Interview mit Oracle-Deutschland-Chef Kenneth Johansen

"Datenbanken sind absolut nicht Commodity!"

22.01.2018 von Heinrich Vaske
Kenneth Johansen ist seit Mitte 2017 verantwortlich für das Deutschland-Geschäft von Oracle. Kein einfacher Job: Oracle steckt mitten in der schwierigen Transformation zu einem Cloud-Provider und steht immer wieder in der Kritik wegen seiner Lizenzpolitik. Wir hatten Gelegenheit zu einem Interview.
  • So wichtig wie die Daten selbst sind nach Meinung Johansens in Zukunft auch die Datenbank-Systeme
  • Die Hoffnungen von Oracle ruhen auf der neuen Autonomous Database - einer Datenbank mit vielen Selbstverwaltungsfunktionen
  • "Wir haben unsere eigene Sicht auf die Lizenzierung", reagiert der Deutschland-Chefauf Kritik. Mit dem Universal Credit Model komme man den Kunden entgegen.
Oracles neuer Deutschland-Chef Kenneth Johansen ist mit seiner Familie von Dänemark nach Deutschland gezogen, um hierzulande die Geschicke des Konzerns zu lenken.
Foto: Oracle

Oracle steckt mitten in der Transformation von der On-Premise- in die Cloud-Welt. Wo stehen Sie heute und wohin bewegt sich Oracle in den nächsten ein bis zwei Jahren?

Johansen: Wenn man sich die weltweiten Zahlen ansieht, wachsen wir sehr schnell mit unserem Cloud-Business - auch im Vergleich zu den anderen Large-Scale-Anbietern. Wir bewegen uns mit Wachstumsraten von rund 50 Prozent.

Aber auf einem viel niedrigeren Umsatzniveau als die Marktführer AWS und Microsoft. Da ist es einfacher, hohe Wachstumsraten vorzuweisen.

Johansen: Immerhin haben wir allein im vergangenen Quartal rund 1,5 Milliarden Dollar mit Cloud-Lösungen umgesetzt. Es gibt nicht viele Anbieter, die an diese Größenordnung heranreichen - nicht einmal jährlich.

Investieren Sie für den Ausbau Ihres Cloud-Geschäfts auch in Deutschland?

Johansen: Ja. Wir haben beispielsweise ein Rechenzentrum in Frankfurt eröffnet, das auf dem allerneuesten Stand der Technik ist und enorme Kapazitäten vorhält.

Haben Sie hierzulande auch Softwareentwicklungs-Kapazitäten aufgebaut?

Johansen: Ein wenig, aber am Ende sind wir doch eine Silicon-Valley-Company. Dort machen wir die meiste Entwicklungsarbeit - unterstützt natürlich von Developern in anderen Regionen rund um den Globus.

Das SaaS-Geschäft von Oracle wächst besonders schnell

Wenn man sich Oracles Cloud-Strategie genauer ansieht, dann fällt auf: Sie wachsen stark im Bereich Software as a Service (SaaS), aber weniger stark in den Segmenten Infrastructure und Platform as a Service (IaaS; PaaS).

Johansen: Das SaaS-Geschäft entwickelt sich in der Tat mit hoher Geschwindigkeit, aber auch das Infrastruktur-Business wächst mit über 20 Prozent. Wir expandieren in zwei Dimensionen: Im klassischen Public-Cloud-Business und mit unseren Cloud at Customer Solutions. Mit diesen versetzen wir Kunden in die Lage, unsere Public-Cloud-Dienste eins zu eins im eigenen Unternehmen beziehungsweise hinter ihrer Firewall einzusetzen. Das wird vor allem dort verlangt, wo Unternehmen mit besonders sensiblen Daten umgehen oder strengen gesetzlichen Anforderungen unterliegen.

Wir haben viele Kunden im Behördenbereich - sowohl in Deutschland als auch EU-weit -, die aus Sicherheits- und Compliance-Gründen einen Teil ihrer Daten on Premise vorhalten müssen. Die möchten aber dennoch die Vorteile der Cloud genießen. Wir sind wohl der einzige Anbieter, teilweise vielleicht noch Microsoft, die den gesamten Stack für beide Welten anbieten können.

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Warum ist es so wichtig für Oracle, den gesamten Stack bieten zu können?

