Thema der Woche

Die Hersteller konsolidieren den Chip- und Unix-Markt

22.05.1998

Die Deutung der momentanen Ereignisse reicht von Prognosen über das baldige Ableben der RISC-Techniken über eine generelle Unix-Renaissance bis hin zum Untergang einzelner Markt-Player. Einig ist sich die Branche jedoch darin, daß ein Konzentrationsprozeß stattfindet, der mehr als alle bisherigen Standardisierungsbemühungen zu einer Reduzierung der Betriebssystem-Derivate führt. Bei Hewlett-Packard wird spekuliert, daß es zur Jahrtausendwende nur noch zwei marktrelevante Produkte geben wird, darunter natürlich das hauseigene HP-UX. Üblicherweise schwanken die Prognosen für die Zahl der verbleibenden Derivate zwischen drei und sechs. Für die Meta Group heißen die Gewinner AIX, HP-UX und Solaris. Sollte diese Vorhersage eintreffen, dann hätte sich Compaq, bislang mit seinem Microsoft- und Intel-Kurs ausgesprochen erfolgreich, mit Digital Unix und SCO-Unix gründlich verspekuliert.

Anwendernutzen

Von Anwenderinteressen ist bei diesem Marketing-Gerangel kaum die Rede. Alle Hersteller tun sich schwer, zu sagen, welche Art von Anwendungen überhaupt die Leistung eines 64-Bit-Chips nutzen soll. Diese besteht im wesentlichen im Überschreiten der Speichergrenze von 4 GB. Hauptspeicher dieser Größenordnung würden heute jedoch allenfalls dann gebraucht, wenn besonders umfangreiche Data-Warehouse-Programme gefahren werden sollen. Warehousing hat sich als Verfahren der Informations-Beschaffung zwar etabliert, allerdings meist jedoch in spezialisierten Data-Marts mit vergleichsweise überschaubaren Datenmengen.

Vorteile bieten die 64-Bit-Systeme auch bei der Berechnung großer Mengen sehr langer Zahlen, wie sie etwa bei der Wettersimulation oder in der Quantenphysik auftauchen. Konkret beginnt sich aufgrund der Registerbreite ein Leistungsvorsprung abzuzeichnen, wenn die Zahlen mehr als 4294967296 Stellen aufweisen. Solche Werte erreicht man möglichlicherweise bei heute noch kaum üblichen Multimedia-Anwendungen, etwa dem Vergleich von Bildsequenzen, und vereinzelt bei grafisch besonders aufwendigen Spielen.

Generell gilt jedoch, daß die meisten Anwendungen eher langsamer als schneller werden. Das liegt daran, daß sie bestenfalls einen 32 Bit breiten Adreßraum nutzen können. Es werden daher bei jedem Prozessortakt leere Register gezählt. Echte und damit schnelle 64-Anwendungen sind bislang kaum in Sicht - zumal für die erhoffte Zusatzleistung nicht nur der Prozessor, sondern auch die Busstruktur auf 64 Bit ausgelegt sein muß.

Die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit erklärt, warum sich die 64-Bit-Technik, die insbesondere von Digital seit Jahren angeboten und propagiert wird, bislang nicht auf breiter Basis etablieren konnte. Im Grunde fehlt schlicht der von Intel und den Unix-Anbietern anvisierte Massenmarkt. Offensichtlich vertraut daher die Branche auf das von Intel mehrfach bewiesene Geschick, durch Marketing trotzdem für reißenden Absatz zu sorgen. Die Spekulation könnte durchaus aufgehen. Ein Marketing-Slogan ê la "64 Bit Inside" wäre geeignet, an regelmäßige Chip-Upgrades gewohnte PC-Home-User auf diese für sie eigentlich sinnlose Plattform zu locken.

