Interview mit Marika Lulay, ab Juni 2017 CEO von GFT Technologies

Blockchain wird die Bankenwelt verändern

02.05.2017 von Heinrich Vaske
Mit einem starken Fokus auf die Finanzbranche ist das von Ulrich Dietz gegründete Beratungshaus GFT auf weltweit fast 5000 Mitarbeiter herangewachsen. Ab Juni 2017 übernimmt Marika Lulay den Chefsessel. Sie sieht große Herausforderungen auf die Bankenwelt zukommen.
  • Banken müssen sich entscheiden, wie sie sich spezialisieren wollen. Für Allrounder wird die Luft dünner
  • FinTechs tun den Banken weh, aber sie erschüttern nicht deren Fundament
  • Schon heute ist erkennbar, wie die Blockchain übergreifende Bankenprozesse vereinfacht

Die GFT SE hat ihren Geschäftsschwerpunkt in der Bankenwelt. Diese Branche ist aber in den vergangenen Jahren durch die Finanzkrise und deren Folgen massiv unter Druck geraten. Sie erinnern sich sicher an den Deutsche-Bank-Chef John Cryan, der zu seinem Amtsantritt die IT-Infrastruktur seiner Bank als eines der Kernprobleme ausmachte.

Marika Lulay verantwortet als COO das operative Geschäft des auf Banken und Versicherungen spezialisierten IT-Beratungsunternehmens GFT Technologies SE in Stuttgart. Zum 1. Juni 2017 wird Lulay von Unternehmensgründer Ulrich Dietz den Vorstandsvorsitz übernehmen. Dietz wird dann Sprecher des Aufsichtsrats.
Foto: GFT Technologies SE

Marika Lulay: Cryans These war, dass die IT-Infrastruktur der Deutschen Bank zu komplex geworden sei. Das liegt unter anderem daran, dass es sich hierbei um eine große Universalbank handelt, die mit ihren IT-Systemen alle Formen von Bankgeschäften abdecken muss. Sie muss außerdem den Regularien in sämtlichen Ländern genügen - allein das ist schon eine riesige Herausforderung. Das gilt vor allem im Vergleich mit einem Spezialinstitut, das entweder weniger Märkte adressiert oder nicht so viele Bankdienstleistungen anbietet.

Folge der Finanzmarkt-Krise: mehr Komplexität

Mit Komplexität müssen aber auch andere große Allround-Banken umgehen.

Lulay: Man muss die Gesamtsituation der Branche betrachten. Alle Banken sind nach der Finanzmarkt-Krise nahezu gleichzeitig mit zwei Themen konfrontiert worden: einer beispiellosen Regulierungswelle, die dazu führte, dass sehr viele Systeme erschaffen, Daten gesammelt und Reports angefertigt werden mussten - wiederholbar und nachvollziehbar. Das hat die Komplexität der Systeme weiter erhöht. Hinzu kam der wachsende Kostendruck, der notwendige Investitionen in neue Systeme erschwerte. Dabei ist heute klar, dass die Systeme schlanker, schneller, besser werden müssen. Einige Banken sind das Thema früher angegangen, andere etwas später - das hing auch davon ab, unter welchem Druck sie standen.

Was bedeutet dieses Marktumfeld für Sie als GFT?

Lulay: Für uns als Dienstleister war das nicht die schlechteste Ausgangslage. Wir haben den Banken zunächst geholfen, die Regulierungen zu implementieren und jetzt helfen wir ihnen, das Thema Digitalisierung voranzutreiben, beispielsweise mithilfe von Microservices oder API-Plattformen.

Es läuft auf die Microservices-Architekturen hinaus

Gibt es eine Art Zielarchitektur für die Banken? Cloud-first, Microservices, Legacy-Welt, Innovationsthemen - den Umbau zu managen und klar zu identifizieren, wohin man eigentlich will, scheint nicht ganz einfach.

