VoIP-Trends

Die Zeichen stehen auf Integration

08.11.2011 von Bernd Reder
Voice over IP (VoIP) hat sich in vielen Firmennetzen klassische Telefonanlagen auf Basis von ISDN abgelöst. Nun bahnt sich der nächste Schritt an: die Integration von Sprache, Videokonferenzen und Präsenzinformationen in Unified-Communications- und -Collaboration-Systemen.
Diskussionen über Sprachqualität und Fehleranfälligkeit bei VoIP sind weitgehend Vergangenheit.
Foto: Swyx

Vor wenigen Jahren wurde Voice over IP (VoIP) von TK-Profis noch milde belächelt. Im Vergleich zu herkömmlichen ISDN-Systemen böten VoIP-Systeme eine schlechtere Sprachqualität, seien fehleranfälliger und zudem offen für Hacker-Angriffe, so einige der Argumente. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Marktforschungsfirma Infonetics geht davon aus, dass der weltweite Umsatz mit VoIP-Diensten 2015 ein Volumen von 76 Milliarden Dollar erreichen wird.

Im Bereich Geschäftskunden erwartet die Beratungsgesellschaft vor allem bei VoIP- und Unified-Communications-Diensten, die Service-Provider im Auftrag von Kunden verwalten (Managed und Hosted VoIP-PBX), einen starken Zuwachs. "Im laufenden Jahr wird der Umsatz vom Voice-over-IP-Diensten um 11 Prozent steigen", so Diane Myers, Analystin bei Infonetics. "Ein besonders starkes Wachstum ist im Bereich Geschäftskunden zu verzeichnen", so Myers weiter, "speziell bei Hosted-PBX- und SIP-Trunking-Diensten."

SIP ist auf dem Vormarsch

SIP-Trunking ist eine der Technologien, die Voice over IP vor allem für Unternehmen attraktiv macht. Sie basiert auf dem Session Initiation Protocol (SIP), einem Protokoll, das neben H.323 für den Aufbau und die Steuerung von IP-Telefonverbindungen ("Sessions") zum Einsatz kommt. Mithilfe von SIP-Trunking ist es möglich, Voice-over-IP-Telefone und entsprechende Sessions mit herkömmlichen Telefonanlagen zu koppeln.

Darüber, dass Produkte auf Basis des Session Initiation Protocol dominieren werden, sind sich die meisten Fachleute einig. Ähnlich wie bei Android im Mobilfunkbereich spricht für SIP, dass es sich um eine Norm handelt, die Systementwicklern genügend Freiheitsgrade gibt. Dadurch können sie herstellerspezifische Erweiterungen in ihre VoIP- und UCC-Systeme integrieren. Der Nachteil ist, dass es mittlerweile eine Vielzahl von SIP-Implementierungsvarianten gibt. Das wiederum gefährdet die Interoperabilität von VoIP-Gateways und -Endgeräten.

Aus Anwendersicht ist diese Entwicklung alles andere als wünschenswert. Denn letztlich kann sie dazu führen, dass ein Unternehmen letztlich doch eine VoIP-Lösung erhält, die ihn auf die Produkte eines Anbieters festlegt. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich SIP langfristig gegenüber dem Rivalen H.323 durchsetzt. Ein SIP-Standard ist allerdings erst in etwa 10 bis 15 Jahren zu erwarten.

VoIP-Anlage vom Provider - oder aus der Cloud

Anwender gehen dazu über, die Betreuung der Anlagen einem Dienstleister zu übertragen.
Foto: Accenture/F.A.Z. Institut

Die Idee, die TK-Anlage aus dem Unternehmen zu "verbannen" und stattdessen bei einem Service-Provider eine virtualisierte Anlage zu buchen (IP-Centrex, Hosted IP-Anlage), ist nicht neu. Bereits seit den 60er Jahren bieten amerikanische Telekommunikationsfirmen solche Dienste in den USA an. Dieses Konzept wird nun auch in Europa und Asien immer populärer. Laut Infonetics steigt der Umsatz mit gehosteten VoIP- sowie IP-Centrex-Services 2011 weltweit um 22 Prozent. In Deutschland zeigen sich die Anwender allerdings noch zögerlich: Laut einer Untersuchung von Nfon, einem Anbieter von virtualisierten TK-Anlagen, nutzten 2010 nur 1,5 Prozent der Unternehmen IP-Centrex- oder Hosted-PBX-Angebote. In den USA sind es 25 Prozent der Firmen.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass IP-Centrex-Dienste, wie etwa die von Nfon, QSC und der Telekom, in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Vor allem für Unternehmen, die über viele Standorte verfügen und deren IT- und Telekommunikationsinfrastruktur sich häufig ändert, sind solche Services von Vorteil: Hard- und Software werden vom Betreiber vorgehalten; dieser ist zudem für die Konfiguration der Dienste zuständig. Ein weiterer Pluspunkt: Die Kosten lassen sich exakt abschätzen. Nachteile sind die Abhängigkeit von einem Provider und von einer hoch verfügbaren Breitband-Verbindung. Sollte diese ausfallen, ist auch das Telefon "tot".

Allerdings gehen die meisten Fachleute davon aus, dass die Mehrzahl der Unternehmen eine stufenweise Auslagerung ihrer (VoIP-)TK-Anlagen forciert: Zunächst wird die Betreuung der Inhouse-Anlage einem Dienstleister übergeben, Stichwort Managed Service. Bewährt sich dieses Konzept, übernimmt der Service-Provider auch das Hosting der SIP-Trunks. Anwender, die auf Nummer sicher gehen wollen, können als Backup einige ISDN-Anschlüsse beibehalten.

