Einführung von ERP-Software

Beim Softwareprojekt sind Mitarbeiter und Manager gefordert

03.07.2009 von Frank Niemann
Warum gelingen manche Einführungsprojekte und manche nicht? Das hat viel damit zu tun, wie Key User und Anwender ins Vorhaben eingebunden sind. Idealerweise fühlen sie sich als Teil der Aufgabe und übernehmen selbst Verantwortung.

Wenn manche Firmen ERP-Software einführen, verändern sie ohne Abstimmung gewohnte Abläufe radikal, nehmen den Mitarbeitern lieb gewonnene Anwendungen weg und zwingen sie, sich mit neuen Funktionen auseinanderzusetzen, die ihnen unter Umständen nicht gefallen.

Andere Unternehmen begehen diese Fehler nicht. Sie stülpen den Mitarbeitern nicht einfach ein System über. Wie Beispiele zeigen, sind Anwender deutlich motivierter und identifizieren sich mit der Applikation, wenn sie selbst die Abläufe mitgestalten können. Die Firmen Moosmann & Co, Blizzard und Pepperl + Fuchs berichteten über ihre Erfahrungen mit der ERP-Einführung auf der Fachtagung "COMPUTERWOCHE ERP Initiative 2009" in Offenbach am Main (Hinweise zu weiteren Events der IDG Business Media/COMPUTERWOCHE finden Sie hier).

Key User sind verantwortlich für Lauffähigkeit der ERP-Software

Bei Moosmann & Co, einem Anbieter von Papier und Verpackungen aus Konstanz, waren die Key User nicht nur federführend bei der Einführung. Vielmehr tragen sie noch heute die Verantwortung für die Lauffähigkeit des Systems, für Tests nach der Inbetriebnahme neuer Funktionen und für die Schulung von Kollegen. Key User sind Anwender, die die Interessen ihrer Fachabteilung bei der ERP-Einführung vertreten. Von diesen Personen hängt zu einem großen Teil der Erfolg des Softwareprojekts ab.

Die IT-Fachleute in dem mittelständischen Unternehmen sorgen lediglich für den Betrieb der Hardware. Moosmann beschäftigt 80 Mitarbeiter und setzte im vergangenen Jahr 25 Millionen Euro um. Zu den Kernprozessen des Handelsunternehmens zählen Einkauf, Verkauf, Logistik und Finanzbuchhaltung, die mittlerweile mit einer neuen ERP-Software ("Nvinity" von Nissen & Velten nebst Branchenaufsatz für den Papierhandel) gesteuert werden.

ERP-Modifikationen übernimmt die Fachabteilung

Nach den Worten von Harald Heine, Leiter Einkauf und EDV, gelang es, die Mitarbeiter für die ERP-Software zu begeistern und eigene Fachkompetenz aufzubauen. Die späteren Nutzer waren während der Auswahl an den zahlreichen Workshops mit Anbietern beteiligt, sie waren es auch, die die Anforderungen für ihre jeweilige Fachabteilung formulierten. Dreh- und Angelpunkt des Konzepts war und ist eine Struktur aus Key Usern und Key-User-Leitern. Die User mit Leitungsfunktionen haben Zugriffsrechte, die es ihnen erlauben, das ERP-System zu modifizieren. Hiervon machen sie regen Gebrauch, wenn sie Cockpits (ERP-Ansichten auf Geschäftsdaten) etwa für den Versand, die Lieferantenverwaltung, den Vertrieb und den Artikelstamm anpassen.

Einige Moosmann-Mitarbeiter haben sich in SQL und die Reporting-Software "Crystal Reports" von SAP (durch die Übernahme von Business Objects) eingearbeitet (siehe auch "Markt für BI-Software"). Sie sind in der Lage, Anforderungen selbst umzusetzen beziehungsweise ihre Kollegen in der Benutzung der neuen Funktionen zu schulen. Wenn ein Fehler im ERP-System auftritt oder ein Nutzer ein Problem hat, wendet er sich nicht an die IT, sondern an einen der Key User.