Lulay: Was vor ein paar Jahren die Serviceorientierte Architektur (SOA) war, ist heute die Mircoservices-Architektur - sie ist sozusagen eine Spezialisierung der SOA: Sie macht die Systeme flexibler, erhöht aber auch die Komplexität, weshalb es wichtig ist, sie durch entsprechende API-Management-Plattformen zu überwachen. Die Microservices-Architektur kann man durchaus als Zielarchitektur bezeichnen.

Gleichzeitig gilt es, die eigenen Systeme im Sinne des Lift-and-Shift-Ansatzes in die Cloud zu bringen. Die Migration an sich ist relativ einfach, denn die Datenbank und Anwendungen werden nahezu unverändert in die Cloud gehoben. Im Anschluss stellen die Beteiligten jedoch meistens fest, dass nun in Performance- und Skalierungsthemen investiert werden muss, damit in der Cloud alles reibungslos funktioniert.

Wie bringen Sie Ihre Kunden in die schöne neue Microservices-Welt?

Lulay: Wir müssen unsere Kunden dort abholen, wo sie sind - und das ist nicht die grüne Wiese. Wir transferieren Schritt für Schritt und Applikation für Applikation. Unsere Kunden identifizieren zum Beispiel 300 oder 400 Applikationen, die dann verändert werden müssen. Die Vorgehensweisen dabei sind ganz unterschiedlich. Die einen renovieren erstmal ihre Architektur, die anderen gehen Customer Journey für Customer Journey vor und modernisieren bei der Gelegenheit auch ihre Architektur. Kurz gesagt: Der eine baut erstmal das Fundament neu, der andere orientiert sich an der Customer Journey. Die Idee ist am Ende die gleiche.

Die Funktionsweise von Blockchain
Blockchain
Blockchain wird in den kommenden Jahren zur Schlüsseltechnologie in der IT werden.
(1) Transaktion
Die Transaktion ist die elementare Grundeinheit der Blockchain. Zwei Parteien tauschen Informationen miteinander aus. Dies kann der Transfer von Geld oder Vermögenswerten, der Abschluss eines Vertrags, eine Krankenakte oder eine Urkunde sein, die digital gespeichert wurde. Transaktionen funktionieren im Prinzip wie das Versenden von E-Mails.
(2) Verifizierung
Die Verifizierung prüft, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für die Transaktion hat. Die Prüfung erfolgt augenblicklich oder es wird in eine Warteschlange geschrieben, die die Prüfung später durchführt. An dieser Stelle werden Knoten, also Computer oder Server im Netzwerk, eingebunden und die Transaktion verifiziert.
(3) Struktur
Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, wobei diese mit einer Hash-Funktion als Bit-Nummer verschlüsselt werden. Die Blöcke können durch die Zuweisung des Hash-Wertes eindeutig identifiziert werden. Ein Block enthält einen Header, eine Referenz auf den vorhergehenden Block und eine Gruppe von Transaktionen. Die Abfolge der verlinkten Hashes erzeugt eine sichere und unabhängige Kette.
(4) Validierung
Bevor die Blöcke erzeugt werden, müssen die Informationen validiert werden. Das am meisten verbreitete Konzept für die Validierung von Open-Source-Blockchains ist das „Proof of Work“-Prinzip. Dieses Verfahren stellt in der Regel die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe durch den Nutzer beziehungsweise dessen Computer dar.
(5) Blockchain Mining
Der Begriff Mining stammt aus der Bergbau und meint das „Schürfen“. Bei diesem Vorgang wird der Block erzeugt und gehasht. Um zum Zug zu kommen, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen. Wer als Erstes die Lösung hat, wird als Miner akzeptiert. Der Miner erhält für seine Arbeit ein Honorar in Form von Kryptowährung (Bitcoin).
(6) Die Kette
Nachdem die Blöcke validiert wurden und der Miner seine Arbeit verrichtet hat, werden die Kopien der Blöcke im Netzwerk an die Knoten verteilt. Jeder Knoten fügt den Block an der Kette in unveränderlicher und unmanipulierbarer Weise an.
(7) Verteidigung
Wenn ein unehrlicher Miner versucht, einen Block in der Kette zu ändern, so werden auch die Hash-Werte des Blockes und der nachfolgenden Blöcke geändert. Die anderen Knoten werden diese Manipulation erkennen und den Block von der Hauptkette ausschließen.

