Fachmann oder Hellseher?

Beruf: Technology-Evangelist

04.03.2010 von Peter Ilg
Sie bereiten den Weg für neue Technologien. Deshalb müssen Technology Evangelisten ausgesprochenes Fachwissen haben. Durch Vorträge und Präsentationen schaffen sie Absatzmärkte für neue Produkte. Verkäufer sind sie nicht, eher Ideengeber.

Ob nun Mike Boich oder Guy Kawasaki der erste Technology Evangelist überhaupt war, darüber streiten sich die Geister. Dass beide Anfang der 80er Jahre für Apple revolutionäre Botschaften um den Macintosh verkündeten, ist unbestritten. Sie heizten die Diskussion um den Mac gewaltig an, das gehört mit zu den Aufgaben in diesem Job. Der Macintosh blieb dennoch weit hinter den prognostizierten Zielen zurück, und Boich sowie Kawasaki sind inzwischen nicht mehr bei Apple. Der IT-Branche haben sie aber ein Vermächtnis hinterlassen: den Technology-Evangelisten. Man trifft ihn ausschließlich in der Computerwelt und muss sehr genau hinschauen, um ihn zu finden. Von den wenigen, die es gibt, wird Spitzen Know-how erwartet.

Oliver Scheer, Microsoft: 'Der Job ist auf Dauer schon recht anstrengend.'

Oliver Scheer ist nicht sehr gläubig, aber dennoch ein Prediger, der das Wort verkündet. Seine guten Nachrichten handeln von Windows 7, denn er ist Technology-Evangelist bei Microsoft in München. Der 34-Jährige ist ein Erbe der Pioniere in diesem Job, und einer von 20 bei Microsoft in Deutschland. Das Softwareunternehmen dürfte damit hierzulande einer der größten Arbeitgeber für diese Spezialisten sein. Scheer hat Wirtschaftsinformatik studiert und damit einen fachlichen Hintergrund, wie man ihn eigentlich erwartet. Andere Technikpropheten sind reine Informatiker, Ingenieure oder Physiker, doch Microsoft setzt kein Fachstudium in einer technischen Disziplin voraus. So kommt es, dass Scheer in einer bunt gemischten Gruppe arbeitet: Kollegen von ihm sind Konzertpianisten, Linguisten, Instandhaltungsmechaniker oder haben überhaupt keine Ausbildung. Was sie ihre Botschaften verkünden lässt, ist ein sehr gutes technisches Verständnis.

Was alle gemeinsam haben: Sie sind kommunikativ, können präsentieren, vor Publikum reden und ihre Auftritte managen. Das setzt ein hohes Maß an Selbstorganisation voraus. "Unser Vorgesetzter kümmert sich darum, dass es uns gut geht. Er sagt uns aber nicht, was wir wann wie zu machen haben. Das müssen wir schon selbst regeln." Seit fast zwei Jahren verbreitet Scheer Neuigkeiten rund um das neue Betriebssystem Windows 7, etwa wie sich Multitouch und die neue Task-Leiste in Anwendungen integrieren lassen. Diese Erkenntnisse vermittelt er einem technisch versierten Publikum in Artikeln für Fachzeitschriften, hält Vorträge auf Entwicklerkonferenzen oder bei Partnern von Microsoft.

Einmal jährlich fliegen er und seine Kollegen in die Microsoft-Zentrale nach Redmond. Hier werden ihnen aktuelle und zukünftige Projekte vorgestellt, sie lernen die Menschen hinter den neuen Technologien kennen und knüpfen dadurch Kontakte. Die Themen, um die sie sich schließlich kümmern, entspringen der globalen Marketing-Strategie des Unternehmens.

Scheer macht diese Arbeit nun schon vier Jahre: "Ich muss immer Neues lernen und bin ständig unterwegs, das ist auf Dauer schon recht anstrengend." Seinen Job will er dennoch nicht so schnell wechseln, auch wenn er durch die vielen internen und externen Kontakte regelmäßig Stellen angeboten bekommt. "Wir werden gehegt und gepflegt, haben einen Dienstwagen und eine erstklassige Ausstattung an Technologien neuester Art." Außerdem sei das Einkommen von Technology-Evangelisten lukrativ, sie verdienten etwa wie Team- oder Projektleiter.

