Workgroup-Computing und Client-Server-Anwendung (Teil 2)

Debis entwickelt innovatives Pilotprojekt mit Groupware Notes

19.04.1991

Im ersten Teil dieser dreiteiligen Artikelserie hatte Wolfgang Finke* das Thema Workgroup-Computing von der historischen Seite erörtert und Groupware-Konzepte in komplexen Organisationen dargelegt. Im folgenden Teil erklärt er das Systemkonzept des Groupware-Produkts "Notes" von Lotus, zeigt Anwendungsbeispiele auf und referiert über den Einsatz bei US-Großanwendern sowie die Notes-Planungsphase bei Debis. Im dritten und letzten Teil beschreibt Debis-Mann Finke, wie mit dem Pilotprojekt Notes im Debis Systemhaus Workgroup-Computing verwirklicht wird.

Aufgrund des innovativen Konzeptes ist es nicht einfach, das Lotus-Notes -Systemkonzept knapp und doch verständlich darzustellen. Als besondere Hürde erweisen sich dabei Begriffe - wie beispielsweise Datenbank, Datenfeld oder Replikation - von deren Inhalten man entweder annimmt, klare Vorstellungen zu haben oder die gänzlich unbekannt sind. Deshalb nachfolgend eine kleine Notes-Terminologie:

- Datenbank: Sammlung einheitlich strukturierter Informationen. Gleichzusetzen mit Notes -Applikationen. Notes-Datenbanken werden in der Regel auf PC-Serversystemen vorgehalten. Abbilder des Datenbestandes können auch redundant sein.

- Replikation: Systemintern gesteuerter Kommunikationsvorgang, bei dem zwei Datenbanken (der gleichen Notes-Anwendung) auf unterschiedlichen Servern auf den gleichen (Daten)-Stand gebracht werden.

Über Replikationen, die vom System verwaltet werden, bringt man die Informationsstände turnusmäßig auf einen einheitlichen Stand. Geographisch weit verteilt arbeitende Anwender haben so in der leistungsfähigen lokalen LAN-Umgebung "ihr" Replikat eines Datenbestandes beziehungsweise einer Anwendung verfügbar.

- Formulare: Über Bildschirmformulare wird der Notes-Datenbestand angelegt und verwaltet. Formulare bestehen aus Hintergrundtext und Datenfeldern unterschiedlichen Typs. Unter anderem können auch Grafiken in Notes-Datenfelder kopiert werden (Rich Text Field, Table Field). Formulare können geöffnet (Darstellung eines umfassenden elektronischen Formulars am Bildschirm) oder geschlossen sein (Bildschirmdarstellung als Überschriftzeile).

- Views / Sichten: Geschlossene Formulare erscheinen mit jeweils einer Zeile in den Notes-Views. Der Inhalt dieser Ziele ist durch die Definition der Sicht bestimmt und setzt sich in der Regel aus den in der Sicht interessierenden Feldern des Formulars zusammen (zum Beispiel Familienname und Telefon-Nummer in einer Sicht "Telefon-Liste" auf einen Bestand von Adreßformularen). Über Selektionsformeln können Teilmengen von Notes -Dokumenten für entsprechende Sichten / Listen ausgewählt werden.

Die vorgestellten Begriffe kennzeichnen gleichzeitig die Basisbausteine, mit denen Notes-Workgroup-Anwendungen konzipiert werden. Die Funktionalität des Notes -Programmpaketes reicht jedoch weiter: Leistungsfähige E-Mail-Funktionen, ein ausgefeiltes Privilegierungssystem, elektronische Unterschriften, ein Rollenkonzept für die Erstellung und Verwaltung der Informationsbestände und die Implementation des RAS -Algorithmus zur sicheren Verschlüsselung von Informationen und Electronic Mail sind zusätzlich vorhanden.

Interessant ist das Zusammenspiel von E-Mail und Datenverteilung über den Replikationsmechanismus: Tendenziell tritt die E-Mail-Funktion zurück, da das Replikationskonzept bereits in erheblichem Umfang für die Verteilung von Informationen sorgt.