Die Unix-Anbieter jedenfalls gehen mehrheitlich davon aus, daß Intels Erfolgssträhne auch bei der 64-Bit-Architektur nicht abreißen wird. Insbesondere Hewlett-Packard hofft dabei für Unix-High-end-Systeme auf eine ähnlich lukrative Partnerschaft mit Intel, wie sie Microsoft im PC- und Workgroup-Server-Markt mit dem Chiphersteller genießt.

Mit Ausnahme von Sun und SCO positionieren sich die Unix-Anbieter im Markt der High-end-Server. Darin wird ein weiterer Aspekt der 64-Bit-Entwicklung deutlich. HP, DEC und Co. glauben, mit der neuen Technik für den Angriff auf IBMs Mainframe-Domäne gewappnet zu sein. Insbesondere Digital hofft aufgrund seiner langjährigen Erfahrung sowohl im Server- als auch im 64-Bit-Geschäft endlich den langersehnten Durchbruch für das hauseigene Unix und den "Alpha"-Chip schaffen zu können. Hewlett-Packard sieht sich in einer besonders guten Ausgangsposition, weil der "IA 64" unter der Bezeichnung "Merced" gemeinsam mit Intel entwickelt wurde und die bisherigen Anwendungen, wie es heißt, problemlos übernommen werden können. Hinter dieser Zuversicht versteckt sich jedoch das Eingeständnis, daß mit der Eroberung der Großrechnerwelt so ganz nebenbei das Geschäft mit Unix als Workgroup-Server-Betriebssystem an Microsoft und Windows NT abgetreten wird.

Marktkonsolidierung

Im Zentrum des Interesses - daraus macht insbesondere bei HP niemand einen Hehl - steht jedoch Kostensenkung. So hat man errechnet, daß es teurer ist, die eigene PA-RISC-Architektur weiterzuentwickeln und zu produzieren, als 64-Bit-Chips von Intel zu beziehen. Dieses Argument gilt für alle IA-64-Abnehmer, HP profitiert aber zudem durch die gemeinsame Vermarktung von Merced.

Bei Intel wiederum hat man keine Probleme, fünf Milliarden Dollar in die Fertigung des Prozessors zu investieren, da schon jetzt breiter Absatz garantiert ist, hat sich doch ein Großteil der Branche für den IA 64 entschieden. Fujitsu, Siemens-Nixdorf und NCR wollen Suns Solaris-Unix darauf laufen lassen, um HP-UX haben sich Stratus, Hitachi und NEC gesammelt, und SCO-Unix wollen Unisys, ICL, Data General und Compaq auf der Intel-Architektur einsetzen (siehe Kasten "Unix-Bündnisse").

Die Folge eines solchen Konzentrationsprozesses liegt auf der Hand. Mit dem IA 64 ensteht eine Plattform, die preislich so günstig und von der zu erwartenden Verbreitung her so bedeutend ist, daß es sich kaum ein Anbieter leisten kann, sie nicht zu unterstützen.

Weniger bedeutende Plattformen, für die die Portierung auf Merced zu aufwendig ist, werden ausscheiden. Für die großen Softwarehäuser hat das den Vorteil, daß sie ihre Produkte nur noch für wenige Plattformen vorhalten müssen. Nischenplayer sowie Anwender von bedrohten Derivaten sind dagegen gezwungen umzusteigen.

Ausdünnung beim RISC-Angebot

Neben der Konzentration auf wenige Unix-Derivate könnte der erwartete Run auf den Intel-Chip IA 64 nach Ansicht einiger Analysten zum Aus für RISC-Architekturen führen. Deren Produktionskosten können schlicht nicht mit einem Massenerzeugnis von Intel mithalten. Tatsächlich ist bislang nur HP bereit, auf seine PA-RISC-Architektur zu verzichten. Silicon Graphics weicht in einen Nischenmarkt aus und bietet seine Mips-Prozessoren künftig im Markt für Embedded-Systeme an, wo Spielekonsolen und Telecom-Equipment Verwendung finden. Neue Chipsätze für Rechner sollen nach dem Jahr 2002 nicht mehr gebaut werden. Insofern ist es nur konsequent, wenn OEM-Kunde Siemens-Nixdorf zugunsten von Intel aus dieser Technik aussteigt.

