IT-Orakel

Das erwarten die Analysten für 2010 - Part 1

30.12.2009 von Martin Bayer
Die Krise wird den IT-Markt auch im kommenden Jahr auf Trab halten. Lesen Sie im ersten Teil unseres IT-Orakels, was die Experten über das Schicksal von SAP und die weitere Zukunft von Cloud Computing denken.

Im ersten Teil des großen Analysten-Orakels für 2010 lesen Sie, wie die Branchenbeobachter die Zukunftschancen von SAP einschätzen, wie sich das Thema Cloud Computing weiterentwickeln wird und welche Aussichten Microsoft im Kampf gegen Google hat.

Bleibt SAP unabhängig?

Frage: Wird SAP das kommende Jahr als selbständiger Softwareanbieter überstehen?

Christophe Chalons (PAC): Höchstwahrscheinlich ja, auch wenn nahezu jedes Unternehmen - selbst unter den Marktführern, wie es EDS gezeigt hat - übernommen werden kann. SAP hat auf jeden Fall die Kapazität, auch langfristig eigenständig zu wachsen. Selbst in der Krise konnte SAP seine Profitabilität halten und damit seine Investitionsfähigkeit behaupten. SAP bleibt im ERP-Markt der klare Marktführer, mit einem nahezu doppelt so hohen Produktumsatz wie der seines wichtigsten Wettbewerbs Oracle. Es bleiben für die Walldorfer immer noch substanzielle Wachstumsmöglichkeiten mit Branchenlösungen, im Mittelstand beispielsweise mit Business ByDesign und in ausgewählten Ländern und Regionen. Jedoch wird die Welt für SAP sicherlich nicht einfacher werden. Das "Brot- und Buttergeschäft", also mit ERP-Software für Großunternehmen, gerät immer mehr unter Druck, während SAP in den Wachstumssegmenten auf zahlreiche spezialisierte Wettbewerber trifft. Vor allem werden die Kämpfe um die beste Integrationsplattform und um das beste SaaS-Modell für die Zukunft der SAP ausschlaggebend sein.

Holger Kisker (Forrester): Keine Frage, SAP steht unter Druck wie selten zuvor. Die Softwareerlöse sind in diesem Jahr dramatisch eingebrochen, die zufriedenstellende Marge ist das Ergebnis eines radikalen Sparkurses. Viele Kunden sind wegen der neuen Supportpreise verärgert, und die Konkurrenz umzingelt den Softwaregiganten durch Zukäufe von Hardware, Software, Plattformen und Services. Doch wir können 2010 auch auf Spannendes hoffen: Der lang erwartete neue Release Date für Business ByDesign sowie die neue On-Demand-Strategie für die Business Suite sollen dem Konzern aus der Krise helfen. 2010 wird ein entscheidendes Jahr für die SAP, doch die Firma hat schon in der Vergangenheit turbulente Zeiten gemeistert, und sie wird auch das kommende Jahr überleben. Ob das heutige Management dann noch in gleicher Besetzung an Bord ist, scheint allerdings unsicher.

Rüdiger Spies (IDC): Ja, denn ich würde erwarten, dass die Kartellbehörden eine Übernahme praktisch ausschließen. Das notwendige Kapital für eine Akquisition von SAP haben nur sehr wenige Unternehmen, die allesamt zur Konkurrenz gehören. Ein Kauf durch einen Mitbewerber würde aber zu einer starken Wettbewerbsverzerrung führen und somit von den Kartellbehörden unterbunden werden.

Foto: Experton Group

Andreas Zilch (Experton Group): Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. SAP steckt in einer Schwächephase, die sich intern, bei Kunden und an der Börse zeigt. Dies weckt natürlich Begehrlichkeiten unterschiedlicher Interessenten, die aber höchstwahrscheinlich nicht vor den Kartellbehörden bestehen würden. Wenn SAP sich auf ihre "alten Stärken" besinnt und 2010 weniger grobe Fehler macht, so wird sie ein sehr gutes Jahr erleben. Wenn aber der jetzige Trend weitergeht, dann kann es durchaus zu einer Abwärtsspirale kommen.

