Das war 2006: Viel Licht, wenig Schatten

14.12.2006
Das IT-Jahr 2006 war gut, wenn man die Boom-Zeiten der Jahrtausendwende nicht miterlebt oder erfolgreich verdrängt hat. Und wenn man nicht bei der Telekom oder Siemens beschäftigt war.

Zur Feier des Jahres gönnen wir Ihnen einen durchweg positiven Artikelauftakt: Die IT-Branche hat schon schlechtere Zeiten erlebt als 2006. Untrügliches Zeichen dafür: Den Begriff "IT-Krise" suchen Sie im Heftarchiv der CW des Jahres 2006 (zumindest bis zur Ausgabe 48) vergebens. Das war nicht immer so. Beste Voraussetzungen also für einen versöhnlichen Blick zurück.

2006 wird in das kollektive Unterbewusstsein Deutschlands als "Jahr der Informatik" eingehen. Es zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die Protagonisten - Informatiker - wieder einmal zur Mangelware wurden, berichtete zumindest der Branchenverband Bitkom. Informatiker, die älter als 40 sind und zudem finanzielle Kompensation für geleistete Arbeit erwarten, sehen das Thema etwas differenzierter als die Lobbyisten. Verwunderlich ist jedoch, dass im Verlauf des Jahres kein Vertreter des Bitkom die Ausgabe neuer Greencards gefordert hat.

Das Informatik-Jahr war vor allem geprägt durch die Fußball-WM, den Papstbesuch und einen Supersommer. Daneben tat sich die Enterprise-IT schwer, mit spannenden Themen auch außerhalb der Fachmedien Aufmerksamkeit zu erregen. SAP versuchte es sogar mit Radiowerbung, um den kleinen Mittelstand wieder einmal von den Vorzügen der eigenen Programme zu überzeugen. Und Google, der Tyrannosaurus Rex der Internet-Wirtschaft, schaltete in Stadtteil-Werbeblättchen schwarzweiße Print-Anzeigen (auf echtem Papier, nicht Mashup und keine Spur von Ajax) für seinen Regionalservice Google Maps. Wahrhaft, ein Meilenstein in der Online-Welt.

Dabei war es vor allem die revitalisierte Internet-Szene, die für Aufbruchstimmung und Bewegung gesorgt hat. Selbst einen echten Web-2.0-Börsengang kann Deutschland 2006 vorweisen: die virtuelle Kontaktbörse OpenBC. Web 2.0 verändert übrigens alles! Und zwar grundlegend, nachhaltig und absolut ohne Anflug eines Hypes. Diesmal ist nämlich alles ganz anders als bei der letzten Blase. Was genau anders ist, wird nicht direkt gesagt, aber die Geschäftsmodelle basieren auf der Extrapolation potenzieller Online-Werbeeinnahmeszenarien. Das ist finanziell total koscher. Glaube konnte auch 2006 noch Berge versetzen, und da war der Papst schon längst wieder aus Bayern weg.

Die seit Jahrzehnten laufende Konsolidierung der IT-Anbieter ging munter weiter, auch wenn 2006 keine wirklichen Megadeals abgeschlossen wurden: Alcatel kaufte Lucent, Hewlett-Packard kaufte Mercury, Quantum kaufte Adic, Avocent kaufte Landesk, Infor kaufte SSA Global, Sage kaufte Bäurer, Open Text kaufte Hummingbird, Oracle kaufte Stellent, AMD kaufte ATI, Soft M kaufte Semiramis und LSI kaufte Agere. IBM kaufte ISS, Filenet, MRO Software und ein halbes Dutzend anderer Softwarehäuser, um die Servicesparte zu stärken. Niemand kaufte hingegen (die Firma) Open Text, und weniger Deutsche kauften einen PC. Der "Rechner" wurde 25 Jahre alt, und er tat sich sehr schwer, im Innovationsrennen gegen den jüngeren Rivalen "Handy" zu bestehen. Davon hat inzwischen jeder Deutsche statistisch betrachtet etwa drei Modelle, die über GPS, eine Fünf-Megapixel-Kamera mit optischem Zoom und Blitz sowie 1 GB Speicherplatz für Musikstücke und Videos verfügen.

Handys von BenQ Mobile konnten mit diesen Features nicht aufwarten. Die Insolvenz der ehemaligen Mobiltelefonsparte von Siemens war ein unrühmlicher Höhepunkt im Herbst des Jahres. Nicht aufgegangen war die Rechnung des Münchner Konzerns, ein hausgemachtes Problem mit viel Geld in Taiwan lösen zu lassen, weil die Taiwaner das Problem lieber mit wenig Geld in Europa lösen wollten. Das ist ihnen auch gelungen - der schwarze Peter landete wieder bei Siemens. Der Konzern hat nun ein schlechteres Image, weniger Geld und immer noch ein Handy-Problem. Gleiches galt in der Vergangenheit auch für die IT-Dienstleistungssparte Siemens Business Services (SBS). Dafür wurde 2006 eine konzerninterne Lösung gefunden: SBS heißt künftig SIS und wird mit anderen IT-Einheiten aus der Gruppe fusioniert. Ein Verkauf ist nun bis zur nächsten Due Diligence definitiv vom Tisch.