Die IBM dagegen beteiligt sich bislang überhaupt nicht an dem Run auf den Intel-Chip und setzt nach wie vor auf den mit Motorola produzierten "Power-PC"-Prozessor. Die Groupe Bull schwimmt hier im Kielwasser von Big Blue. Digital hält im High-end an seinen Alpha-Systemen fest.

Auch bei Sun glaubt man fest an die Zukunft der hauseigenen "Sparc"-Systeme und widerspricht vehement den Preisargumenten der Intel-Fraktion. Schließlich sei ein Einstiegsrechner auf Sparc-Basis bereits ab 2400 Dollar zu bekommen. Außerdem habe man mit Java eine Plattform, um die Sparc-Chips auf Embedded-Systemen, also etwa in Handys oder Palmtop-Rechner, einzusetzen.

Ähnlich agumentiert die IBM. Auch dort zielt man mit der Power-PC-Technik und Java auf den Markt für Embedded-Systeme.

Außerdem setzt Big Blue bei der Stärkung dieser Prozessor- linie auf Partner. Wachsende Absätze von Apple-Rechnern, gute Umsätze von Motorola im Telefon- und Netzgeschäft sowie der Verkauf in immer mehr IBM-eigenen Systemen sollen dem Power-PC-Chip zu einer adäquaten Marktposition verhelfen. So wurden eben erst AS/400- und RS/6000-Modelle angekündigt, die mit dem gleichen Chip arbeiten. Auf diese Weise könne man die bereits günstigen Produktionskosten durch noch größere Stückzahlen weiter senken. Mit der neuerdings in die Prozessorfertigung eingeführten Kupfertechnik will das Unternehmen eine weitere Verbilligung von etwa zehn Prozent herbeiführen. Auf diese Weise sollte es, so die IBM, kein Problem sein, den Preiskampf mit der neuen Intel-Architektur aufzunehmen.

Gegen die Argumente von Sun und IBM spricht, daß ein in Spielekonsolen eingebauter Chip andere Anforderungen erfüllen muß als Prozessoren in High-end-Servern. Wie das Beispiel der Konzentration von Mips Technologies auf Embedded-Systeme zeigt, wird es zunehmend schwieriger, die Produktlinien zusammenzuhalten. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß Motorola und Apple mit den Heimanwendern einen anderen Markt anpeilen als die IBM.

Skalierbarkeit

Mit Problemen bei der Skalierbarkeit wird auch Intel konfrontiert. Die Anhänger des IA 64 haben zudem das Problem der Abgrenzung vom NT- und Unix-Markt. Seit NT sich im Workgroup-Server-Bereich etabliert, ist die Grenze für den Einsatz des einen oder anderen Systems kaum noch zu erkennen. Für die aus dem PC-Bereich herauswachsenden NT-Server-Kunden stellt sich nun die Frage, ob sie Unix-Know-how aufbauen und entsprechende Server-Anwendungen anschaffen müssen oder darauf vertrauen, daß NT mit ihren Anforderungen wächst.

Diese Entscheidung fällt um so schwerer, weil noch unklar ist, welche 64-Bit-Strategie Microsoft für NT wählt. Soweit bekannt ist, beziehen sich die Pläne bislang auf Digitals Alpha-Chip und nicht auf Intels IA 64. So soll es noch in diesem Jahr eine Betaversion von Windows NT 5.0 geben, die die 64-Bit-Technik von DEC unterstützt. Von Plänen für die Intel-Architektur ist jedoch bislang nichts bekannt.