Anwender sind skeptisch

Trotz der Vorteile, etwa transparenten Kosten und dem Zugang zu einer TK-Anlage mit einem großen Funktionsumfang, werden VoIP-TK-Anlagen, die der Anwender im eigenen Haus installiert, nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden. Ein Grund dafür ist die Skepsis, mit der speziell deutsche Unternehmen dem Thema "Cloud Computing" begegnen. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte vom Mai 2011 fürchten 44 Prozent der mittelständischen Firmen in Deutschland, dass sie die Hoheit über ihre Daten verlieren, wenn sie Cloud-Services nutzen. An die 34 Prozent haben Bedenken in Bezug auf die Datensicherheit. Vorbehalte dieser Art betreffen nicht nur Cloud-Dienste wie Office- und Datenbankanwendungen, sondern auch das Outsourcing von TK-Services.

Hinzu kommt, dass virtualisierte TK-Anlagen dem Anwender weniger Freiheitsgrade einräumen: Er kann die Anlage nicht nach Belieben konfigurieren. Zudem ist er auf den Funktionsumfang angewiesen, den der Provider bereitstellt. Angesichts des Drucks, die IT- und Telekommunikationskosten zu senken, wird das Thema "Auslagerung der TK-Infrastruktur" dennoch an Bedeutung gewinnen.

Trend: Von VoIP zu Unified Communications

Anbieter wie Sipgate offerieren Web-gestützte IP-Telefonanlagen, die den Versand von Fax-Dokumenten und SMS erlauben.
Foto: Sipgate

Eine Entwicklung, welche die Zukunft von Voice over IP in den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen wird, ist der Trend hin zu Unified Communications and Collaboration (UCC). Laut einer Studie der Marktforschungsgesellschaft IDC werden in Europa 2015 an die 16,6 Milliarden Dollar mit UCC-Produkten für umgesetzt. Im Jahr 2010 lag der Umsatz bei 5,7 Milliarden Dollar. Ein Faktor, der die Entwicklung in Richtung UCC fördert, ist nach Einschätzung der Marktforscher der zunehmende Einsatz von Voice over IP und von IP-Telefonanlagen (IP-PBXes) in Firmen. Hinzu kommt, dass Unternehmen verstärkt auf Collaboration-Lösungen wie beispielsweise Sharepoint und Lync Server 2010 von Microsoft zurückgreifen.

"Collaboration in Echtzeit ist das Schlagwort der Stunde", sagt Markus Ernesti, Geschäftsführer von Avaya Deutschland. "Die Voraussetzung dafür, dass unterschiedliche Kommunikationskanäle nicht länger losgelöst nebeneinander existieren, sondern auf einer gemeinsamen Plattform vereint werden, haben Standards wie SIP und H.323 die geschaffen." Beide seien ein Katalysator für das Zusammenwachsen der einzelnen Medien, sowohl auf der Benutzeroberfläche am Endgerät als auch auf Ebene der Infrastruktur.

Voice over IP ist neben Unified Messaging (UM), Fixed-Mobile-Convergence (FMC) und Computer-Telefonie-Integration (CTI) ein Baustein von UCC.
Foto: PAC/Berlecon

"Die nächsten großen Entwicklungen werden in der unternehmensübergreifenden Kommunikation mittels UCC zu beobachten sein", bestätigt Thilo Kramer, Manager Presales Support beim Systemintegrator Damovo in Düsseldorf. "Die notwendigen Plattformen in den intelligenten Netzen der Festnetz- und vor allem der Mobilfunkprovider stehen bereit. Mit SIP wurde zudem ein Standard implementiert, der zum Beispiel den Austausch von Präsenzstatus oder Instant Messaging über eine Lieferantenkette hinweg ermöglicht."

Microsoft und IBM treten in den Ring

In Deutschland steigt die Nachfrage nach VoIP-Services über Mobiltelefone nicht im selben Maße wie in den USA, Großbritannien und Frankreich.
Foto: IBM/Reder

Von dieser Entwicklung könnten Unternehmen wie Microsoft und IBM / Lotus profitieren, die mit Lync Server 2010 und Sametime UCC-Plattformen parat haben. Speziell Microsoft will mit Lync die klassische Telefonanlage überflüssig machen. Neben klassischen Funktionen wie Anrufe halten und weiterleiten, Voicemail und Konferenzschaltung bietet Lync zusätzliche Features. Dazu gehören das Weiterreichen von Anrufen an Team-Mitglieder oder die "Survivable Branch Appliance", die zusammen mit Ferrari Electronic entwickelt wurde. Sie schaltet bei Ausfall der Datenverbindung auf ISDN-Ersatzleitungen um.

Allerdings haben Produkte wie Lync und Sametime noch Schwachpunkte, etwa die Beschränkung auf SIP. Speziell in Europa wird jedoch noch häufig H.323 eingesetzt, das unter anderem den Fax-Versand unterstützt - in Europa immer noch ein wichtiges Kommunikationsmittel. Dafür eröffnen Lync und Sametime dem Anwender die Möglichkeit, nicht "nur" Voice over IP zu nutzen. Sie machen den Weg frei zu einer Integration vieler unterschiedlicher Kommunikationswege, einschließlich Videoconferencing, Instant Messaging, Collaboration-Funktionen und Social-Media.

Und was wird angesichts dieser Entwicklung aus der klassischen TK-Anlage? "Die traditionelle Telefonie hat durchaus noch einen gewissen Stellenwert, da immer wieder Infrastrukturen anzutreffen sind, die VoIP nicht ermöglichen", so Thilo Kramer. "Betrachtet man allerdings die 'Roadmaps' der Hersteller von Kommunikationslösungen, ist davon auszugehen, dass die klassische Technologie am Ende ihres Lebenszyklus angekommen ist. Fast alle Innovationen bei Kommunikationsdiensten und Endgeräten basieren heute auf IP." (hi)