Architektur oder Customer Journey?

Engagiert man nicht eine GFT, damit die einem diese Entscheidung abnimmt?

Lulay: Selbstverständlich, doch es gibt eben keinen Königsweg. Entscheidend ist immer, wie die Bank sich positionieren will. Sie kann zum einen entweder Produktanbieter sein oder zum anderen Abwickler von Finanztransaktionen über eine Service-Plattform. Es gibt sogar eine dritte Möglichkeit, bei der die Bank sagt: 'Ich besetzte die Kundenschnittstelle und kaufe mir Banking-Services im Backend ein!' Das sind große Unterschiede, die differenzierte Herangehensweisen erfordern: Konzentriert man sich auf die Customer Journey oder kümmert man sich zunächst um die Architektur?

Wie stellt sich eine GFT auf, um diesen verschiedenen Kundeninteressen gerecht werden zu können?

Lulay: Wir arbeiten mit Client Units, die einen oder mehrere Kunden betreuen können. Das sind kleine Einheiten mit sechs bis sieben Leuten auf Senior-Level. Sie verstehen den Kunden, kennen seine Ziele und Vorhaben, seine Budgetplanung und die Denkweise des Managements. Im Hintergrund werden sie von unseren Consultants unterstützt, das sind Programmierer, Architekten, Programmleiter etc. Diese sind weltweit in sogenannte Professional-Services-Units aufgeteilt, die sich wiederum in Practices aufsplitten - und zwar nach technischen Kompetenzen und fachlichen Themen. Wenn jetzt eine Client Unit sagt: Mein Kunde möchte etwas zum Thema Architektur machen, kann sie sich aus den Professional Services Units weltweit ein Team zusammenstellen, das die nötige Kompetenz mitbringt.

Wie austauschbar sind die Leistungen, die Sie weltweit erbringen? Die Märkte sind unterschiedlich, die regulatorischen Anforderungen erst recht.

Die Blockchain-Technologie wird sich aus Sicht von Marika Lulay disruptiv auf die internationalen Finanzmärkte auswirken. In den FinTechs sieht sie eher keine grundsätzliche Bedrohung.
Foto: GFT Technologies SE

Lulay: Fachlich gibt es große Übereinstimmungen, aber auch Differenzen - ein Kontoeröffnungsprozess in Brasilien folgt anderen Autorisierungsvorschriften als in Deutschland. Aber im Grundsatz funktioniert vieles ähnlich und unsere Mitarbeiter, die auf diese Branche spezialisiert sind, verstehen schnell, was übernommen werden kann und was individuell entwickelt werden muss. Um beim Beispiel zu bleiben: Die Details zur Problematik bei der Kontoeröffnung in Brasilien müssen vom lokalen Team kommen. Deshalb ist es so wichtig für uns, unsere fast 5000 Mitarbeiter global verteilt einzusetzen, nur so können wir die lokalen Besonderheiten verstehen. Die Technologie dahinter ist weniger problematisch. Ob sie jetzt mit einer Atlassian-Suite arbeiten oder mit irgendwelchen IBM-Tools, folgt im Prinzip dem gleichen Schema.

FinTechs knabbern an der Wertschöpfungskette

In der Digitalisierung stehen alle Branchen unter Druck, auch die Banken, deren Wertschöpfungsketten durch die FinTechs angeknabbert werden. Wie bedrohlich sind die Startups für alteingesessene Finanzinstitute?

Lulay: Anknabbern ist ein hervorragendes Sinnbild. Die meisten FinTechs bieten keine End-to-End-Services an, sondern nehmen sich Teile der Wertschöpfungskette heraus. Viele von ihnen machen das gut. Sie haben den Banken vorgeführt, wie man bessere, kundennähere Dienstleistungen erbringen kann. Doch das Anknabbern tut den Banken nur ein bisschen weh, es erschüttert sie nicht in ihrem Fundament - auch, wenn es zeigt, wo sie im Detail besser werden können. Übrigens kommt die wahre Bedrohung meiner Ansicht nach nicht von FinTechs, sondern von großen Tech-Unternehmen.