Thomas Otter (Gartner): SAPs Existenz als unabhängiges Softwareunternehmen liegt in den Händen der Eigentümer. Daher muss die Antwort auf diese Frage Spekulation bleiben. SAP ist ein profitables Unternehmen mit ausreichenden Barreserven und einer beneidenswerten Kundenbasis. Außerdem sind die Walldorfer nach wie vor der weltweit führende Anbieter von Business-Software. Die Herausforderung für den Konzern liegt darin, das Wachstum wieder anzukurbeln. Das Unternehmen ist zuletzt etwas ins Stolpern geraten, die 2009 vorgelegten Bilanzen waren gegenüber früheren Jahren vergleichsweise schwach. Um auf den Wachstumspfad zurückzukehren, muss SAP jedoch etwas tun. Das bestehende Produkt-Portfolio wird dafür nicht ausreichen. Der Hersteller muss seine Pläne rund um Business ByDesign umsetzen und zügig neue wettbewerbsfähige Produkte entwickeln, die sich innerhalb der Bestandsklientel verkaufen lassen. Außerdem gilt es, das durch den Streit rund um die erhöhten Wartungsgebühren beschädigte Verhältnis zu den Kunden wieder zu kitten. SAP steht also vor einigen Herausforderungen, dürfte aber durchaus in der Lage sein, diese auch zu lösen.

Wie geht es weiter mit Cloud Computing?

Frage: Neben dem Pionier Amazon.com gibt es inzwischen eine Reihe von Unternehmen, die Server-Rechenleistung als Service in der Cloud anbieten, darunter auch Fujitsu und T-Systems. Welche Angebote werden sich im neuen Jahr durchsetzen?

Foto: PAC

Stephan Kaiser (PAC): Flexible Delivery-Modelle werden im Jahr 2010 weiter an Bedeutung gewinnen. Die Nuancierungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung einer Cloud-Strategie sind vielfältig, und die Anwender haben verschiedene Möglichkeiten, bei den Providern Angebote auszuwählen - sei es von hoch standardisierten, aber dedizierten Plattformen in einem extern betriebenen Rechenzentrum bis hin zur vollständigen Cloud-Lösung in verteilten Systemen. Das wichtigste Auswahlkriterium bleibt die Flexibilität in den geschlossenen Verträgen, sprich kundenfreundliche Regelungen über Mindestlaufzeiten und -abnahmemengen. Hier haben die Provider im Jahr 2009 einiges nachgebessert, was aus unserer Sicht für 2010 auch weitere Wachstumsimpulse bringen wird. Das Thema Security wird Zweifler aber weiter zurückhalten. Darauf sollten Antworten sowohl von den Anbietern als auch vom Gesetzgeber (auf deutscher und europäischer Ebene) formuliert werden.

Frank Sempert (Saugatuck): Europa steht hinsichtlich Cloud Computing an der Spitze der Entwicklung. Ende 2010 wird rund ein Drittel der europäischen Unternehmen Cloud-Infrastrukturservices täglich nutzen. 15 bis 20 Prozent setzen bereits Cloud-Dienste für Anwendungsentwicklung und Tests, High-Performance-Computing und Batch-Auswertungen ein und werden für zukünftige Anwender Beispiele sowie Best Practices liefern. Die Cloud-Adaption in USA and anderen Regionen wird auf unterschiedlichen Wegen abfolgen, je nach den bestimmenden kulturellen Einstellungen und Geschäfts-Praktiken. Unsere Untersuchungen zeigen, dass Executives großer Unternehmen Cloud Services für Storage sowie Dokumenten- und Daten-Abfragen fordern oder bereits nutzen. Daher werden solche Firmen nach unserer Meinung die Rangliste der Cloud-Anbieter anführen, die derartige Services anbieten, zum Beispiel Amazon.com, EMC, NetApp, OpSource, und Rackspace.

Tom Meyer (IDC): Wie im letzten Jahr erwarten wir, dass die Bereiche Collaboration (Webconferencing, Wikis) und persönliche Applikationen (Word Processing, E-Mail, Kalender) weiterhin den Cloud-Trend anführen werden. Server wie auch Storage, Networking und Capacity on Demand werden dagegen konservativer behandelt. Allerdings hängt das auch stark mit der Effizienz des eigenen Rechenzentrums zusammen: Bei ineffizienten RZs kann durch den Zukauf oder die Umlagerung auf Cloud-Services schnell viel Effizienz geschaffen werden. Bereits sehr effiziente RZs kosten dagegen weniger als Cloud-Services - sowohl kurzfristig als auch langfristig.

