Der deutsche PC-Markt: Ein Jubilar in der Sinnkrise

11.10.2006
Der PC wird 25, und im deutschen Markt herrscht wieder einmal Krisenstimmung. Ein probates Gegenmittel haben die Hersteller trotz vieler Ansätze bislang nicht gefunden.

Der PC-Markt im COMPUTERWOCHE-Spezial Top 100 des Jahres 2004 war „nichts für schwache Nerven“, ein Jahr später übten sich die wiedererstarkten Anbieter im „Ritt auf der Welle“. Inzwischen – in der ersten Jahreshälfte 2006 – hat die Branchenkrise ein fulminantes Comeback hingelegt. Schuld daran sind Firmen, die ihre Rechner bis zum bitteren Ende weiterlaufen lassen, sowie Privatkunden, die inzwischen ausreichend erst-, zweit- oder drittversorgt sind. Die Wachstumsraten von Notebooks können den Markt nicht mehr wie in den Vorjahren antreiben, sondern bestenfalls sein Abrutschen ins Minus bremsen. Zwei grundsätzlich optimistische Erkenntnisse lassen sich nach 25 Jahren PC-Historie aus der Entwicklung ableiten: Nichts ist für die Ewigkeit. Und jeder Hersteller hat die Chance, mit neuen Ideen ein Comeback zu schaffen. Denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt.

Endgültig gelaufen ist der Trend, PCs massenhaft über Discounter wie Aldi und Lidl abzusetzen. Dort werden derzeit lieber Mobilfunk- und DSL-Verträge angeboten. Die Folgen lassen sich eindrücklich an der Aktienkursentwicklung von Gericom und Medion über die vergangenen fünf Jahre ablesen: Es ging abwärts, meistens ungebremst. Selbst bei Dell ist der Lack inzwischen ab, die Aktie notiert auf dem Niveau von 2001. Und Fujitsu-Siemens (FSC), der deutsche Platzhirsch, hat nach einem Aufschwung wieder ernste Probleme in dem Segment.

Top 10

PCs einschließlich Desktops und Notebooks für Unternehmen und Privatnutzer 2005 in Deutschland

(Marktanteil in Prozent)

  1. Fujitsu-Siemens 18,9

  2. Hewlett-Packard 9,5

  3. Acer 8,9

  4. Dell 8,6

  5. Medion 8,5

  6. Lenovo 4,2

  7. Toshiba 3,1

  8. Maxdata 3,1

  9. PC-Spezialist/Microtrend 2,2

  10. Apple 2,1

Insgesamt wurden 2005 in Deutschland rund 9,41 Millionen PCs verkauft, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Quelle: Gartner

Fachhandel floriert

Gelitten hat zuletzt auch die Anziehungskraft der großen Elektronikmärkte, namentlich Media Markt und Saturn. Berichten zufolge hat die gemeinsame Holding MSH im ersten Quartal flächenbereinigt einen Umsatzrückgang von fünf Prozent verzeichnet. Im Gegenzug lebt der Fachhandel allmählich wieder auf. „Weil derzeit relativ neue und komplexe Technologien auf dem Markt sind, braucht der Endkunde mehr Beratung“, sagt Meike Escherich, die für Gartner Dataquest den PC-Markt analysiert. Antworten auf Fragen zur Heimvernetzung, zum Thema Desktop oder Notebook sowie zur Windows-

Alternative Linux erwarte man sich eher im Fachhandel – „schließlich hat nicht jeder einen Sohn, der weiterhilft“, vermutet Escherich.

Natürlich spielte die Fußball-WM eine Rolle für den schleppenden Verkauf. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) setzte im Mai ein Nachfrageschub nach (Flachbild-)Fernsehern ein. „Die Kunden geben ihr Geld lieber für andere Geräte aus als für PCs“, berichtet auch die Gartner-Analystin. Dabei war schon das erste Quartal 2006 für PC-Hersteller schlecht gelaufen, denn zum Weihnachtsgeschäft 2005 hatten die Anbieter den Handel mit Rechnern geflutet, die es erst abzuverkaufen galt.

