CeBIT: Die CeBIT 2006 wirft ihre Schatten voraus

31.01.2006
Die IT-Revolution frisst ihre Eltern: Während etwa Softwarehäuser und IT-Dienstleister glänzende Geschäfte machen und Breitband-Zugänge und Notebooks stark nachgefragt werden, geht es mit der Festnetztelefonie angesichts des rasanten technologischen Wandels bergab.

So wird, wenn sich die IT-Branche im März zur Leitmesse CeBIT in Hannover trifft, die Stimmung in den einzelnen Marktsegmenten sehr unterschiedlich sein.

Viele Jugendliche haben gar kein Festnetztelefon mehr, sondern nur noch ihr Handy. Auf dem Siegeszug ist zudem das billige Telefonieren übers Internet. Zur starken Nachfrage nach Internet-Telefonie trägt maßgeblich die Verbreitung von Breitbandanschlüssen bei - und deren Verkauf boomt.

Insgesamt wuchs der ITK-Markt in Deutschland 2005 nach Zahlen des Branchenverbandes BITKOM um 2,6 Prozent auf 134 Milliarden Euro und legte damit mehr als doppelt so schnell wie die ganze Wirtschaft. Die Festnetztelefonie, die drei Prozent verlor, drückte allerdings das Branchenwachstum. Zwar legten auf der anderen Seite die Mobilfunker zu. Wegen des "extremen Wettbewerbs" und des Preisverfalls bei mobilen Telefondiensten hätten die schrumpfenden Umsätze in der Festnetzsparte in diesem Segment insgesamt aber nicht überkompensiert werde können, sagt BITKOM-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Insgesamt macht der Telekommunikations-Markt fast 50 Prozent des Gesamtmarktes in der ITK-Branche aus.

Die Folgen für die Beschäftigung sind immens: Die Deutsche Telekom streicht zigtausende von Stellen in ihrer Festnetzsparte. Die Gewerkschaft ver.di kritisierte dies mit den Worten: "Man kann einen Tanker nicht umsteuern, indem man die Mannschaft in die Boote schickt."

Mit der Festnetztelefonie geht es 2006 weiter bergab: Der BITKOM erwartet für die Sparte ein Minus von vier Prozent. Deswegen verlangsamt sich auch insgesamt das Wachstum des ITK-Marktes. Erwartet wird nach einer Prognose vom Herbst ein Zuwachs von gut zwei Prozent.

Der Druck zur Kostensenkung für die Festnetzanbieter bleibe auch in Zukunft enorm, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung Mercer Management Consulting. Mit Personalabbau allein aber lasse sich die Kostenstruktur nicht nachhaltig verbessern. Alle Geschäftsprozesse müssten vereinfacht und automatisiert, die Produktpalette gestrafft werden.

Aus Sicht von Rolf Schmidt, ITK-Experte der Gewerkschaft ver.di, sind mehr technische Innovationen nötig. "Im Wettbewerb besteht man nicht mit Kostenreduzierungen." Schmidt sieht zudem einen Investitionsstau beim Technikbedarf, etwa bei Großrechenmaschinen. Zudem gebe es "massive Abbaumaßnahmen" großer Unternehmen und zunehmend Verlagerungen etwa nach Osteuropa, Indien und China.

Die Zahl der Arbeitsplätze in der ITK-Branche wird wegen des Stellenabbaus etwa bei der Telekom oder bei IBM und HP laut BITKOM-Prognose im laufenden Jahr unterm Strich stagnieren. 2005 wuchs die Zahl der Jobs insgesamt noch um 4000 auf rund 749.000. Vor allem für ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aber suchen viele Unternehmen händeringend nach geeignetem Personal.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) beziffert den Fachkräftemangel in Deutschland aktuell auf 4000. Es gebe zu wenig hoch qualifizierte Informatiker und Ingenieure, sagt VDI-Sprecher Sven Renkel. "Das ist ein Signal, das negativ ist für den Technikstandort Deutschland." Viele Unternehmen würden neben Produktionsstätten auch Forschungs- und Entwicklungsbereiche ins Ausland verlagern oder ausländische Fachkräfte anheuern.

Rohleder sieht wegen des Fachkräftemangels Wachstumspotenziale ungenutzt - etwa in der Biometrie, in der Telematik und der IT-Sicherheit. Vor allem in den Schulen müsse wieder "mehr Lust auf IT-Studiengänge" gemacht werden. Vom "Jahr der Informatik" 2006 verspricht sich Rohleder eine "Aufbruchstimmung".

