In der jüngsten Capgemini-Studie "IT-Trends 2012" ordneten die 156 befragten IT-Entscheidungsträger aus dem deutschsprachigen Raum dem Thema Business-Alignment auf einer Skala von 1 (völlig unwichtig) bis 6 (sehr wichtig) den Wert 5.3 zu. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil es dieser Punkt im vergangenen Jahr nicht einmal unter die "Top Five" geschafft hatte.
Anders die Integration von Standard- und Indivdualsoftware. Ihre Bedeutung wurde heuer ebenfalls mit 5.3 bewertet. Aber schon 2011 lag sie bei 5.0. Wie Capgemini erläutert, handelt es sich hierbei um eine "klassische Sisyphusaufgabe", weil sie jedes Mal aufs Neue unternommen werden muss, wenn das Unternehmen ein neues Geschäftsfeld einsteigt.
Eine Möglichkeit, die Komplexität der Anwendungslandschaft zu verringern, ist eine Service-orientierte Architektur oder SOA. Aber die lässt sich nicht aus dem Boden stampfen. Darüber hinaus stehe schon das nächste Integrationsproblem vor der Tür, so Capgemini: Viele Unternehmen möchten die Daten aus Social Media-Anwendungen auswerten. Dazu müssten sie diese Applikationen aber in ihre Enterpise-Umgebungen integrieren - eine schwierige Aufgabe, da sie ursprünglich nicht dafür geschaffen wurden.
Die Studie
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Wie seit einigen Jahren regelmäßig, so hat Cagemini auch im Oktober 2011 wieder die Tops und Flops der CIOs ermittelt.
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Die Ergebnisse beruhen auf den Antworten von 156 Entscheidungsträgern aus dem Umfeld der IT in Anwenderunternehmen mit 250 Millionen bis 20 Milliarden Euro Jahresumsatz.
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Davon arbeiten 90 in deutschen, 32 in österreichischen und 34 in schweizerischen Unternehmen.
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Darüber hinaus wurden sieben CEOs - meist aus der Finanzdienstleistungsbranche zur IT-Organisation befragt; ihre Angaben flossen als Tendenzaussagen in die Studie ein.
Ordnung ins Datenchaos
Dauerbrenner sind auch die Themen Daten-Qualitäts-Management und Master Data Management, die in diesem Jahr beide mit 4.9 bewertet wurden. Im vergangenen Jahr rangierten sie ebenfalls sehr weit oben: mit einer Wichtigkeit von 4.6 beziehungsweise 4.7. Vor einigen Jahren sei den Unternehmen bewusst geworden, wie viele wertvolle Informationen sie besitzen und welche Wettbewerbsvorteile sie erzielen würden, wenn sie alle Daten verknüpfen könnten, erläutert Capgemini.
Hinzu komme, dass uneinheitliche Daten viele andere Projekte ausbremsten. Folglich bemühten sich die IT-Abteilungen neuerdings verstärkt, Ordnung in ihr Datenchaos zu bringen und die Strukturen zu vereinheitlichen. Derartige Projekte seien allerdings "extrem komplex", aufwändig und personalintensiv.
Master Data Management gewinne auch im Zusammenhang mit Cloud Services Bedeutung, ergänzt Capgemini. Insofern sie die Einstufung dieses Themas unter die Top-Prioritäten keine Überraschung. Unter den fünf wichtigsten IT-Themen findet sich diesmal auch das Enterprise Content Management (ECM) Capgemini führt das auf die steigende Informationsflut - vor allem bei unstrukturierten Daten - und die hohen Anforderungen an Rechtssicherheit und Compliance zurück.
Außer zur Archivierung nutzen viele Unternehmen ECM auch zur Unterstützung und Automatisierung ihrer Prozesse ein. Hier gibt es offenbar gewaltigen Nachholbedarf. Die Hälfte der Befragten implementiert oder plant derzeit eine ECM-Lösung.
Budgets steigen leicht
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Auch nach der Entwicklung der IT-Budgets fragte Capgemini die 156 Teilnehmer an der Trendstudie.
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Demnach rechnen 38 Prozent der IT-Abteilungen damit, dass sie in diesem Jahr mehr Geld zur Verfügung haben werden als 2011; im Vorjahr waren es nur 35 Prozent.
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Allerdings sind 23 Prozent auf Kürzungen vorbereitet; das sind zwei Prozentpunkte mehr als 2011.
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Der größte Teil der Budgets, genauer gesagt: 71 Prozent, fließt in den laufenden Betrieb.
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Für Innovationen bleiben durchschnittlich etwa 22 Prozent der Budgets, von denen ein Drittel in die Evaluierung neuer Techniken und zwei Drittel in die Beschaffung und Umsetzung der Projekte investiert werden.
Pflegeaufwand und Reibungsverluste
Zwei der fünf Themen, die von den Studienteilnehmern als besonders wichtig für die Zukunft des Unternehmens erachtet wurde, leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Effizienz des IT-Betriebs. Eine gut integrierte Anwendungslandschaft und die reibungslose Zusammenarbeit zwischen IT- und Fachbereich landeten hier auf den Plätzen zwei (mit einem Wert von 5.3) beziehungsweise drei (5.2) der Prioritätenliste.
