Eine Würdigung

Bill Gates: Ich bin dann mal weg

25.06.2008 von Jan-Bernd Meyer
Kein anderer Mensch in der weltweiten IT-Branche dürfte solche Prominenz erlangt haben wie Bill Gates. Am 27. Juni 2008 hat der Gründer von Microsoft seinen letzten Arbeitstag im größten Softwarehaus der Welt.

Gates war meistens umstritten. Eine Schlagzeile auf dem Titel der "Wirtschaftswoche"-Ausgabe vom 19. März 1998 brachte auf den Punkt, warum. "Darf ein Mensch so viel Macht haben?", fragten die Wirtschaftsredakteure.

CW-TV zeigt, wie Bill Gates sich seine nächsten Jahre vorstellt.

Das Wörtchen "ein" setzten sie kursiv und drückten damit aus, was viele - und nicht nur in der IT-Branche - dachten: Hier hat ein Einzelner durch die Produkte, die das von ihm gegründete und geleitete Unternehmen verkauft, einen viel zu großen Einfluss auf die weltweiten Wirtschaftsabläufe unterschiedlichster Branchen. Diese Macht könnte er auch zu Ungunsten von Konkurrenten, Konzernen und Konsumenten einsetzen.

Prägender Einfluss über die IT-Industrie hinaus

Bei aller berechtigten Kritik am Geschäftsgebaren muss man allerdings eingestehen, dass der Spross einer Upper-Class-Familie aus Seattle die Welt mehr geprägt hat als die allermeisten Entrepreneure - egal aus welcher Branche sie kommen.

Was mit einem Umsatz von 16 000 Dollar begann, ist zu einem Konzern geworden, der laut eigener Erklärung für das Geschäftsjahr 2008 mit einem Umsatz von 66,9 bis 68 Milliarden Dollar rechnet.

"Denkt ihr eigentlich nie nach?"

Jetzt, da Bill Gates bei Microsoft abtritt, gilt es, noch einmal einige Stationen aus seinem Leben zu rekapitulieren.

William Henry Gates III erblickt am 28. Oktober 1955 im Swedish Hospital in Seattle das Licht der Welt.

Gates liest schon in seiner Jugend viel. Regelmäßig kommt er zu spät, wenn die Familie gemeinsame Unternehmungen plant. Seine Standardantwort auf die Frage, was er eigentlich noch mache: "Ich denke nach" - als Teenager später schon mal gewürzt mit der Nachfrage: "Versucht ihr eigentlich nie, auch einmal zu denken?"

1967 wechselt Gates an die Lakeside School in Seattle. Dort lernt er Paul Allen kennen. Sie kommen 1968 erstmals mit der Programmiersprache Basic in Kontakt. Beide bringen es fertig, das 3000 Dollar hohe Jahresbudget der Schule für Rechenzeit auf einer PDP-10-Maschine zu verbrauchen. Geschäftstüchtig schließen Gates und Allen bereits damals einen Vertrag mit der Computer Center Corp. Sie verpflichten sich, Bugs in der PDP-10-Software zu finden. Als Lohn winkt Rechenzeit.

Nebenbei schreibt Gates für die Schule Programme zur Organisation der Stundenpläne. Gerüchte besagen, dass Gates sich nicht ganz zufällig in Kurse einsortiert, in denen auch die netten Mädchen zu finden sind. Zu dem Zeitpunkt gründen Gates und Allen die Firma Traf-O-Data.Gemeinsam verkauften sie Produkte zur Zählung des Verkehrsaufkommens.

Im September 1973 schreibt sich Gates an der Eliteuniversität Harvard ein. Seine akademische Karriere ist unauffällig. Das hat weniger mit seiner Intelligenz zu tun - Gates soll einen IQ von 160 haben. Vielmehr geht er das Studium sehr entspannt an. Er profiliert sich vor allem als Pokerspieler und entwickelt eine Vorliebe für Pizza und Süßgetränke. In Harvard lernt Gates Steve Ballmer kennen.

Der Januar 1975 wird der Wendepunkt im Leben von Gates und Allen. Dieser sieht auf dem Titel des Fachmagazins "Popular Electronics" ein Foto des "Altair-8800"-Computers der Firma MITS. Die Freunde entwickeln eine Basic-Version für den Altair und verkaufen sie für 3000 Dollar plus Lizenzgebühren.

Im November 1976 lassen Gates und Allen den Firmennamen Microsoft eintragen. Sie hatten zunächst an Allen & Gates Inc. gedacht, auch Micro-Soft stand zur Wahl.