Notes besitzt neben einem leistungsfähigen Editor (unter anderem mit Tabellenverwaltung, Rechtschreibprüfung und Grafikimport-Möglichkeiten) zur direkten Eingabe von Informationen auch Import-Export-Funktionen, die bis zum OLE (Object

Linking und Embedding) reichen.

Mit Hilfe des OLE-Mechanismus ist es beispielsweise möglich, aus der Tabellenkalkulation Excel einen Kalkulationsblatt-Ausschnitt in ein Notes-Dokument zu importieren. Wird dieser Ausschnitt-das in Notes eingebettete Excel-Objekt-dann wieder durch Anklicken aktiviert, lädt sich Excel automatisch und ermöglicht eine Weiterverarbeitung des in Notes importierten und gegebenenfalls zu einer Vielzahl von Standorten replizierten Zahlenbestandes.

Das System läßt sich nahtlos in andere Windows-Anwendungen integrieren und arbeitet auf allen im PC-Umfeld gängigen Netz- und Betriebssystem-Umgebungen (MS -DOS, OS / 2, Apple, Novell, LAN Manager / -Server, NetBios etc.).

Lotus liefert einige Beispielapplikationen mit aus, die einen schnellen Einstieg in die Notes "Programmierung" ermöglichen, das heißt in diesem Fall die einfache Modifizierung der vorgegebenen Programmrahmen (sogenannte Templates).

Die Nutzung vorhandener Notes-Templates als Basis für neue Anwendungen verleiht der Diskussion um die "Reusability of Code" neue Substanz und ermöglicht eine enorme Steigerung der Programmier-Produktivität.

Ist beispielsweise einmal der Formulardurchlauf für Investitionsvorhaben - einschließlich elektronischer Unterschriften - abgebildet, dann ist die Programmentwicklung für den Durchlauf elektronischer Urlaubsanträge oder Dienstreisevorbereitungen und -abrechnungen beinahe trivial.

Nachfolgend erkläre ich eine einfache Notes-Anwendung zur Demonstration der beschriebenen Notes-Konzepte. Diese Problem-Diskussions -Datenbank wurde zur Unterstützung der Debis Pilotprojekt-Workgroup im Rahmen des Projektes aufgesetzt und intensiv von den beteiligten Mitarbeitern genutzt.

Austausch von Erfahrungen und Problemen

Es liegt folgendes einfache Szenario zugrunde: Die am Projekt beteiligten

Mitarbeiter sind über das ganze Bundesgebiet verstreut. Für eine effiziente Projektarbeit ist der Austausch von Erfahrungen und Problemen beim Umgang mit dem neuen Werkzeugkasten Lotus Notes wichtig. Die gemeldeten Probleme werden entweder durch einen am Projekt beteiligten Kollegen (an einem anderen Standort) sofort gelöst beziehungsweise beantwortet oder sie werden von den für das Themengebiet verantwortlichen Kollegen weiterbearbeitet (zum Beispiel Diskussion mit den beteiligten Herstellern, Rückfragen in Labors).

Um eine Gruppendiskussion der Projektprobleme zu ermöglichen, wurde die Notes -Anwendung auf den Notes-Serversystemen der beteiligten Standorte installiert. Die Projektmitarbeiter konnten so lokal nach Antworten auf die am Ort aufgetretenen Probleme suchen oder sie konnten ihr Problem in der Datenbank dokumentieren.

Durch den Replikationsmechanismus erhielten sie ständig neue Fragen und Antworten in ihre Standort-Datenbank eingespielt. Ihre eigenen Problem-Meldungen wurden dabei gleichzeitig zu den anderen Standorten übermittelt. US-Großunternehmen scheinen beim Einsatz von Groupware-Systemen schon erheblich weiter fortgeschritten als vergleichbare europäische Firmen: Union Carbide beispielsweise macht seinen Mitarbeitern die jährlich anfallende Menge von 100 MB an Regierungsverordnungen über ein "Syzygy" -Konzept zugänglich und koordiniert die Erstellung von Reports über das System. Shearson Lehmann Hutton setzt "Viewstar" in einer ersten Phase für das Dokumenten-Management ein. EDS ist in dem Thema bereits aktiv, und Price Waterhouse hat sich Anfang 1990 dazu entschlossen, zehntausend Lotus-Notes-Lizenzen zu erwerben. Es lag deshalb nahe, im Rahmen des Pilotprojektes den Stand einiger US-Projekte zu erkunden.

