"Wall Street Journal"

Bundesregierung erwägt digitale Hürden für US-Anbieter

03.11.2014 von Thomas Cloer
Die Bundesregierung arbeitet einem Medienbericht zufolge an einem neuen Gesetz zur Internet-Sicherheit, das US-Unternehmen aus der deutschen Digitalwirtschaft ausschließen könnte.

Das berichtet das "Wall Street Journal" und sieht darin Anzeichen, dass Berlin damit beginne, aus den Snowden-Enthüllungen zur NSA-Spionage wirtschaftliche Vorteile erzielen zu wollen. An dem Entwurf werde noch gearbeitet, heißt es weiter. Vorstellbar sei aber etwa, dass Unternehmen, die Behörden oder Firmen aus sicherheitsrelevanten Industrien - nach Einschätzung des Bonner Informatik-Professors Hartmut Pohl "jeder wichtige Wirtschaftsbereich, der sich über einen Computer hacken lässt" - Informationstechnologie verkaufen wollten, Einblick in ihre Quellcodes oder andere proprietäre Daten gewähren müssten.

Das lässt offenbar in den Chefetagen vieler US-Anbieter bereits die Alarmglocken schrillen, ist doch Deutschland mit knapp 140 Milliarden Euro Volumen der größte ITK-Markt in Europa und ein wichtiger Markt für Branchenschwergewichte wie Citrix, IBM, Microsoft oder Oracle. "Wir können nicht offen für Angriffe auf unsere Wirtschaft sein", zitiert die Zeitung den SPD-Abgeordneten Gerold Reichenbach. Das geplante Gesetz werde "helfen, Spionage zu verhindern, egal woher sie kommt".

Andreas Povel vom Wirtschaftsverband American Chamber of Commerce in Germany kündigte an, US-Technologiefirmen finalisierten gerade ein Positionspapier, das den Gesetzentwurf kritisiere. Deutsche Politiker sollten es sich zweimal überlegen, bevor sie die Internet-Sicherheit "nationalisierten", das "Land könne dadurch technologisch ins Hintertreffen geraten", drohte der Lobbyist relativ unverhohlen.

Eine Stoßrichtung des Gesetzesentwurfs ist auch das Thema Datenhoheit; hier denkt die Bundesregierung offenbar auch darüber nach, für deutsche Internet-Daten eine inländische Speicherung vorzuschreiben. Speziell für Cloud-Anbieter, deren Geschäftsmodell nicht zuletzt darauf basiert, dass sie Daten überall über den Globus verteilt unterbringen können, würde das zum Teil nicht unerhebliche Herausforderungen bedeuten.

Die Lehren aus der NSA-Affäre
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."

Der Public-Cloud-Gigant Amazon Web Services (AWS) etwa hat gerade erst angekündigt, zwei Rechenzentren auf deutschem Boden und eine entsprechende Availability Zone einzurichten. Microsoft hingegen hat für sein Office 365 bislang nur ein Data Center in Irland - und auf Daten dort wollen US-Behörden Zugriff (darüber streitet der Konzern gerade vor US-Gerichten). Auch die IBM kann bis dato noch kein SoftLayer-RZ auf deutschem Boden vorweisen.