Bitkom-Analyse

Digitaler Tiefschlaf lähmt Deutschland

26.06.2023 von Martin Bayer
Viel Regulatorik, leere Kassen, fehlende Fachkräfte – der Digitalisierung in Deutschland fehlt der Schwung. Zwei Drittel der Betriebe sehen sich als digitale Nachzügler.
Psssst, Deutschland verschläft gerade die Digitalisierung.
Foto: Javier Brosch - shutterstock.com

Immer mehr deutsche Firmen befürchten, digital abgehängt zu werden. Laut einer Bitkom-Umfrage erklärten Topentscheider aus sechs von zehn Betrieben, dass Wettbewerber, die früher digitalisiert hätten, heute dem eigenen Unternehmen voraus seien. Vor einem Jahr äußerte erst gut die Hälfte der Befragten diese Sorge. 39 Prozent der rund 600 befragten Firmen räumt Probleme ein, die Digitalisierung zu meistern. Vor einem Jahr waren es 34 Prozent.

Am Rückstand der deutschen Wirtschaft dürfte sich auf absehbare Zeit wenig ändern. Knapp zwei Drittel der Befragten bezeichneten die eigene Organisation eher als digitalen Nachzügler. Ein gutes Drittel sieht sich als digitalen Vorreiter. Beide Werte liegen in etwa auf dem gleichen Niveau der Umfragen aus den Jahren 2022 und 2021.

Digitalisierung 2023: Deutschland verliert den Mut

Dabei scheint den Verantwortlichen durchaus klar zu sein, wie wichtig ein schneller digitaler Wandel für den eigenen Betrieb wäre. 87 Prozent sind laut Bitkom-Umfrage davon überzeugt, dass dieser eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands spielen wird.

Dichter, Denker, Digitalisierer

"Die Unternehmen haben die Bedeutung der Digitalisierung für die eigene Zukunft erkannt. Sie wissen aber offenbar nicht, wie sie die Digitalisierung angehen sollen", stellt der gerade erst neu gewählte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst fest. Jetzt gelte es, die 2020er Jahre zur digitalen Dekade machen. "In der Vergangenheit war Deutschland das Land der Dichter und Denker. In Zukunft muss Deutschland das Land der Dichter, Denker und Digitalisierer sein."

Deutschland müsse Land der Dichter, Denker und Digitalisierer sein, fordert der neue Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.
Foto: Giesecke + Devrient

Immerhin haben mittlerweile die meisten Unternehmen einen Plan, wie sie den Umbau angehen wollen. Der Anteil der Betriebe, die an dieser Stelle blank dastehen, liegt bei nur elf Prozent - 2019 waren es noch 26 Prozent. Allerdings scheinen die Pläne nicht sonderlich tragfähig zu sein. So beschränkt sich die Digitalstrategie in den meisten Betrieben (55 Prozent) auf einzelne Unternehmensbereiche. Nur ein Drittel der Firmen verfolgt eine alles umfassende zentrale Digitalisierungsstrategie.

Riesige Lücke zwischen Theorie und Praxis

Viele Unternehmen tun sich offenbar schwer, die Blaupausen in die Praxis umzusetzen. Zwischen Theorie und Praxis klafft eine riesige Lücke. Ein Beispiel: 72 Prozent sagen, dass KI eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat, aber nur 15 Prozent nutzen KI im eigenen Unternehmen. Offensichtlich fehlt den Verantwortlichen hier noch die zündende Idee. Ein Drittel sieht in KI eher ein Risiko denn eine Chance für den eigenen Betrieb. Nur ein Viertel der Befragten glaubt, dass damit neue Geschäftsmodelle möglich seien.

Zwei Drittel der deutschen Unternehmen sehen sich als digitale Nachzügler.
Foto: Bitkom

So schieben viele Unternehmen das Thema KI auf die lange Bank. Nur ein Viertel der Befragten rechnet damit, KI innerhalb der nächsten zehn Jahre einzusetzen. 29 Prozent sprechen von einem Zeithorizont von zehn bis 20 Jahren, 25 Prozent gehen von mehr als 20 Jahren aus, und 16 Prozent geben an, KI werde für ihr Unternehmen wohl nie relevant werden.

"Das Bild von KI sollte sich in den kommenden Monaten verändern", hofft Bitkom-Präsident Wintergerst. KI könne einen enormen Innovations- und Effizienzschub auslösen. "Je mehr KI-Anwendungen auf den Markt kommen, desto mehr Unternehmen sollten und - das ist meine Hoffnung - werden sie sich zu Nutze machen."

Digitale Technologien sind wichtig, aber in der Praxis selten zu finden.
Foto: Bitkom

Dabei ist KI nicht die einzige Technologie, bei der die wahrgenommene Bedeutung und die Bereitschaft, selbst voranzugehen, auseinanderklaffen. So sprechen 92 Prozent der Unternehmen Datenanalysen und Big Data eine große Bedeutung zu, aber nur 39 Prozent vertrauen darauf. Robotik halten 86 Prozent für wichtig, doch nur 40 Prozent nutzen die Technologie. Ähnlich sieht es aus beim Internet of Things (84 Prozent große Bedeutung, 36 Prozent Einsatz) und 5G (82 Prozent zu 23 Prozent).

Kein Geld für Digitalisierung

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Unternehmen nur schleppend vorankommen. An externen Faktoren nennen die Verantwortlichen vor allem den Datenschutz (77 Prozent) und fehlende Fachkräfte (64 Prozent) als Hemmnisse. Intern fehlt es den Betrieben an Zeit und vor allem an Geld. 54 beklagen fehlende finanzielle Mittel, um sich digital neu aufzustellen, 2022 waren es 43 Prozent.

Eine zentrale Digitalisierungsstrategie hat nur jedes dritte Unternehmen.
Foto: Bitkom

Leere Kassen dürften den digitalen Fortschritt auch im kommenden Jahr behindern. Immerhin gibt etwas mehr als die Hälfte der Befragten an, im laufenden Jahr mehr in die Digitalisierung investieren zu wollen. Im nächsten Jahr wollen nur noch 28 Prozent mehr Geld dafür in die Hand nehmen. 23 Prozent wollen 2024 die Mittel für Digitalisierungsmaßnahmen kürzen (2023: 16 Prozent).

Viele Digitalisierungshemmnisse werden 2023 von mehr Firmen als gravierender eingeschätzt als noch im vergangenen Jahr.
Foto: Bitkom

Von der Politik erwarten die wenigsten Unterstützung, auch die Grundhaltung im Land wird skeptisch gesehen. Aus Sicht von 54 Prozent der Befragten trägt die Politik mit ihren Entscheidungen eher dazu bei, den Einsatz digitaler Technologien zu verhindern als zu fördern. Und 52 Prozent stimmen der Aussage zu: "Die Bevölkerung in Deutschland ist bei neuen Technologien zunächst immer skeptisch."