Die Anforderungen von Basel II

Billigere Kredite für die „Guten“

06.09.2004 von Heide Witte
Die Basel-II-Richtlinien stellen kreditsuchende mittelständische Unternehmen vor besondere Herausforderungen, denn die Banken wollen einiges wissen. Gefragt sind künftig nicht nur die Abschlüsse der vergangenen Jahre, sondern auch langfristige und glaubhafte Prognosen für die Zukunft. Der Einsatz geeigneter Software ist unumgänglich.

JEDE WIRTSCHAFT beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen“, formulierte Kurt Tucholsky 1931. Pragmatischer rechnen Thorsten Grieser und Achim Köhler von der BfC (Beratungsgesellschaft für Controlling für die mittelständische lT-Wirtschaft) vor: Eine Bank brauche für den Kreditausfall eines einzigen "schlechten“ Kunden 25 "gute“ Kunden mit derselben Kredithöhe - nur für den Ausgleich, verdient habe die Bank dabei noch nicht. Es komme also darauf an, bei Kreditverhandlungen zu den "Guten“ zu gehören. Doch das ist leichter gesagt als getan für kleine und mittlere Unternehmen, deren „Kapital“ aus Know-how und guten Kundenbeziehungen besteht und deren Kreditwürdigkeit sich laut BfC konservativen betriebswirtschaftlichen Bewertungsansätzen weitgehend verschließt.

Mehr Zahlen, Daten, Fakten

Zur Bewertung der Kreditwürdigkeit hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, der im Wesentlichen aus Vertretern der „G-10-Staaten“ besteht, 1988 die Richtlinien für Basel I erlassen. Sie besagen, dass die Banken Kredite mit acht Prozent Eigenkapital absichern müssen: Zahlt ein Schuldner nicht, so kann die Bank auf die acht Prozent Eigenkapital, die sie für die Summe aller Kredite vorhalten muss, zurückgreifen.

Basel I hatte jedoch Schwachstellen: Die Konditionen für Unternehmen mit ausgezeichneter Bonität unterschieden sich nur unwesentlich von denen mit einem schlechten Bonitätsurteil. Für Kredite an zahlungskräftige Firmen muss daher genauso viel Eigenkapital vorgehalten werden wie für Kredite an weniger zahlungskräftige Firmen.

Dieses Problem sollen die Richtlinien für Basel II, die voraussichtlich Ende 2006 in Kraft treten, beheben. Die Geldinstitute werden damit verpflichtet, bei einem Kreditersuchen eine höhere Risikobewertung des Unternehmens mit einem höheren Anteil an Eigenkapital zu unterlegen. Die Folge, vor allem für mittelständische Unternehmen: Kreditgebende Banken verlangen mehr Zahlen, Daten, Fakten und vor allem eine ordentliche Eigenkapitalquote des Unternehmens - schließlich muss die Bank auch Eigenkapital für die Kredite vorhalten. Und gerade damit können die meisten Mittelständler nicht dienen. Denn die deutsche, mittelstandsgeprägte und mit einer geringen Eigenkapitaldecke ausgestattete Wirtschaft finanziert sich Untersuchungen zufolge hauptsächlich über Bankkredite. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband kommt in seiner „Diagnose Mittelstand 2004“, in die mehr als 200 000 Firmenkundenbilanzen einfließen, zu dem Schluss, dass „40 Prozent der Betriebe mit einem Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro immer noch ohne eigenes Geld“ wirtschaften. Die deutschen Vertreter im Baseler Ausschuss haben deshalb ein „Mittelstandspaket“ mit folgenden Erleichterungen durchgesetzt:

Wer in Zeiten von Basel II Fremdkapital aufnehmen will, muss sich einer Einschätzung - neudeutsch „Rating“ - unterziehen. Unterschieden wird dabei zwischen internen Ratings, die durch die Bank veranlasst und ausgeführt werden, und externen Ratings, die das kreditsuchende Unternehmen selbst veranlasst und bei einer unabhängigen Rating- Agentur in Auftrag gibt. Die Rating-Kriterien setzen sich aus denKennzahlen aller Unternehmensbereiche zusammen: Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage, Produktprogramm und Marktposition. Die Bewertungsskala reicht von AAA (sehr gute Bonität) bis C (schlechte Bonität). Die Einordnung bestimmt dann die Kreditkonditionen.

Bislang lag der Schwerpunkt bei einem Rating der Unternehmensbonität vor allem auf der Analyse der betriebswirtschaftlichen Daten. In Zukunft wird der Banker neben der Bilanz und den aktuellen Informationen der Bundeswertpapier- Aufsicht BWA zusätzlich weitere Daten wie einen Investitions- und Finanzierungsplan sowie die schriftliche Fixierung der Unternehmensstrategie verlangen. Auf den ersten Blick stellen diese Anforderungen einen erheblichen Mehraufwand für den Mittelstand dar.

