Die Hintergründe der Entscheidung

"Das ist für uns quasi ein Kulturwandel"

08.02.2010 von Karin Quack
Keine kontinuierliche Entwicklung, sondern einen Quantensprung braucht die Deutsche Bank, um ihre Business-Ziele zu erreichen. So begründet Wolfgang Gaertner, CIO Core Banking, die Umstellung der Kernbanksysteme.

CW: Sie haben die Entscheidung der Deutschen Bank zur Erneuerung des Kernbanksystems als Innovation angekündigt. Was ist so innovativ an einer Standardsoftware?

Foto: Deutsche Bank

GAERTNER: Die eigentliche Innovation liegt in der Entscheidung. Im Bankenbereich sind wir es gewohnt, alle Dinge selbst zu entwickeln. Und es gab durchaus Stimmen, die für ein weiteres Reengineering der bestehenden Anwendungen plädierten. Es bedurfte folglich einer klaren Analyse und Begründung gegenüber den Fachabteilungen, warum wir von dem gewohnten Weg abgehen sollten, um jetzt den nächsten Schritt zu machen.

CW: Welche Argumente haben Sie dafür ins Feld geführt?

GAERTNER: Wir sehen klare Chancen für uns im Markt. Um sie nutzen zu können, müssen wir unsere Ansprüche - Stichwort: "Marktführerschaft im Heimatmarkt" - auch in der IT umsetzen. Dazu reicht es nicht mehr aus, sich kontinuierlich zu entwickeln. Vielmehr ist ein Quantensprung notwendig. Deshalb müssen wir massiv in neue Systeme investieren.

CW: Inwiefern hilft eine Standardsoftware, Chancen im Markt zu nutzen? Zumal eine, die nach Ihrer Definition die nicht differenzierenden Bereiche des Geschäfts abbildet!

GAERTNER: Die grundsätzliche Erneuerung unserer IT-Plattform bedeutet zunächst tatsächlich "nur" eine Modernisierung unserer Kernbanksysteme. Aber das wird der Auslöser dafür sein, unsere Produkte schneller an den Markt zu bringen, Prozesse effizienter zu gestalten, die Kunden mit besseren und aktuelleren Informationen zu versorgen und uns auch auf ein künftiges anorganisches Wachstum vorzubereiten.

CW: Sie sagen, der Konzernvorstand habe dafür eine erhebliche Aufstockung des IT-Budgets bewilligt. Was heißt das?

GAERTNER: Ich kann keine Summe nennen, weil ich sie mit zu vielen Fußnoten versehen müsste. Es geht zum Beispiel nicht nur um Softwarekosten.

CW: Das heißt, Sie investieren auch massiv in neue Hardware?

GAERTNER: Softwarelizenzen und -wartung sind nur ein Teil der Gesamtaufwendungen. Wir streben eine grundsätzliche Erneuerung an. Das heißt, zusammen mit der Fragestellung auf der Softwareseite haben wir uns auch Gedanken darüber gemacht, wie wir die Flexibilität der Software auch für unser Infrastruktur-Set auf der Hardwareseite nutzen können. Wir prüfen hier alle Optionen, inklusive x86 und Grid-Technologie, um weitere signifikante Kostenvorteile zu erzielen.

Nachprüfbare Zwischenziele festgelegt

CW: Das Projekt wird über mehr als vier Jahre laufen und erfordert vermutlich Investitionen im dreistelligen Millionenbereich. Wie soll sich dieser Aufwand am Ende rentieren?

Foto: Deutsche Bank

GAERTNER: Spekulationen zu Zahlen kommentiere ich nicht. Aber wir haben selbstverständlich den Business Case durchgerechnet. Die Erwartungen beziehen sich keineswegs nur auf verringerte IT-Kosten, sondern auf eine verbesserte Kosten- und Ertragssituation in der gesamten Bank, auf messbar positive Erlebnisse der Kunden im Online- und Filialbetrieb sowie auf eine kürzere Entwicklungszeit für neue Produkte. Wir haben für jeden dieser Punkte Kriterien festgelegt, mit denen sich der Erfolg überprüfen lässt.