Stefan Ried (Forrester): 2010 werden drei Kategorien von Infrastructure-as-a-Service, einer Form von Cloud Computing, von Bedeutung sein. Dabei wird allerdings kein Angebot über das andere dominieren, und es wird in allen Modellen Marktführer geben. Die erste Variante ist die Public Cloud-Infrastruktur, wie "EC2" von Amazon.com, die tausende verschiedene Firmen auf einer Infrastruktur vereint. Die zweite sind private Cloud-Tools, die es Rechenzentrumsbetreibern ermöglichen, ihre eigenen Rechenzentren wie eine Cloud zu betreiben. Hier sind auch Virtualisierungs-Tools enthalten. In diesem Modell, das man aber nicht mit einem Service-Markt verwechseln darf, ist IBM sehr stark. Die dritte Variante ist die virtuelle Private Cloud-Infrastruktur, da hier alle Vorteile von öffentlichen Clouds mit den Vorzügen privater Rechenzentren vereinigt werden. In diesem Bereich sind Fujitsu und T-Systems positioniert.

Foto: Techconsult

Frank Heuer (Techconsult): Amazon.com ist zwar mit seiner Elastic Compute Cloud (EC2) der Pionier für Cloud-Server, aber im Business-Markt werden sich vor allem Anbieter wie T-Systems (Dynamic Services), Fujitsu mit seinen Partnern (Infrastructure as a Service) und IBM durchsetzen. Vor allem größere Unternehmen wollen mit Partnern zusammenarbeiten, die eine umfassende Kompetenz im IT-Service und Infrastruktursegment vorweisen können. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die Business-Anwender weniger für reine Cloud-Lösungen als für mit der On-Premise-IT-Landschaft verzahnte integrierte Lösungen interessieren.

Foto: Qitera

Carlo Velten (Experton Group): Amazon.com ist der klare Markt- und Meinungsführer in diesem Bereich. Zu beachten ist aber, dass es sich bei den Amazon.com-Rechenzentren und dem Delivery Modell um eine sehr spezielle Form handelt - nicht vergleichbar mit herkömmlichen Rechenzentren - und darum auch von traditionellen Anbietern von Datacenter-Services nur schwer zu kopieren ist. In diese Gruppe der "New Data Center" gehören Google, Yahoo, Microsoft - aber auch kleinere, spezialisierte Anbieter und Start-Ups. Mit den - sehr erfolgreichen - Dynamic Services von T-Sytems ist dies nur begrenzt vergleichbar. Das Thema "Infrastructure-as-a-Service" beziehungsweise "Platform-as-a-Service" adressiert T-Systems sicher eher durch die Akquisition von Strato. Sehr spannend ist, dass IBM einen Großteil seines Technologie-Stacks über die Amazon-Cloud vertreibt (über AMI - Amazon Machine Images) und auch ein Großteil des Microsoft-Stacks bei Amazon läuft. Das heißt nämlich, dass sich sehr wohl traditionelle Workloads in die Cloud verlagern lassen. Fujitsu hat zwar angekündigt, ein 14.000 qm Rechenzentrum in Augsburg zu erstellen, der dazugehörige Business Case ist uns aber bisher nicht klar. Cloud-Services und -Ressourcen sind definitiv ein nachhaltiger Zukunftstrend. Aus Anwendersicht sind die aktuellen Angebote aber noch zu unreif für einen großflächigen Einsatz. Anbieter sollten genau prüfen, ob sie in diesem Markt tatsächlich konkurrenzfähig sein können.

Rüdiger Spies (IDC): Die Cloud-Angebote werden weiter wachsen und die Unternehmen werden weitere Dienste aus der Cloud beziehen. Ich denke, dass je mehr eine Angebot als eine IT-Commodity gilt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass solch eine Dienstleistung über das Internet bezogen wird.

Was macht Oracle mit Suns Hardware?

Frage: Wird Oracle Suns Hardwaregeschäft behalten, wenn die Übernahme endgültig von den Kartellbehörden genehmigt ist?

Foto: PAC

Stephan Kaiser (PAC): Wir glauben ja. Die konsequente Diversifikation des Oracle-Geschäftsmodells wird zwar mit dem Hardwaregeschäft um eine vermeintlich unrentable Sparte erweitert, aber nur wenn man das Hardwaregeschäft isoliert betrachtet. Oracle geht es darum, zum Komplettanbieter für paketierte Lösungen aus Hard- und Software zu werden, um langfristig auch mit Unternehmen wie HP und IBM bei IT-Infrastrukturen und im Rechenzentrum des Kunden auf Augenhöhe zu agieren. Dazu können Synergien, die bei einer Hard- und Softwareentwicklung aus einer Hand gewonnen werden, einen hilfreichen Beitrag leisten.