Abgesehen von der Konkurrenz ist das eigentliche Problem hausgemacht: Die Bankenwelt krankt oft an ihren eigenen Prozessen. Diese könnten zum Großteil einfacher, schneller und intelligenter aufgesetzt werden - und darin steckt richtig viel Geld. Banken haben heute eine Cost-Income-Ratio-Quote von bestenfalls 70 Prozent. Oberhalb der Grenze von 80 Prozent wird es langsam problematisch. Wir haben einige Kunden, die auf 50 Prozent kommen wollen. Sie glauben, dass zehn Prozent alleine durch Digitalisierungsinstrumente erreichbar sind, beispielsweise durch Prozessautomatisierung und Künstliche Intelligenz.

Ein Kernproblem besteht also darin, dass viele Banken immer noch alles wollen. Sie möchten die Kundenschnittstelle besetzen und investieren deshalb in die Customer Journey. Sie wollen ihre internen Prozesse automatisieren und investieren dort. Und sie denken daran, als Plattformbetreiber zu agieren und investieren deshalb in APIs und neue Architekturen. Die wenigsten werden es allerdings schaffen, alles zu machen. Zukünftig werden wir eher verschiedene Banktypen sehen, auch wenn heute noch keine der großen Banken bereit ist, den Allrounder-Anspruch aufzugeben.

Kann man überhaupt Banking-Services anbieten, ohne die Kundenschnittstelle zu kontrollieren?

Lulay: Durchaus, es gibt da auch ein ganz prominentes Beispiel hier in Deutschland: das O2-Konto. Der Mobilfunk-Carrier bietet seinen Kunden ein Bankkonto an, ist aber keine Bank und hat auch keine Banklizenz. O2 bedient sich der Plattform-Services der Fidor Bank. Die macht die Abwicklung, der Endkunde kennt diese Bank im Zweifel gar nicht. Er bekommt auch keine Zinsen ausgezahlt, sondern wird in Datenvolumen bezahlt.

Man muss heute also keine Bank sein, um ein Konto anzubieten. Im Hintergrund brauchen Sie aber immer ein Institut mit einer Banklizenz. Ein weiteres Beispiel für einen Anbieter der ohne Kundenschnittstelle agiert ist die Solaris-Bank, sie ist ausschließlich eine Plattform.

Tech-Riesen könnten die Bankenwelt entdecken

Sie haben angedeutet, dass die großen Tech-Konzerne die eigentliche Bedrohung für Banken werden könnten. Wie meinen Sie das?

Lulay: Bisher beschränken sich die Technologieriesen darauf, die Werkzeuge zur Verfügung zu stellen: Cloud-Lösungen, Apps, Plattformen, Algorithmen. Solange sie damit höhere Gewinnmargen erzielen als mit regulierten Bankgeschäften, wird das auch so bleiben. Aber irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt, an dem die Marge im eigenen Kerngeschäft nicht mehr attraktiv genug ist. Dann werden sich die Tech-Riesen auf andere Branchen ausbreiten, auch auf die Bankenwelt.

Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook werden von nahezu jeder Branche als potenzielle Bedrohung angesehen, obwohl sie ihre angestammten Technologiemärkte nie verlassen haben. Warum traut man ihnen die Kompetenz zu?

Lulay: Wir sollten den Blick nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten richten. Schauen Sie sich an, wie tief Alibaba mit Services wie AliPay und AliBank bereits in das klassische Bankengeschäft eingestiegen ist. Diese IT-Provider, auch Apple oder Google, können ihre Kunden einfach dazu bringen, ein bargeldloses Bezahlverfahren zu verwenden, indem sie es flächendeckend ausrollen und ihren Größenvorteil ausspielen.Unsere Banken müssten sich erst Gedanken über ihre Geldautomaten und Filialnetze machen. Die Silicon-Valley-Riesen können diesen Schritt übergehen. Sie haben wenig Komplexität und sie wissen, wie man mit Milliarden von Endkunden umgeht. Sie haben ihren Kunden außerdem beigebracht, dass ein unfertiges Produkt kein Problem darstellt. Außerdem haben sie unmittelbaren Zugriff auf die Daten ihrer Kunden. Wie viele Industrien arbeiten sonst noch direkt mit ihren Endkunden? Die IT-Konzerne haben ihre Kunden ganz anders im Griff.

