"Menschen erledigen ihre Arbeit, Maschinen und Computer übernehmen einen Teil davon und machen uns frei für Tätigkeiten, die nur ein Mensch erledigen kann - Strategien ausarbeiten, Planen und Innovationen vorantreiben. Auf der LiveWorx dreht sich alles um Ideen, wie man diese potenzielle Energie steigern und in leistungsfähigere Produkte, Menschen und Prozesse umsetzen kann", begann PTC-President und -CEO Jim Heppelmann seine Eröffnungs-Keynote vor etwa 6.500 Besuchern.
Ein Thema, das sich durch die gesamte Veranstaltung zog, war das Konzept des Digital Thread und seine Vorteile in Industrieunternehmen. "Ein digitaler Faden bedeutet, dass die Informationen, die ursprünglich für einen Zweck erstellt wurden - zum Beispiel ein technischer Prototyp - für viele verschiedene Prozesse wiederverwendet werden", erklärte Heppelmann. "Der digitale Faden zieht sich dabei durch die gesamte Wertschöpfungskette und ermöglicht erst den digitalen Zwilling", konstatierte er: "Digital Twin und Digital Thread sind konzeptuell miteinander verbunden."
Während die Idee des Digital Thread an sich nicht neu ist, entwickelt sich dieser laut PTC dank innovativer Technologien wie dem Internet of Things (IoT), Augmented Reality (AR) und künstliche Intelligenz (KI, AI) zu einem transformativen Konzept, da er ganze Arbeitsumgebungen und -prozesse umfasst und zahlreiche Interessensgruppen betrifft - von den Ingenieuren der Entwicklungsabteilung bis hin zu den Mitarbeitern in Fertigung und Service. Basierend auf grundlegenden Technologien wie Product Lifecycle Management (PLM) und Computer-aided Design (CAD) soll der digitale Faden es Unternehmen ermöglichen, die Produktkomplexität und -anpassung besser zu verwalten, die Produktivität zu steigern und die Effizienz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu verbessern.
Renaissance von CAD und PLM
Der PTC-Chef betonte im Hinblick darauf, dass CAD und PLM nie altmodisch werden würden, sondern sich sehr gut mit IoT, KI, AR und VR vertragen. "Niemand ist in der Lage, ein Industrieunternehmen ohne diese Technologien zu transformieren", hob der CEO des mit CAD- und PLM-Lösungen groß gewordenen Anbieters hervor: "PLM ist das digitale Produkt-Backbone, das Produktkonfigurationen über die Dimensionen von Zeit, Auswahl des Kunden und Geschäftsperspektive hinweg versteht. Gleichzeitig sehen wir, dass CAD dank neuer Technologien eine Renaissance erlebt."
Wie das Ganze in der Praxis bereits bei Kunden umgesetzt wird, demonstrierte Heppelmann live auf der Bühne an diversen Beispielen. So nutzt etwa der LKW-Hersteller Volvo Group die neuen generativen Design-Funktionen in PTC Creo (Creo Simulation live powered by Ansys) für die Produktentwicklung: Die Lösung erstellt auf Basis von Material und Fertigungsart verschiedene Design-Optionen und validiert diese. Ingenieure können die Ergebnisse ihrer Simulation während des Modellierungsprozesses in Echtzeit sehen und Konstruktionsänderungen in ihren Modellen sofort nachvollziehen. Da die kontinuierliche Veränderung des Designs auch die Komplexität der verschiedenen Konfigurationen steigert, werden die Daten gleich im Product Variability Management des PLM-System Windchill festgehalten.
CAD-Daten kommen bei dem LKW-Hersteller aber unter anderem auch zur Qualitätskontrolle an Motoren oder zur Teileerkennung zum Einsatz - beides mit der Augmented-Reality-Lösung Vuforia Studio. Wie PTC-Chef Heppelmann in einem Presse-Briefing dazu erklärte, ist die Erkennung eines 3D-Modells auf zweidimensionalen Fotos nicht trivial, zumal das Modell vom Hintergrund separiert werden müsse und die Farbe variieren kann. Um hier Abhilfe zu schaffen, würden von dem in PTC Creo erstellten CAD-Modell 10.000 fiktive Fotos aus verschiedenen Winkeln entworfen. Im Anschluss werde dann ein in Vuforia Engine und Vuforia Client integrierter Deep-Learning-Algorithmus zur Erkennung verwendet.