Foto: Forrester

Peter O'Neill (Forrester): Oracle hat immer wieder bestätigt, das Hardwaregeschäft von Sun sehr wohl weiterführen zu wollen. Die installierte Basis an Sun-Servern und -Storage war ein wesentlicher Teil des angebotenen Kaufpreises. Seit der ersten Ankündigung der Übernahme hat sich allerdings einiges geändert: Sun verliert viel Geld, und das Geschäft wird in den Übernahmewirren nicht mehr vernünftig gesteuert. Den Wettbewerbern IBM und HP gelingt es aufgrund dieser unsicheren Lage jeden Monat, Sun-Kunden für sich zu gewinnen. Wenn die EU also irgendwann die Erlaubnis für eine Übernahme erteilen sollte, wird Oracle den Preis neu verhandeln wollen.

Foto: Experton Group

Andreas Zilch (Experton Group): Zunächst ist die Verzögerung durch die europäischen Kartellbehörden - bei allem Respekt vor solchen Organisationen - zu kritisieren. Sie schadet sowohl Oracle als auch Sun. Sobald diese Hürde genommen ist - oder auch nicht -, muss Oracle sehr schnell erklären, wie die zukünftige Strategie aussieht. Bei allen Aktivitäten in Richtung "vertikale Integration", die Oracle/Sun, Cisco/EMC/VMware und auch Fujitsu/Netapp vorantreiben, ist fraglich, ob die Oracle/Sun Koalition alleine stark genug ist und wie sich HP und IBM in dieser Situation verhalten. Oracle selbst hat hier eine sehr schwierige Entscheidung zu treffen.

Stefan Ried (Forrester): In Zukunft werden Appliances für Oracle eine wachsende Rolle spielen. Die Ankündigungen rund um die "Exadata 2" auf der diesjährigen OpenWorld lassen Spekulationen zu, dass Oracle die Sun-Hardware in Zukunft sogar fokussiert für Oracle-Appliances positioniert, und sich aus dem Commodity-Hardware-Bereich teilweise zurückzieht.

Rüdiger Spies (IDC): Ich denke ja, denn das muss Oracle alleine schon aus Glaubwürdigkeitsgründen eine gewisse Zeit lang tun. Die Situation kann sich allerdings in zwei Jahren geändert haben.

Kann Oracle mit Fusion Applications zu SAP aufschließen?

Frage: Wird es Oracle im nächsten Jahr gelingen, mit Fusion Applications am Nimbus von SAP zu kratzen?

Christophe Chalons (PAC): Fusion ist für Oracle besonders wichtig: Schließlich hat Oracle ein Patchwork an "Best-of-Breed"-Anwendungen, das es stärker zu integrieren gilt. Sicher kann Oracle in ausgewählten Branchen, Themen und Ländern Marktanteile gewinnen, SAP wird aber - zumindest kurz- und sogar mittelfristig - der unanfechtbare Marktführer bleiben.

Holger Kisker (Forrester): Im nächsten Jahr wird Oracle endlich die seit Jahren angekündigten Fusion Applications auf den Markt bringen. Die Vision einer vollständig integrierten Applikationslandschaft hat sich allerdings längst überholt. SAP hat beispielsweise mit der Business Suite 7 eine solche integrierte Lösung bereits seit einiger Zeit auf dem Markt. Neu hingegen wird die Möglichkeit sein, die Fusion Applications auch als SaaS-Modell anzubieten. Kunden erhalten so erstmals die Möglichkeit, Cloud Computing effizient für verschiedene Applikationen zu nutzen. Damit dürfte sich Oracle wieder an die Spitze der Innovationen katapultieren. Dagegen wird kaum ein Bestandskunde in Erwägung ziehen, seine Systemlandschaft wegen Fusion in 2010 von SAP auf Oracle zu migrieren.

Rüdiger Spies (IDC): Wenn Fusion Applications dann doch nach erheblicher Verzögerung endlich verfügbar sind, wird das nichts an der Gewichtsverteilung zwischen SAP und Oracle verändern. SAP’s Funktionsvorsprung beim klassischen ERP und den Ergänzungen wird Oracle weiter auf Abstand halten. Das Neuschreiben der Fusion Applications wird nicht auf Anhieb den Funktionsumfang der existierenden Anwendungen erreichen können. Allerdings bieten die zugekauften Applikationen von Oracle vergleichbare Funktionen - jedoch nur in Teilbereichen. Die Integration fehlt weiter. Deshalb: Oracle wird weiter hart kämpfen müssen, um auf der Application-Seite als zu SAP gleichwertig anerkannt zu werden.

