Forschungsergebnisse und Firmengründungen

Der IT-Gipfel konkretisiert das Internet der Dienste

08.12.2009 von Rochus Rademacher
Im Vorfeld des vierten IT-Gipfels in Stuttgart haben von der Regierung geförderte IT-Forschungsprojekte am Fraunhofer IAO Leistungsnachweise vorgelegt.

Beim Internet der Dinge und Dienste gehören dazu ein Sicherheitssystem für Städte, eine Plattform zur Absicherung gegen Produktpiraterie und ein automatisierter Instandhaltungs-Prozess. An allen Projekten beteiligt ist SAP.

"Schon 2010 wird das Internet der Zukunft eine maßgebliche Rolle spielen und mittelfristig zur kritischen Infrastruktur werden", glaubt Professor Lutz Heuser, Leiter SAP Research. "Allerdings muss das mit semantischen Technologien erweiterte Internet noch beweisen, dass es eine vertrauenswürdige Plattform zum Wirtschaften sein kann."

Dass die bisherige Softwareservice-Forschung der Bundesregierung schon praktische Ergebnisse zeitigt, macht Heuser an zwei Ergebnissen fest: Im Januar tritt das Jungunternehmen Original1 an, das einen internetbasierten Service anbietet, um für Unternehmen Fälschungen von Produkten ausfindig zu machen und der Polizei Hehler in die Arme zu treiben. Die Gründung von SAP, Nokia und Giesecke & Devrient stützt sich auf bundgeförderte Forschungsergebnisse.

Verheugen: Versuchter Massenmord

Original1 dürfte keinen Mangel an Arbeit haben. "Der Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, hat uns gestern eine Steilvorlage geliefert", kommentiert Heuser die Warnung aus Brüssel, dass jedes zehnte Medikament laut Weltgesundheitsorganisation WHO gefälscht ist. Verheugen, der die Fälschung von Medikamenten als "ein Kapitalverbrechen, ein versuchter Massenmord" bezeichnet, will nun durch Barcodes auf den Packungen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen treffen.

"Getestet haben wir ein Produktfälschungsszenario in einem Pilotprojekt mit BASF und dem Zoll", berichtet Zoltan Nochta von SAP Research. "Ziel war es, bei einem teuren Pflanzenschutzmittel Produktpiraterie zu unterbinden, denn oft fehlen bei gefälschten Produkten die Wirtstoffe oder es sind die falschen dabei - in jedem Fall ist die Ernte verloren." Die Kanister sind mit einem RFID-Tag ausgerüstet und der Zoll prüft die aufgespürte Ware in einem Lkw nicht per Sicht sondern per Smartphone - die Verifizierung der Daten regelt die Plattform von Original1, die technisch auf die Produktdaten von BASF zugreift. "Allerdings sind alle Daten verschlüsselt, so dass Original1 nur prüfen, aber nichts mit den Daten anstellen kann."

SaaS in Anwendungsfeldern

Als zweites Ergebnis hebt SAP-Forschungschef Heuser die Unified Service Description Language (USDL) hervor, die im Rahmen des Projekts Texo entstanden ist. Texo erarbeitet im Forschungsprogramm Theseus des Wirtschaftsministeriums die Grundlagen für Software as a Service (SaaS) in Anwendungsfeldern. "Wir erfassen hier die Stammdatenstruktur von Diensten", erklärt Barbara Flügge, strategische Leiterin des Theseus-Projekts Texo. Nächstes Jahr will Heuser die Spezifizierungssprache USDL der Community vorlegen: "Interesse daran haben die Networked European Software and Service Initiative NESSI, aber auch Unternehmen wie IBM. 2011 könnte die Beschreibungssprache für Dienstleistungen dann einem Standardisierungsgremium wie W3C oder Oasis vorgelegt werden."

Urban Management:Schutz der Bevölkerung

Ein weiteres Szenario, das sich eng an den Forschungen rund um das Internet der Zukunft gruppiert, ist das Urban Management: Stadtbezogene Informationen werden zusammengezogen, um in sicherheitskritischen Situationen die Bevölkerung zu schützen. Bisher werden im Leuchtturmprojekt Soknos der Bundesregierung die Grundlagen für das semantische Web im Katastrophenschutz zusammengetragen. "Mit dem Urban Management verwenden wir Ergebnisse von Soknos, gehen aber weg von den wissenschaftlichen Prototypen hin zum Vorprodukt", erklärt Thomas Ziegert von SAP.

Wie gestern im IT-Gipfel-Umfeld bekannt wurde, zimmern das Deutsche Zentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das neu gegründete Unternehmen Technologien für Zivile Sicherheit GmbH (TZS) und SAP ein Krisen-Management-Modul, in dem Daten aus Verkehrssensor-Netzen, Kamerabilder sowie aus den Datenbanken der öffentlichen Verwaltung und der Katastrophenhelfer zusammengefasst und analysiert werden. "Ziel ist die Risikobewertung, um beispielsweise bei Sturmwarnungen Verkehrswege offen zu halten und Bereitstellungsräume mit Ressourcen auszustatten", skizziert Ziegert das Arbeitsfeld. Wesentlicher Bestandteil ist neben der Analyse auch die Simulation und die dynamische Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen. "Durch das Internet der Dienste und Dinge werden Informationen verfügbar gemacht und über Algorithmen Entscheidungsgrundlagen geschaffen."

