Dem Itanium fehlt die kritische Masse

28.06.2005
Mit seinem 64-Bit-Prozessor Itanium kämpft Intel an zwei Fronten. Für den Massenmarkt ist die Architektur zu teuer; im Highend trifft der Chipkonzern auf die Platzhirsche IBM und Sun.

Der Monat Juni fing gut an für Intel. Hewlett-Packard (HP) präsentierte erste Itanium-basierende Modelle seiner "Superdome"- und "Nonstop"-Server. Mit dem "PA-8900" brachte der IT-Konzern zugleich den letzten Risc-Prozessor mit der hauseigenen "Precision Architecture" auf den Markt. Im Highend hat HP alle Weichen Richtung Itanium gestellt. Bisher verwendete Risc-Architekturen wie "Alpha" und "Mips" spielen in den Produktplänen keine Rolle mehr. Andere Hersteller folgen dem Beispiel. Auch SGI, NEC und Unisys migrieren Hochleistungs-Server auf Itanium-Technik.

Auf den ersten Blick scheint es, als habe sich das Blatt für Intels 64-Bit-Chip gewendet. Seit der Markteinführung im Jahr 2001 musste sich der Hersteller immer wieder Kritik gefallen lassen: unbefriedigende Leistungswerte, zu wenig verfügbare Programme und mehrfach revidierte Absatzprognosen nagten am Image des Flaggschiff-Produkts. Inzwischen ist die Zahl der für den Itanium ausgelegten Anwendungen nach Intel-Angaben auf zirka 2200 gestiegen. Von den Leistungsmessungen der aktuellen Itanium-Versionen zeigen sich auch eingefleischte Kritiker überzeugt.

Schwache Nachfrage

Doch bei näherem Hinsehen offenbart sich, dass die Marktakzeptanz nach wie vor schwach ist. In Deutschland liegt der Anteil der Unternehmen, die Itanium-Rechner nutzen, im niedrigen einstelligen Prozentbereich, schätzt Techconsult-Analystin Verona Bunk. Besonders schwer tut sich der Itanium im Massenmarkt, wo 32-Bit-Server die meisten Kundenwünsche abdecken. Dell beispielsweise offeriert mit dem Vier-Wege-Server "7250" nur noch ein einziges Itanium-Modell. Den Zwei-Wege-Server "3250" habe man im Februar aus dem Programm genommen, berichtet Peter Dümig, Produkt-Manager bei der deutschen Tochter des PC-Direktvertreibers. Im September 2004 brachte Intel den Xeon-Prozessor mit 64-Bit-Erweiterungen ("EM64T") auf den Markt, begründet er die Entscheidung: "Danach ist die Nachfrage nach Itanium-Servern schlagartig eingebrochen." Den Rückgang führt er auf den großen Preisunterschied zu den Xeon-CPUs zurück. Mit anderen Worten: Der Itanium ist zu teuer. Ob Dell künftig noch Itanium-Server ins Sortiment nimmt, mochte Dümig nicht beantworten.

"Null Prozent Umsatzanteil"

Ähnlich skeptisch beurteilt Maxdata die Marktchancen. Etwa ein Jahr lang versuchte der Hardwareanbieter aus Marl, Zwei- und Vier-Wege Server mit Itanium-Chips an den Mann zu bringen. Die Nachfrage blieb aus. "Wir bieten Itanium-Server nicht mehr aktiv an", sagt Produkt-Manager Franz Stöcker. Deren Umsatzanteil liege bei null Prozent. Viele Kunden hätten auf Intels 64-Bit-Erweiterungen für den Xeon gewartet, beobachtet auch er.

Dell und Maxdata sind keine Einzelfälle. Auch die Vier-Wege-Itanium-Server von Fujitsu-Siemens Computers (FSC) steuern nur einen "sehr niedrigen Umsatzanteil" bei, wie Chief Technology Officer Joseph Reger einräumt. Dies gelte nicht nur für FSC, sondern für den gesamten Markt. In der Roadmap von IBM etwa spielt der Itanium keine Rolle. Seit etwa zwei Jahren offeriert Big Blue den Itanium-Server "x455". Laut Dietmar Wendt, verantwortlich für die "X-Series"-Server in Deutschland, Österreich und der Schweiz, haben sich die Umsätze "mäßig entwickelt". IBM biete eine Reihe anderer 64-Bit-Systeme an, darunter mehrere Xeon-basierende Modelle und Server mit AMDs Opteron. Zwar werde IBM den X455 weiter unterstützen, so Wendt. Eine veröffentlichte Roadmap für weitere Itanium-Server aber gebe es nicht. Ausbauen werde man dagegen die Server-Palette mit 64-Bit-Xeons. Deutlicher wird IBM-Sprecher Hans-Jürgen Rehm: "Wenn über Jahre hinweg Absatzerwartungen für eine Plattform zurückgenommen werden, ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll, viele Ressourcen zu investieren."