Price Waterhouse hat momentan zirka 90 Notes-Server im Einsatz. Etwa 4500 Anwender sind bereits angeschlossen. Interessant ist, daß der Datenverkehr zwischen den Server-Systemen bisher über Telefon-Modems abgewickelt wird. Price Waterhouse setzt Notes auf der Anwendungsebene unter anderem für Datenbankanwendungen ein.

In der Einführungsphase wurden die Endanwender aufgefordert, mit dem System zu experimentieren, und die Einsatzmöglichkeiten in ihrem Arbeitsumfeld weitgehend selbst zu erproben.

Neben typischen Workgroup-Applikationen finden sich auch generelle Informationsverwaltungs- und -verteildienste auf Notes-Basis (zum Beispiel Dokumenten -Datenbank, Newswire).

Die Chase Manhatten Bank (CMB) benutzt als Kern ihrer computergestützten Informationssysteme IBM-orientierte Hosts (CICS, Cobol, Adabas etc.). Zusätzlich gibt es am Standort New York zirka 2000 PC-Systeme. Im Gegensatz zu Price Waterhouse sind die betriebenen Notes-Server (momentan drei Server mit zirka 100 Endnutzern) über Bridges gekoppelt. Mit der Verbindung Notes Workstation zu Notes-Server über Bridges wurden ebenfalls zufriedenstellende Ergebnisse erzielt.

CMB setzt Notes verstärkt zur Anwendungsentwicklung ein. Im Vergleich zu Werkzeugen wie zum Beispiel "Natural" wird ein Verhältnis der Anwendungs -Entwicklungszeiten von 4 bis 5:1 zugunsten von Lotus Notes angegeben.

Nach einem ersten Gespräch des Notes-Anwendungsdesigners mit dem Anwender erhält dieser am folgenden Tag bereits die weitgehend fertige Notes-Applikation. Daß dies tatsächlich möglich ist, wurde auch mehrfach im Rahmen des Debis-Pilotprojektes nachgewiesen.

Im Rahmen von LAN-gestützten Anwendungen nennen IS-Mitarbeiter Notes als "erste Wahl" für das professionelle Anwendungsdesign. Derzeit verwaltet eine Notes -Anwendung unter anderem eine Kunden-Datenbank mit etwa 8000 Records. Es erfolgt ein wöchentlicher Update aus den Host-Datenbeständen. Nach erfolgreichen Tests soll diese Notes-Datenbank auf knapp 50 000 Records aufgefüllt werden.

Doch auch in Deutschland haben sich Unternehmen des Groupware-Produktes Notes angenommen: Hier ist unter anderem das Debis Systemhaus zu nennen. Die Daimler-Tochter befindet sich in einer stürmischen Aufbauphase. Laufend müssen neue Unternehmensteile eingegliedert werden, und Mitarbeiter mit unterschiedlichem und teilweise hochspezialisiertem Know-how arbeiten an einer Vielzahl von Standorten.

Full-Service in allen Bereichen

Wichtige informelle Kommunikationsstrukturen zwischen Organisationsteilen und Mitarbeitern -insbesondere mit unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Regionen - sind wenig oder gar nicht entwickelt. Planerische, operative und administrative Arbeitsabläufe sind neu zu erarbeiten oder über die Grenzen von Regionen, Geschäftsbereichen und Business-Units hinweg zu vereinheitlichen.

Gemeinsame Wissensbestände müssen aufgebaut und flexibel sowohl für Planungs- und Kontrollzwecke als auch für das operative Tagesgeschäft verfügbar gemacht werden. Über das Bundesgebiet und Europa verstreut arbeitende Mitarbeiter müssen eine neue Gruppenidentität und ein neues "Wir-Gefühl" finden. Den Kunden am Markt, die unter Umständen große, international operierende Unternehmen sein können, soll ein hochkomplexes Produkt "Full-Service in (fast) allen Bereichen computerunterstützter Informations- und Produktionssysteme" geboten werden.