Eine solche soll wie in jedem Jahr auch die CeBIT verbreiten. Schwerpunkte sind mobile und schnelle Breitband-Zugangswege sowie die RFID-Technik - Minichips zur funkgestützten Erkennung von Objekten. Rund 6300 Unternehmen stellen auf der CeBIT 2006 ihre Produkte aus - in etwa so viele wie im Vorjahr.

Bunt oder Business? - Unternehmen proben auf der CeBIT den Spagat

Die CeBIT mag in Abgrenzung von der nun jährlichen Internationalen Funkausstellung IFA in Berlin auf ihrem Profil als Business-Messe beharren - doch die bunte Welt der digitalen Unterhaltung wird in vielen Hallen auch in diesem Jahr unübersehbar sein. Schließlich sind die Unternehmen der IT-Industrie seit Jahren dabei, die Unterhaltung im Wohnzimmer als neues und lukratives Geschäftsfeld zu erobern.

Große Aussteller wie Microsoft, Intel oder Sharp wollen an ihren Ständen den "Spagat" zwischen Geschäftslösungen und digitaler Unterhaltung bewerkstelligen. Auch wenn beim weltgrößten Software-Konzern Lösungen für Unternehmen im Vordergrund stehen, soll das Thema Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Der "digitale Lifestyle" werde die CeBIT zwar nicht dominieren, davon werde aber viel zu sehen sein, sagte Irene Nadler von Microsoft Deutschland. "Auch die Fachbesucher werden sich in dem Bereich gezielt nach Neuigkeiten umschauen."

Bei Intel wird es nach Angaben von Sprecher Christian Anderka zwar keine kuschelige "Wohnzimmer-Atmosphäre" mehr geben. Dennoch sollten die Besucher an zahlreichen Terminals praktisch erfahren können, wie einfach und unterhaltsam künftig der Umgang mit digitalen Medien sein werde. Am Stand des japanischen Elektronikkonzerns Sharp bleibt die Unterhaltung ebenfalls nicht ausgesperrt. Die ganze Palette der neuen LCD-Fernseher (Flüssigkristall) des Unternehmens werde zu sehen sein, sagte Sharp-Sprecher Martin Beckmann.

Einen Schwerpunkt setzt Sharp aber auch auf neue Technologien und den professionellen Einsatz von Monitoren. Neuartige Displays mit einer Diagonale von 1,65 Metern sorgten derzeit in der Branche für "Gründerzeitstimmung", so Beckmann. Sie sollen sich als digitale Werbefläche nutzen lassen. Sharp gilt als führender Hersteller von LCD-Bildschirmen und investiert auf Grund der boomenden Nachfrage derzeit kräftig in neue Produktionsanlagen.

Microsoft wird auch zur "Business-Messe" CeBIT seine neue Spielekonsole "Xbox 360" mitbringen und sie als heimische "Entertainment-Plattform" für Fotos, Filme und Musik präsentieren. Der Softwaregigant hatte im vergangenen Dezember als erster Hersteller noch vor Marktführer Sony seine Spielekonsole der nächsten Generation in die Läden gebracht. An das High-Tech-Spielzeug können Nutzer ihre Digitalkamera oder den MP3-Player anschließen oder es für den Datenaustausch mit einem Windows-PC verbinden.

Der digitalen Unterhaltung wird auch eine erstmals von Microsoft präsentierte Lösung für das Fernsehen über das Internet-Protokoll gewidmet sein. Über die Internet-TV-Plattform "Microsoft TV IPTV Edition" sollen Internet-Anbieter ihren Kunden personalisierte TV-Angebote offerieren können.

Für Endanwender und Fachbesucher gleichermaßen interessant werden vermutlich die ersten Präsentationen von Microsofts neuem Betriebssystem "Vista" sein. Der lange erwartete Nachfolger von Windows XP wird auf allen Computern des Microsoft-Standes präsent sein, sagt Nadler. Auch die neue Bürosoftware "Office 12" bringt der Software-Riese aus Redmond mit nach Hannover. Die Bürosoftware ist nach Meinung von Chef-Software-Architekt Bill Gates die "wichtigste Veröffentlichung seit 'Office 95'". In der für die zweite Jahreshälfte angekündigten Version sollen zum Beispiel herkömmliche Menüs und Werkzeugleisten durch ein Paket von grafisch gestalteten Symbolen ersetzt werden, die den intuitiven Umgang mit den Werkzeugen erheblich erleichtern sollen.