Die Banken könnten ja endlich einmal vernünftig zusammenarbeiten, um beispielsweise Verfahren wie Paydirekt oder Giropay wirklich flächendeckend voranzubringen…

Lulay: Tatsächlich arbeiten sie in vielen Konsortien bereits zusammen, wir sehen das beispielsweise beim Thema Blockchain. Doch solange jede Bank noch denkt, sie können alle drei Spielfelder besetzen, werden sie weiterhin allenfalls taktisch kooperieren. Sie nehmen dann zwar an Konsortien teil, wollen aber eigentlich nur wissen, was dort passiert und nicht die Dinge wirklich vorantreiben.

Banken flexibilisieren ihre Architekturen

Das klingt nicht so, als hätten die Banken wirklich die Herausforderungen durch die Digitalisierung verstanden.

Lulay: Die Banken wissen, dass sie ihre Architekturen flexibilisieren müssen. Vor ein paar Jahren haben sie noch gesagt: Ich gründe einfach eine kleine, innovative Digitalbank außerhalb meiner Systeme. Dann guck ich mal, was passiert - an die Bank 24 erinnern Sie sich bestimmt. Es geht aber nicht darum, eine kleine Digitalbank am Rande hochzuziehen. Es geht darum, die eigenen IT-Systeme Digitalbankfähig zu machen. Diese Erkenntnis hat sich jetzt durchgesetzt.

Die Banken wissen auch, dass sie sich insgesamt anders aufstellen müssen, um auf einem der drei Spielfelder gewinnen zu können. Wenn sie Allrounder bleiben wollen, müssen sie ihre IT-Architektur sogar so flexibilisieren, dass sie alle Geschäftsmodelle angemessen abbilden können. Für die einen Geschäftsvorfälle agieren sie dann als Produktanbieter, für andere als der Endkundenanbieter. Eine Bank müsste dann eben nicht entscheiden, sie mache generell keinen Endkundenservice mehr, sie könnte sagen: Wir machen das nur noch in bestimmten Bereichen. Oder sie entwickelt Produkte nur noch in bestimmten Bereichen selbst und kauft sie ansonsten woanders ein.

Können die Banken mit den organisatorischen Herausforderungen umgehen, die durch neue Architekturen, agile Projektmethoden, DevOps-Konzept etc. entstehen?

Lulay: Sie können das weitgehend, ja. Wenn sie sich für Agile und DevOps entscheiden und das Team im Haus haben, ist das ja auch ein klarer Fall. Spannend wird es, wenn sie das über mehrere Zeitzonen hinweg mit Remote-Teams umsetzen möchten. Das ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Wir haben unsere Projekt-Management-Methodik angepasst, weil wir als Dienstleister vergleichbare internationale Projekte ganz anders überwachen.

Welche Herausforderungen ergeben sich dabei für Sie als Dienstleister?

Lulay: Das Thema Change Request ist bei agilen Verfahren sehr interessant. Was ist jetzt noch ein Change Request und was war im Scope, wenn Sie in Sprints vorgehen? Der Produktkatalog muss flexibel angepasst werden. Wir haben lernen müssen, wie wir Festpreise, SLAs, mit agiler Projektmethodik und DevOps verheiraten können. Der Kunde muss ja auch aus Sicht der Einkaufsabteilung, der Audit-Committees oder der Compliance-Stellen, die das alles überwachen müssen, sagen können: 'Wir haben unsere Dienstleister im Griff, wir können kontrollieren, was er liefert.' Das ist im Zuge der neuen Methoden nicht mehr so ganz einfach. Da hinkt auch unser Rechtsrahmen hinterher, er bildet das nicht ab.