Beruflich
1. Schritt: Attention
Nehmen wir an, Sie befinden sich auf einer Messe, bei einem Netzwerktreffen oder bei einer gesellschaftlichen Rahmenveranstaltung. Sie lernen einen Teilnehmer kennen, der das Gespräch nach der Vorstellung vielleicht so eröffnet: "Und was machen Sie so, womit verdienen Sie Ihr Geld?" Ihr Gesprächspartner könnte zu einem wertvollen Geschäftskontakt werden, daher gilt es, sich möglichst kurz und interessant zu fassen, gemäß der AIDA-Formel "Attention - Interest - Desire - Action". Hier ein Beispiel für eine gelungene Antwort beziehungsweise Kurzpräsentation:<br/><br/> "Guten Tag, mein Name ist Peter Müller von PC Müller, ich mache PC’s sicher." (Attention)
2. Schritt: Interest
"Sie kennen sicher die großen Probleme, die mit Datenklau, dem Ausspionieren von Geschäftsgeheimnissen bis hin zur Lahmlegung ganzer PC-Netze immer wieder vorkommen." (Interest)
3. Schritt: Desire
"Ich verhindere so etwas und das ist gar nicht so kompliziert, wie es immer erzählt wird - und auch gar nicht so teuer, wenn man weiß, wie es geht." (Desire)
4. Schritt: Action
"Was für ein Sicherungssystem setzen Sie ein?" (Action)
Uwe Wienkop, Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Nürnberg: 'Evangelisten sind keine Verkäufer, sollen aber einen Absatzmarkt schaffen.'

"Technology-Evangelisten werden von ihren Arbeitgebern dafür bezahlt, dass sie einen Absatzmarkt schaffen. Verkäufer sind sie keine. Diese Bezeichnung wäre unangemessen für eine Person, die ganz aktuelle technische Informationen vermittelt", meint Uwe Wienkop. Er ist Informatikprofessor an der Georg-Simon-Ohm- Hochschule in Nürnberg und lehrt dort technisches Marketing. Rein organisatorisch sind Technology-Evangelisten am ehesten in Marketing-Abteilungen anzusiedeln, inhaltlich unterstützen sie Entscheidungsprozesse bei Kunden und bereiten so Märkte vor. "Der Umstieg beispielsweise auf ein neues Betriebssystem ist für eine Firma aufwändig und kostet viel Geld. Eine solche Entscheidung fundiert, mit Informationen von kompetenten Personen treffen zu können, ist eine große Hilfe", so der Professor.

Die neuen, produktspezifischen Möglichkeiten sind nur ein Teil der Entscheidungsfindung. Zu klären ist auch, mit welchem Aufwand und zu welchen Folgekosten sich der Umstieg realisieren lässt? Deshalb werden als Technology Evangelisten technisch versierte Leute benötigt.

Dazu trägt Michael Plank, Spezialist für Flash-Technologien bei. Der 26-Jährige arbeitet seit einem halben Jahr bei der Aachener Powerflasher GmbH als Entwickler und zugleich Technology-Evangelist für die Software "FDT", eine Entwicklungsumgebung für die Web-Animationssoftware Flash. "Mit der Technik, die man als Evangelist verbreiten will, sollte man sich schon exzellent auskennen", meint Plank, der an der Fachhochschule Hagenburg in Österreich einen Bachelor in Medientechnik und -design, zudem einen Master im Studiengang Digitale Medien erworben hat. Seine Ausbildung sieht er als eine gute Grundlage für seinen Job als Begeisterungsträger. "Es gibt wenige, die den Jobtitel Evangelist tragen, aber viele, die als solche tätig sind, ohne so bezeichnet zu werden", sagt Plank.