Peter Liebhart, designierter CEO von TZS, hat sich DFKI-Chef Professor Wolfgang Wahlster als wissenschaftlichen Beirat geangelt, der tief in die Semantic-Web-Forschung involviert ist. Hinter TZS steckt die ATG Group, die innerhalb von vier Jahren im Segment sicherheitskritischer Umgebungen mit IT für Planung, Simulation, Risikobewertung und Steuerung zur Milliarden-Dollar-Company aufgestiegen ist. ATG kooperiert nun über TZS mit dem Future Public Security Center der SAP, das Erkenntnisse aus dem von Bund geförderten Sicherheitsforschungsprojekt Soknos nutzt. TZS rechnet langfristig mit der Schaffung von 1000 Arbeitsplätzen - das finanzielle Engagement in Deutschland dient laut Liebhart der Einbindung vorhandener Sicherheitslösungen in Geschäftsprozesse.

Zukunft der Fabrikation

Fortschritte meldet auch die Forschungsinitiative Future Factory, die als Demonstrator ein Reparatur- und Instandhaltungsszenario für die kundenindividuelle Fertigung eines USB-Sticks aufgebaut hat. "Fertigt die Maschine fehlerhafte Sticks, schreibt der Produktionsleiter mit einem digitalen Stift auf klassischem Störungsformular aus Papier seinen Bericht, der über eine Docking-Station in das SAP-System übertragen wird", beschreibt Christian Kuhn von SAP Research das Vorgehen. Die hinterlegte Fehlerquellen-Liste ergibt, dass ein Werkzeug an der Maschine defekt ist - über eine Webcam wird die Maschine inspiziert und das Teil an seinem angehefteten Code identifiziert. "Durch das digitale Produktgedächtnis an dem Werkzeugteil abgesichert, geht dann die Ersatzeilbestellung direkt auf einen virtuellen Marktplatz im Internet und die Bestellung wird ausgelöst."

In dem Instandhaltungsprozess finden, so Kuhn, auch neue Geschäftsmodelle Platz: "Um Zeit zu sparen, überträgt der Ersatzteilhersteller einfach die CAD-Daten an einen Copyshop in der Nähe der Fabrik, wo das Plastikteil mit einem 3-D-Drucker produziert wird." Natürlich seien auch Fräsarbeiten und andere Fertigungstechniken dezentral möglich. Ziel der Future Factory Initiative sei es, vorhandenen Techniken zu vernetzen sowie kaufmännische und technische Prozesse bis in die Maschine laufen zu lassen. "Im konkreten Fall verbinden wir den digitalen Stift, das digitale Produktgedächtnis, Handhelds, Stammdaten, Internet-Marktplatz und 3-D-Drucker zu einem optimierten Reparaturprozess."

Webbasiert: KFZ-Schadensfallregulierung

Das Theseus-Projekt Taxo setzt die formale Dienstleistungs-Beschreibungssprache USDL ebenfalls in Demonstratoren ein. Fraunhofer IAO und SAP haben als webbasierte Serviceplattform die Kfz-Schadensfallregulierung gewählt: Sie zieht Dienste zusammen von der Unfallaufnahme über die Mietwagenbeschaffung bis zur Schadenbehebung in der Werkstatt - der inkludierte Mietwagen-Suchdienst per Handy ist sogar im Praxiseinsatz. "Nun werden 20 kleine und mittlere Unternehmen in Taxo einbezogen, um im großen Stil Industriethemen abzudecken", erläutert die SAP-Research-Mitarbeiterin Flügge. "Es entstehen also Wertschöpfungsnetze durch die Kombination von Dienstleistungen - über Schnittstellen ist die Anbindung an die betriebswirtschaftliche Standardsoftware abgesichert."

Ebenfalls vorangekommen ist die Co-Innovation des Fraunhofer IAO im Grid-Bereich. "Wir haben zwei funktionsfähige Szenarien mit Projektpartnern aufgesetzt, bei denen aufwendige physikalische Berechnungen für das Metallgießen und Crash-Tests als Dienstleistung durchgeführt werden", führt Projektleiterin Anette Weisbecker vom IAO aus. Über die Kooperationsplattform wird ein einfacher Zugang ins Grid gefunden - Serviceanbieter und -Provider testen so aus, wie sich externe Berechnungsleistung samt Fachwissen vermitteln lassen: "Großunternehmen können Spitzenbedarf abfedern, kleinere Unternehmen erhalten Zugriff auf teure Simulationstechniken und Dienstanbieter sorgen für die regelkonforme Abwicklung."

Rochus Rademacher ist freier Journalist.