ERP-Investitionen
ERP-Studie 2009
Die Anzahl der Firmen, denen ein ERP-Budget von mindestens 100.000 Euro im Jahr zur Verfügung steht, ist kleiner geworden.
ERP-Studie 2009
ERP-Software ist in vielen Firmen bereits im Einsatz. Doch nicht selten sind die Lösungen veraltet.
ERP-Studie 2009
Obwohl es Verbesserungsbedarf gibt, haben viele Firmen schlicht kein Budget für Modernisierung oder Ausbau ihrer ERP-Applikationen.
ERP-Studie 2009
An den Zielen der ERP-Einführung hat sich kaum etwas geändert.
ERP-Studie 2009
Änderungen in der Firmenstruktur sind in diesem Jahr weit häufiger der Auslöser dafür, die bestehende ERP-Software aus- oder umzubauen.
ERP-Studie 2009
An der Studie nahmen in erster Linie kleine und mittelständische Firmen teil. In der Regel erhält nur ein Teil der Belegschaft Zugang zu ERP-Prozessen.
ERP-Studie 2009
Ob die ERP-Einführung aus Sicht der Unternehmensleitung die Erwartungen erfüllt hat, beurteilen die Firmen gegenüber dem Vorjahr etwas positiver.

Was die ERP-Software leistet und wie sich Abläufe damit verbessern lassen, erfuhren die Anwender von Anfang an von ihren Kollegen. "Internes Consulting spart Geld", erklärt Heine. Pro Quartal finanziert das Unternehmen einen Manntag für die Key-User-Weiterbildung. Das kann zum Beispiel ein Workshop beim Softwarehaus sein, dessen Agenda die Key User selbst gestalten.

ERP-Projektleiter = Gott

Die Beteiligung vieler an der Gestaltung von ERP-Prozessen hat Vorteile. Allerdings muss trotzdem klar sein, wer im Projekt den Hut aufhat. "Als Projektleiter sind Sie Gott", sagt Eric-Jan Kaak. Er meint das nicht arrogant, sondern will deutlich machen, dass eine Person Entscheidungen treffen können muss. Kaak ist Leiter Controlling beim Skihersteller Blizzard Sport aus dem österreichischen Mittersill und hat gemeinsam mit seinen Kollegen eine komplett neue ERP-Lösung ("SoftM Semiramis") eingeführt. Die herausragende Position des Projektleiters wird jedoch nur ernst genommen, wenn der Auftrag dazu "von ganz oben" kommt. Im Falle von Kaak kam er per Handschlag vom Vorstandsvorsitzenden der Tecnica Group, der Muttergesellschaft von Blizzard (siehe "Druch gute Teamarbeit glückte die ERP-Einführung bei Blizzard").

Wissensträger ins ERP-Projekt einbinden

Sowohl Kaak als auch Heine raten Firmen, die ebenfalls ERP-Software einführen möchten, auf die eigenen Mitarbeiter zu setzen. Diese wüssten oft mehr und könnten Verantwortung übernehmen. "Sie müssen Wissensträger ins Projekt einbinden, denn deren Kenntnisse sind zwar nirgendwo dokumentiert, helfen aber bei der Softwaregestaltung weiter", so Kaak.

Des Weiteren betonen die Projektleiter sowohl von Blizzard als auch von Moosmann, wie wichtig eine ausführliche Kommunikation über das Projekt ist. Bei Blizzard erfuhren die Angestellten, die nicht direkt am Einführungsprojekt beteiligt waren, den Stand der Dinge in Vertrieb, Produktion und Buchhaltung über regelmäßig versandte Newsletter.

Anspruchsvolle Konsolidierung: Aus 40 ERP-Systemen wurde eins

Auf einen erfolgreichen Projektabschluss kann auch Jürgen Schmitt zurückblicken, seines Zeichens IT-Director bei dem international aufgestellten Automatisierungs-, Mess- und Regeltechnikspezialisten Pepperl + Fuchs aus Mannheim. Aus insgesamt 40 ERP-Lösungen hat das Unternehmen eine einzige gemacht. Seit diesem Jahr benutzen weltweit 2000 User eine zentral in Mannheim betriebene ERP-Umgebung. Sie basiert auf "M3" von Lawson Software (vormals Intentia). Die Java-Software ersetzte RPG-Applikationen des gleichen Herstellers.