Foto: Experton Group

Andreas Zilch (Experton Group): Sicher noch nicht im nächsten Jahr - aber die langfristige Perspektive ist entscheidend. Wenn Oracle zeigt, dass sie Innovationen besser an den Markt bringen können als SAP, dann wird man aus Sicht der Anwender und Analysten einen deutlichen Vorsprung vor SAP erzielen, der sich mittelfristig in einen klaren Wettbewerbsvorteil und damit den Gewinn von Marktanteilen umsetzen lässt. Das ganze Thema ist aber außerordentlich komplex und damit stehen für Oracle selbst auch einige Risiken im Raum.

Thomas Otter (Gartner): Die Fusion Applications sind noch nicht auf dem Markt, und bis dato gibt es nur sehr wenige Details darüber, was Oracle ausliefern wird, wenn es soweit ist. Oracle hat mit Fusion viel versprochen, aber darüber zu spekulieren, ob Fusion das Kerngeschäft von SAP attackieren kann, wäre voreilig. Wenn Fusion das hält, was es verspricht, dann werden wir ein konkurrenzfähiges System im Markt sehen. Das muss man aber erst abwarten. Wahrscheinlich lässt sich diese Frage nicht im kommenden Jahr beantworten sondern erst zwischen 2012 und 2015.

Microsoft vs Google - wie stehen die Chancen?

Frage: Schafft es Microsoft mit Bing, Google nennenswerte Anteile im Suchmaschinengeschäft abzuknöpfen?

Christophe Chalons (PAC): Microsoft dürfte es sehr schwer haben, sich gegen den eindeutigen Marktführer zu behaupten. Selbst wenn Microsoft eine bessere Lösung auf den Markt bringen sollte, spielt die extrem hohe Akzeptanz von Google, sowohl bei privaten als auch bei geschäftlichen Anwendern, gegen den Herausforderer.

Stefan Ried (Forrester): Bei der Installation des aktuellen Internet Explorer erscheint Bing als Standard-Suchmaschine. Allein durch Benutzer, die hier nicht ihre bisherige Suchmaschine einstellen, wird Bing mittelfristig zehn Prozent Marktanteil erreichen. Darüber hinaus wird es jedoch schwierig sein, im Vergleich mit den Marktführern eine Differenzierung und einen größeren Kundenwert zu beweisen.

Dan Bieler (IDC): Microsoft ist bereits erfolgreich mit Bing. Die Suchmaschine steht Googles System technisch derzeit praktisch nicht nach. Allerdings ist der Microsoft-Marktanteil momentan noch relativ gering. Insbesondere in Europa gibt es Vorbehalte gegenüber Microsoft als Suchmaschinenanbieter. Viele Nutzer haben das "Googlen" zu intensiv in ihren täglichen Arbeitsablauf integriert. Google muss allerdings aufpassen, nicht den Ruf des Datenschnüfflers zu bekommen. Sollte sich dieses Image einmal festsetzen, ist es praktisch nicht wieder abzuschütteln.

Foto: Steve Janata

Steve Janata (Experton Group): Dies wird eines der spannendsten Themen für 2010. Google arbeitet unter anderem mit Verlagen an einem Konzept, die Inhalte von Suchanfragen zu vermarkten beispielsweise mit einem Micropayment System. Wenn dies wirklich funktioniert, erweitert Google sein Geschäftsmodell signifikant und schafft mittelfristig eine neue "Gelddruckmaschine". Kurzfristig wird dies aber auch zu Verärgerung oder zumindest Irritationen bei den Suchmaschinen-Nutzern führen, was durchaus von Microsoft zur Steigerung der Marktanteile genutzt werden kann. Google plant ein plattformübergreifendes Payment-System - Launch vermutlich Mitte 2010) -, mit dem sich die Inhalte der Verlage sowie zukünftig auch andere Content-Formen wie Spiele, virtuelle Güter sowie Videos und Musik monetarisieren lassen. Aufgrund der Netzwerkeffekte wird sich der Payment Markt wohl nach dem Motto "the winner takes it all" entwickeln. Deswegen ist es spannend, wer dort den ersten großen Sieg landet. Zahlreiche Start-ups mit viel Venture-Capital-Geldern und hohen Bewertungen gehen ebenfalls an den Start. Dass der Kampf um die Vorherrschaft im Suchmarkt noch nicht zu Ende ist, beweisen die ersten Achtungserfolge von Bing. Durch intelligente Kooperationen und Payment-Systeme kann es Microsoft durchaus gelingen, Google substantiell Marktanteile abzujagen. Spannend wird hier vor allem die Frage, nach der Entwicklung im Bereich der mobilen und lokalen Suche. Hier erwarten wir einen dramatischen Shift zum Mobile- beziehungsweise Smartphone.