Ein professionelles Eingehen auf derartige Kunden durch den Vertrieb erfordert elektronische Koordinationsmechanismen und ein gesamthaftes Kunden-Bild, das heißt die Fähigkeit zur schnellen Integration verteilter Informationen und zur marktorientierten "Momentaufnahme" .

Vor dem Hintergrund der skizzierten Aufbausituation kommt dem Einsatz flexibler, computerunterstützter Informations- und Kommunikationssysteme im Debis-Systemhaus eine strategische Bedeutung zu. Die Geschäftsführung erteilte deshalb im Mai 1990 den Auftrag, eine zeitgemäße Kommunikationslösung für die Computerunterstützung der Aufbauphase zu entwickeln.

Es wurde schnell klar, daß ein derartiges Konzept auf der Basis klassischer Hostanwendungen nicht realisierbar war. Nach einer Vorstudie und teilweisen Evaluation der aktuell am Markt verfügbaren Groupware-Produkte wurde der Geschäftsführung im Spätsommer 1990 ein Pilotversuch auf der Basis von Lotus Notes vorgeschlagen. Dieses Produkt hatte sich im Rahmen einer umfassenden Nutzwertanalyse - mit erheblichem Abstand zu den anderen Kandidaten - als besonders geeignet herausgestellt.

Wichtige Kriterien des Bewertungsschemas

Wichtige Kriterien des umfassenden mehrstufigen Bewertungsschemas waren dabei unter anderem die funktionale und organisatorische Eignung, Zukunftsorientierung (zum Beispiel vermutetes Marktpenetrationspotential, Multivendor-Fähigkeit), systemtechnische Eignung im Systemhaus-Umfeld und Wirtschaftlichkeit.

Die Geschätsführung stimmte dem Vorschlag zu und beschloß, neben den Bereichen Controlling und Vertrieb die gesamte Führungsebene der etwa zehn Rechenzentrumsregionen in Deutschland in den Pilotversuch einzubeziehen.

Im Rahmen des Pilotprojektes ging es nicht darum, spezifische Funktionen oder Anwendungen von Lotus Notes zu erproben (zum Beispiel Einsatz als Executive Information System, Budgetplanungssystem), sondern Ziel war es, die Eignung des Produktes als Infrastruktur-Baustein für die Unterstützung einer (mittelfristig) möglichst breiten Palette von internen Aufgaben zu ermitteln. Besonders von Interesse waren dabei die Themen Downsizing, Enduser-Programmierung / IDV und ein mit der Organisation "lebendes" elektronisches Informations- und Kommunikationssystem.

Hieraus folgt, daß an das ausgewählte System besonders hohe Anforderungen bezüglich der unterstützten Hard- und Softwareplattformen (Multivendor-Fähigkeit), der Systemoffenheit, allgemeiner Entwicklungsperspektiven (Marktpenetration und Unterstützung durch Fremd-Softwarehersteller) und des "Tool-Charakters" - auch im Hinblick auf unterschiedliche Benutzerklassen - zu stellen sind.

Formulierte Zielsetzungen des Pilotprojektes waren folglich:

a) die Eignung von Notes als wesentliche Anwendungs-Komponente einer Debis-weiten LAN-basierten Kommunikations- und IDV-Infrastruktur abzuschätzen;

b) systemtechnische Tests durchzuführen, um festzustellen, ob die eingesetzte Hard- und Software im LAN-Konzernnetz eine geeignete Basis für Lotus Notes darstellt (Systemtests sollen mit IBM OS / 2, MS-DOS Novell-Netware, IBM-LAN-Server, LAN-Bridge durchgeführt werden);

c) ein ergänzendes Büroautomationskonzept (im Laboraufbau) systemtechnisch zu testen (Einbindung von Office-Produkten wie zum Beispiel MS-Word, Lotus 1-2-3, MS-Excel, MS-Project, Charisma / Designer etc.).

Diese Ziele wurden in weiteren Kriterienklassen operationalisiert.

(wird fortgesetzt)