CW: Erst in vier bis fünf Jahren?

GAERTNER: Nein, wir haben uns zu Zwischenzielen für die einzelnen Projektphasen verpflichtet.

CW: Um dieses Projekt finanzieren zu können, müssen Sie auf andere Dinge verzichten. Welche sind das?

GAERTNER: Wir werden einen großen Teil unseres IT-Budgets diesem Projekt und einigen umgebenden Systemen zuordnen, aber nicht darauf verzichten, die kundennahen Systeme weiterzuentwickeln, die uns vom Wettbewerb unterscheiden. In den kommenden Jahren wird unser IT-Budget deutlich höher ausfallen als in den vergangenen. Allerdings werden wir kleine, taktische Investments erst einmal zurückstellen.

CW: Was war die Initialzündung für das Projekt?

GAERTNER: Die gab es nicht. Vielmehr entwickelte sich der Gedanke beständig. Wir haben über die Jahre erhebliche Verbesserungen in der Infrastruktur erreicht, die Kostenstruktur verbessert und etliche neue Funktionen entwickelt. Aber wir haben gemerkt, dass in der vorhandenen Umgebung kein Quantensprung mehr möglich war. Also mussten wir uns fragen: Können wir auf diesem Niveau weitermachen, oder brauchen wir für das Geschäft etwas völlig Neues? Das zuvor Erreichte war jedoch die Voraussetzung dafür, dass das Fachbereichs-Management dieser mutigen Entscheidung zugestimmt hat. Wir mussten zunächst Vertrauen aufbauen, und das ist kein Event, sondern ein Prozess.

CW: Wie gewinnt man dieses Vertrauen - allein durch Kostensenkungen?

Gaertner: Nein, das Grundvertrauen, das zu einem solchen Schritt motiviert, wird durch einen ganzen Strauß von Dingen geschaffen. Dazu gehören partnerschaftliches Verhalten, Liefertreue bei großen Projekten, das Bereitstellen einer stabilen Infrastruktur für das heutige Geschäft und die Fähigkeit, mit dem Business in seinen Begriffen zu sprechen.

"Eine reine Deutsche-Bank-Entscheidung"

CW: Welchen Anteil an diesem Grundvertrauen hatte das gemeinsame Entwicklungsprojekt von SAP und Postbank, an der die Deutsche Bank ja eine Sperrminorität besitzt?

"Die Entscheidung, auf Standardsoftware zu setzen, war quasi ein Kulturwandel."
Foto: Jo Wendler

Gaertner: Zunächst einmal ist die Entscheidung, die Kernbanksysteme zu ersetzen, eine Entscheidung der Deutschen Bank. Und das Modell, nach dem wir dabei vorgehen, ist sehr Deutsche-Bank-spezifisch. Wir haben uns auf wenige Module beschränkt: Stammdaten, Kontokorrent, Sparbereich und Zahlungsverkehr. Natürlich haben wir mit anderen Unternehmen gesprochen, die solche Installationen haben. Und wir haben von allen gelernt.

CW: Welche anderen Kernbanksysteme haben Sie sich angesehen?

Gaertner: Wir sprechen generell nicht über Produkte von Anbietern. Viel wichtiger ist die Entscheidung, überhaupt auf eine Standardsoftware zu setzen. Das war die wichtige Entscheidung, quasi ein Kulturwandel.

CW: Aber mit welchem Partner Sie diese Entscheidung umsetzen, kann Ihnen doch nicht egal sein.

Gaertner: Natürlich nicht. Wir haben die verfügbare Standardsoftware untersucht, sind aber relativ schnell zu dem Schluss gekommen, dass die SAP die richtige Wahl ist - mit der Lösung, die sie bereitstellt, und als der Partner, der sie für uns sein wird. Und wir haben diese Entscheidung selbstverständlich auch im Hinblick auf die Position des Anbieters im Markt getroffen.