Furchtbarer Frühsommer

Von April bis Juni war hierzulande dann endgültig der Ofen aus: Desktops nach Stückzahlen minus 13 Prozent, Notebooks nur noch plus acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Macht in Summe minus vier Prozent. Düster bleiben auch die Aussichten: „Der PC-Markt in Deutschland wird sich 2006 flach entwickeln“, schätzt Escherich. So prognostiziert Gartner Dataquest für Desktops und Notebooks kombiniert ein Stückzahlenwachstum von zwei bis vier Prozent: „Das ist nichts.“ Immerhin geht die Analystin noch von einem Zuwachs aus.

Von der Einkaufskraft der großen Unternehmen ist jedenfalls kein zusätzlicher Schub zu erwarten. Nach einem guten Ersatzgeschäft 2005 sei die Spitze des nächsten Austauschzyklus frühestens im Jahr 2008 erreicht, heißt es von den Marktforschern von IDC. Nebenbei bemerkt wird die Hardware zu allem Überfluss auch noch immer zuverlässiger. Laut Gartner Dataquest sind die jährlichen Ausfallraten in den vergangenen zwei Jahren um 25 Prozent gesunken. Dabei sind Desktops deutlich robuster als Notebooks, was angesichts der Einsatzszenarien nicht übermäßig verwundert.

Top 5

PCs Marktanteile weltweit im 2. Quartal 2006 nach Stückzahlen

(Marktanteil in Prozent)

  1. Dell 17,7

  2. Hewlett-Packard 14,8

  3. Lenovo 7,3

  4. Acer 5,2

  5. Toshiba 3,5

  6. Andere 51,6

Die Daten beinhalten Desktop-PCs, Mobilrechner und "X86"-Server. Quelle: Gartner (Juli 2006)

Bleibt „Windows Vista“, beziehungsweise die Verzögerung des Betriebssystems. Analysten sind sich uneins, wie sich die Software konkret auf die PC-Verkäufe auswirken wird. „Im professionellen Bereich wird Vista sicher eine Rolle spielen“, prognostiziert Gartner-Analystin Escherich. Jedoch sei es schwer, die Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft zu prognostizieren. Dass Unternehmen und Privatanwender im großen Stil neue Rechner kaufen, weil sie unbedingt Vista booten wollen, darf getrost bezweifelt werden.

Also ruhen die Hoffnungen wieder einmal auf dem vierten Quartal. Der Weihnachtsmann wird es schon richten – beziehungsweise die Angst vor der Mehrwertsteuererhöhung, die in Deutschland für Anfang 2007 ins Haus steht. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Preise bereits im Herbst angehoben werden, um den Kunden hinterher das Gefühl zu vermitteln, die Mehrwertsteuererhöhung werde mit stabilen Preisen zum Jahreswechsel freundlicherweise vom Handel getragen. Das Vorgehen hat sich bereits bei der Euro-Einführung bewährt.

Was bleibt, ist das obligatorische Greinen angesichts des permanenten Preisdrucks und der Herstellerkonsolidierung im Markt – wobei die klassische Konsolidierung mittels Aufkäufen (à la IBM und Lenovo) eher selten ist. Zumeist verändern lokale Anbieter einfach ihr Portfolio, das anschließend ohne Rechner auskommen muss. Mit jedem Krisenjahr wird jedoch auch die Frage lauter, wieso es für ein austauschbares Allgemeingut weltweit überhaupt mehrere Dutzend Hersteller geben muss, die sich in erster Linie anhand ihrer Logos differenzieren.

Der Deutschen liebstes Kind

Die Versuche, den Markt mit neuen Konzepten anzukurbeln, waren nicht von Erfolg gekrönt. Beispiel Tablet-PCs: Nett, aber zu teuer für den Massenmarkt, heißt es immer wieder. Und die Media-Center-PCs erinnern ein bisschen an UMTS-Handys: Auch wenn der Hersteller die Funktionen einbaut, müssen sie nicht zwangsläufig von allen Anwendern genutzt werden.

Was zum Geburtstag fehlt, sind Quantensprünge, Paradigmenwechsel und Killerapplikationen. Und natürlich mangelt es vielfach an der Gabe, die eigenen Produkte in einem gesättigten Umfeld auch zu vermarkten. Wer jedoch immer nur auf technische Datenblätter schaut, wird es kaum schaffen, Emotionen zu schüren. Daher ist auch immer noch das Auto der Deutschen liebstes Kind. Zumindest hier ist Kontinuität angesagt.
von Alexander Freimark (Redakteur bei der Computerwoche)