Johansen: Viele Kunden möchten nur einen Ort haben, an dem sie ihre Legacy-, beziehungsweise Backend-Welt mit SaaS- und PaaS-Lösungen integrieren können. Wenn sich ein Kunde für Oracle entscheidet und einen Teil seiner Legacy-Anwendungen in die Cloud verlagert, um sie dort als SaaS-Lösungen zu betreiben, dann kann er mit der vollen Unterstützung von Oracle rechnen. Das betrifft Benutzerfreundlichkeit, Implementierungsaufwand oder auch Innovationen.

Verfolgen die meisten Kunden nicht eher eine Multi-Cloud-Strategie?

Johansen: Ich glaube nicht, dass die Kunden Oracle oder einem anderen Anbieter alles übergeben würden, aber mit Sicherheit werden sie auf eine kleine Anzahl von Playern konsolidieren. Oracle will der Beste in zwei Dimensionen sein: im Pure Play Market als Public-Cloud-Anbieter, aber auch als Partner, wenn Kunden vertikal integrieren und in die Public-Cloud hineinwachsen wollen.

Die "Autonomous Database" ist wichtig für Oracle

Wird Oracle seine Kunden drängen, ihrer Datenbankinstallationen in die Public Cloud zu verlagern?

Johansen: Wir richten uns ganz nach den Kundenwünschen: Beides ist möglich: on Premise und Cloud. Fakt ist, dass sich Effizienzvorteile ergeben, wenn man die Datenbank in die Cloud bringt. Wir haben auf der Hausmesse Oracle Open World im letzen Oktober unsere neue Autonomous Database vorgestellt, die auf Oracle Database 18c basiert und jede Menge Automatisierungsfunktionen enthält. Das ist eine ganz wichtige Ankündigung für uns. Im Grunde handelt es sich um eine selbstverwaltete Datenbank, die wir für Data-Warehouse-Workloads sowie für herkömmliche transaktionale Datenbank-Workloads herausbringen werden.

So wie wir selbstfahrende Autos haben werden, so bringen wir nun die "selbstfahrende Datenbank" heraus. Wenn ein Sicherheitsproblem auftritt, patcht sie sich selbst. So ist man viel schneller, als man das mit händischen Lösungen jemals sein könnte. Dasselbe gilt für die Automatisierung des Betriebs, das Tuning und so weiter.

Gibt es schon Kunden-Feedback?

Johansen: Wir haben das Produkt gerade erst herausgebracht, erste Kunden beschäftigen sich derzeit mit den Betaversionen. Wir werden bald Kunden haben, die mehr sagen können. Das ist eine ganz neue Softwarekategorie, die die IT-Infrastruktur noch einmal deutlich vereinfachen wird.

Datenbank-Administratoren haben nun Zeit für andere Aufgaben

Heißt das, Oracle-Kunden brauchen dann keinen Datenbank-Administrator mehr?

Johansen: Zumindest werden sie sich dann nicht mehr mit dem Bauen von Datenbank-Clustern oder dem Tuning beschäftigen. Sie können anderen Aufgaben nachgehen, die näher am Business sind. Für diese IT-Experten ergibt sich die große Chance, den Mitarbeitern dort zuzuarbeiten.

In der Cloud-Welt gibt es einen Trend in Richtung Hybrid Cloud. Wie adressiert Oracle diesen Kundenwunsch?

Auf der OpenWorld 2017 attackierte CEO Larry Ellison den Rivalen Amazon Web Services heftig.
Foto: Oracle

Johansen: Wir bieten Public-Cloud-, On-Premise- und "Inbetween"-Produkte an, wie wir es nennen. Mit unseren Cloud-at-Customer-Lösungen bringen wir unsere Cloud zum Kunden. Wenn man eine Oracle-Datenbank on Premise oder in der Public Cloud nutzt, bewegt man sich in exakt derselben Codebasis und denselben Lizenzbedingungen. Es ist also einfach, Datenbank-Instanzen von der On-Premise- in die Cloud-Welt und wieder zurück zu transformieren.

Ein zunehmend wichtiger Konkurrent für Oracle ist Amazon Web Services (AWS) mit der Redshift-Datenbank. Larry Ellison hat auf der letzten OpenWorld-Konferenz keine Gelegenheit ausgelassen, AWS zu attackieren. Ist Amazon das neue Feindbild für Oracle?

Johansen: Ich würde sagen, wir haben eine ganze Reihe von Wettbewerbern, AWS ist einer davon. Wir antworten darauf mit innovativen Lösungen wie unserer autonomen Datenbank. Die echten Vorteile in der Cloud ergeben sich ja erst, wenn man in Sachen Automatisierung einen entscheidenden Schritt vorangekommen ist. Und das bieten wir.

