Vergleichstest

Drei ERP-Systeme auf dem Prüfstand

25.08.2006 von Olaf Deininger
Welchen Nutzen Anwender aus den neuen Funktionen ziehen können, mussten Microsoft Dynamics NAV 4.0, Sage Office Line 3.4 und SAP Business One 2005 in einem Test der COMPUTERWOCHE unter Beweis stellen.

Mit dem neuen Release 3.4 der Office Line hat Sage Bewegung in den Markt der Enterprise-Resource-Planning-Lösungen (ERP) für kleinere und mittelgroße Unternehmen gebracht. Das vor wenigen Wochen erschienene Update verfügt über wesentlich umfangreichere Funktionen als die Vorgängerversion und hat sich damit zu einem ernsthaften Konkurrenten für die mittelständischen Einsteigerlösungen von Microsoft und SAP entwickelt.

Hier lesen Sie...

  • wie die Hersteller Microsoft, Sage und SAP ihre mittelständischen Kunden erreichen wollen;

  • wo die Stärken und Schwächen der entsprechenden ERP-Lösungen Dynamics NAV, Office Line und Business One liegen;

  • welche Pläne die Anbieter für die weiteren Entwicklungen in den Schubladen haben.

Zwar haben Office Line und Business One mit neuen Funktionen aufgeholt, an die Microsoft-Lösung reichen sie jedoch nur teilweise ran.

Grund genug, die drei ERP-Lösungen SAP Business One 2005, Microsoft Dynamics NAV 4.0 und Sage Office Line 3.4 miteinander zu vergleichen. In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Technikberatungs-Unternehmen Research One analysierte die computerwoche die drei Softwareprodukte hinsichtlich Funktionsumfang, Anpassungsfähigkeit, Technologie und Zukunftssicherheit. Verglichen wurden jeweils über 800 Kriterien der branchenneutralen Basisprodukte in ihren aktuellen Versionen.

Fertigung

Mit der aktuellen Version 2005 von Business One bietet SAP erstmals eine Fertigungsunterstützung. Wer bislang seine Produktion mit Business One verwalten und planen wollte, musste sich ein Zusatzmodul anschaffen. Damit bieten nun alle drei ERP-Lösungen aus dem Test Funktionen zur Fertigungsplanung, wobei auftragsspezifische Entwicklungen, Einzelaufträge und Serienfertigung abgedeckt werden. Verteilte Organisationsstrukturen können allerdings nur Microsoft mit Dynamics NAV und Sage mit Office Line abbilden. Verbundplanung bietet keine der drei Lösungen. Eine 3D-Baugruppenverwaltung und regelgesteuerte Stücklisten beherrscht nur Sage Office Line. Microsoft Dynamics NAV unterstützt als einzige Applikation Akkord- und Stücklohn. In der Gesamtbetrachtung schneidet Microsoft Dynamics NAV in der Kategorie Fertigungs- und Produktionsplanung aufgrund des größten Funktionsumfangs am besten ab. Den zweiten Platz sichern sich die Briten mit der Office Line. SAP bleibt mit Business One nur Rang drei.

Beschaffung

Auch in Sachen Beschaffung hat Microsoft mit Dynamics NAV die Nase vorn: Während Basis-Beschaffungsfunktionen wie Lieferantenauswahl, Bestellüberwachung, Bestellfreigabe und EDI-Unterstützung bei allen drei Programmen zu finden sind, bieten nur Dynamics NAV und Office Line eine Funktion, um Angebote einzuholen. Über einen elektronischen Marktplatz verfügen lediglich SAP Business One und Dynamics NAV. Die automatische Bewertung von Angeboten erlaubt ausschließlich das Microsoft-Produkt.

Supply-Chain-Management

Microsoft spielt mit Dynamics NAV 4.0 vor allem seine guten Verbindungen zum Frontend aus.

Alle drei ERP-Lösungen liegen mit ihren Funktionen für Supply-Chain-Management (SCM) relativ nahe beieinander. Doch können auch hier Microsoft und Sage einen Vorsprung vor dem Wettbewerber aus Walldorf herausholen: So kann Business One im Gegensatz zu den Konkurrenten nicht mit einer Verwaltung von Chargen und Seriennummern aufwarten. Funktionen für Transitlager-Inventur, Reservierungssystem, Artikelverfolgung sowie Steuerung von Verkaufs- und Einkaufsrabatten fehlen ebenfalls. Lagerortabhängige Dispositionsmethoden und Einstandspreise sowie das Management von Transportzeiten mit Kalenderfunktionen bieten hingegen nur Business One und das Microsoft-Produkt.

