Enterprise-Content-Management

Enterprise-Content-Management 2005: Groß gegen klein

13.10.2005 von Stefan Ueberhorst
Das schon im letzten Jahr verzeichnete Wachstum im Segment Dokumenten- und Enterprise-Content- Management hat sich nochmals verstärkt. Die IT-Hersteller, seien es die großen internationalen oder kleineren nationalen Firmen, haben jedoch Mühe, ihr Portfolio technisch auf eine unternehmensweite, uneingeschränkte Informationsverwaltung einzustellen.

Von der Einführung eines Informations-Management- Systems versprechen sich Anwender in erster Linie kürzere Arbeitsprozesse. Dies ergab eine Umfrage des Verbands Organisationsund Informationssysteme (VOI). An zweiter Stelle assoziieren Unternehmen mit einer entsprechenden Investition die Verbesserung des Kundenservice sowie drittens eine Reduktion der Recherchezeiten. Alle drei Ziele liegen derzeit im Trend und bereiten dem Markt für Enterprise- Content-Management (ECM), nachdem das Rationalisierungspotenzial etwa am ERP-Backbone vielerorts ausgeschöpft ist, einen äußerst fruchtbaren Boden. Hinzu kommt ein „KMU-Boom“, wie es Bernhard Zöller von Zöller & Partner aus Sulzbach/Taunus nennt: Ehemalige Kostentreiber wie teure Speicher und Server würden heute nicht mehr ins Gewicht fallen, so dass auch viele kleine und mittlere Unternehmen inzwischen in Dokumenten-Management investieren.

Wachstum weit über Durchschnitt

Beim Hamburger Beratungshaus Project Consult geht man davon aus, dass alles,was zum Umfeld von Document Related Technologies und ECM gehört, ein stärkeres Wachstum aufweisen wird als die übrigen IT-Segmente für Hard- und Software. Der Druck auf die Unternehmen, ihre Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten, und der Nachholbedarf in Bezug auf die einschlägige Systemunterstützung seien groß. Für 2005 und 2006 zeichne sich ein Projektgeschäft ab, dass der Branche durchaus ein Wachstum von jährlich 15 Prozent bescheren könnte. In Deutschland dürfte der ECM-Markt damit in einem der nächsten Jahre die Milliardengrenze überschreiten. Diese Marke, so schätzen die Experten von Zöller & Partner, könnte hierzulande schon 2004 erreicht worden sein. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, denn jede Marktforschung definiert ECM anders und bezieht sich meist auf europäische oder weltweite Angaben.

Die durchweg positiven Prognosen verheißen zwar gute Geschäfte, doch nicht alle Hersteller werden gleichermaßen davon profitieren. Ulrich Kampffmeyer, Chef von Project Consult, spricht von einer Umverteilung auf der Anbieterseite. Die Großen der Branche würden ihr Portfolio in einem Maße ausweiten, dass die Kleineren nicht mehr mithalten könnten. Im Trend liegen sowohl Komplettangebote für mittlere Lösungen als auch ECM-Suiten für den konzernweiten Einsatz. Sehr viel Druck richte sich auch auf den Markt, weil zum Beispiel die großen Anbieter von Standardsoftware sowie Storage-Spezialisten, die man bislang nicht zum ECM-Kernbereich gerechnet hat, nun in dieses Segment einsteigen.

KMU-Boom verspricht gute Geschäfte

Damit bleibt der hiesige ECM-Markt fragmentiert und lässt sich im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen: Zu den großen internationalen Anbietern wie IBM, Filenet, EMC/Documentum und Opentext/Ixos gesellt sich ein nach wie vor breites Spektrum deutscher Hersteller, die vor allem vom genannten KMU-Boom profitieren.Namhafte Firmen aus diesem Bereich sind SER,Optimal, Saperion, Ceyonic, Dvelop, Easy, Docuware, Elo, Beta Systems und GFT Solutions.Als dritte Gruppe konzentrieren sich inzwischen Branchengrößen wie Microsoft, Sun, SAP und Oracle zunehmend auf den ECM-Markt.

Doch unabhängig von ihrer Herkunft: Als ein Branchentrend ist bei den meisten Herstellern die Komplettierung des Portfolios zu verzeichnen. Für archivzentrische Anbieter heißt das zum Beispiel, die Systeme um Funktionen wie Postkorb, Aktenverwaltung, Records-Management und Mail-Archivierung zu erweitern. Auch das Thema dynamisches Dokumenten-Management (Versionierung, Check-in/Check-out) wird angegangen. Umgekehrt ergänzen Anbieter aus dem Dokumenten-Management- Umfeld ihre Lösungen um Archivfunktionen.

