Heiße Eisen anpacken

Die Firma - dein Freund und Helfer

26.01.2013 von Judith-Maria Gillies
Ehekrise, Schulden, Suchtprobleme: In ihrem Team sind IT-Kräfte zunehmend auch mit privaten Problemen ihrer Kollegen konfrontiert. Viele Arbeitgeber fühlen sich in der Pflicht und helfen im Umgang mit heiklen Themen.

Erkrankte früher die Ehefrau eines IBM-Mitarbeiters, schickte die Firma kurzerhand eine Krankenschwester ins traute Heim, um die malade Familienangehörige zu pflegen. Das waren noch Zeiten, möchte man meinen...

Doch falsch gedacht. Auch heute noch kommt in diesem Fall eine Krankenschwester ins Haus - nur dass IBM die nicht mehr selbst beauftragt, sondern seine Mitarbeiter über die entsprechenden Leistungen der Krankenkasse aufklärt. Und dass das Ganze heute im Rahmen des IBM Well-being Programms stattfindet und dieses bei noch krasseren Fällen als Krankenschwesterdiensten Hilfe anbietet: bei Suchtproblemen etwa, Ehekrisen oder sogar bei Amokläufen.

Heikle Themen aller Art machen nicht vor der Bürotür Halt. Und immer mehr Firmen fühlen sich mitverantwortlich. Nicht ohne Grund: Denn die Folgen aus steigendem Arbeitsdruck und privaten Sorgen beeinträchtigen die Arbeitsfähigkeit vieler Mitarbeiter - und landen so auf der Agenda der Arbeitgeber.

Alexa Ahmad, pme: "Tischfußball und Dartscheiben reichen nicht aus, um bei der Belegschaft Leistungsfähigkeit und Freude an der Arbeit zu erhalten."
Foto: Privat

Die Maxime lautet: Heiße Eisen erkennen und anpacken. "In Zeiten knappen Fachpersonals bemühen sich die Betriebe nach Kräften, möglichst viele Stressfaktoren ihrer Mitarbeiter abzustellen. Daher fühlen sie sich neuerdings nicht nur für die Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern rundum für den ganzen Mitarbeiter", sagt Alexa Ahmad, Geschäftsführerin des pme Familienservice in Berlin. Als Dienstleister bietet ihre Firma den Unternehmen Rundumsorglos-Pakete für ihre Mitarbeiter an. Für die ist die anonyme Beratung kostenlos, Arbeitgeber zahlen einen Festpreis. Ein 30-Mann-Betrieb ist mit rund 5000 Euro im Jahr dabei. Für 500 Angestellte zahlt ein Unternehmen bei pme um die 38.000 Euro.

Mitarbeiter mit Alkoholproblemen kommen viele Unternehmen teuer zu stehen.
Foto: roostler - Fotolia.com

Scheidung und Schulden, Traumata und Todesfälle, Alkohol, Angststörungen, Arbeitsüberlastung und vieles mehr: In so gut wie allen Lebenslagen erhalten Angestellte Hilfe. Employee Assistance Programs (EAP) heißen die Maßnahmen, zu deutsch auch mitarbeiterorientierte Services. Mit ihnen wollen Arbeitgeber Gesundheit, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit ihrer Belegschaften erhalten und stärken.

Burnout
Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert!
Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co.
Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind.
Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie.
Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte.
Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe.
Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen.
Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl."
Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen.
Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper.
Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute.
Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches.
Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon.
Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird.
Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.

Vorbeugen ist besser als Krank schreiben

In Zeiten von Demografiewandel und Fachkräftemangel entdecken ITK-Unternehmen eine neue Ebene der Fürsorgepflicht. "Auch bei IT-Startups kommen die Mitarbeiter langsam in die Jahre", erklärt Ahmad. "Im Zuge dessen entdecken die Geschäftsleitungen, dass Tischfußball und Dartscheiben nicht ausreichen, um bei der Belegschaft Leistungsfähigkeit und Freude an der Arbeit zu erhalten."