Vertragen sich Virtualisierung und ITIL?

Frage: ITIL und Virtualisierung sind aktuelle Trendthemen in vielen Unternehmen. Wie verträgt sich Virtualisierung mit ITIL, sind beide Disziplinen bezüglich der Change-Prozesse vereinbar?

Foto: PAC

Stephan Kaiser (PAC): Insbesondere die Problematik in einer stärker virtualisierten IT-Umgebung, die Configuration Management Database (CMDB) nach ITIL laufend aktuell zu halten, wird auch im nächsten Jahr ein Spannungsfeld in den IT-Abteilungen bleiben. Abhilfe kann hier die Einführung von Automatisierungstechniken schaffen, die mittlerweile immer öfter als Standardlösungen am Markt erhältlich sind.

Foto: Forrester

Thomas Mendel (Forrester): Es gibt bei den Disziplinen keine Widersprüche - im Gegenteil, die Bedeutung der ITIL-Prozesse wird durch die verstärkte Nutzung von Virtualisierung noch zunehmen. Wir sehen die Adaption der ITIL-Prozesse in einem Unternehmen als primäres Zeichen für ein Erwachsenwerden der IT. Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, aber ITIL ist de-facto der Standard für IT-Prozesse geworden. Mit zunehmender IT- Prozessreife nimmt auch der Grad der Standardisierung zu, und somit auch die Möglichkeit der Automatisierung. Genau hier sehen wir das größte Potential der Virtualisierung.

Dan Bieler (IDC): Die größte Gefahr von ITIL besteht darin, es als Sinn und Zweck an sich zu interpretieren. Wenn IT-Abteilungen sich ITIL als das generelle Allheilmittel zu neuen Herausforderungen in Bereichen wie Virtualisierung oder anderen Cloud Themen verschreiben, dann sollte das zu Denken geben. ITIL ist letztendlich eine Methologie für die Planung der ITK-Infrastruktur und der damit zusammenhängenden Prozesse. Aber eine Methode muss sich nach der Zielsetzung eines Vorhabens richten - und nicht umgekehrt. Mit anderen Worten: Firmen müssen erst einmal klar festlegen, welche Ziele sie verfolgen. IT-Abteilungen müssen dann versuchen, die adäquate ITK-Infrastruktur sicherzustellen, um diese Ziele und die sich entwickelnden Geschäftsprozesse zu unterstützen. ITIL hilft dabei, den richtigen Rahmen dafür zu schaffen. Change Management muss ein elementarer Bestandteil dieses Prozesses sein. Aber IT Abteilungen müssen sich als Dienstleister verstehen. ITIL per se wird wenig ausrichten.

Foto: Microsoft

Andreas Klein (Techconsult): Virtualisierung braucht ein stringentes Management sowie eine gute Dokumentation, um beispielsweise Anforderungen in Bezug auf IT-Services definieren und Leistungen messen zu können. Vor dem Hintergrund gewachsener IT-Infrastrukturen, nicht selten geprägt von Anwendungswildwuchs und ungenügend dokumentierten Prozessen, ist ein IT-Service-Management auf Basis der ITIL Best Practices selten auf einen Schlag umsetzbar. Virtualisierung und ITIL können hingegen bei guter Prozess- und Anforderungsdokumentation ineinandergreifen, so dass Virtualisierung letzten Endes sogar dazu führen kann, den Erfüllungsgrad des notwendigen IT-Service-Anforderungskatalogs in Echtzeit zu überprüfen und zeitnahe Change-Prozesse zu entwickeln.

Foto: Experton Group

Andreas Zilch (Experton Group): ITIL-Prozesse sind mittlerweile Standard in Rechenzentren. Virtualisierungs-Prozesse müssen hier integriert werden. Wir sehen darin keinen Widerspruch.

Lesen Sie im zweiten Teil des großen IT-Orakels die Analysteneinschätzungen zu weiteren spannenden Fragen aus der IT-Branche. Welcher IT-Gigant hat die besten Chancen als Komplettanbieter? Und schafft es Microsoft, mit Windows 7 an alte Erfolge anzuknüpfen?