Solche Erweiterungen werden oft hinzugekauft, weshalb insbesondere viele der großen Hersteller über einen Gemischtwarenladen an eigenen und akquirierten Lösungen verfügen, die aufwändige Integrationsarbeiten erfordern. Auf der Tagesordnung steht ein meist auf Java basierender Umbau der Systemarchitektur sowie die Einführung eines Meta-Repositories, über das die Datenintegration aus den diversen Produktwelten erfolgen soll. Filenet etwa hatte Mühe, seine ursprünglich reine Windows-Orientierung aufzugeben und ist im Hinblick auf Plattformneutralität und Durchgängigkeit der diversen angebotenen Produkte mit seinem vor zwei Jahren auf den Markt gebrachten „P8“-System schon relativ weit fortgeschritten.

Viele dieser Aufgaben stehen Opentext noch bevor. Der Hersteller will die Verschmelzung seiner und der von Ixos kommenden Software über ein als „ECM Services Architecture“ bezeichnetes J2EE-Framework erreichen, auf das die diversen Komponenten nach und nach portiert werden. Am Ende dieses auf Jahre angelegten Umbaus soll eine voll integrierte ECM-Suite stehen.

Besonders IBM sieht sich in Sachen Integration einer Herkules-Aufgabe gegenüber. Der Konzern hat sich unternehmensweite „Information Integration“ auf die Fahnen geschrieben und verfügt dafür sicher über das reichhaltigste Portfolio. Um etwa die diversen hauseigenen Dokumentenspeicher untereinander sowie mit denen von Drittanbietern zu verbinden, setzt IBM auf herstellerneutrale Lösungen wie die im Rahmen des Java Community Process entwickelte Spezifikation JSR 170, die eine Programmier- Schnittstelle für Content-Repositories definiert.

Funktionen werden zu Services

Auch die zum Speicherspezialisten EMC gehörende Firma Documentum strebt eine durchgängige Softwarelösung an und hat deshalb die Funktionsbausteine ihrer Plattform in einzelne Services unterteilt. Diese werden auf eine einheitliche Codebasis gestellt und sollen auf einem gemeinsamen Objektmodell und Repository (Doc Base) aufsetzen. Derartige Arbeiten bergen gerade zum jetzigen Zeitpunkt große Chancen, wenn es darum geht, Softwarekomponenten im Rahmen einer Service-orientierten Architektur (SOA) über XML-basierende Standardschnittstellen als Web-Service miteinander kommunizieren zu lassen.

Der Aufwand, den Hersteller auf dem Weg zur zentralen Informationsdrehscheibe betreiben, verführt sie allerdings auch, mit übergeordneten, für viele Anwender allzu abstrakten Themen zu werben: Compliance, Collaboration und Business-Performance-Management sind einige der Schlagworte. Hier reden Industrie und Anwender aneinander vorbei, stellt Kampffmeyer aus seinem Beratungsalltag fest. Gesucht seien konkrete Lösungen etwa für einen einheitlichen Posteingang, zur Entlastung von ERP- und E-Mail-Systemen, für die elektronische Akte, zur intelligenten Suche über alle Dateien hinweg, zur Vorgangsbearbeitung oder für die Archivierung. Genau hierin liegt laut Zöller die Chance der kleineren nationalen Anbieter, die meist diejenigen Features für ihre Produkte entwickeln, deren verbreiteten Bedarf sie in Kundengesprächen ermitteln.

Gefahr durch Insellösungen

Allerdings, so die Experten, birgt die häufig zu beobachtende Neigung der Anwender zu Programmen für Einzelprobleme auch Gefahren. Wer nicht das große Bild des gesamten Unternehmens im Auge behält, tendiert zu Insellösungen, die letztlich in ihrer Gesamtbetrachtung teurer kommen - vor allem, wenn es später um eine übergreifende Informationserschließung und einen geordneten Betrieb aller Systeme geht.

Vor diesem Problem stehen derzeit schon viele Großunternehmen, in denen sich bereits Einzellösungen etabliert haben und die jetzt ein konzernweites Informations- Management anstreben. Die Ablösung einzelner Systeme zugunsten von Paketlösungen oder deren Integration lautet die Herausforderung dort.

* Der Autor STEFAN UEBERHORST ist Redakteur bei der Computerwoche. [sueberhorst@computerwoche.de]