Analytics und AI werden selbstverständliche Themen

Die Architektur ist das eine, aber echte Innovationen gehen eher von neuen Technologien wie Analytics, Artificial Intelligence oder Blockchain aus. Sind das Themen, die Ihre Teams automatisch mit aufnehmen und anbieten?

Lulay: So weit ist es noch nicht. Das sind spannende Themen, alle Kunden reden darüber. Aber nur wenige gehen es richtig konzentriert an. Wir haben kleine Teams gebildet, wir nennen das Ring Fenced Practice. Da sitzen unsere Spezialisten drin, die sich mit Data Analytics, Artificial Intelligence oder auch Robot Advisory beschäftigen. Diese Mitarbeiter werden als Spezialisten zu den Kundenprojekten hinzugezogen.

In fünf bis sechs Jahren wird das genauso ein Querschnitts-Know-how sein wie heute Java oder Cobol, aber heute ist es noch Spezialwissen. Bei Data Analytics ist es ja eine Sache, die Tools zu beherrschen, mit denen man die Daten aggregiert, und eine andere, mit welchen Tools man die gewünschten Informationen aus den Data Lakes herauszieht oder mit welchen KI-Produkten man sie vorsortieren lässt. Die alles entscheidenden Fragen müssen aber unsere Kunden beantworten: Wie interpretiere ich die Daten und welche Produkte mache ich draus? Dieses Übersetzen in neue Bankprodukte müssen die Kunden leisten. Wir können ihnen höchstens sagen: Diese oder jene Bank hat das so oder so gemacht - vorausgesetzt, wir dürfen darüber reden.

Blockchain ist eine disruptive Technologie

Als eines der ganz wichtigen Zukunftsthemen gilt die Blockchain - auch in der Bankenwelt. Sind die Erwartungen übertrieben?

Lulay: Ich halte die Blockchain tatsächlich für eines der größten disruptiven Themen. Wir sehen viele Proof of Concepts und erste Anwendungsfälle, aber insgesamt sind wir noch in der Hype-Phase. Es dauert auch bestimmt noch ein paar Jahre, bevor es so richtig losgeht. Aber die Prozesskosten-Einsparungen, die sich mit dieser Technologie erreichen lassen, sind signifikant. Selbst wenn Sie das schlecht rechnen, haben Sie immer noch einen Faktor von eins zu drei. Wir haben das in mehreren Machbarkeitsstudien bewiesen.

Wenn man sich nun vorstellt, dass ganze abteilungs-, unternehmens- und grenzüberschreitende Prozesse durch diese Blockchain-Technologie vollständig automatisiert werden, dass Vermittler wegfallen, die Geld kosten, dann ist einfach klar, dass die Kosten unglaublich sinken werden. Und es werden viele handelnde Einheiten oder Beteiligte aus den Prozessketten herausgenommen. Das ist wahrhaft disruptiv, nicht inkrementell.

Nennen Sie ein Beispiel: Welcher klassische Bankenprozess lässt sich durch die Blockchain automatisieren?

Lulay: In unserem "Emerald"-Projekt haben wir mit der Royal Bank of Scotland den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr von verschiedenen Währungen ohne zentrales Clearing umgesetzt. Die Anforderung war, das genauso schnell hinzubekommen wie mit einem zentralen Clearing. Anders gesagt war das Ziel des Emerald Performance Testings 100 Transaktionen pro Sekunde in das System zu bringen (ausreichend für ein Zahlungssystem auf nationaler Ebene) und zwar in einer Umlaufzeit von 25 Sekunden (ausreichend für die ICT Anforderungen). Das haben wir geschafft - so wie das heute mit den bestehenden Systemen geht. Wir waren also mit der Blockchain-Technologie, die anerkanntermaßen noch nicht voll skaliert und noch nicht die schnellste ist, genauso fix wie die Bestandssysteme. Ohne Clearing dazwischen, sondern direkt! Jetzt stellen Sie sich vor, die Technologie wird schneller...

Wie beurteilen Sie die Sicherheit?

