Distributed Ledger

Blockchain – was kommt nach dem Hype?

27.11.2018 von Wolfgang Herrmann
Der Hype um die Blockchain ist groß, doch der produktive Einsatz in Unternehmen lässt auf sich warten. Den praktischen Nutzen zeigen inzwischen aber zahlreiche Pilotprojekte.

Rund 9,7 Milliarden Dollar werden Unternehmen im Jahr 2021 für Blockchain-Netzwerke ausgeben, prognostiziert das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC. Derzeit seien es 2,1 Milliarden. Zu den Pionieren gehören demnach Unternehmen aus den Branchen Finanzdienstleistungen, Logistik und Fertigung. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Ein Großteil der Blockchain-Pilotprojekte in den USA werde in diesem Jahr zurückgefahren oder ganz eingestellt, erwartet etwa Forrester Research. Bis zu einem produktiven Einsatz dürften es demnach nur wenige Initiativen schaffen. Die Blockchain-Revolution werde wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen, urteilt Forrester-Analystin Martha Bennett.

Bis zu einer breiten Einsatzfähigkeit von Blockchain-Techniken können noch drei bis fünf Jahre vergehen, urteilt die Unternehmensberatung McKinsey.
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Die Unternehmensberatung McKinsey hält Blockchain noch für eine "unreife Technologie" in einem Markt, der sich gerade erst entwickle. Ein Erfolgsrezept für den praktischen Einsatz zeichne sich bislang nicht ab. Experimente mit Blockchain-Lösungen ohne eine strategische Bewertung des Nutzens und der Realisierbarkeit führten dazu, dass sich für viele Unternehmen die getätigten Investitionen nicht rentierten.

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In einer ausführlichen Analyse kommen die McKinsey-Experten unter anderem zu diesen Erkenntnissen:

Ungeachtet solcher Einschätzungen zeigen mittlerweile etliche Initiativen und Projekte, welchen praktischen Nutzen Blockchain-Technologien in unterschiedlichsten Feldern bringen können

Ricoh - Backoffice-Kosten senken mit Blockchain

Zu den Pionieren gehört beispielsweise Ricoh. Der Hersteller von Druckern, Kopierern und Office-Lösungen mit einem Jahresumsatz von 17 Milliarden Dollar experimentiert mit Blockchain-Techniken, um seine Supply-Chain- und Leasing-Prozesse zu verbessern. Wie CIO Kris Rao berichtet, ist die Initiative Teil einer breit angelegten digitalen Transformation des japanischen Konzerns.

Der japanische Konzern Ricoh experimentiert mit Blockchain-Techniken, um seine Supply-Chain- und Leasing-Prozesse zu verbessern.
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Rao hat vor allem die Bestell-, Auftragsabwicklungs- und Zahlungsprozesse im Visier und setzt dafür auf das Open-Source-System Hyperledger Fabric. Würden diese Abläufe automatisiert über eine Blockchain-Plattform laufen, ließen sich Backoffice-Kosten reduzieren oder sogar ganz einsparen.

Ähnlich wie andere große Unternehmen arbeitet Ricoh aber noch daran, die Leistung der Hyperledger-Plattform zu verbessern. Der CIO kämpft zudem mit unterschiedlichen technischen Standards und der Interoperabilität der zahlreichen beteiligten Systeme. Nach Einschätzung der Beratungsfirma Deloitte gehören solche Faktoren zu den größten Hürden bei der Nutzung von Blockchain-Konzepten: "Solange sich Blockchain-Techniken nicht einfach an existierende Enterprise-Systeme anbinden lassen, wird der Nutzen in großen Programmen und Initiativen sehr begrenzt bleiben", erklärten Deloitte-Spezialisten im September 2018.

UNO - eine Blockchain für mehr Menschenrechte?

Die Vereinten Nationen prüfen den Einsatz von Blockchain-Systemen auf zwei Feldern: zum einen für die Überprüfung von Identitäten, zum anderen in Supply-Chain-Prozessen. Rund 1,2 Milliarden Frauen besitzen keine offiziell anerkannte Identität, berichtet Atefeh Riazi, CIO der United Nations Organization. Dazu gehöre etwa ein Name oder der Geburtstag. Sie würden damit zu leichten Opfern von Schleppern. In einigen Ländern führe die fehlende Identität dazu, dass minderjährige Kinder Arbeiten verrichten, die eigentlich nur Erwachsene leisten sollten. Der fehlende Altersnachweis könne sich auch in Gerichtsverfahren nachteilig auswirken, wenn etwa minderjährige Angeklagte wie Volljährige behandelt würden.

Mithilfe von Blockchain-Anwendungen könnten Behörden Menschen leichter identifizieren und damit am Ende Ausbeutung und Kriminalität eindämmen, argumentiert der CIO. Er untersucht darüber hinaus, wie sich mit Blockchain-Techniken die Herkunft von Arzneimitteln prüfen lässt, die die UNO weltweit verschickt. "Die Supply Chain gehört zu den wichtigsten Bereichen, die wir uns in Sachen Blockchain ansehen", so Riazi.

Für den IT-Manager gehört Blockchain zu den disruptivsten Technologien, die sich CIOs derzeit bieten: "Diese Disruption ist real. Warum brauchen wir Uber, wenn es auch ein Peer-to-Peer-Modell gibt? Warum brauchen wir Banken, wenn man Geld auch direkt transferieren kann?"