Diese scheinbare Gemächlichkeit in der Betriebssystem-Entwicklung hat ihren Grund möglicherweise im Datenbankgeschäft. Der hauseigene "SQL Server" erobert derzeit aufgrund seiner günstigen Einstiegspreise im Back-Office-Bundle den Markt. Weiteres Wachstum in den High-end-Bereich verbaut sich Microsoft jedoch, wenn Windows NT 64-Bit-Architekturen unterstützt, ohne daß der SQL Server entsprechend präpariert ist. Dann nämlich könnten sich Konkurrenten wie Oracle mit ihren Very-Large-Memory-Systemen das wichtigste Anwendungsgeschäft auf 64-Bit-Basis unter den Nagel reißen: Data-Warehousing.

Allerdings verweist Microsoft darauf, daß die für Herbst 1998 angekündigte Enterprise-Version von SQL Server 7, obwohl keine 64-Bit-Implementierung, bereits Very Large Memory auf Alpha-Architekturen unterstützt. Auch hier ist von Intel-Plänen bislang nichts bekannt. Das ist höchst ungewöhnlich bei einer Firma, die ansonsten für sehr frühe Ankündigungen bekannt ist. Insofern bleibt den Kunden derzeit die Wahl, beim Bedarf nach mehr Server-Leistung in absehbarer Zeit die Intel-Plattform zu verlassen und mit NT auf Alpha-Systeme umzusteigen oder aber doch den Wechsel auf Unix zu erwägen.

Digital kann von der Alpha-Orientierung bei Microsoft profitieren. Von Vorteil ist insbesondere, daß der Microsoft-Partner auf große Erfahrung bei der Integration von NT verweisen kann.

Windows NT: Integrieren oder bekämpfen?

Den Unterschied zwischen NT und Unix spüren insbesondere Anwender, die mit mehreren Systemen arbeiten. Die Hersteller haben das Problem erkannt und konzentrieren sich daher auf Produkte und Dienstleistungen zur Integration der beiden Welten. Selbst Microsoft hat inzwischen ein Unix-Softwarepaket für NT angekündigt, das die Integration der beiden Betriebssysteme erleichtern soll. Besonders wichtig ist diese Vorgehensweise für die IBM, HP und SNI, Unternehmen, die sich am unteren Ende ihres Produktangebots auf Windows-Techniken, am High-end auf Unix stützen und dazwischen einen Mischbereich pflegen müssen, der je nach Anwenderbedürfnissen anders ausfällt.

Ihnen gegenüber kann Sun damit argumentieren, daß seine Kunden mit Solaris vom 2400-Dollar-Sparc-Einstiegssystem bis zum Hochleistungs-Server weder Chiparchitektur, Betriebssystem noch Anwendung wechseln müssen. PC-Unix-Spezialist SCO hat dieselben Argumente für die Intel-Plattform. Allerdings hat das Unternehmen große Probleme, seine Reputation als reiner PC-Spezialist abzuschütteln. So verweisen die Konkurrenten immer wieder darauf, daß es den SCO-Produkten aufgrund ihrer Herkunft an Server-Qualitäten etwa bei der Hochverfügbarkeit oder bei der Anzahl der parallel einsetzbaren Prozessoren fehle.

Diese Argumente mögen dazu beigetragen haben, daß Compaq jetzt entschieden hat, im 64-Bit-Umfeld auf Digital Unix zu setzen und auf dem PC das dort erprobte 32-Bit-Unix von SCO einzusetzen. Das ist für SCO und seine Partner doppelt bitter, weil es immer schwieriger wird, sich gegen das im Low-end-Server-Bereich rasch vordringende Windows NT zu behaupten. Hier ist SCO zudem mit dem Freeware-Unix "Linux" ein zweiter ernst zunehmender Konkurrent erwachsen. Das Betriebssystem ist für nahezu alle Plattformen - auch 64 Bit - verfügbar, wird inzwischen von einer Reihe von Dienstleistern gepflegt und ist mit durchaus professioneller Software ausgestattet. Dazu gehören etwa die "Wordperfect"-Suite von Corel oder die relationale Datenbank "Adabas D" von der Software AG, Produkte, die sich im harten Wettbewerb gegen Branchengrößen nicht durchsetzen konnten.