Die Anwendungsintegration senkt den Entwicklungsaufwand und vereinfacht die Pflege der Geschäftsprozesse, so lautet der Capgemini-Kommentar. Dass das Thema an zweiter Stelle genannt werde, belege, wie viel Aufwand eine schlecht integrierte Anwendungslandschaft verursache. Business-IT-Alignment hingegen mache den IT-Betrieb effizienter, indem es helfe, den Mehraufwand zu vermeiden, der durch unklare Absprachen oder kostenintensive Sonderwünsche der Fachabteilung erzeugt werde.
Passend dazu gilt auch das Application Lifecyle Management als wichtig für die IT-Effizienz - mit einem Wert von immerhin 5.1. Hier geht es darum, dass Software nicht nur eingeführt und betrieben, sondern irgendwann auch abgeschaltet werden muss. Wer diesen Aspekt vernachlässigt, wird viel Geld für die Pflege aller Anwendungen aus dem Fenster werfen - und gleichzeitig mit einer unflexiblen, schlecht integrierten und nicht besonders effektiven IT-Landschaft leben müssen.
Virtualisierung fördert die IT-Effizienz
Aber am wichtigsten für die Effizienz des IT-Betriebs ist ein anderes Thema: Mit einem Wert von 5.8 unangefochten an der Spitze liegt die Virtualisierung. Capgemini hält die Gründe für "offensichtlich": Die Technologie bringe Kostenvorteile, senke den Administrationsaufwand und verbessere die Auslastung der Hardware.
Es handelt sich hier übrigens keineswegs um einen Senkrechtstarter. Vielmehr gilt die Virtualisierung schon seit Jahren als das Mittel der Wahl, um die Komplexität der IT-Landschaft in den Griff zu bekommen und die Betriebskosten zu senken. Wie Capgemini ergänzt, hat mittlerweile auch schon fast jedes Unternehmen zumindest Teile seiner Infrastruktur virtualisiert.
Die Tops und Flops des Jahres
Public Cloud unter den Flops des Jahres
Neben den Top-Themen ermittelt Capgemini jedes Jahr auch die Flops, also die Trends, die entweder noch nicht in den Unternehmen angekommen oder schon wieder überholt sind. Manche interessante Technologie lande auch auf einem hinteren Platz, weil die breite Masse sie nicht benötige, räumt das Beratungs- und Serviceunternehmen ein.
Zu den Technologien, die trotz ihres Potenzials erst einmal am Ende der Liste stehen, zählt Capgemini Mashups. Darunter ist die Integration von Informationen aus fremden Quellen, beispielsweise Tabellen oder Präsentationen, in das hauseigene Web-Angebot zu verstehen. Von den Studienteilnehmern wird diese Technik allerdings noch nicht als zukunftsweisend erachtet.
Unter den Flops findet sich aber auch ein Trend, der von der Anbieter- und Analystenseite gehypt wurde und immer noch wird: Im Gegensatz zur Private Cloud gilt die Public Cloud den IT-Entscheidern als No-go-Area - jedenfalls so lange, bis die offenen Sicherheitsfragen beantwortet sind. Das gilt auch für einzelne Cloud-Angebote wie beispielsweise "Google Apps".
Auch die Blog-Technologie ist nach Ansicht der Befragten eher unwichtig für die Zukunftssicherung des Unternehmens. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um externe Blogs oder internes Microblogging handelt.
Die Aufsteiger des Jahres
Wie schon erwähnt, unterscheiden IT-Entscheider scharf zwischen der Internet-Wolke und der Private Cloud in einem kontrollierten Umfeld. Viele Unternehmen arbeiten derzeit an eigenen Cloud-Strukturen, bestätigt Capgemini. Auf diese Weise ließen sich viele der mit der Public Cloud verbundenen Sicherheitsprobleme umgehen und die Anforderungen des Gesetzgebers beziehungsweise der Aufsichtsbehörden erfüllen. Die so gesammelten Erfahrungen könnten die Betriebe später für die Auswahl eines Cloud-Anbieters nutzen - für den Fall, dass sich die Public Cloud irgendwann doch als Modell der Zukunft herausstellen werde.
Zu den "Aufsteigern des Jahres" zählt aber auch das Thema Social Media. Laut Capgemini hat sich die Einstellung der IT-Verantwortlichen hierzu seit der vorangegangenen Befragung spürbar verändert. Vor zwölf Monaten noch sei der gesamte Social-Media-Bereich "als mehr oder weniger überflüssig eingestuft" worden. Mittlerweile lägen Social Media Analysis und Social Media Integration aber gut im Rennen. Offenbar hätten viele Unternehmen im Laufe des vergangenen Jahres angefangen, die sozialen Medien zu nutzen; 43 Prozent der CIOs gaben an, sich mit Social Media-Integration zu beschäftigen, und knapp 32 Prozent wollen eine Analyselösung für soziale Medien implementieren.