Expertenwissen digital festhalten
Mit Vuforia Expert Capture demonstrierte Heppelmann außerdem eine Lösung, um den Wissensverlust zu stoppen, der droht, wenn ältere Mitarbeiter in den Ruhestand gehen - auch als 'Silver Tsunami' bekannt. Mit Hilfe der von Waypoint übernommenen und in die eigene AR-Lösung integrierten Technologie können die Experten dieses Wissen weitergeben, indem sie ihre Arbeitsabläufe Schritt für Schritt über ein AR/MR(Mixed Reality)-Headset wie die Microsoft Hololens festhalten und anschließend mit zusätzlichen Informationen versehen.
Aus Sicht des PTC-Chefs könnte Vuforia Expert Capture auch einen Paradigmenwechsel beim Training von Mitarbeitern einläuten. "Es ergibt keinen Sinn, Mitarbeitern alles Mögliche einzutrichtern, das dann sowieso nicht hängen bleibt - nur für den Fall, dass es irgendwann gebraucht wird", erklärte er in einem Presse-Briefing. "Lernen im Kontext und Just in Time ist ein gutes Beispiel für Digitale Transformation und es gibt Dutzende von Use Cases dafür, wie man AR dabei einsetzen kann."
Einer der PTC-Kunden, der die Lösung bereits nutzt, ist Global Foundries. Wie DP Prakash, Global Head of Innovation beim US-amerikanischen Halbleiterhersteller während einer AR-Session erklärte, sei AR ein Gamechanger wie seinerzeit Mainframe, Internet oder iPhone und ermögliche eine ganze Pipeline an Innovationen, wie etwa auch Expert Capture. So sei es seinem Unternehmen gelungen, mit Hilfe der Lösung die Trainingszeit der Mitarbeiter in Fabrik und Schulungen um die Hälfte zu reduzieren und bis zu zehn Mal schneller standardisierte Vorgehen (SOP) zu dokumentieren.
Partnerschaft mit Rockwell Automation trägt erste Früchte
Auf der LiveWorx 2019 zog PTC auch ein erstes Resümee der strategischen Partnerschaft mit Rockwell Automation. Der Hersteller von Automatisierungslösungen für die Industrie war vor einem Jahr mit einer Milliarde Dollar bei PTC eingestiegen. Gleichzeitig zog CEO Blake Moret in den Vorstand von PTC ein und die beiden Unternehmen vereinbarten, ihre Lösungen im Industrial-IoT-Bereich auf einander abzustimmen und als "Factory Innovation Suite powered by PTC" gemeinsam zu vermarkten.
Das inzwischen verfügbare Angebot umfasst Rockwells FactoryTalk Analytics, dessen Plattformen für Manufacturing Operations Management (MOM) und Manufacturing Execution System (MES) sowie die ThingWorx-Plattform für industrielle Innovation von PTC. Letztere enthält zudem Kepware für industrielle Konnektivität sowie die AR-Lösung Vuforia, um etwa digitale Arbeitsanweisungen mit Angaben zur aktuellen Leistung sowie einer Wartungshistorie abrufen zu können.
Das gemeinsam geschnürte Paket kommt im Markt offensichtlich gut an: Wie Rockwell-CEO Moret auf der LiveWorx-Bühne verkündete, gab es bereits Tausende von gemeinsamen Kundengesprächen, "also etwas, das Salesforce als Opportunities bezeichnen würde". "Drei Dutzend Firmen haben bereits gekauft", kommentierte PTC-Chef Heppelmann die Situation, "und einige davon bereits ihre Bestellung erweitert". So habe etwa der Autohersteller Ford zunächst mit der Implementierung der FactoryTalk Innovation Suite in einer Fabrik begonnen und nach zwei Quartalen beschlossen, die Lösung auf vier weitere seiner insgesamt rund 60 Fertigungsstätten auszuweiten. Noch viel wichtiger sei jedoch, dass PTC und Rockwell noch keinen Deal an den Wettbewerb verloren hätten, fügte der PTC-Chef hinzu: "Wir haben absolute Lufthoheit in dem Gebiet."
Angesichts dieser Erfolge ist es kein Wunder, dass die beiden Firmen ihre Zusammenarbeit weiter ausdehnen wollen. So ist unter anderem ab dem nächsten Jahr geplant, die Rockwell-Hausmesse TechEd in PTCs Liveworx zu integrieren oder zumindest parallel im Boston Convention and Exhibition Center abzuhalten. Zu den gut 6.500 Gästen von PTC kämen dann 2.000 Rockwell-Besucher hinzu - IT meets OT im realen Leben sozusagen.