-Geschäft kamen zuletzt auch immer mehr anwendungsnahe Applikationen dazu - in erster Linie für Business Intelligence und Analytics. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. IBM-Chef Samuel Palmisano hat vor kurzem angekündigt, weiter massiv in Akquisitionen investieren zu wollen. In den kommenden Jahren will Big Blue für weitere 20 Milliarden Dollar einkaufen - meist in der Softwareabteilung des weltweiten IT-Supermarkts.

Dem muss HP Paroli bieten. Die Berufung des Softwarespezialisten Apotheker könnte ein Signal in diese Richtung sein, auch wenn die HP-Verantwortlichen in der Begründung ihrer Entscheidung nicht dediziert darauf anspielen. Dort wird Apotheker als strategischer Denker mit einer Passion für Technik präsentiert. Außerdem könne der neue Chef auf einen breiten Erfahrungsschatz in der weltweiten IT-Branche bauen und besitze große Expertise im operativen Geschäft.

Mit dem Wechsel an der HP-Spitze werden die Karten im Top-Management der weltweiten IT-Branche neu gemischt. Mit Apotheker und dem neuen Chairman Ray Lane, ehemals Top-Manager bei Oracle und schon als Kronprinz von Lawrence Ellison gehandelt, stehen zwei ausgewiesene Software-Experten an der Spitze des Hardwarespezialisten. Der Wettbewerb zwischen den großen IT-Titanen dürfte sich verschärfen. Ex-HP-Chef Hurd hat mittlerweile, nach einigen Querelen und Streitereien, bei Oracle die Zügel in der Hand. Oracle-Boss Lawrence Ellison, ein Freund von Hurd, gilt als Intimfeind SAPs, dem Ex-Arbeitgeber von Apotheker. Und der eigentlich als zurückhaltend und öffentlichkeitsscheu geltende IBM-Chef Palmisano teilt tritt öffentlich gegen den Konkurrenten HP aus.

Mit dem Personalkarussell werden auch neue Spekulationen um mögliche anstehende Milliarden-Deals aufgewirbelt. Im Zentrum wieder einmal SAP. In den vergangenen Jahren war der deutsche Konzern immer wieder Gegenstand möglicher Übernahmegerüchte. Als potenzielle Käufer wurden Microsoft und IBM gehandelt. Jetzt kommt mit HP ein neuer Kandidat hinzu. Und wer weiß: Vielleicht kehrt Apotheker irgendwann im Triumph nach Walldorf zurück.

Léo Apotheker

Léo Apotheker war der erste Nichtprogrammierer an der SAP-Spitze. Der Vertriebsexperte rückte im April 2008 zum Vorstandschef von Europas größtem Softwarehersteller auf - zunächst gleichberechtigt neben dem Physiker Henning Kagermann. Seit Mai 2009 führte der heute 57-Jährige den Weltmarktführer für Unternehmenssoftware allein.

Mit ihm wehte im Krisenjahr 2009 ein neuer, scharfer Wind durch die Büros. SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp hatte die harten Einschnitte offen kritisiert: Es habe für zu viel negative Stimmung im Konzern gesorgt.

Apotheker gehörte seit dem Jahr 2002 dem SAP-Vorstand an. Davor leitete er unter anderem die Region Europa. Zwischen 1988 und 1991 war er Geschäftsführer und Gründer von SAP Frankreich und SAP Belgien.

In Aachen geboren, an der Hebrew University in Jerusalem studiert, lebt der Manager seit geraumer Zeit in Paris. Einen Abschluss machte Apotheker in internationalen Beziehungen und Volkswirtschaft. Er spricht fließend Niederländisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Hebräisch. Ab 1. November soll Apotheker den Chefsessel bei Hewlett-Packard besteigen und den weltweit größten IT-Konzern führen.