Nach Bankenansicht wurschteln sich viele Chefs mittelständischer deutscher Unternehmen durch - ohne Transparenz in der betriebswirtschaftlichen Führung. 42,5 Prozent der Kunden- und Kreditberater, die an der „DiagnoseMittelstand 2004“ mit Einschätzungen über ihre mittelständischeKunden mitwirkten, beklagen sich über die mangelhafte betriebswirtschaftliche und strategische Planung ihrer Kunden. Auffällige Schwachstellen fänden sich vor allem im Controlling und in der Unternehmenssteuerung. Es fehle den Firmen die Möglichkeit zum Soll-Ist-Vergleich und zu raschem Gegensteuern bei Abweichungen. Unterjährig würden überhaupt viel zu wenig Daten erhoben. Das gleiche einem Blindflug ohne Instrumente.

Eine passende IT-Infrastruktur kann Unternehmen dabei helfen, schneller die erforderlichen Unternehmensplanungs- und Kennzahlen zu eruieren - und damit in der Bewertung besser abzuschneiden. „Es ist eine noch weit verbreitete Fehleinschätzung, dass lediglich die wirtschaftlichenBedingungen in das Rating einfließen“, warnt Erich Zimmermann, Geschäftsführer des Sicherheit-Zertifizierers Security for Business (S4B) mit Sitz in Speyer. „Vielmehr werden die gesamten Unternehmens- und Managementstrukturen einschließlich der Technik- und Sicherheitsverhältnisse in die Bewertung des Bonitätsrisikos der Banken einbezogen.“ Und es gelte schon heute, sich mit einem funktionierenden Controlling, Risiko-Management sowie finanzwirtschaftlicher Steuerung auf Basel II vorzubereiten.

Das Spektrum derartiger Programme ist groß, und die Preisskala ist nach oben offen. Nicht nur die Großen der Branche wie Microsoft, IBM und SAP oder Oracle haben es sich auf die Fahnen geschrieben, Unternehmen fit für Basel II zu machen.

Kurz-Check mit Software

Anbieter wie die MIS AG oder Corporate Planning bedienen den gesamten Bereich der Management- Informationssysteme, mit denen der Anwender dann jederzeit Zugriff auf unternehmensinterne Zahlen und Fakten bekommt. Weitere Anbieter wie Astrum haben sich auf Produkte rund um das Risiko- Management spezialisiert. Hinzu kommen Dienstleister wie Price Waterhouse Coopers oder Creditreform, die mit entsprechender Software ihr Serviceportfolio abrunden.

Auch bei der eigenen Abschätzung, zu welchem Rating-Ergebnis Banken oder externe Dienstleister kommen werden, bieten Softwarelösungen Unterstützung. Eine ganze Reihe von Tools unterstützt Rating-Verfahren nach den Richtlinien von Basel II und zeigt dem Unternehmen das Rating-Ergebnis an. Der Haufe-Verlag beipielsweise offeriert in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young das Produkt „Rating für Windows“. Zum Preis von knapp 40 Euro soll es mittelständischen Unternehmen als Vorbereitung für das nächste Bankgespräch oder zum Kurz- Check eines Unternehmens dienen.

Mancher Mittelständler hat jedoch bereits selbst Rating-Erfahrung gesammelt. So etwa das Wolfacher Unternehmen Aliseo, das weltweit Hotelbadbedarf in Vierund Fünf-Sterne-Hotels vertreibt und sich bereits im Jahr 2002 einem Rating unterzog. Die Firma zählt mit rund 30 Mitarbeitern und knapp zehnMillionen Euro Jahresumsatz zu den kleineren Mittelständlern inDeutschland.Mit ihrem Rating- Ergebnis durch einen externen Dienstleister hat sie jedoch ihrer lokalen Sparkasse derart imponiert, dass die Kreditkonditionen erheblich verbessert wurden. Motiviert von dieser positiven Erfahrung implementierte die Geschäftsleitung das Rating dann betriebsintern als Steuerungsfunktion analog dem Controlling, um so alle Entscheidungen unter Rating-Gesichtspunkten rechtzeitig abzuklären.

Positive Erfahrung

Aliseo entschied sich für die Rating- Software „R-Cockpit“ von Prof. Dr. Schneck Rating in Reutlingen. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass das Tool auf allen Windows-Oberflächen läuft und außerdem beim Steuerberater von Aliseo zum Einsatz kam. Bei R-Cockpit handelt es sich um eine validierte Software, die der TÜV Rheinland sowie die REFA Deutschland empfehlen. Die Lizenz für einen Arbeitsplatz ist ab 950 Euro zu haben und beinhaltet das Rating, die Simulation von Optimierungen, den Branchenvergleich über alle Kennzahlen, eine Unternehmensbewertung nach der DCF (Discounted-Cash-Flow)- Methode sowie ein Risk-Mapping - mit dem die Bedeutung von Risikofeldern erfasst wird - als Frühwarnsystem.

Sensibilisiert durch die Bankenanforderungen rund um Basel II entschied sich die Vedes AGfür die Einführung eines Risiko-Management- Systems. Der Spielwarenkonzern beschäftigte im Jahr 2003 im Konzern durchschnittlich 882 Mitarbeiter.