Im Januar 1977 lässt sich Gates von Harvard beurlauben und gründet Microsoft in Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexico. Dort ist die Altair-Schmiede MITS beheimatet. Mit seiner Vorliebe für Pizza und endlose Arbeitsstunden begründet Gates ein Image, das Informatikern künftig anhängen wird.

Eine weitere Vorliebe von Gates sind schon damals schnelle Autos. Er wird mehrmals von der Polizei wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen mit seinem Porsche 911 festgesetzt. Mindestens eine Begebenheit ist belegt, zu der Allen ihn freikaufen muss.

Gates schreibt Geschichte

Meilenstein für Microsoft im Dezember 1978: Erstmals überschreitet der Umsatz eine Million Dollar.

Bekanntschaft aus Uni-Zeiten: Ballmer (links) lernt Gates in Harvard kennen.
Foto: Microsoft

Am 6. November 1980 schreibt Gates Geschichte: Er unterzeichnet einen Vertrag mit der übermächtigen IBM. Darin verpflichtet er sich, Software für einen IBM-Rechner, der unter dem Codenamen Chess läuft, zu programmieren. Teil des Lieferumfangs sind Fortran und Basic. Eine nette Überlieferung der damaligen Ereignisse stammt von Gates selbst: Schon bei Festlegung des Zeitrahmens für die Lieferung des Betriebssystems sei klar gewesen, dass Microsoft drei Monate zu spät fertig würde.

Ein Betriebssystem hat Microsoft nämlich nicht. Das kauft Gates Tim Patterson ab, der in seiner Firma Seattle Computer Products (SCP) eines für 8086-Prozessoren und einen SCP-Computer entwickelt hat. Patterson nennt es Quick and Dirty Operating System (QDOS). Wie viel Microsoft für QDOS zahlt, ist nicht genau bekannt. Es sollen jedenfalls weniger als 100 000 Dollar gewesen sein.

An den Eiern gepackt

Über die Verhandlungen des winzigen Unternehmens Microsoft mit dem Computergiganten IBM schreibt das Männermagazin "Playboy" in seiner Ausgabe vom Juli 1994 anlässlich eines Interviews mit Gates: "IBM dachte, sie hätten Gates an den Eiern. Das ist doch nur ein Hacker, dachten sie. Ein harmloser Computerfreak. Worauf sie sich tatsächlich eingelassen hatten, war ein Organismus, der geboren war, um Macht und Profit an sich zu reißen - das Kind eines Rechtsanwalts, der die Sprache von Verträgen beherrschte und der die IBM-Typen in der Luft zerriss."

Am 12. August 1981 liefert IBM erstmals den PC mit MS-DOS aus.
Microsoft hat sich das Recht zusichern lassen, das Betriebssystem auch an andere Hersteller zu lizenzieren. Diese Klausel befördert letztlich den Ruhm und Reichtum der Gates-Company entscheidend. 1982 lizenzierten bereits 50 PC-Hersteller die Software.

Gründerzeit bei Microsoft: Links unten Bill Gates, rechts unten Paul Allen, Freund aus der Schule.
Foto: Picture Alliance/DPA/Microsoft

Am 18. Februar 1983 legt Allen sein Amt als Executive Vice President von Microsoft nieder. Bei ihm war ein Tumor festgestellt worden. Allen sammelt Kunstwerke und Yachten. Er besitzt das Baseballteam Portland Trail Blazers und die Footballmannschaft Seattle Seahawks. Außerdem investiert er in Spaceship One, ein Experimentalflugzeug für den suborbitalen Raumflug.

Am 10. November 1983 kündigt Microsoft Windows an, im Prinzip nichts anderes als MS-DOS mit einer grafischen Benutzerschnittstelle. Es war der Beginn einer für Microsoft typischen Publikationsstrategie. Tatsächlich kann das Unternehmen bis auf die Ankündigung nichts vorweisen. Auch im Verlauf des gesamten Jahres 1984 erblickt Windows nicht das Licht der Welt. 1985 soll Gates irgendwann die Geduld verloren haben. Er ruft Ballmer in sein Büro und stellt dessen Karriereaussichten lautstark in Frage. Ende 1985 müsse die Freigabe für Windows erfolgen, oder Ballmer habe ein Problem.

