Interview mit John Chen, CEO und Chairman von Sybase

Der Linux-Zug rollt weiter

04.07.2003
MÜNCHEN (CW) - In der IT-Branche herrscht Unruhe. SCOs Urheberrechtsansprüche an Linux und Oracles Versuch, Peoplesoft zu schlucken, verunsichern viele Anwender. Mit John Chen, CEO und Chairman des Datenbank- und Tool-Anbieters Sybase, sprach die CW-Schwesterpublikation "Computerworld".

CW: Sybase hat viel Kontakt zu Linux-Anwendern. Sind Ihre Kunden besorgt wegen SCOs Urheberrechtsklage?

CHEN: Einige Kunden haben in der Tat ihre Verunsicherung zum Ausdruck gebracht. Zwei unserer Großkunden wollen sogar ihre Linux-Projekte zurückfahren und erst einmal abwarten, wie sich der Fall entwickelt. Ernsthaft besorgt bin ich aber nicht, zumal uns die Kunden unverändert auffordern, immer mehr Anwendungen von Unix oder Windows NT auf Linux zu portieren.

Als Repräsentant der IT-Industrie muss ich allerdings sagen, das Ganze ist eine Schande. Die Linux-Plattform bedient ein bestimmtes Marktsegment, und ich hasse es, zusehen zu müssen, wie ein sehr etablierter Anbieter an diesem Fundament rüttelt. Wird die Open-Systems-Bewegung durch so etwas gestoppt, geht das auf Kosten der Innovation und dient am Ende nur den ganz Großen. Es ist bedauerlich, dass hier mit Dreck geworfen wird.

Was unsere Industrie jetzt braucht, ist Wachstum. Wir sollten uns darum kümmern, Jobs zu schaffen für Leute, die in der Krise entlassen wurden. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Kämpfe zwischen IT-Playern, die den Innovationsprozess aufhalten werden.

CW: Ihr Unternehmen hat immer stark auf Unix gesetzt. Wie hat Linux Sybase verändert?

CHEN: Vor ein paar Jahren haben wir Linux als etwas Neues identifiziert, das den Markt stark beeinflussen wird. Deshalb laufen in-zwischen alle unsere Produkte auf Linux. Im kommenden Juli planen wir die Eröffnung eines Linux-Kompetenzzentrums, um Wallstreet-Unternehmen zu unterstützen, wenn sie von Unix auf Linux wechseln möchten oder umgekehrt.

CW: Sehen Sie bei Ihren Kunden ein schwindendes Interesse an Unix?

CHEN: Die Menge der Sybase-Installationen auf Unix-Basis wird abnehmen müssen, schon weil einige Anwendungen auf Linux wechseln. Die meisten Programme, die wir für Linux anbieten, wurden aber neu entwickelt. Von daher sehe ich keine große Abwanderungsbewegung von Unix auf Linux.

CW: Wechseln Kunden von Unix auf Microsoft-Betriebssysteme?

CHEN: Einige unserer Großkunden haben es versucht und wieder Abstand davon genommen. Bekannt geworden ist vor allem der Fall Merrill Lynch, wo ein vergeblicher Versuch mit Windows unternommen wurde. Linux haben sie ebenfalls ausprobiert und auch davon Abstand genommen - zumindest bis auf weiteres. Nun werden sie konsolidieren und die Zahl ihrer Lieferanten zusammenstreichen, aber bei Unix bleiben.

CW: Sybase ist ein langjähriger Partner von Peoplesoft. Was halten Sie von Oracles feindlichem Übernahmeversuch?

CHEN: Mit diesem Vorstoß stört Oracle-Boss Larry Ellison natürlich Peoplesofts J.D-Edwards-Übernahme. Offensichtlich möchte er seine Position zwei im Markt für Business-Software nicht verlieren. Wenn man sich die letzten Quartalsergebnisse von Oracle ansieht, erkennt man, dass im Applikationsgeschäft kein Zuwachs erzielt wurde. Bezieht man die ungünstigen Währungseinflüsse ein, könnte dieses Segment sogar geschrumpft sein.

In den vergangenen Quartalen ist das Geschäft mit Geschäftsanwendungen für alle Anbieter schwach verlaufen. Das wird wohl so bleiben, bis die Wirtschaft insgesamt anzieht. Für die Anbieter ist es also ein guter Zeitpunkt, zu konsolidieren und das eigene Geschäft durch Zukäufe zu stärken.