Anne-Katrin Krempien, ärztliche Direktorin bei der Deutschen Telekom: "Wir versuchen gesundheitliche Belastungen frühzeitig zu erkennen."
Foto: Privat

Das sehen auch die großen Firmen der Branche so. "Mitarbeiter, die den Kopf voller Sorgen haben, schöpfen ihr Leistungspotenzial nicht aus", sagt Lars Gielg, HR Manager Integrated Health Services bei IBM in München. Daher liege es sowohl im humanistischen als auch im unternehmerischen Interesse, ihnen zur Seite zu stehen. Diese Einstellung ist mittlerweile Common Sense in der Branche. Bei der Deutschen Telekom heißt es: "Als Arbeitgeber sind wir auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn die Menschen in eine Arztpraxis gehen, ist es oft schon zu spät", sagt Anne-Katrin Krempien, ärztliche Direktorin beim Bonner TK-Riesen. "Wir versuchen gesundheitliche Belastungen frühzeitig zu erkennen und unsere Mitarbeiter dabei zu unterstützen, rechtzeitig gegenzusteuern."

Work-life-Balance
Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."

Gut so, loben Experten. "Unternehmen sollten Probleme wie Sucht, Mobbing oder Burn-out in ihren Reihen nicht verleugnen", sagt Monika Heilmann, Management-Trainerin, Coach und Wirtschaftsmediatorin aus Leinfelden. "Heiße Eisen anzupacken, liegt im Eigeninteresse der Firmen." Denn Konflikte, die das Berufsumfeld stören, können Teams und Arbeitgeber mächtig belasten. Sie stören das Betriebsklima, bremsen die Produktivität, strahlen negativ auf das Image von Abteilung und Firma aus und verursachen erhebliche Krankheitskosten.

Gemäß dem aktuellen BKK Gesundheitsreport 2011 verbuchte die IT-Industrie im Jahr 2010 pro pflichtversichert Beschäftigtem 8,3 Arbeitsunfähigkeitstage, in der Telekommunikation lag der Wert sogar bei 15,3 Tagen.

Private Probleme wie z.B. eine Scheidung belasten Mitarbeiter nicht nur nach Feierabend.
Foto: Rafael Ben-Ari Fotolia.com

Um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben, setzen viele Firmen schon heute auf Prävention. So wie die Telekom. Um heikle Situationen rechtzeitig zu erkennen, hat das Unternehmen 2010 ein "Frühwarn-Cockpit" eingerichtet. Herzstück dieser Datensammlung ist - neben Fluktuations- und Arbeitsunfähigkeitsberechnungen - eine Mitarbeiterbefragung mit 50 Fragen zur psychischen Gesundheit. Der Gedanke dahinter: "Jeder Mitarbeiter, den wir frühzeitig stabilisieren können, bleibt motiviert und leistungsfähig und fällt damit womöglich gar nicht erst aus", so Krempien. Das Frühwarnsystem soll zudem verhindern, dass sich kranke Mitarbeiter zur Arbeit schleppen und dort vermeidbare Schäden anrichten. Personaler sprechen dabei von Präsentismus.

Anonyme Telefon-Hotline

Zur Vorbeugung dieses unerwünschten Phänomens arbeitet die Telekom mit rund 50 internen und externen Beratern zusammen, die auf seelische Probleme aller Art spezialisiert sind. Die Mitarbeiter erreichen die Psychologen und Coaches entweder per kostenfreier und anonymer Telefon-Hotline oder in Beratungsgesprächen - innerhalb oder außerhalb ihrer Arbeitszeit.

Zudem offeriert der Konzern neben Seminaren zu Themen wie Sucht oder Stress auch spezielle Resilienz-Workshops, in denen die Teilnehmer lernen, mit belastenden Themen umzugehen. Schon mehr als 1000 Angestellte haben hier Hilfe gesucht.

Führungskräfte sensibilisieren

Die Betreuung alter oder kranker Familienangehöriger ist für viele Berufstätige eine enorme zusätzliche Belastung.
Foto: Peter Maszlen Fotolia.com

Burnout, Team-Konflikte und die Betreuung kranker Angehöriger: Laut pme-Chefin Ahmad sind dies derzeit die Top-drei-Themen in der Lebenslagenberatung. Diese Phänomene sind auch Peter Hesse gut bekannt. Er verantwortet das Mitarbeiterberatungsprogramm in der Personalabteilung bei Hewlett-Packard (HP) in Böblingen, das genau in solchen Fällen Hilfe bietet. Das Hilfsprogramm kostet HP rund zehn Euro pro Mitarbeiter und Jahr. "Nicht viel Geld, wenn wir damit Krankenstände vermeiden und die Mitarbeiterloyalität steigern können", findet Hesse. Zudem sendet es positive Signale nicht nur für Betroffene. Das Angebot gebe allen Kollegen das gute Gefühl, "im Fall eines Falles ein Netz zu haben, das sie auffängt", sagt Hesse. So zahle die Mitarbeiterberatung auch auf das Employer Branding der Firma ein.