Daten sind "verdammt wichtig" - Datenbanken also auch

IT-Infrastruktur, und damit auch Datenbank-Systeme, gelten vielerorts als Commodity-Produkte. Man hält sie für austauschbar und möchte eigentlich vor allem die Kosten senken. Wie relevant sind solche Investitionen noch?

Johansen: Die Frage müsste lauten: Wie wichtig sind heute Daten für ein Unternehmen? Verdammt wichtig für jeden!

Ja, aber in erster Linie deren Qualität, Menge und Struktur. Wichtig sind doch eher die Analyse-Tools, weniger die Datenbank-Systeme selbst.

Johansen: Datenbanken sind absolut nicht Commodity! Die Innovationgeschwindigkeit in diesem Markt erhöht sich sogar. Klar, wenn Sie irgendwo einen File-Server haben, auf dem Sie ein paar Daten vorhalten, dann ist das Commodity. Wenn Sie aber ein geschäftskritisches System global betreiben, dann müssen die Transaktionen sehr schnell und sicher laufen. Daran ist nichts Commodity, und wenn man sich unsere Geschäftsergebnisse ansieht, wird das ja auch klar bestätigt.

Weil die Kunden letztendlich abhängig sind. Lizenzen und Support sichern Oracle einen ständigen Umsatzstrom.

Johansen: Dafür investieren wir aber auch massiv in Innovationen, insbesondere, wie gesagt, in autonome Systeme und Sicherheit. Der Betrieb wird einfacher, effizienter und besser.

Investiert Oracle nicht eigentlich viel mehr in andere, neuere Baustellen? Künstliche Intelligenz zum Beispiel oder Blockchain, IoT etc.

Johansen: Künstliche Intelligenz ist ein Kernbestandteil unserer Datenbankentwicklung. Sie ist tief integriert, damit wir operationale Effizienz, Sicherheit etc. verbessern können. Wir integrieren KI in unsere SaaS und On-premise-Anwendungen. Gleichzeitig geben wir Entwicklern mit unserer PaaS-Plattform die Möglichkeit, mithilfe eines einfach nutzbaren Frameworks selbst AI-Anwendungen zu schreiben.

Auch Blockchain-Technologie stellen wir über den PaaS-Layer unseres Cloud-Angebots zur Verfügung, damit die Entwickler dort ihre eigenen Anwendungen bauen können. Das sind ganz neue Themen, aber unsere Kunden sind interessiert und haben schon diverse Projekte aufgesetzt.

Das Universal Credit Model belohnt Treue

Rund um Oracles Lizenzpolitik gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Ärger. CIOs in Deutschland und Europa haben sich über hohe Kosten und unfaire Konditionen beschwert. Was unternimmt Oracle, um hier die Wogen zu glätten?

Johansen: Wir haben in Sachen Lizenzierung viel getan und uns immer wieder bewegt. Das wichtigste, das aus meiner Sicht in den letzten sechs Monaten passiert ist: Wir haben komplett die Art und Weise geändert wie wir Cloud-Dienste lizenzieren. Mit unserem Universal Credit Model geben wir unseren Kunden viel mehr Flexibilität und Freiheiten. Vereinfacht gesagt erwerben unsere Kunden nach diesem Modell für einen Fixbetrag Credits und können damit in der Oracle-Cloud für einen definierten Zeitraum tun was sie wollen. Je mehr Dienste sie von uns beziehen, desto günstiger wird es für sie.

Ist das Universal Credit Model bereits aktiv?

Johansen: Ja, wir haben es kurz vor Weihnachten eingeführt. Das zweite, das wir tun: Wir ermöglichen unseren Kunden, ihre vorhandene On-premise-Lizenz in die Cloud zu überführen. Wenn Sie eine Lizenz für eine Oracle-Datenbank haben, können sie die mitnehmen in die Cloud. Das einzige, wofür Sie zahlen müssen, ist die Automatisierungsfunktion des PaaS-Dienstes. Unterm Strich hat man so einen deutlichen Preisnachlass.

Die Proteste richten sich vor allem gegen die Lizenzbedingungen in virtualisierten IT-Umgebungen. Oracle stuft gängige x86-Virtualisierungslösungen wie VMware, Hyper V und Xen nur als Soft-Partitioning ein, was zur Folge hat, dass Ihre Produkte für den kompletten Server beziehungsweise Server-Verbund in Lizenz genommen werden müssen. Wird sich das ändern?