Methodik

Die Methodik der Untersuchung ist auf die Anforderungen des Mittelstands zugeschnitten: Eine Evaluation stellt zunächst die serienmäßig integrierten und ohne Zusatzmodule ausführbaren Funktionen der Applikationen fest. Daraus lässt sich ein Funktionsfaktor errechnen. Anschließend werden die eingesetzten und unterstützten Technologien, Plattformen, Datenbanken, Clients, Server, die Standards für Integration und Datenaustausch sowie die Prozess- und Workflow- Unterstützung ermittelt und bewertet. Daraus resultiert ein Faktor für die Anpassbarkeit und Integrationsfähigkeit der Lösung, die "Adaptivität".

Schwach präsentiert sich in der Lieferkette dagegen Office Line: Zwar verfügen alle drei Programme über Funktionen für Versand, Retourenverwaltung und Kommissionen, doch eine Distributions- und Auslieferungsplanung bieten nur das SAP- und das Microsoft-Produkt. Eine Lademittelverwaltung und das Fuhrpark-Management beherrscht als einziges Dynamics NAV.

CRM

In den zurückliegenden Jahren haben die Anbieter von ERP-Lösungen kontinuierlich ihre Funktionen für das Kunden-Management ausgebaut. Das gilt auch für Microsoft Dynamics NAV und SAP Business One. Wer jedoch Office Line für Marketing, Verkauf, Service und Kundenpflege nutzen möchte, muss sich das Zusatzmodul "Act" dazukaufen. Alle drei Lösungen fokussieren sich stark auf Verkauf, Service und Bestandskunden-Bindung: So lassen sich durchgängig Leads, Opportunities und Großabnehmer verwalten. Preisdifferenzierung, Yield-Management, Rabatte und Nachlässe, Kontakt-Management und Angebotsverfolgung sowie Channel-Management und ein Online-Shop zählen ebenfalls zu den Standards. Kaum Unterstützung bieten die drei Lösungen dagegen bei der Verwaltung und Steuerung von Kampagnen. Sie decken lediglich Direkt-Mail und E-Mail-Kampagnen ab. Wer jedoch seine Werbefeldzüge in Print-, TV- oder Radio-Medien steuern möchte, braucht ein separates CRM-Werkzeug.

Portale

Bei den Funktionen zum Aufbau von Mitarbeiter- oder Kundenportalen liegt MS Dynamics NAV mit der neuen Version klar vor den Konkurrenten. Auf Basis von Windows Sharepoint Services bietet das Produkt umfangreiche Funktionen zum Aufbau und Betrieb von Mitarbeiterportalen. Diese Features eignen sich allerdings hauptsächlich für diejenigen, die oft Informationen aus der ERP-Lösung benötigen und weniger häufig selbst Daten eingeben. Sage und SAP hinken in dieser Hinsicht noch ein wenig hinterher: In Office Line wollen die Briten beim nächsten Release im kommenden Jahr möglicherweise Portalfunktionen integrieren. SAP plant, Business One auf seine Service-orientierte ESA (Enterprise Services Architecture) aufzusetzen und darüber die entsprechenden Funktionen zu realisieren. Wann, ist noch unklar.

Infrastruktur

Zwar können Anwender in Office Line mittlerweile für jeden Kunden wählen, in welcher Sprache sie die betreffenden Daten verwalten, doch wird das Programm erst in elf verschiedenen Sprachen angeboten. Damit hat Sage zwar seinen früher eher schwachen Internationalisierungsgrad weiter verbessert, doch Microsoft Dynamics NAV und SAP Business One können die Briten nicht das Wasser reichen. Beide Konkurrenzlösungen unterstützen mehr als doppelt so viele Sprachen. Dennoch hat Sage mit Office Line aufgeholt: Auf Stammdatenebene lassen sich zu jedem Eintrag mehrere Maße, Einheiten und Währungen anlegen. Auch bei der Unterstützung der Richtlinien für EU-Exporte hat Office Line zu den beiden Wettbewerbern aufgeschlossen.