Intel kopiert AMD

Der Itanium kämpft nicht nur gegen AMD, sondern auch gegen Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Darin sehen Experten ein Kernproblem. Beim Betrieb von 32-Bit-Anwendungen, der in den meisten Unternehmen noch die Regel ist, biete der Itanium ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis, erklärt Gartner-Analyst John Enck die Entwicklung. Diese Schwäche habe es dem Erzrivalen AMD erst ermöglicht, den Opteron-Prozessor im Markt zu etablieren. Das schlagende Argument für den Opteron heißt Investitionsschutz: Er verarbeitet sowohl 32-Bit- als auch 64-Bit-Programme ohne Modifikationen, eine Eigenschaft, die der Itanium nur mit erheblichen Einschränkungen vorweisen kann. Um die gleichen Vorzüge bieten zu können, sah sich Intel gezwungen, die AMD-Strategie nachzuahmen, und den 32-Bit-Xeon per EM64T aufzurüsten.

Intel-Sprecher Hans-Jürgen Werner räumt "Überlappungen" im Produktportfolio ein. Die habe es immer schon gegeben. Im Lowend hänge eine Kundenentscheidung zugunsten des Itanium stets von den Anwendungen ab, argumentiert er. Überschreite beispielsweise eine Datenbank die Speichergrenze von 4 GB, werde der Itanium interessant. Dessen ungeachtet positioniere Intel den Chip "in erster Linie als Risc-Replacement". Daran habe sich nichts geändert.

Starke Risc-Konkurrenz

Um langfristig erfolgreich zu sein, muss Intel den Itanium als bevorzugte Alternative zu IBMs Power- und Suns Sparc-Prozessoren entwickeln, kommentiert Gartner-Analyst Andrew Butler. Doch dazu fehle dem Chip die kritische Masse. Seiner Ansicht nach braucht Intel noch Jahre, bis der Itanium wenigstens die laufenden Kosten deckt.

Ob der Chipkonzern den etablierten Risc-Anbietern Paroli bieten kann, ist zumindest zweifelhaft. FSC-Manager Reger etwa verweist auf die große installierte Sparc-Basis mit Anwendungen unter dem Sun-Betriebssystem Solaris: "Die verschwinden nie." Bei genauer Betrachtung erscheint FSCs Itanium-Bekenntnis denn auch halbherzig: Um die Marktchancen seiner eigenen Sparc-Server nicht zu beeinträchtigen, positioniert der Hersteller Itanium-Server lediglich für zwei eng eingegrenzte Kundengruppen: einerseits TK-Unternehmen, die Linux-Plattformen für geschäftskritische Anwendungen nutzen, andererseits Kunden, die Windows-Umgebungen konsolidieren möchten. "Auf Itanium-Servern von FSC läuft nur Linux und Windows, auf Sparc ausschließlich Solaris", stellt Reger klar. Noch weniger Chancen gibt IBM-Manager Wendt dem Intel-Chip: "Sobald eine Installation eine bestimmte Größe erreicht, wählen Kunden lieber Unix." In diesem Fall kommen IBMs "P-Series"-Server ins Spiel, die fest mit den hauseigenen Power-Prozessoren verbunden sind.

Wachstum bis 2010

Unterm Strich bleibt HP Intels größter Trumpf in Sachen Itanium. Andere Anbieter wie NEC oder Unisys spielen im Server-Markt nur eine Nebenrolle, sie können dem Chip nicht zur kritischen Masse verhelfen. Trotzdem erwartet Gartner-Experte Butler zunächst hohe Wachstumsraten für den Chip, ausgehend von einer niedrigen installierten Basis. Bis zum Jahr 2010 aber werde der Itanium mit einem Anteil von 15 Prozent am Server-Markt einen natürlichen Sättigungspunkt erreicht haben. Weitere Zuwächse seien nur erreichbar, wenn der Itanium aggressiv gegen die Risc-Konkurrenten Power und Sparc vermarktet werde und zugleich Überlappungen mit Xeon und Opteron verschwänden. Beide Voraussetzungen fehlen derzeit. Intel gibt sich dennoch optimistisch. "Die Zukunft des Itanium ist gesichert", beteuert Firmensprecher Werner. Die Roadmap reiche bis 2008 und werde weiterentwickelt.