Auch der weltgrößte Chiphersteller Intel wird neben Unternehmens-Lösungen und Technologien für das Gesundheitswesen einen Schwerpunkt auf die digitale Unterhaltung setzen. Mit über 1000 Quadratmetern Fläche werde der Messeauftritt fast doppelt so groß ausfallen wie im vergangenen Jahr, sagt Intel-Sprecher Anderka. Der Chipriese hatte das Jahr 2006 mit einer milliardenschweren Marketingkampagne im Bereich der Unterhaltungselektronik eingeläutet. Erste Produkte mit dem neuen Logo "Viiv" (gesprochen: weif) sind auch in Deutschland bereits verfügbar. Das Logo soll künftig ausgewählte Unterhaltungselektronik und Computer auszeichnen.

Die wichtigsten CeBIT-Trends im Überblick:

INTERNET: Das weltweite Netz hat unser Leben bereits stark verändert - doch die volle Dimension des Wandels beginnt sich erst abzuzeichnen. Die Internet-Telefonie (VoIP) feiert einen Siegeszug und bringt traditionelle Telekom-Anbieter immer mehr in Bedrängnis. Online-Downloads von Filmen und TV-Sendungen sind der neue heiße Trend und verändern auf lange Sicht das Fernsehverhalten der Zuschauer und den Werbemarkt. Fernsehen aus dem DSL-Kabel könnte die Zukunft sein. Internet-Tagebücher (Blogs), Foto-Alben wie Flickr oder die offene Enzyklopädie Wikipedia machen das Netz zu einem von Menschen belebten sozialen Raum. Unter den Stichwort "Web 2.0" zusammengefasste Technologien lassen Online-Software so schnell arbeiten wie auf dem Computer installierte Programme und Suche und Karten werden personifiziert, lokal und dreidimensional.

KONVERGENZ: Das viel beschworene Zusammenwachsen von Computertechnik und Unterhaltungselektronik ist so greifbar wie noch nie zuvor - die Digitalisierung der gesamten Entertainment-Kette macht es möglich. Medienserver von Computerriesen wie Intel oder Microsoft haben anfängliche Bedienungsschwächen überwunden und sind bereit zum Sprung in den Massenmarkt. Zugleich stecken in vielen traditionell anmutenden Geräten der Unterhaltungselektronik-Hersteller in Wirklichkeit letztlich längst kleine Computer.

RFID: Bis jeder Artikel im Supermarkt ein Funketikett anstelle des Strichcodes haben wird, dürfte es noch 10 bis 15 Jahre dauern. Heute schon ist die RFID-Technik (Radio Frequency Identification) aber trotz aller Kritik von Datenschützern auf dem Vormarsch. Das Prinzip ist einfach: Die hauchdünnen Chips werden kontaktlos ausgelesen und dadurch weiß man immer, wo sich etwas befindet. So werden bereits jetzt nicht nur Waren in Supermärkten, sondern auch Bücher in Bibliotheken, Patienten in Krankenhäusern oder auch Tickets für die Fußball-WM markiert. Zur fernen Zukunftsvision gehören zum Beispiel der intelligente Kühlschrank, der Lebensmittel selber nachbestellt oder die Waschmaschine, die dank RFID-Etiketten selbst das Programm auswählt.

FLASH-SPEICHER: Zunächst wurden die kleinen Chips, die Daten auch ohne Strom gespeichert halten können, zum Beispiel in Mobiltelefonen eingesetzt. Doch als die Kapazität immer größer und die Preise immer niedriger wurden, begann für Flash eine große Karriere. MP3-Player oder die allgegenwärtigen kleinen Speicher-Sticks waren erst der Anfang: Der Speicherhersteller Micron zum Beispiel glaubt, dass es in fünf bis sechs Jahren auch Notebooks mit Flash-Chips statt Festplatte geben wird.

CeBIT sucht Format für "digital living" - Misserfolg droht

Computerwelt und Unterhaltungselektronik wachsen derzeit so eng zusammenwachsen wie nie zuvor, und die weltgrößte IT-Messe CeBIT in Hannover will sich dem nicht entziehen. Mit der Sonderschau "digital living" sollen Verbrauchergeräte für Zuhause ein eigenes Spielfeld auf der offiziell vor allem auf Geschäftskunden ausgerichteten Veranstaltung bekommen. Eine "Erlebniswelt mit Eventcharakter" wird versprochen, eine herstellerübergreifende Schau mit "Lifestyle"-Produkten der Unterhaltungselektronik. Nur: Die Resonanz der Hersteller auf die zeitgleich, aber getrennt zur CeBIT 2006 stattfindende Schau ist bisher bescheiden - die erste Auflage droht ein Flop zu werden.