Wie die Autoren der Studie hinterherschicken, ist diese Entwicklung sinnvoll, weil sich mit der frühen Einbindung der Social Media in die IT die Fehler vermieden ließen, die seinerzeit beim Aufbau der Unternehmensportale gemacht wurden, sprich: Datenwildwuchs und Datensilos, die zu bereinigen und aufzulösen im Nachhinein sehr aufwändig seien.
Die To-do-Liste für 2012
Was haben sich die CIOs für das laufende Jahr vorgenommen? Die Liste der geplanten Projekte weist sowohl Innovationen als auch Vorhaben zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung auf. Zu den Innovationsprojekten zählen die Entwicklung mobiler Anwendungen, das Aufsetzen von Plattformen für die Einbindung von Kunden in Produktentwicklung und -verbesserung sowie die Auswertung unstrukturierter Daten. Etwa jeder zweite Studienteilnehmer gab an, hier etwas in der Pipeline zu haben.
Nach wie vor steht aber Identity- und Access-Management ganz oben auf der To-do-Liste. An diesem Thema wurde, so Capgemini, schon im vergangenen Jahr "mit Hochdruck" gearbeitet. Jeder neue Skandal mache den Unternehmen jedoch bewusst, dass sie Datenschutz und die Zugriffskontrolle gar nicht wichtig genug nehmen können. Zudem entstünden ständig neue Sicherheitslücken, die geschlossen werden müssen.
Probleme hinsichtlich der Zugriffs-Managements bereiten offenbar vor allem SaaS-Lösungen (Software as a Service), die außerhalb der Unternehmensinfrastruktur gehostet werden. Auch Social-Media-Anwendungen sind kritisch, weil sie meist nicht für den Einsatz im Unternehmen konzipiert sind und kaum ein übergreifendes Identity- und Access-Management unterstützen.
Knapp 29 Prozent der Befragten wollen in diesem Jahr das Byod-Modell (Bring your own Device) ausprobieren. Auf diese Weise soll den Mitarbeitern ermöglicht werden, mit privaten Smartphones oder Notebook auf das Firmennetz zuzugreifen.
Ein Thema im Aufwind ist auch die InMemory-Technolgy. Elf Prozent der Studienteilnehmer planen bereits Projekte, die mit dieser Datenbanktechnik operieren, obwohl es sich um eine sehr junge Technologie handelt. Offenbar ist die Aussicht auf eine enorme Beschleunigung der Datenbankoperationen Anreiz genug für Pilotprojekte. Schnellere Informationen bedeuten schließlich mehr Entscheidungssicherheit und sind damit ein Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen.
COMPUTERWOCHE-Kommentar: Nicht "Everybody's Depp"
Derzeit befinden sich die IT-Verantwortlichen in einer schwierigen Phase, schreibt das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Capgemini in seinem diesjährigen IT-Trendbericht. Die CIOs seien quasi hin- und hergerissen zwischen der Aufforderung, das Unternehmen strategisch zu unterstützen, und der Pflicht, die Wünsche der Fachabteilung zu erfüllen, weil diese ja in vielen Fällen die Projekte finanzieren.
Diese beiden Aufgaben laufen keineswegs auf Dasselbe hinaus. Häufig sogar im Gegenteil. Wie jeder erfahrene CIO weiß, ergeben die Anforderungen der Fachbereiche bisweilen weder aus Sicht der IT noch im Hinblick auf die Interessen des Unternehmens einen Sinn; vielmehr kosten sie oft unnötig viel Geld. Als Beispiel nennt Capgemini die Anpassung von Standardsoftware über das absolut Notwendige hinaus, weil nun einmal jede Modifikation am Standard hohen Pflegeaufwand nach sich ziehe.
Deshalb gibt es in erfolgreichen Unternehmen auch ein Projektportfolio-Management mit einem Freigabeprozess nicht nur für neue Vorhaben, sondern auch für Änderungen am Anwendungsbestand. Ungeachtet der Frage, von wessen Budget das Projekt bezahlt wird, muss erörtert werden, ob beziehungsweise inwiefern der jeweilige Anspruch berechtigt ist und was es für das Gesamtunternehmen bedeutet, wenn er erfüllt wird.
Der IT öffenet sich damit ein Ausweg aus der Zwickmühle. Sie braucht nicht länger den Erfüllungsgehilfen für die Fachbereiche zu geben. Oder wie es ein CIO kürzlich formulierte: "Wir sind doch nicht Everybody‘s Depp." Und sie ist auch nicht mehr der Buhmann, wenn sie es ablehnt, ein Vorhaben umzusetzen, das technisch aufwändig und wirtschaftlich unrentabel ist. Vielmehr kann sie sich um ihre eigentliche Aufgabe kümmern: die Business-Strategie des Unternehmens, für das sie arbeitet, bestmöglich in der IT-Strategie abzubilden - letztlich ja auch zum Wohl der Fachbereiche.
Karin Quack