Stressabbau 2.0

Entspannen mit dem virtuellen Coach

07.07.2008 von Alexandra Mesmer
Noch immer im Büro? Dann ab zum Joggen. Hilfe in Sachen Entspannung und Work-Life-Balance können sich gestresste Mitarbeiter jetzt bei einem virtuellen Coach holen.

Der Druck in der IT-Branche ist hoch. Berater und Softwareentwickler leiden im Vergleich zum durchschnittlichen Arbeitnehmer bis zu viermal so häufig unter psychosomatischen Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Nervosität, Schlafstörungen und Magenbeschwerden. Das ergab ein Gesundheitsreport des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung an der Rhein-Ruhr-Universität Essen und Duisburg. 40 Prozent der befragten IT-Profis fühlen sich chronisch erschöpft, 30 Prozent haben Probleme, sich zu erholen.

Tägliche Blitzentspannung am PC

Wer den Stress bekämpfen will, muss selbst die Initiative ergreifen und kontinuierlich an sich arbeiten. Antonella Lorenz, Chefin der Freisinger Softwarefirma Lorenzsoft, weiß aber, dass das nicht so einfach ist: "Natürlich gibt es viele Bücher über Stressabbau. Die kann man lesen, ist aber damit allein gelassen. Man kann sich auch von einem persönlichen Coach beraten lassen, was jedoch sehr teuer ist." Viele Unternehmen, die sich mit dem Thema Gesundheits-Management befassen, stellen im Intranet Material zu Stress und Stressabbau zur Verfügung, gut angenommen werden die Angebote selten. Für diese Unternehmen hat sich Lorenz mit ihrer Mannschaft und unter fachlicher Begleitung des Psychologieprofessors Engelbert Fuchtmann ein Softwareprogramm ausgedacht, das spielerisch mit dem Thema umgeht und mit den Gestressten in einen Dialog tritt.

Am Anfang von Relaxx, so der Name des virtuellen Stress-Managers, steht nicht die Information, sondern die Tat. Stattdessen gibt die Handlung den Inhalt vor. Die Teilnehmer wählen tägliche, wöchentliche und monatliche Übungen aus, um ihren Stress abzubauen. Eine tägliche Übung könnte eine "Blitzentspannung" am PC sein: Man schließt die Augen und ruft positive Bilder aus dem Gedächtnis ab. Als wöchentliche Aufgabe könnte man sich Joggen, als monatliche Aufgabe einen Theater- oder Konzertbesuch vornehmen. Der Mitarbeiter protokolliert, was er getan hat. "Wenn er dann zum Beispiel nie Joggen geht, obwohl er es sich vorgenommen hat, liefert ihm das Programm eine Wissenseinheit, was Sport bringt", erklärt Lorenz. Zu jeder Information wird auch ein kleines Quiz angeboten, der virtuelle Stresscoach gibt regelmäßig per Mail oder SMS Feedback. Zudem können sich die Teilnehmer gegenseitig in einem Chatraum austauschen. Eine "Kompetenzkurve" zeigt an, was der Teilnehmer über Stress weiß. In einer "Befindlichkeitskurve" kann der Teilnehmer sehen, wie es ihm geht.

Da sich Stress nicht von heute auf morgen abbauen lässt, ist das Programm auf mindestens drei Monate angelegt. Damit die Teilnehmer über diesen Zeitraum auch dranbleiben, kann man auch mit Belohnungen arbeiten. "Eine Belohnung muss nicht materiell sein", sagt Antonella Lorenz. Die Pilotgruppe, die Relaxx vor der Marktreife testete, freute sich über ein Bild auf dem Handy, sobald ein Meilenstein erreicht war.

Die Teilnehmer können sich selbst ihre Belohnungen auswählen und sich so motivieren. So ist für den einen die Fahrt im Porsche, für den anderen ein Ausflug mit der Familie erstrebenswert. "Die Unternehmen können auch Belohnungen reinstellen und sich dafür Sponsoren suchen", so Lorenz. Abgesehen von einer Standardversion kann das Programm auch auf die speziellen Wünsche der Unternehmen zugeschnitten werden.

Nach dem Stressabbau ist vor dem Stressabbau

Ein wichtiger Punkt ist laut Lorenz, dass Mitarbeiter anonym und auch von zu Hause aus den virtuellen Stresscoach nützen können. Das Unternehmen, das das Programm einsetzt, erhält nur statistische Auswertungen auf Abteilungsebene, die Einzelergebnisse verbleiben beim Mitarbeiter. Eine Grenze zieht Lorenz auch in Sachen Zielgruppe:" Der virtuelle Stresscoach kann nicht bei Burnout oder in anderen schweren Fällen helfen." Sie warnt auch vor der Hoffnung auf schnellen Erfolg: "Nach dem Stressabbau ist vor dem Stressabbau. Das ist ein kontinuierliches Thema."

Dazu kommt, dass viele Mitarbeiter nicht auf den ersten Blick erkennen können, was sie belastet. Der Münchner Psychologe Engelbert Fuchtmann spricht hier von verkannten Stressoren am Arbeitsplatz. So können Kränkungen oder die Angst vor dem eigenen Versagen viel mehr an die Nieren gehen als etwa eine rein körperliche Belastung durch zu viele Überstunden.

Für Fuchtmann ist es entscheidender Schritt, zu erkennen, was einen körperlich oder seelisch belastet. Erst dann könne man versuchen, dagegen vorzugehen. Genau hier setzt auch das Stressprogramm an: Es soll dem Mitarbeiter Orientierung geben, "den Gestressten sehend machen und in die Lage versetzen, allein wieder aus dem Labyrinth herauszufinden."

Verdeckter Stress im Job: Die wichtigsten Ursachen

  1. Angst vor Versagen : Wer sich überfordert fühlt, ist angespannt. Wenn geforderte Leistung und eigenes Leistungsvermögen auseinanderklaffen, gelingt es den wenigsten, das ganze im positiven Sinne als Herausforderung zu begreifen. Vielmehr wächst die Angst vor Misserfolg, Versagen und letztlich vor beruflichem Rückstand. Die Psychologen sprechen hier von der Defizitfalle.

  2. Beachtungssucht : Während die einen ihr Licht unter den Scheffel stellen, sind die anderen süchtig danach, dass sie und ihre Leistung beachtet werden. Bei Führungskräften kommt das nicht selten vor. Zugrunde liegt eine unrealistische Bewertung des Selbst: Sie idealisieren die eigene Person, sind narzisstisch, überschätzen sich oder haben Minderwertigkeitsgefühle. Auch äußere Ursachen spielen eine Rolle: Man erwägt den Nutzen für die eigene Karriere, getreu dem Motto "Wer im Licht steht, kommt vorwärts."

  3. Kränkung: Kränkungen und Missachtungen können an den Nerv der Person gehen, weil sie die innere Balance gefährden. Kränkungen stellen einen Entzug von Fremdbeachtung dar, die unmittelbar die Selbstachtung der Person angreift. Es kommt dabei häufig zu Reaktionen wie Traurigkeit, Wut, Aggressivität und Feindseligkeit.

  4. Fremdbestimmung: Der eigene Handlungsraum kann empfindlich eingeengt werden, etwa durch unrealistische Vorgaben des Vorgesetzten. Allerdings sollte der eigene Spielraum im Kontext mit den Spielräumen anderer gesehen werden, um so übertriebenen Ansprüchen in Sachen Selbstbestimmung vorzubeugen.