Johansen: Wir haben hier unsere eigene Sicht auf die Lizenzierung. Wenn Kunden dynamisch Computing-Workloads über viele Server hinweg verteilen, müssen wir dafür Lizenzgebühren nehmen. Unsere Kunden sind sich dessen bewusst. In der Cloud ist das übrigens einfacher. Dort bepreisen wir nur die Service-Instanz auf einer CPU.

Im vergangenen Jahr haben wir ein Gespräch zwischen Ihrem CEO Mark Hurd, dem CEO von AT&T John Donovan sowie einem unserer US-Kollegen veröffentlicht. AT&T verlagert Tausende von Datenbanken in die Oracle-Cloud, um Informationssilos aufzulösen, effizienter zu werden und mehr Freiraum für die Entwicklung neuer Produkte zu schaffen. Gibt es solche Großprojekte auch hierzulande?

Johansen: Tatsächlich sehen einige global aufgestellte Player TCO-Vorteile, wenn sie signifikante Workloads in die Cloud verlagern. Diese Diskussionen führen wir auch mit einigen Großkunden in Deutschland. Es geht um Effizienz, einfache Skalierbarkeit und die Einsparung von Ressourcen - es fehlt ja an allen Ecken und Enden Fachpersonal.

Der Schritt in die Cloud lohnt sich in vielerlei Hinsicht

Larry Ellison hat gesagt, er wolle mit Cloud-Softwarelizenzen mehr Geld verdienen als mit On-Premise-Lizenzen. Warum sollten die Kunden dann Kostenvorteile haben?

Johansen: Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass Kunden enorme Kostenvorteile haben. Oracle kann aber trotzdem Geld verdienen. In den vergangenen Jahren verkauften wir die Datenbanklizenz, andere verkauften Server, Speicher, Software, Netzwerkequipment etc. - und manchmal noch den Betrieb obendrein. Wenn der Kunde nun mehr Kapazitäten an Oracles Cloud-Dienste überträgt, gewinnt er an Flexibilität, Skalierungsvorteilen, Sicherheit, und Time to market. Diese Vorteile werden unterm Strich deutlich messbar sein. Insofern ist das ist eine klare Win-Win-Situation.

Ein Blick auf Ihre letzten Quartalszahlen zeigt, dass auch das klassische On-premise-Geschäft noch um drei Prozent wächst. Haben die Kunden Ihre Cloud-Botschaft noch nicht verstanden?

Johansen: Da komme ich auf eine Ihrer vorherigen Fragen zurück: Sind Datenbanksysteme eine Commodity-Technologie? Tatsache ist, hier wird gerne investiert, denn es ist sinnvoll. Oracle wächst stabil im On-premise- und stark im Cloud-Markt. Wir haben immer noch sehr viele Kunden, die mit ihren Projekten auf einer intern installierten Datenbanksoftware aufsetzen und weit davon entfernt sind, ihre vorhandenen Infrastrukturen abzuschreiben. Schaut man aber auf die neuen, zukunftsgerichteten Projekte, dann laufen die mehrheitlich in der Cloud.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Woran arbeitet Oracle gerade, was wird in den nächsten zwei, drei Jahren wichtiger?

Johansen: Mit der Übernahme des ERP-Anbieters Netsuite haben wir rund 35.000 Kunden in unserer ERP-Cloud. Hier werden wir weltweit einen großen Sprung nach vorne machen. Wir sind nun auch stark im mittleren und unteren Marktsegment aufgestellt, mit unserer E-Business Suite waren wir das auch schon bei den Großkunden. Außerdem werden wir einige unserer Kunden dabei begleiten, auf unsere Autonomous Database zu wechseln. Das wird Fahrt aufnehmen und die Art und Weise des Datenbankbetriebs vollständig verändern.

Oracle hat kürzlich ein Unternehmen aus Australien übernommen, Aconex. Es bietet eine Plattform für Bauunternehmen an. Lieferanten, Bauträger, Projektmanager und andere können sich darauf organisieren und vernetzen. Wollen Sie künftig intensiver in Komplettlösungen für vertikale Märkte einsteigen?

Johansen: Mit dieser Akquisition haben wir eine neue weltweite Business Unit bei Oracle aufgemacht. Diese Strategie des vertikalen Fokus verfolgen wir schon eine ganze Weile, zum Beispiel für die Finanzbranche, Pharma oder Life Science. Das sind Akquisitionen für ganz bestimmte Industriesegmente, die Bedarf an ganz spezifischem Know-how haben. Wir machen das schon eine ganze Weile und werden es nun in der SaaS-Ära fortsetzen. Das ergibt viel Sinn.