Michael Plank, Powerflasher: 'Im Mittelstand sind die Karrierechancen als Evangelist begrenzt.'

Sein Arbeitgeber ist eine mittelständische Multimedia-Agentur mit etwa 40 Mitarbeitern. Deshalb gibt es hier keine reinen Evangelisten wie etwa bei Microsoft und auch keine großen Aufstiegschancen. Planks Ziel ist es, sich auf technischer Ebene weiterzuentwickeln und auf den großen Konferenzen als Redner aufzutreten. Denn Technology Evangelisten werden an ihrem Bekanntheitsgrad und an ihrem Publikum gemessen.

Berufsbild Technology Evangelist

- Evangelist - Evangelium = gute Nachricht;

- Ausbildung: keine einheitliche Ausbildung, sehr gutes technisches Verständnis notwendig;

- Status: angestellt, teils neben einer anderen Aufgabe, oder freiberuflich, organisatorisch Teil des Marketings;

- Arbeitsmarktlage: Exotenstatus, steigender Bedarf;

- Verdienst: Einstiegsgehalt zirka 60.000 Euro jährlich.

Technisches Marketing beginnt beim nächsten Vorgesetzten

An der Georg-Simon-Ohm Hochschule in Nürnberg lernen Studenten im technischen Marketing, ihre Ideen auch wirtschaftlich zu bewerten. Davon sollte jeder Informatiker etwas mit auf den Weg bekommen haben, meint Professor Uwe Wienkop.

CW: Sie lehren das Fach Technisches Marketing. Worum geht es in den Vorlesungen?

WIENKOP: Technisches Marketing ist im Bachelor-Studium ein vierstündiges Wahlpflichtfach über ein Semester. Studierende lernen dabei, Produktideen unter Marketing-Gesichtspunkten zu bewerten, Kosten abzuschätzen und die Chancen für einen Produkterfolg zu ermitteln. Ein Beispiel für eine Produktidee war vor einigen Jahren eine Software, mit der sich am Tablet-PC Formulare ausfüllen lassen sollten. Mittlerweile hat die Studentengruppe ihre Idee umgesetzt, eine Firma gegründet und vermarktet nun die Software.

CW: Wird das Fach häufig gewählt?

WIENKOP: Die Veranstaltungen sind gut besucht und am Ende wissen die Teilnehmer: Aha, Software besteht nicht nur aus einer guten Idee und Programmierkenntnissen, sondern eine Firma muss sich auch mit anderen Themen auseinandersetzen, bis aus der Idee ein Produkt werden kann. Auf welche Fragen die Studierenden Antworten haben müssen, wo sie verlässliche Informationen bekommen und wie sie ihre Ideen schließlich präsentieren können, all das lernen sie in dem Fach.

CW: Wann und wie können sie ihr Wissen nutzen?

WIENKOP: Meist sind Techniker begeistert von neuen Produktideen, ohne dabei die vielfältigen Marketing-Aspekte zu berücksichtigen. Ebenso wichtig wie die Produktidee selbst sind Fragen wie etwa: Gibt es einen Markt, wie groß ist er, was kostet die Umsetzung, wie viel Personal ist dafür notwendig, und wann könnten wir mit dem Produkt herauskommen? Wenn man diese Aspekte kennt und darüber diskutieren kann, hilft man dem Vorgesetzten eine Entscheidung zu treffen.

CW: Der Vorgesetzte ist also die erste Hürde für eine neue Idee?

WIENKOP: Ja, es ist wichtig zu wissen, unter welchen Gesichtspunkten Ideen betrachtet und bewertet werden können, um mit Vorgesetzten umfassend über eine Produktidee zu reden und sie dadurch zu verstärken oder zu erkennen, dass sie nicht wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen ist. Wir bringen unseren Informatikern dadurch bei, wie aus ihren Ideen Produkte werden können. Eine genaue Analyse im Vorfeld hilft, Flops zu vermeiden, und damit lässt sich viel Geld sparen.