Bernd Stocker, Leiter Strategisches Controlling, schildert weitere Motive für das Rating: „Nach unserer Umwandlung in eineAktiengesellschaft im Jahre 2001 kamen einige neue Pflichten auf uns zu. So sind wir durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz in Aktiengesellschaften (KonTraG) beispielsweise dazu angehalten, ein Überwachungssystem einzurichten, das unternehmensgefährdendeEntwicklungen rechtzeitig erkennt.“ Das Prozedere bei Vedes: Die Abteilungsleiter und Risikoverantwortlichen erarbeiteten anhand einer ausführlichen Checkliste alle unternehmensrelevanten Risiken der verschiedenen Abteilungen und bewerteten diese im Hinblick auf ihren Stellenwert innerhalb der Geschäftsprozesse. Gleichzeitig war es ihre Aufgabe, entsprechende Gegenmaßnahmen zu benennen.

Neue Erkenntnisse gewonnen

Die intensive Auseinandersetzung mit drohenden Gefahrenpotenzialen führte zu überraschenden Erkenntnissen: Manche Einzelrisiken fielen für die Sicherheit des Unternehmens kaum ins Gewicht, stellten kumuliert jedoch eine erhebliche Gefahr dar. Andere Gefahrenpotenziale wurden vorher wesentlich unbedeutender eingestuft als nach der Gewichtung.

Die Ergebnisse wurden in einer Tabellensoftware festgehalten und auf ein gemeinsames Netzlaufwerk gestellt. Hier hat jeder Risikoverantwortliche seinen eigenen Ordner, in dem sämtliche Checklisten, Protokolle und alle weiteren Informationen rund um das Risiko- Controlling hinterlegt sind. „In der Praxis zeigte sich bald, dass diese Dokumentationsmethode schnell unübersichtlich wurde und wir keinen Überblick mehr hatten“, berichtet Risiko-Manager Manfred Fichte, gleichzeitig Leiter Finanzwesen und Risiko-Controlling. „Um Berichte zu erstellen, musste man zahlreiche Zusammenfassungen auswerten und anschließend manuell zusammenstellen. Es fehlte an Struktur und Ordnung.“

Das Risiko-Management-System „RM-Expert“ aus dem Hause Astrum (erhältlich ab 2200 Euro) schaffte Abhilfe. Es verfügt über verschiedene Bewertungsschemata, stellt Entwicklungen fortlaufend dar und hält sämtliche Veränderungen exakt fest. Alle relevanten Risiken und die ihnen zugeordneten Maßnahmen wurden aus den Checklisten in das Tool übertragen und als interne oder externe Risiken kategorisiert.

Bei internen Risiken handelt es sich umdie so genannten Betriebsrisiken rund um das Personal, die Organisation und die Systemlandschaft. Dazu gehören beispielsweise die Fragen, wie hoch die Fluktuation innerhalb der verschiedenen Fachbereiche ist und ob die kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeiter gewährleistet ist (Personalrisiken). Weiter wird abgefragt, ob wesentliche Arbeitsabläufe dokumentiert und mittelfristige Strategien bekannt sind (Organisationsrisiken). Außerdem ist im Rahmen der internen Risiken unter anderem auch das Schadenspotenzial bei einem Ausfall des IT-Systems hinterlegt.

Die externen Risiken beschreiben die Geschäfts- und Marktrisiken von Vedes. Hierunter werden die Gefahrenpotenziale rund um Absatz-, Arbeits- und Kapitalmarkt sowie Kunden und Finanzen zusammengefasst. Sinkende Preise, erschwerte Kapitalbeschaffung, drohendeGeschäftsaufgaben oder mangelndeLiquidität sind nur einige der Faktoren in dieser Kategorie. Mit Hilfe des Risiko-Management- Tools ist nun auch eine genaue Bewertung nach Eintrittshäufigkeit und Schadenshöhe möglich. Die Bewertungseinheiten für diese so genannten Risikofaktoren festzulegen erwies sich anfangs jedoch als eine echte Herausforderung. Denn: „Meist steht bei der Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Risiken der monetäre Gedanke im Vordergrund“, erklärt Jeanine Studzinski, Mitarbeiterin Risiko-Controlling und zuständig für die Pflege von RM-Expert bei der Vedes AG „Dabei darf jedoch zum Beispiel ein Imageschaden mit einem einhergehenden Vertrauensverlust beim Kunden als unternehmensgefährdende Entwicklung nicht unterschätzt werden.“ Die Verantwortlichen im Risiko-Controlling von Vedes entschieden sich nach intensiven Überlegungen daher dafür, die Eintrittshäufigkeit in Prozent festzuhalten und die materielle Schadenshöhe in Euro anzugeben.

Passende Tools auswählen

Wer für das eigene Unternehmen ein Planungswerkzeug anschaffen möchte, erhält Hilfestellung bei der Auswahl beispielsweise durch Marktübersichten, wie sie das auf denMittelstand spezialisierte Beratungsunternehmen Infosoft (Hamburg) mit „Planungswerkzeuge und Controllingsysteme“ zum Preis von 195 Euro oder Barc (Würzburg) mit „Integrierte Unternehmensplanung“ für 310 Euro anbieten.