Nach den Enthüllungen rund um die Spähprogramme Prism und Tempora der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste stand das Thema Big Data mit einem Mal im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zuvor wenig damit anzufangen wusste, wird nun heftig darüber diskutiert, inwieweit das Sammeln und Analysieren großer Datenmengen erlaubt beziehungsweise reglementiert werden soll.
Diese Diskussionen sind wichtig. Genauso wie Regeln für das Daten-Handling. Denn das Vertrauen schwindet. Big Data ist für manchen Web-Nutzer zum Synonym für Datenmissbrauch und Überwachungsgesellschaft im Orwellschen Sinne geworden. Umfragen haben zuletzt gezeigt, wie sich das Negativ-Image in der Öffentlichkeit festsetzt. "Die Ausspähaktionen von US- und britischen Geheimdiensten haben das Vertrauen der deutschen Internet-Nutzer in Staat und Behörden massiv einbrechen lassen", lautet das zentrale Ergebnis einer Umfrage des Bitkom.
Der Branchenverband hatte über 1000 Bundesbürger über 14 Jahre befragen lassen, wie sie die Sicherheit ihrer persönlichen Daten im Netz derzeit einschätzen. Die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie die Situation ihrer persönlichen Daten im Netz als eher unsicher (39 Prozent) beziehungsweise völlig unsicher (27 Prozent) einstufen. Damit ist das Misstrauen der User bezüglich Datensicherheit rasant gestiegen. In einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahr 2011 hatten 55 Prozent der Befragten an dieser Stelle Skepsis geäußert. Damals hielten immerhin noch 42 Prozent ihre Daten im Netz für sicher. Heute sind es gerade noch 29 Prozent.
Vor allem das Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen ist gewachsen, hat der Bitkom festgestellt. 58 Prozent der befragten Internet-Nutzer vertrauten Staat und Behörden wenig oder überhaupt nicht, wenn es um den Umgang mit persönlichen Daten im Netz geht. Doch auch Unternehmen werden skeptischer beurteilt, was den Umgang mit persönlichen Daten betrifft. Gerade ein Drittel der Befragten hat starkes oder sehr starkes Vertrauen gegenüber der Wirtschaft. Vor zwei Jahren waren es immerhin noch 41 Prozent. Geringes oder gar kein Vertrauen haben 55 Prozent, 2011 waren es 46 Prozent.
Auch eine jüngst von T-Systems beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegebene Studie belegt das wachsende Misstrauen gegenüber der Wirtschaft. Demnach sehen es die Bundesbürger zunehmend kritisch, wenn Unternehmen Massendaten etwa im Social Web oder aus Internet-Foren auswerten. Beispielsweise lehnt es die Hälfte der fast 1500 Befragten ab, dass Pharmafirmen Forenbeiträge auswerten, um bis dato nicht bekannte Nebenwirkungen ihrer Produkte zu identifizieren. Vier von fünf Bürgern wollen nicht, dass Unternehmen Kundendaten für Marketing-Zwecke speichern.
Firmen im Big-Data-Dilemma
Damit stecken die Verantwortlichen in den Firmen in einem Dilemma. Auf der einen Seite stehen die kritischen, in Datenfragen zunehmend sensibilisierten Kunden, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, Big Data zu nutzen, um Prozesse effizienter und das eigene Geschäft erfolgreicher zu machen. Immer mehr Entscheider in Vertrieb, Marketing und Produktion erkennen die Bedeutung von Big Data.
Mehr als zwei Drittel aller Manager sind der Meinung, dass aussagekräftige Datenanalysen und Prognosen notwendig für fundierte Entscheidungen sind und den Erfolg eines Unternehmens maßgeblich beeinflussen, hat eine Studie gezeigt, die der Analytics-Spezialist Blue Yonder gemeinsam mit "Focus Online" erarbeitet hat. Die Einschätzung bestätigt Erik Brynjolfsson, Professor für Informationstechnik am Bostoner Forschungsinstitut MIT: "Unternehmen, die ihre Entscheidungen auf Basis von Daten treffen, sind um fünf Prozent produktiver als ihre Wettbewerber. Sie verdienen sechs Prozent mehr, und ihr Börsenwert liegt im Durchschnitt 50 Prozent höher."