Smarte Verträge für Finanzdienstleistungen

Boston Private, ein Vermögensverwalter für besonders wohlhabende Kunden, testet eine Blockchain für den Einsatz von Smart Contracts. Sie sollen Finanztransaktionen effizienter und sicherer erledigen. Anders als in einem offenen System kontrolliert das Unternehmen den Blockchain-Knoten und vergibt Zugangsberechtigungen an beteiligte Brokerhäuser, Kunden und weitere Parteien.

CIO und CDO Prasanna Gopalakrishnan nennt als Beispiele Devisengeschäfte oder die Kreditvergabe, die mit viel manuellem Aufwand und dem Austausch von Dokumenten verbunden seien. Eine Blockchain-App, über die Smart Contracts abgewickelt werden, könne helfen, den Aufwand drastisch zu reduzieren und die Prozesse zu beschleunigen.

Er rät anderen CIOs, nicht nur aus der Finanzbranche, zunächst den Fachabteilungen einen konkreten Business-Nutzen der Blockchain aufzuzeigen. Erst im zweiten Schritt sollten sie ihre Initiative anderen C-Level-Managern präsentieren. Gopalakrishnan: "Sie brauchen die Unterstützung der Fachanwender. Und sie müssen die Business-Probleme, die sie lösen wollen, genau verstehen und klar artikulieren."

Die Unternehmensberatung McKinsey sieht in der Finanzbranche generell viele Einsatzfelder, in denen Blockchain-Netzwerke Prozesse effizienter und insbesondere kostengünstiger abwickeln könnten. Ähnliches gelte für die öffentliche Hand. Die Experten schätzen, dass rund 90 Prozent aller Banken in Europa, Nordamerika und Australien bereits mit Blockchain experimentieren oder Investitionen getätigt haben.

UPS - Blockchain in der Logistik

Der Logistikkonzern United Parcel Service (UPS) hat ein Team aufgestellt, das den Einsatz von Blockchain-Techniken in der Supply Chain untersucht. Linda Weakland, Director Enterprise Architecture and Innovation, sieht Automatisierungspotenziale etwa in der Zollabfertigung von transportierten Gütern. Diese sei noch immer mit zahlreichen manuellen Prozessen verbunden. Ein Blockchain-System könne UPS helfen, den Prozess zu modernisieren und Güter erheblich schneller zu verzollen. Transaktionen ließen sich damit noch genauer nachvollziehen, auch Kosteneinsparungen etwa beim Transport von Containern wären erreichbar.

Um das Potenzial der Blockchain auszuschöpfen, ist aus Sicht von Weakland aber ein Einsatz in der kompletten Lieferkette vonnöten. Vor diesem Hintergrund ist UPS im November 2018 der Blockchain in Transport Alliance (BiTA) beigetreten, die Blockchain-Standards für die Frachtindustrie entwickelt. Solche Standards würden es UPS und seinen Partnern erleichtern, Daten über mehrere Blockchain-Systeme hinweg zu teilen, erläutert die IT-Managerin. Bisher sei das ein schwieriges Unterfangen.

UPS sieht die Blockchain als integralen Bestandteil seines entstehenden Smart Logistics Network, das auch andere aufkommende Technologien umfasst. Dazu gehören beispielsweise das Internet of Things (IoT), Robotics, künstliche Intelligenz und Machine Learning. UPS-CIO Juan Perez will solche Technologien unternehmensweit einsetzten und hat dazu eigens die Advanced Technology Group gegründet.

Transparente Lieferketten für Nahrungsmittel

Seine Lieferkette will auch der amerikanische Früchtehändler Driscoll´s verbessern. Er verkauft unter anderem Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren an Einzelhändler, darunter Walmart und zahlreiche Supermärkte weltweit. CIO Tim Cullen will eine Rückverfolgbarkeit der verkauften Produkte bis hin zum Erntefeld erreichen.

Gemeinsam mit einem guten Dutzend weiterer Lebensmittelproduzenten arbeitet Driscoll´s mit IBM an einer Blockchain. Sie soll es beispielsweise erlauben, die Herkunft von verdorbenen Lebensmitteln nachzuvollziehen. In der Blockchain werde praktisch jeder Datenpunkt in der Lieferkette dokumentiert, berichtet Cullen. Dazu speichere man beispielsweise Barcodes auf Paletten und Containern: "Die Daten in der Blockchain sind nicht manipulierbar und deshalb eine vertrauenswürdige Basis, um die Herkunft von Lebensmitteln lückenlos zu dokumentieren." Neben Blockchain setze Driscoll´s im Rahmen seiner digitalen Initiativen auch auf Advanced Analytics und Machine Learning.

Wie CIOs den richtigen Use Case finden

Angesichts der Vielzahl potenzieller Use Cases für Blockchain-Technologien empfiehlt McKinsey Unternehmen ein strukturiertes Vorgehen. Bei der Entscheidung, welche konkreten Initiativen sie verfolgen, sollten sie einen "pragmatischen Skeptizismus" an den Tag legen. Denn allzu oft entstünden in Blockchain-Pilotprojekten Lösungen, für die es gar kein Problem gebe. Um nicht in diese Falle zu tappen, gelte es echte "Painpoints" zu identifizieren, die beispielsweise Kunden im Umgang mit Unternehmensprozessen ärgerten. Erst im zweiten Schritt lohne es sich, den kommerziellen Nutzen und die Realisierbarkeit genauer zu analysieren.