Am 21. November 1985 kommt es schließlich zu einer legendär gewordenen Pressekonferenz: Microsoft stellt Windows 1.03 vor - zu 85 Prozent in "C" geschrieben, die entscheidenden Programmteile in Assembler. Stewart Alsop von der IDG-Publikation "Infoworld" verleiht Gates den "Golden Vaporware Award", was man etwas lax mit dem Preis für die größte Luftnummer übersetzen kann.

1986 geht Microsoft an die Börse. Der Einstiegskurs beträgt 21 Dollar. Am Ende des Tages liegt der Kurs bei 28 Dollar.

1987 lernt Gates seine spätere Frau Melinda French bei einer Presseveranstaltung in Manhattan kennen.

Für alle IT-Benutzer der Welt und für Gates und Microsoft zumal ist der 1. August 1989 ein weiteres Kerndatum: An diesem Tag wird Microsoft Office vorgestellt.

CW-TV zeigt, wie Bill Gates sich seine nächsten Jahre vorstellt.

Nur ein Jahr später im Juni 1990 beginnt eines der längsten Industriekartellrechtsverfahren. Die US-Behörde Federal Trade Commission (FTC) untersucht die Vorkommnisse, die zu dem Zerwürfnis zwischen den Kooperationspartnern IBM und Microsoft geführt haben. Beide hatten an IBMs OS/2-Betriebssystem gearbeitet, Microsoft kam ein bedeutender Part in der Entwicklung zu. Auf einer Pressekonferenz auf der IT-Messe Comdex in Las Vegas 1989 lässt dann aber Microsoft die Katze aus dem Sack und konfrontiert Big Blue mit vollendeten Tatsachen: Microsoft setze auf das eigene Betriebssystem Windows. Die US-amerikanische Journalistin Wendy Goldman Rohm zitiert in ihrem Buch "The Microsoft File" Manager der Gates-Company mit der Aussage: "OS/2 ist tot. Und wir haben es gekillt."

Die gesamte Softwareindustrie tobt wegen dieses Schwenks. Jim Manzi, Topmann bei Lotus Development Corp schäumt. Denn natürlich hat Microsoft auch gleich die passenden Anwendungen für Windows 3.0 parat, die zufälligerweise besser mit der neuen Windows-Version harmonieren als etwa die Tabellenkalkulation von Lotus oder die Datenbank von Dbase. Windows 3.0 kommt im Mai 1990 auf den Markt - und wird ein großer Erfolg. Erstmals sieht sich Microsoft dem Vorwurf ausgesetzt, es nutze seine Dominanz bei Betriebssystemen dafür, auch in anderen Produktsegmenten eine vorherrschende Stellung einzunehmen - eine Klage, die bis auf den heutigen Tag Gültigkeit besitzt.

Im August 1993 erklärt das US-Justizministerium die Kartellrechtsklage zur Chefsache und übernimmt das Verfahren von der FTC.

Im Januar 1994 heiraten Bill und Melinda auf Lanai, einer der Inseln der Hawaii-Gruppe. Country-Sänger Willie Nelson spielt dazu auf.

Im Juli 1994 beugt sich Microsoft scheinbar einer gerichtlichen Entscheidung des US-Justizministeriums und willigt in die Forderung ein, kartellrechtliche Verstöße künftig zu unterlassen. Zu den Vorwürfen gehörte etwa, dass der Softwaremonopolist Hardwarehersteller zwinge, Lizenzgebühren für Microsoft-Betriebssysteme zu zahlen, auch wenn die Software gar nicht installiert sei.

Microsofts Millionarios

Am 17. Juli 1995, drei Monate von seinem 40. Geburtstag, wird Gates ein Vergnügen zuteil, das viele gerne mit ihm teilen würden: Er ist mit einem Vermögen von 12,9 Milliarden Dollar der reichste Mann der Welt. Natürlich nur auf dem Papier. Schon 1990 hatte die "New York Times" über ein sehr exklusives Problem der Microsoft-Belegschaft berichtet: 25 Prozent der Mitarbeiter seien nämlich Millionäre - zumindest nach ihren Aktienoptionen gerechnet. Microsoft erwirtschaftet 1995 rund 5,9 Milliarden Dollar mit 17 801 Mitarbeitern.

Schon vorher, am 26. Mai 1995, muss Gates aber ein Versäumnis einräumen: In einem Grundsatzpapier legt er die Bedeutung des Phänomens Internet dar - ein Medium, das Microsoft jahrelang unterschätzt hat.