Wir konkurrieren zwar nicht in diesem Markt, aber wir sehen die Konzentration nicht gerne. Eine geringere Auswahl war noch nie gut für die IT-Industrie. Für Sybase wäre die Übernahme von Nachteil, weil wir eine enge Partnerschaft mit Peoplesoft unterhalten. Wir haben hier eine installierte Basis von 400 bis 500 Kunden, und wir versuchen gemeinsam mit Peoplesoft, in neue Märkte vorzudringen - etwa in das chinesische Gesundheitswesen.

Ellison hat gesagt, Peoplesoft-Chef Craig Conway sei schon vor einem Jahr an ihn he-rangetreten, um eine Zusammenlegung der Application-Bereiche zu diskutieren. Ich weiß nicht, ob das stimmt, und es steht mir eigentlich auch nicht zu, das zu kommentieren. Doch mit dieser Verlautbarung hat er meiner Ansicht nach den Verhaltenscodex zwischen CEOs verletzt. Das ist kein guter Stil.

CW: Kommen wir zu Ihrer Person. Sie sind Anfang des Monats in den Verwaltungsrat der amerikanischen Handelskammer gewählt worden. Welche Aufgaben erwarten Sie hier?

CHEN: Das wichtigste, woran ich arbeite, ist, dafür zu sorgen, dass die US-Interessen in Übersee, insbesondere in den asiatischen Ländern, gewahrt bleiben. Beispielsweise versucht das Ministerium für Informationsindustrie in China die einheimische Softwareindustrie zu fördern, indem es den Unternehmen dort Beschränkungen auferlegt, wie viel Software aus dem Ausland bezogen werden darf. Das widerspricht den weltweiten Handelskonventionen.

CW: Welche Herausforderungen kommen durch die aufblühende IT-Industrie in Asien und durch Offshore-Dienstleistungen auf die westlichen IT-Unternehmen zu?

CHEN: Ihre Leser sollten diese Entwicklung nicht unterschätzen. Wir schaffen derzeit Arbeitsplätze in Übersee, die in Zukunft das Potenzial haben, mit unseren Jobs in Konkurrenz zu treten. Schauen Sie nach Indien: Firmen wie Wipro, Infosys und Tata sind sehr gut aufgestellt. Sie sind entstanden, weil wir gut ausgebildetes Technikpersonal brauchten, und zwar zu möglichst geringen Kosten. Irgendwann werden diese Unternehmen versuchen, uns nicht nur Personal zur Verfügung zu stellen, sondern auch Softwareprodukte zu verkaufen. Vom Standpunkt der Globalisierung aus ist das auch gut so. Aber auf Dauer sollten wir unsere eigenen Leute besser in Mathematik und Wissenschaften ausbilden, um die Führungsposition zu behalten. Das erfordert mehr Anstrengungen, als heute erkennbar sind.

CW: Sehen Sie in China eine ähnliche Entwicklung wie in Indien?

CHEN: Ja. Und das hat nicht nur Folgen für die Beschäftigungssituation. Die Industrie sollte sich unbedingt zusammensetzen und auf einen gewissen Standard an Softwaresicherheit einigen. Wenn so viele Ausländer Code entwickeln, der zurück in die USA geliefert wird, und wenn es Politik der US-Regierung ist, möglichst auf Standardpakete zu setzen, dann kann es passieren, dass wir unbewusst Sicherheitslücken im Softwarecode zulassen, die Unbefugten den Zutritt durch die Hintertür erlauben. Hacker könnten diese Lücken nutzen, um kompromittierenden Code ein-zuschleusen. Wir sollten vorsichtig sein, weil mehr und mehr Firmen aus Sachzwängen heraus ihren Code in Übersee erstellen lassen.

Die Industrie sollte zusammenkommen und einen Standard definieren, vergleichbar etwa mit denen der International Organization for Standardization (ISO), welchen wir unsere ganze Entwicklung und Qualitätskontrolle unterwerfen. Das Problem in unserer Branche ist, das wir uns nie auf irgendetwas verständigen können. Aber dies ist etwas, was gemacht werden muss.

CW: Sie haben einmal gesagt, die Quote der illegal genutzten Software in China liege bei 95 Prozent, was ein großes Problem für Sybase darstelle. Trotzdem haben Sie dem Land rund 300000 Dollar für die SARS-Bekämpfung geschenkt.