Ein wesentliches Ziel

CW: Sie sprachen das geplante anorganische Wachstum an. Sollten Sie damit die Übernahme der Postbank-Mehrheit gemeint haben, so macht die SAP-Einführung tatsächlich vieles einfacher. Was ist mit weiteren Akquisitionen? Wird das neue Kernsystem zum verbindlichen Standard?

GAERTNER: Ich will jetzt nicht über mögliche Akquisitionen spekulieren. Aber wenn man auch dafür gerüstet sein will, dann braucht man als Grundvoraussetzung eine klare IT-Strategie. Wir haben aus den bereits in Angriff genommenen Akquisitionen, beispielsweise mit der Norisbank und der Berliner Bank, gelernt, dass uns die Integration dort am leichtesten fällt, wo unsere eigene Landschaft modern, einfach und gut strukturiert ist. Das bauen wir mit dem neuen Kernbanksystem nun weiter aus. Es ist ja mit allen anderen Systemen verbunden und organisiert alle Schichten der Zusammenarbeit neu. Wenn wir also den vollen Nutzen daraus ziehen wollen, müssen wir auch in den umgebenden Systemen die Architektur verbessern und neue Governance-Strukturen einführen. Dadurch sinkt die Gesamtkomplexität des Systems, und das ist ein wesentliches Ziel für uns.

Die letzte Bastion

Von Karin Quack

So sicher wie die Bank von England - diese Redewendung ist im vergangenen Jahr ein wenig aus der Mode gekommen. Die Finanzkrise hat uns plötzlich vor Augen geführt, was eigentlich mit unserem Geld passiert, wenn wir es auf die Bank bringen.

Banken gehen Risiken ein. Davon leben sie. Deshalb haben sie ihre Risiken unter Kontrolle - theoretisch zumindest. Die Deutsche Bank immerhin fiel nicht durch waghalsige Spekulationen auf, und sie folglich einen mehr als soliden Gewinn eingefahren.

Jetzt aber wagt sie etwas, wovor der größte Teil der Branche bislang zurückschreckt: Sie steigt hinunter in den tiefsten Keller ihrer operativen Anwendungen, um dort gründlich auszumisten. Wer je ein altes Haus renoviert hat, weiß, dass dort unliebsame Überraschungen warten. Beim Ablösen der Tapeten hält man plötzlich das Wasserrohr in der Hand, und erst nach dem Andübeln der Küchenschränke weiß man, wo die Stromkabel verlaufen. Über manchen alten Putz hätte man im Nachhinein lieber eine neue Schicht Farbe gepinselt, anstatt ihn zu entfernen.

Diese Erfahrungen werden auch der Deutschen Bank nicht erspart bleiben. Das weiß der zuständige CIO Wolfgang Gaertner. Trotzdem hat er die Konzernleitung von der Notwendigkeit dieses Schritts überzeugt. So viel Tollkühnheit hätte man dem Mann gar nicht zugetraut, der stets einen so besonnenen Eindruck macht.

Doch welche sind die Alternativen? Die Kernbankensysteme haben zum großen Teil mehr Jahre auf dem Buckel als der Durchschnitt der COMPUTERWOCHE-Leser. Sie zu pflegen wird immer teuer. Das Verhältnis dieses Aufwands zum Nutzen der Anwendungen steigt. Also statt des Schreckens ohne Ende doch lieber ein Ende mit Schrecken - sprich: mit hohen Eingangsinvestitionen und einem gewissen Risiko.

Geld ist wohl vorhanden. Und das Wagnis schrumpft bei Licht betrachtet auf ein erträgliches Maß. Zum einen kann die Deutsche Bank von den Erfahrungen der Postbank profitieren, mit der sie seit längerem kooperiert. Zum anderen wird dieses Projekt mit Sicherheit nicht scheitern. Dafür sorgt schon die SAP. Sie würde einen derartigen Image-Verlust niemals zulassen - zumal sie sich anschickt, mit den Banken nun auch die letzte Bastion der deutschen Industrie zu erobern. Karin Quack