Alle drei Lösungen waren in der Vergangenheit im Wesentlichen auf Windows 2000/XP und den Microsoft Internet Information Server (MS IIS) zugeschnitten - und sind dies mit den neuen Versionen auch weiterhin. Nur für China ist mittlerweile auch eine Version von SAP Business One für Linux-Server und Linux-Desktops verfügbar.

Bei den Datenbanken setzen alle drei Produkte nach wie vor auf Microsofts SQL Server. Zusätzlich unterstützt SAP mit Business One IBM DB2 und Sybase. Sage Office Line bietet eine ODBC- und JDBC-Schnittstelle. Microsoft Dynamics NAV liefert mit der Navision Database eine eigene kleine Datenbank aus, die allerdings kaum eingesetzt wird. Mit der neuen Version hat Microsoft die SQL-Performance verbessert und damit ein Problem früherer Versionen beseitigt.

Anbieter werben um Mittelstand

Der Markt der preiswerten ERP-Lösungen für Mittelständler mit bis zu 5000 Mitarbeitern ist hart umkämpft: Rund 15000 deutsche Unternehmen setzen derzeit Microsoft Dynamics NAV ein. Damit dürfte das Programm die im Augenblick populärste ERP- Lösung im hiesigen Mittelstand sein.

Der direkte Konkurrent Sage, mit seinen Out-of-the-Box-Fibu-Programmen ohnehin "Reichweitenführer", kommt mit seiner Mittelstandslösung Office Line auf rund 10000 Kunden. Doch pro Jahr gewinnen die Briten im Durchschnitt rund 1000 neue Office-Line-Anwender hinzu. Wettbewerber SAP hat seine ERP-Einsteigerapplikation Business One bislang bei knapp 1200 Firmen untergebracht. Zwar stagnierte der Abverkauf zuletzt. Doch zusätzliche Vertriebsaktivitäten sollen dem Geschäft neuen Schwung geben.

Die Ausgangssituation ist bei allen drei Herstellern unterschiedlich: Sage stellt überwiegend Out-of-the-Box-Produkte für Buchhaltung, Fibu und Rechnungswesen für kleine und ganz kleine Unternehmen her. Office Line ist die mächtigste Applikation des britischen Softwareherstellers. SAP nähert sich dem Mittelstand dagegen aus dem Konzernumfeld. Mysap, die Nachfolge-Lösung von R/3, gilt als äußerst komplex und wurde vornehmlich für Großunternehmen entwickelt. Für "SAP All in one" - obwohl die badischen Softwerker eigenen Angaben zufolge damit große Mittelständler anpeilen - gilt im Wesentlichen das Gleiche. Microsoft hat sich dagegen mit Firmenübernahmen in das ERP-Geschäft eingekauft und profitiert jetzt zusätzlich davon, dass seine Server- und Office-Produkte ohnehin schon bei vielen Mittelständlern laufen.

Pläne

Spätestens ab Version 5.0, die im März 2007 erscheint, soll Microsoft Dynamics NAV komplett auf eine neue technische Plattform auf Basis von .NET migriert sein, verspricht Product Solution Marketing Manager Ole Fjordside. Dabei werden Lösungen, die auf der jetzigen C/Side-Basis entwickelt wurden, weiterbetrieben werden können. "SAP wird Business One auf Basis hauseigener Technik schrittweise in eine Service-orientierte Architektur überführen", verspricht SAPs Produkt-Manager Frank Hassler. Dieser Prozess werde zwar einige Jahre dauern, aber letztendlich dazu führen, dass die Business-Logik von SAP Business One als Enterprise Services verfügbar ist. Die Sage-Verantwortlichen wollen Office Line mit zusätzlichen Funktionen wie zum Beispiel Web- und Portalservices, Business Intelligence und "Information Bridge" verbessern.

Fazit

  • Sage hat mit seiner Office Line aufgeholt und ist dabei, das Produkt langsam zu einer vollwertigen ERP-Lösung weiterzuentwickeln, die auch internationales Business unterstützt.

  • Microsoft arbeitet systematisch daran, den Schwächen von Dynamics NAV zu beheben, muss das Produkt allerdings möglichst rasch auf .NET migrieren, ohne die vorhandenen Lösungen unbrauchbar zu machen.

  • Das 2005-Release von SAP Business One bietet mehr Workflow- und Fertigungsunterstützung als die älteren Ausführungen. Doch der Funktionsumfang reicht nicht an den der Wettbewerber heran. Das könnte SAP dazu zwingen, die hohen Preise zu überdenken.