Neben Siemens stand auch ein weiterer heimischer ITK-Konzern im Rampenlicht, die Deutsche Telekom. Die Bonner hatten gleich an mehreren Fronten zu kämpfen: mit dem Festnetz, den Services und den Großinvestoren. Dazu zählt traditionell der Bund, seit 2006 aber auch die als "Heuschrecke" titulierte Beteiligungsgesellschaft Blackstone. Beide wollen eine Rendite erwirtschaften, was angesichts der Kursentwicklung der T-Aktie eine echte Herausforderung ist. Folglich stieg der Druck auf den Vorstandschef Kai-Uwe Ricke, der im Herbst schließlich durch den Mobilfunker René Obermann ersetzt wurde.

Bei T-Systems wurde das ganze Jahr darüber spekuliert, dass die Sparte abgetrennt werden soll. Mehrere tausend Arbeitsplätze standen zur Disposition. Das Festnetz T-Com blutete 2006 aus, es verlor in den ersten neun Monaten etwa 1,5 Millionen Kunden. Nur die T-Mobilfunker stemmten sich erfolgreich gegen den Abwärtstrend, aber ihr Wachstumspotenzial dürfte nicht mehr allzu groß sein. Obermann wird es nicht leicht haben, eine elegante Lösung für alle Probleme zu präsentieren, denn selbst exaltierte Marktbeobachter haben sich 2006 mit strategischen Ratschlägen auffallend zurückgehalten. Es gibt vermutlich keine simple Lösung.

Auf Anbieterseite tobte der Kampf SAP gegen Oracle beziehungsweise Prozesslogik gegen Datenlogik. Die Auseinandersetzung der Duopolisten nahm dank Oracle an Intensität zu, auch wenn sich die Konzerne nicht wirklich wehgetan haben. SAP gab immerhin die Devise aus, den Börsenwert bis 2010 zu verdoppeln. Führungskräfte können im Erfolgsfall insgesamt mit bis zu 300 Millionen Euro rechnen. Weit gekommen ist das Unternehmen auf dem Weg allerdings noch nicht. Die Wette bleibt also spannend - zumindest spannender als die Zahlenorgien zur vermeintlichen Entwicklung der Marktanteile, wofür jeder Anbieter in der Regel auf das eigene Datenmaterial zurückgreift.

Auch die IT der öffentlichen Hand war 2006 wieder einmal für ein paar Artikel gut. Erst wartete Bayerns Polizei Jahre auf die Arbeitszeitsoftware "Diplaz", dann funktionierte das Programm "hinten und vorne nicht". Ob Diplaz wenigsten in der Mitte funktioniert, wurde leider nicht ausrecherchiert. Zweiter Knaller war das Bundeswehr-Projekt "Herkules". Im November wollte dann auch die Politik definitiv, abschließend und letztendlich grünes Licht für die Modernisierung der Truppe geben, was aber kurzfristig wieder verschoben werden musste. Inzwischen ist es unterschrieben. Das Projekt war von Minister Rudolf Scharping vor etwa zwei Legislaturperioden angeleiert worden. Mit Siebenmeilenstiefeln kommt hingegen die Gesundheitskarte auf uns zu. Weil sie später kommt, wird sie teurer als gedacht. Irgendwie hat man es geahnt (nächstes Jahr an gleicher Stelle mehr dazu).

Bleibt der Verweis auf den kommenden IT-Gipfel am 18. Dezember mit Kanzlerin Angela Merkel im Hasso-Plattner-Institut, den absoluten Höhepunkt des Informatik-Jahres. Tief in Potsdam wollen ihr die Granden der Branche unter vier Augen beziehungsweise in acht "Arbeitsgruppen" mal zeigen, was man mit Elektronikgehirnen heutzutage alles machen kann. Über die Ergebnisse wird die Kanzlerin dann ausführlich in ihrem 2006 gestarteten Video-Podcast berichten. SAP-Chef Henning Kagermann forderte im Vorfeld "Leuchtturmprojekte", speziell im E-Government. Wie wäre es mit einer Gesundheitskartenarchitektur, der IT-Modernisierung der Bundeswehr oder einer funktionierenden Arbeitsplatzsoftware für Bayerns Polizisten?

Ein kurzer Ausblick auf 2007 sei noch erlaubt: Der Bitkom fordert die Greencard 2.0, die Konsolidierung geht weiter, nationaler IT-Gipfel findet im Jenaer Stephan-Schambach-Institut statt, SAP kämpft gegen Oracle, das Web verändert alles, Sony ruft weitere Akkus zurück, die Gesundheitskarte wird teurer und "Vista" für Privatanwender kommt 30 Minuten verspätet! Sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt. (ajf)