In bewährter Manier drückt Microsoft in der Folge Produktkonkurrenten aus dem Markt. Dieses Mal ist Netscape das Opfer. Als Microsoft am 24. August 1995 seinen in das Windows-Betriebssystem integrierten Browser "Internet Explorer" vorstellt, läutet das Totenglöckchen für Netscapes "Navigator", der auf dem Mosaic-Code basiert. Im Oktober 1997 wird Microsoft erstmals zur Zahlung einer Strafe (eine Million Dollar pro Tag) verurteilt, weil es gegen den Consent Decree von 1995 verstößt.

Irgendwie auch einer Ehre kommt es gleich, dass sich Bill Gates seit dem 4. Februar 1998 zu den Zelebritäten zählen darf, denen in der Öffentlichkeit eine Torte ins Gesicht geknallt wird. Geschehen in Belgien. Gates kommentiert den publikumswirksamen Ritterschlag mit den Worten, die Torte habe ihm nicht geschmeckt.

1999 benennen Gates und seine Frau Melinda die William-H.-Gates-Stiftung um in Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Sie wird zur mit weitem Abstand kapitalträchtigsten privaten Geldgeberorganisation, insbesondere nachdem Gates-Freund Warren Buffett 2006 ankündigt, etwa 30 Milliarden Dollar an die Gates-Stiftung zu überweisen.

Am 13. Januar 2000 tritt Gates als CEO von Microsoft ab und übergibt das Zepter an Jugendfreund Steve Ballmer. Gates selbst nennt sich ab sofort Chef-Softwarearchitekt. Damit kehrt er im Prinzip zu seinen Ursprüngen aus den 70er Jahren zurück.

Microsoft-Drama

Dramatisch wird es für Microsoft im Juni 2000. Der US-Distriktrichter Thomas Penfield Jackson möchte Microsoft in zwei Teile aufsplitten. Ein Unternehmen soll die Betriebssysteme entwickeln und vermarkten, ein zweiter Betrieb die Anwendungen. Eine komplette Branche ist wie elektrisiert. Microsoft bemüht eine Armada von Juristen und Lobbyisten in Washington, um das drohende Ende dessen, was das Unternehmen im Kern ausmacht, zu verhindern. Mit Erfolg. Ein Jahr später, am 28. Juni 2001, wischt ein US-Berufungsgericht die Entscheidung Jacksons vom Tisch.

2001 kommt Windows XP auf den Markt. Außerdem steigt Microsoft mit der "Xbox" in das Geschäft mit Spielekonsolen ein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Der Konzern kann nicht mehr nach Belieben einen Markt aufrollen. Bis heute ist die Geschäfts-Division von Microsoft, die sich mit Unterhaltungsprodukten befasst, defizitär. Andere wie Sony spielen die erste Geige.

Noch eine Ehre für Gates im Jahr 2002: Bei einer Umfrage unter Teenagern in Hongkong und China kommt heraus, dass die asiatischen Youngster Gates als Idol favorisieren vor niemand Geringerem als Mao Zedong. Wenn das kein Sieg über den Klassenfeind ist.

Rekordbußgeld gegen Microsoft

2004 verhängt die EU gegen Microsoft ein Rekordbußgeld wegen Kartellrechtsverstößen von 497 Millionen Euro.

Und noch eine Ehrung: Am 2. März 2005 wird Gates wieder einmal geschlagen. Diesmal allerdings zum Knight Commander of the Order of the British Empire. Ehrenhalber - aber immerhin. Wie Steven Spielberg darf Gates jetzt hinter seinen Namen die Kürzel KBE setzen. William H. Gates III KBE also - was seine Längen hat.

Fast scheint es so, dass sich die Ehrungen zum Ende seines tätigen Berufslebens häufen. Gemeinsam mit Melinda Gates und Bono betitelt das "Time"-Magazin im Dezember 2005 den obersten Softwarearchitekten des größten Softwarehauses der Welt als "Person des Jahres".

Am 15. Juni 2006 kündigt Gates an, dass er sich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen wird. Peu-à-peu werde er sich innerhalb der nächsten zwei Jahre komplett verabschieden.

2007 kommen "Windows Vista" und "Office 2007" auf den Markt.

Furchtbarer Schlag für Gates kurz vor seinem Abtritt: Im März 2008 listet das "Forbes"-Magazin den Microsoft-Gründer nur noch auf Platz drei der reichsten Menschen dieser Erde. 13 Jahre war er ununterbrochen der absolute Krösus und jetzt das. Aber mit mageren 58 Milliarden Dollar Vermögen eignet er sich auch wirklich nicht als Nummer eins.

27. Juni 2008: Error 404 - letzter Arbeitstag von Bill Gates bei Microsoft.