Eine Herausforderung bei Pepperl + Fuchs war nicht nur der Umfang, sondern auch die Steuerung des Projekts. Es galt, umfangreiche Stammdatenbestände sowie Prozesse innerhalb des Konzerns zu harmonisieren. Projekt-Manager für die Regionen Europa, USA und Asien hatten die Aufgabe, Artikel-, Kunden- und Lieferantendaten in 20 Sprachen abzubilden, so dass sich am Ende in allen Ländern jeder Fachanwender zurechtfinden sollte. Das Vorhaben wurde in Projektbereiche ("Project Areas") zerlegt. Rahmenvorgaben für Bereiche wie unter anderem Einkauf, Versand, Buchhaltung, Vertrieb und Kostenrechnung halfen, Prozesse zu vereinheitlichen. Allein die Vereinheitlichung der Preisfindung angesichts zahlreicher Produkte, Kunden und Rabatte in den verschiedenen Ländern war eine Wissenschaft für sich.

Zwar geht ohne Technik wenig, doch die hauptsächlichen Erfolgsfaktoren waren für IT-Chef Schmitt die enge Beteiligung des Managements und das hoch motivierte Projektteam.

Doch wie bringt man Angestellte, die nicht mit Software groß geworden sind, dazu, sich zu engagieren? "Wenn Mitarbeiter Verantwortung übernehmen, sind sie auch motiviert", so Moosmann-Manager Heine. Vor allem junge Kollegen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, eigneten sich dafür, völlig neue Dinge auszuprobieren. Auf solche Mitarbeiter kann Moosmann als Ausbildungsbetrieb zugreifen. Zwar fiel bei der ERP-Einführung Mehrarbeit an, doch die anfallenden Überstunden wurden sofort ausbezahlt. Allerdings weisen Heine und Blizzard-Projektleiter Kaak darauf hin, dass nicht nur die Key User viel leisten, sondern auch die Kollegen, die ihre Aufgaben übernehmen, wenn sie wegen Projektarbeit anderweitig beschäftigt sind.

ERP-Standardsoftware ist kein Ersatz für Prozesskonzepte

Wieso eigentlich treiben Anwenderunternehmen so viel Aufwand bei der ERP-Einführung, wo doch die Softwareindustrie Standardlösungen und vordefinierte Geschäftsprozesse verspricht? "Sie können eine ERP-Software nicht hinstellen wie ein Fertighaus", erklärt Andreas Kerbusk. Der geschäftsführende Gesellschafter des Beratungshauses SE Strategies & Engineering weiß, wovon er spricht. Heute berät er Firmen bei der ERP-Einführung, früher befasste er sich als Konzern-CIO intensiv mit betriebswirtschaftlicher Software. "Vordefinierte Prozesse verleiten Firmen dazu, die Gestaltung ihrer Abläufe der Software zu überlassen", meint der Experte. Das hat nicht nur mit Bequemlichkeit zu tun: Insgeheim hoffe der IT-Entscheider, das Einführungsprojekt mit möglichst geringem Risiko abwickeln zu können. Ein Irrglaube, meint Kerbusk: "Die Verantwortung und die Organisation von operativen Prozessen kann man nicht an die Software delegieren. Hier ist die Geschäftsführung gefragt." Diese müsse das ERP-Projekt nicht nur fordern, sondern in Form eines Geschäftsauftrags genau formulieren, was die Ziele des Vorhabens sind, was zu tun ist und wie (siehe auch "Mittelstand wrackt ERP-Software ab"). Die Realität sehe indes oft anders aus. Es komme vor, dass am Ende dem Einführungspartner beziehungsweise dem Softwarehaus die Aufgabe zufalle, operative Prozesse festzulegen, weil sich auf Anwenderseite niemand dazu imstande sieht.