Seit Jahren bereits diskutieren die Messe-Macher darüber, wie sie auf die zunehmende Vernetzung von klassischer Computerindustrie und Unterhaltungselektronik reagieren sollen. Mit einer "CeBIT Home" für Privatkunden hatte die Deutsche Messe AG vor einigen Jahren Schiffbruch erlitten - das Besucherinteresse war schwach. Zwar zeigen viele Unternehmen massenweise Geräte für die digitale Unterhaltung, aber dann eher am eigenen Stand und die CeBIT ist bisher sowieso vor allem eine Fachbesuchermesse. Zwar kommen auch Computer-Kids in Scharen, doch Konsolen und anderes High-Tech-Spielzeug etwa war vielfach von den seriösen IT-Dienstleistern in den Messehallen gar nicht gern gesehen.

Neuen Druck auf die CeBIT brachte die Entscheidung der Messe Berlin, die Internationale Funkausstellung (IFA) künftig nicht mehr nur alle zwei, sondern jedes Jahr zu veranstalten. Gleich mehrere Aussteller mit großen Namen - wie Philips und E-Plus - bleiben der CeBIT in diesem Jahr ganz fern und ein Gigant wie Sony ist nur mit einer kleinen Auswahl seiner VAIO-Geräte wie Notebook oder Projektoren präsent. Die Deutsche Messe AG reagierte - relativ kurzfristig - mit der Entscheidung, 2006 die "digital living" zu veranstalten. Auf das von dem Fachverlag CMP WEKA in Poing bei München entwickelte Konzept hatte zuvor auch schon die Messe Düsseldorf ein Auge geworfen. Die Schau ist nun in einer eigenen Halle (Halle 27) untergebracht, die Privatbesucher für zehn Euro Eintritt über einen separaten Eingang erreichen. Mit CeBIT-Ticket ist der Eintritt kostenlos.

In der Presse wurde die Sonderschau bereits als "Mini-IFA im Schuhkarton" verspottet. Denn viele namhafte CeBIT-Aussteller und potenzielle Teilnehmer der "digital living" zeigen der neuen Sonderschau die kalte Schulter. "Ohne uns", heißt es etwa beim Branchenriesen Deutsche Telekom. Die Telekom fühle sich auf ihrem CeBIT-Stand "richtig untergebracht", sagt Sprecher Hans-Martin Lichtenthäler. Dort sei das Konzept, alle Geschäftsfelder unter einem Dach darzustellen, am besten realisierbar.

Auch Motorola und Samsung nehmen nicht an der "digital living" teil. Der Schwerpunkt der CeBIT liege "wie gehabt" in den Bereichen IT und Telekommunikation, sagt Hans Wienands, Business Director Consumer Electronics bei Samsung Electronics. Beim Elektronikkonzern Sharp heißt es, in diesem Jahr sei die "digital living" für das Unternehmen zu kurzfristig gekommen. Sharp sei aber grundsätzlich offen für die Sonderschau, sagt Sprecher Martin Beckmann. "Stillstand ist Rückschritt. Man muss mal etwas Neues ausprobieren."

Wie viele und welche Aussteller bereits zugesagt haben, will Messe-Vorstandsmitglied Ernst Raue nicht sagen - und verteidigt zugleich das Konzept der "digital living". Denn für ihn steht die CeBIT 20 Jahre nach ihrer Premiere als eigenständige Messe vor einer Zäsur. "Die Welt hat sich durch die mobile breitbandige Nutzung des Internets völlig verändert", sagte Raue. Die CeBIT werde deshalb neben den klassischen ITK-Lösungen auch weiterhin Anwendungen aus den Bereichen Home-Entertainment und mobile Kommunikation zeigen. Allerdings müsse die Messe die immer stärkere Vernetzung der einzelnen Branchen berücksichtigen, ohne ihren Status als internationale Fachbesuchermesse zu verlieren.

Nach Einschätzung des Hauptgeschäftsführers des Branchenverbandes BITKOM, Bernhard Rohleder, müsse man zunächst abwarten, ob die "digital living" ein Erfolg werde oder nicht. "Wir sind der Überzeugung, dass digitale Consumer Electronics auf die CeBIT gehört." Die "digital living" müsse aber künftig nicht neben der CeBIT stehen, sondern in die CeBIT integriert werden. "Wir müssen dafür sorgen, dass die CeBIT keine regionale Privatkundenmesse wird, sondern eine internationale Fachbesuchermesse bleibt", sagt Rohleder. "Wir sind definitiv nicht dafür, dass die CeBIT ein Rummel wird." (dpa/tc)