Lulay: Dieses Verfahren ist genauso sicher wie die Bestandssysteme, die von außen abgesichert werden. An sich ist die Blockchain sogar sicherer, weil die Transaktionen über viele Knotenpunkte verteilt laufen. Die müssten alle gleichzeitig gehackt werden, um die Blockchain anzugreifen.

Was heißt das für die GFT? Werden Sie im großen Stil Teams aufstellen und Bankenprozesse daraufhin analysieren, ob sich diese mit der Blockchain besser abbilden lassen?

Lulay: Wir haben tatsächlich drei Teams gegründet, eins in England, eins in Italien und eins als Kooperationsprojekt zwischen Deutschland und Spanien. Sie kennen die Bankprozesse und machen dann Vorschläge. Wir haben außerdem Proof of Concepts entwickelt, sind in entsprechenden Gremien aktiv und testen aus, was geht und was eben nicht.

Die Blockchain wird nicht von heute auf morgen alles verändern. Aber wenn Banken heute diese Option in ihren Systemen und Prozessen nicht berücksichtigen, werden Sie in fünf oder zehn Jahren ein großes Problem haben. Dann werden viele Verfahren auf Blockchain umgestellt sein n und Banken senken damit ihre Prozesskosten dramatisch - und können in der Folge günstigere Services anbieten. Banken, die das nicht machen, bekommen Kostenprobleme.

Sehen Sie eine entsprechende Awareness bei den Banken?

Lulay: Ja, immer mehr. Neben dem großen Konsortium R3 gibt es jetzt in Europa ein kleineres Konsortium von sieben Banken, das überprüfen will, wie es einen Zahlungsverkehr-Service für kleinere Unternehmen auf Basis der Blockchain-Technologie aufbauen kann. So sollen Zahlungsdienste zwischen handelnden Partnern entstehen, ohne dass eine zentrale Clearing-Stelle nötig ist. Da sind ein paar große Banken dabei.

Code_n hilft Banken, nahe an der Industrie zu sein

GFT betreibt mit CODE_n seit einigen Jahren ein Ökosystem für Start-ups. Unter den vielen jungen Unternehmen, die dort mitmachen, haben die meisten gar nichts mit der Finanzbranche zu tun. Warum engagieren Sie sich dort trotzdem?

Die Code_n Spaces in Stuttgart sind digitale Brutstätten, die auch Rückzugsräume (wie im Bild) bieten. Viele GFT-Kunden nutzen CODE-n, um mehr über ihre Zielgruppen zu erfahren und entsprechende Banking- und Versicherungsprodukte entwickeln zu können.
Foto: CODE_n

Lulay: Unsere Kunden haben das am Anfang nicht verstanden. Inzwischen fangen sie aber an, sich in die CODE_n SPACES hier in Stuttgart aktiv reinzusetzen. Sie wissen, dass sie ihre Kunden aus der Industrie besser verstehen müssen, um eigene Produkte entwickeln zu können.

Zahlungsvorgänge spielen ja nicht nur im Finanzwesen, sondern überall im Geschäftsleben eine Rolle. Banking ist zum Beispiel ein wesentlicher Anteil von Internet-of-Things-(IoT-)Projekten. Banken müssen verstehen, was ihre Rolle im IoT-Umfeld ist. Haben sie eine wettbewerbsdifferenzierende Rolle oder sind sie nur der Zahlungsverkehr-Abwickler? Vielleicht können sie sogar eigene Services anbieten, wenn sie erkennen, dass man bei bestimmten Zahlungsthemen Kredite oder bei diversen Transaktionstypen Versicherungen anbieten kann.

Weil Banken in die IoT-Prozesse eingebunden sind, können sie über reine Zahlungsabwicklungen hinaus Geschäfte machen. Wir haben CODE_n deshalb bewusst industrieübergreifend aufgestellt. Schauen Sie sich nur die Automobilindustrie an, die über neue Mobilitäts- und Mietmodelle nachdenkt - Stichwort: Car2Go oder Drive Now. Da spielen Banktransaktions-Themen eine große Rolle. Für uns und für unsere Kunden ist es deshalb wichtig, eng an diesen Industrien dran zu sein.