Big Data verspricht den Unternehmen also viel. Sie erhoffen sich eine bessere Entscheidungsgrundlage, Kostenreduktion und Vorteile aus der Automatisierung von Prozessen. Doch vieles davon ist noch mehr Vision als Realität. Die Big-Data-Hysterie im Markt, die auch von den Anbietern geschürt werde, habe mit dem Geschäftsalltag in den Firmen noch wenig gemein, haben die Experten von Steria Mummert Consulting in ihrem aktuellen "Business Intelligence Maturity Audit" (biMA 2012/13) herausgefunden.
Laut der Befragung von 650 Unternehmensentscheidern in 20 Ländern müssen sich viele Unternehmen noch um grundlegende Hausaufgaben kümmern. Dazu zählen die Sicherung der Datenqualität sowie der Aufbau der notwendigen Organisationsstrukturen und Skills der Mitarbeiter. Auch die eigentlichen Big-Data-Probleme scheinen bis dato noch die wenigsten Firmen zu drücken. So sprach nur ein geringer Anteil der Befragten von Schwierigkeiten im Umgang mit großen Datenvolumina oder polystrukturierten Daten. Offensichtlich fehlten für Big Data noch die überzeugenden Anwendungsfälle, so die Interpretation der Experten.
"Der Hype um Big Data verführt dazu, in eine abstrakte Technologiediskussion abzudriften, ohne vorher die grundlegendsten Fragen nach wirtschaftlichem Nutzen beantwortet zu haben", warnte Studienleiter Volker Oßendoth von Steria Mummert Consulting. Entscheider dürften sich nicht von der Angst leiten lassen, einen wichtigen Trend zu verpassen: "Die Prüfung der Relevanz für das eigene Unternehmen sollte immer der erste Schritt sein."
"Vielen Unternehmen fehlt das Verständnis, dass es bei Big Data nicht darum geht, einfach nur mehr Daten in etablierter Form zu verarbeiten", ergänzt Oßendoths Kollege Carsten Dittmar, bei Steria Mummert Consulting Experte für Business Intelligence: "Zum Teil entstehen komplett neue Geschäftsmodelle. Dafür braucht es zeitlich, inhaltlich und rechtlich relevante Einsatzfelder, die die Investitionen in Technologie und Expertise rechtfertigen - nicht andersherum."
Dass es diese Einsatzfelder gibt, ist indes unbestritten. Das haben unter anderem die Projekte des Computerwoche-Events "Best in Big Data 2012" gezeigt, und die diesjährige zweite Veranstaltung am 24. September wird es wieder belegen. Zudem können auch die Anbieter immer mehr Showcases für sinnvolle und erfolgreiche Big-Data-Auswertungen präsentieren. Davon profitieren letztendlich nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Menschen. Wenn es beispielsweise darum geht, mit Hilfe von Geo-Daten die besten Plätze für Windkraftanlagen zu ermitteln, wird die Nutzung erneuerbarer Energie gefördert. Im Medizinsektor verspricht Big-Data-Technik eine bessere Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs. Und eine flexible Verkehrssteuerung, die laufend aktuelle Daten auswertet, verringert die Lärm- und Abgasbelastung in den Städten.
Big Data braucht Transparenz
Doch um nach den jüngsten Skandalen wieder ein positives Bild von Big Data in der Öffentlichkeit zu verankern, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen. Die Nutzer bräuchten "Klarheit und Wahrheit", stellt Bitkom-Präsident Dieter Kempf klar. Es sei höchste Zeit, dass die Politik konkrete Schritte zur Aufklärung unternehme. Um das Vertrauen wiederherzustellen, müsse Transparenz darüber herrschen, wie mit Daten umgegangen werde. "Wir brauchen eine Kultur des Einverständnisses", sagt Reinhard Clemens, Telekom-Vorstand und Chef von T-Systems. "Nur wenn es uns gelingt, die Chancen der Technik in echten Nutzen für die Menschen umzuwandeln, wird Big Data ein Erfolg." (mhr)