HP selber sieht sich als Brückenkopf zwischen Mitarbeitern und dem externen Beraterpool aus Psychoanalytikern, Verhaltenstherapeuten und Psychologen. Für alle Angestellten und ihre im selben Haushalt lebenden Familienangehörigen sind sechs Sitzungen kostenlos. Im Intranet steht darüber hinaus ein virtuelles Counselling mit Selbsttest bereit. Und eine extra gegründete "Take-care-Taskforce" aus zehn Mitarbeitern soll die Kollegen auf alle Hilfsangebote aufmerksam machen.

Andernorts fällt diese Aufgabe oft den Führungskräften zu. Zu ihren Pflichten gehört es, die Probleme ihrer Teammitglieder zu erkennen, anzusprechen und Unterstützung zu vermitteln. Keine leichte Angelegenheit, zumal psychische Probleme noch immer ein Tabuthema sind. "Sie gelten oft als Zeichen von Schwäche - vor allem bei den Betroffenen selber", weiß Trainerin Heilmann. Für Chefs macht dies den offenen Umgang mit heißen Eisen noch schwieriger. "Ziel von Unternehmen sollte es daher unbedingt sein, Berührungsängste abzubauen und möglichst niedrigschwellige Angebote zu entwickeln", fordert Heilmann.

Vorbildfunktion der Führungskräfte

Neben anonymen Beratungsstellen gehören auch spezielle Trainings für Führungskräfte. In denen werden sie für das Thema sensibilisiert und lernen angemessene Verhaltensweisen im Umgang mit den betreffenden Kollegen. Inhalte solcher Lehrgänge sind zum Beispiel: das Bewusstmachen der eigenen Vorbildfunktion, die Kontrolle der Sicherheitsvorschriften, das diskrete Handling des Problems im Team sowie die Unterstützung der Mitarbeiter durch Verweis auf die Hilfsangebote.

Ganz wichtig aber ist auch die richtige Einordnung der Schwierigkeiten. So ist ein schlechtes Gewissen auf jeden Fall fehl am Platz. "Führungskräfte haben nicht versagt, wenn in ihrem Team solche Probleme auftreten", erklärt Heilmann. "Sie haben nur dann versagt, wenn sie genau das ignorieren."

Leichter gesagt als getan? Keine Frage: "Die Ansprüche an Vorgesetzte steigen", sagt Professor Bernhard Allmann, Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheits-Management in Saarbrücken. "Einerseits sollen sie in ihrem Team ein Bewusstsein für die Gesundheit schaffen und Defizite schnell erkennen. Andererseits dürfen sie sich nicht selbst überfordern und versuchen, die Rolle von Hobby-Psychologen zu übernehmen."

Brigitte Kaluscha-Voigt, Computacenter, weiß: "Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern ein Vorbild sein." Das schafft oft noch mal besonderen Stress.
Foto: Privat

Diese Zwickmühle kennt auch Brigitte Kaluscha-Voigt, Consultant Human Resources bei Computacenter in München. "Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern ein Vorbild sein, zugleich sind sie aber auch selbst besonders belastet", so die Personalerin. "Wer aber selber belastet ist, kann anderen nicht genug den Rücken freihalten." Computacenter bietet seinen rund 4700 Mitarbeitern in Deutschland seit 2008 ein Lebenslagen-Coaching mit Telefon-Hotline, Beratungsgesprächen und Webinaren an. Doch das allein reicht dem IT-Dienstleister nicht mehr. Um speziell die Vorgesetzten für ihre Aufgaben zu rüsten, nimmt die Firma ab 2013 maßgeschneiderte Führungskräftetrainings in ihr Programm auf. Titel: "Gesund führen - sich selbst und andere". Kaluscha-Voigt ist überzeugt, dass sich auch dieses Angebot rechnen wird: "Jedes Problem, das gelöst wird, ist ein Erfolg."