CHEN: Wir machen trotz der Raubkopien sehr gute Geschäfte in China. Wir sind sogar die Nummer zwei im chinesischen Datenbankmarkt und damit ärgster Rivale von Oracle. Und wir haben sehr gute Beziehungen zur chinesischen Regierung. Es gibt dort beste Geschäftschancen, weil derzeit viel in Software für den Ausbau der unternehmensweiten IT-Infrastrukturen investiert wird.

Die chinesische Regierung weiß, dass sie hart durchgreifen muss, um die Piraterie in den Griff zu bekommen. Schließlich plant sie selbst, irgendwann Software zu exportieren. Das wäre für uns ein größeres Problem als die Piraterie. Die Chinesen schaffen geistiges Eigentum, um mit uns zu konkurrieren, und es ist nicht auszuschließen, dass sie gleichzeitig versuchen werden, ihren Markt abzuschotten. Sie haben ein großes Interesse daran, die Piraterie einzudämmen, weil sie Bedingungen schaffen wollen, unter denen ihre Leute Software exportieren und mit uns in der Informationsgesellschaft konkurrieren können. (hv)

Hansdampf in allen Gassen

Viel Freizeit dürfte John Chen, der ein ambitionierter Hobby-Golfer ist, nicht haben. Der 1955 in Hongkong geborene Chef von Sybase kam 1997 als President zu dem Unternehmen, teilte sich ab März 1998 gemeinsam mit dem langjährigen CEO Mitchell Kertzman dessen Posten und übernahm im Oktober desselben Jahres die alleinige Führung. Zudem bekleidet Chen noch die Funktion des Chairman von Sybase. Damit nicht genug, arbeitet der Vater von vier Kindern auch in einer Reihe von Organisationen und Ausschüssen mit. Er ist unter anderem Mitglied im Verwaltungsrat der US-amerikanischen Handelskammer sowie Vice Chairman im Committee of 100, einer Vereinigung amerikanisch-chinesischer Geschäftsleute, die sich als Thinktank für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder versteht. Chen wirkt außerdem in den Vorständen der Business Software Alliance (BSA), des Beratergremiums der New Yorker Börse Nyse und der Chinese Software Professionals Association - um nur einige seiner zahlreichen Funktionen zu nennen.

Dem Unternehmen Sybase scheinen die vie-len "Nebentätigkeiten" seines Chefs nicht geschadet zu haben. Mit massiven Umstrukturierungen, die bereits sein Vorgänger Kertzman angestoßen hatte, gelang Chen Ende der 90er Jahre der Turnaround des angeschlagenen Datenbankspezialisten (O-Ton Larry Ellison 1997: "Sybase ist weg vom Fenster"). Der Vorwurf gegen die Kalifornier lautete damals, dass sie zu spät auf den vor allem durch das Internet ausgelösten Strukturwandel reagiert hätten. Die Folge waren rote Zahlen in den Geschäftsjahren 1996 und 1997. Hinzu kamen große Probleme in puncto Zuverlässigkeit und Performance der Datenbanken, was viele Kunden vergrault hatte. Das Ergebnis war, dass Sybase 1999 nur noch einen Anteil von rund drei Prozent im Markt für relationale Datenbanken besaß.

Vor drei Jahren versuchte Chen mit einer seit 1997 um rund 2000 Mitarbeiter verkleinerten Belegschaft, mit neuen Produkten und Strategien an einstige Erfolge anzuknüpfen. Statt einer wahrscheinlich aussichtslosen Aufholjagd gegen Erzrivalen wie Oracle oder IBM konzentriert sich das 1984 gegründete Unternehmen nun auf Wachtumsbereiche wie mobile Datenbanken und Middleware. Erst im Mai dieses Jahres kündigte Sybase ein 25-Millionen-Dollar-Programm für Forschung und Entwicklung im Bereich mobiler Anwendungen an.

Unter Chens Führung hat Sybase mittlerweile außerdem eine klare Fokussierung auf vertikale Märkte wie den Finanzsektor, die öffentliche Verwaltung inklusive Gesundheitswesen sowie den Telekommunikationsbereich vorangetrieben. Gleichzeitig wusste der Manager seine Verbindungen zum Wachstumsmarkt China zu nutzen und etablierte das Unternehmen als eigenen Angaben zufolge zweitgrößten lokalen Datenbankanbieter.

Insgesamt erwirtschaftete Sybase im Geschäftsjahr 2002 einen Umsatz von 830 Millionen Dollar sowie einen Vorsteuergewinn von 71,2 Millionen Dollar. (rs)