Ein Erfolg übrigens nicht nur für den betreffenden Mitarbeiter, sondern auch für dessen Chef. Je weniger Sorgen seine Mitarbeiter mit sich herumtragen, desto leistungsfähiger arbeiten sie, und das wiederum kurbelt die Produktivität der ganzen Abteilung an. Gesundheitsprofessor Allmann verweist auf einen wichtigen Zusammenhang: "Schlechte Führungskräfte nehmen beim Abteilungswechsel ihre Krankenstände mit", sagt er. "Gute aber auch." Heiße Eisen anzupacken, zahlt sich also aus. Wer die Probleme rechtzeitig anspricht, sorgt nicht nur für gesündere Mitarbeiter, sondern gleichzeitig auch für gesündere Bilanzen.

Was tun im Fall der Fälle?

Wie Vorgesetzte heikle Themen ansprechen sollten - dargestellt an einem Interventionsgespräch mit einem alkoholkranken Teammitglied.

Erstellen Sie Erinnerungsstützen
Dokumentieren Sie alle Auffälligkeiten im Arbeits- und Sozialverhalten des betreffenden Teammitglieds sowie sämtliche Fehler und Abweichungen in seiner Arbeitsleistung. Alles mit Ortsangabe, Datum und Uhrzeit. Das hilft Ihnen später bei der Beweisführung.

Holen Sie Hilfsangebote ein
Bereiten Sie eine Liste mit internen und externen Beratungsangeboten vor - möglichst ausführlich mit Ansprechpartnern und Kontaktdaten. Damit erhöhen sich die Chancen, dass der Betroffene wirklich Hilfe sucht.

Achten Sie auf Ihre Sandwichposition
Als Führungskraft haben Sie eine soziale Verantwortung für Ihre Mitarbeiter und zugleich eine unternehmerische Verantwortung für die Firma. Haben Sie eine freundschaftliche Beziehung zu dem betreffenden Teammitglied, machen Sie sich - und ihm (oder ihr) - klar, dass Sie das Gespräch aus Ihrer Vorgesetztenverantwortung heraus führen.

Stellen Sie eine Wohlfühlatmosphäre her
Keine Frage: Solch ein Gespräch ist für beide Seiten schwer. Ihre Aufgabe ist es daher, die Rahmenbedingungen so angenehm wie möglich zu gestalten. Sorgen Sie für einen störungsfreien und vertraulichen Gesprächsverlauf. Also: Tür zu, Smartphone aus, Telefon umleiten.

Reden Sie Klartext
Erzählen Sie ruhig und klar, welche konkreten Auffälligkeiten Sie beobachtet haben und welche Fehler Sie Ihrem Gegenüber (anhand der erstellten Liste) nachweisen können. Und machen Sie deutlich, dass diese Ihnen Sorgen bereiten.

Rüsten Sie sich für die Widerrede
Machen Sie sich bewusst, dass ein auffälliger Mitarbeiter in der Regel versuchen wird, seinen Alkoholkonsum als mögliches Problem zu verbergen und schnell Ausreden für eventuelle Ausrutscher vorbringen wird. Lassen Sie sich davon aber nicht einwickeln.

Bieten Sie Hilfe an
Überreichen Sie dem Mitarbeiter die vorbereitete Liste mit Hilfsangeboten und bieten Sie ihm Ihre Unterstützung bei der Kontaktvermittlung an.

Weisen Sie auf Konsequenzen hin
Nehmen Sie die Versprechungen des Mitarbeiters ernst und verabreden Sie mit ihm konkrete Veränderungen, die Sie erwarten (zum Beispiel das Aufsuchen der internen Sozialberatung). Kündigen Sie im Fall eines erneuten Fehlverhaltens konkrete Auflagen an. Diese müssen verbindlich, konsequent und angemessen sein (etwa eine Krankmeldung bereits nach dem ersten Arbeitstag). Wenn arbeits- oder disziplinarrechtliche Konsequenzen unumgänglich sind, sollten Sie vorab die Personalabteilung darüber informieren.

Planen Sie einen Kontroll-Termin ein
Fassen Sie am Ende des Gesprächs alle Vereinbarungen sowie die Konsequenzen noch einmal zusammen und verweisen Sie erneut auf die Hilfsangebote. Machen Sie einen schriftlichen Vermerk, und legen Sie einen Termin für ein Feedbackgespräch innerhalb von sechs bis acht Wochen fest.

(Quelle: In Anlehnung an "Alkohol am Arbeitsplatz - Eine Praxishilfe für Führungskräfte", herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. und der Barmer GEK.)