RPA und Intelligent Automation

Automatisiere – und rede darüber!

26.10.2022 von Florian  Stocker
Experten diskutieren neben der Definition von Intelligent Automation auch den besten Weg, diese langfristig in den Unternehmen zu verankern. Centers of Excellence kommt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle als “Innovations-Botschafter” zu.
Wer die Erfolge und Vorteile von Intelligent-Automation-Projekten regelmäßig kommuniziert, sichert sich die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Führungsebene.
Foto: Alexander Limbach - shutterstock.com

"Intelligent Automation" hat sich in den vergangenen Jahren als übergeordnete Kategorie für Themen wie RPA, NLP und Process Mining etabliert. Laut den Branchenexperten beim COMPUTERWOCHE-Roundtable zu diesem Thema handelt es sich bei Intelligent Automation, alternativ auch oft Hyperautomation oder Cognitive Automation genannt, um viel mehr als nur Sammelbegriffe: Es geht um einen "Mentalitäts-Shift", der die Fachbereiche genauso erfassen muss wie das Management, wenn sich nachhaltiger Erfolg einstellen soll. Statt punktuell eingeführter RPA-Lösungen und -Technologien sollten die Vorteile von Automatisierung im gesamten Unternehmen zum Tragen kommen, um das Potenzial aller vorhandenen Daten langfristig und strategisch sinnvoll auszuschöpfen.

Genau diese Ausweitung auf die gesamte Organisation scheitert aber häufig im Alltag: Fehlendes Wissen, keine klare Vision seitens der Chefetage oder verkrustete Strukturen verhindern, dass das Potenzial von Automatisierung in großem Stil erschlossen wird. Sichtbare Innovation und spürbare Verbesserungen können hier genau die "Brechstange" sein, die solche Widerstände überwinden hilft.

Eine Hauptrolle kommt dabei dem "Center of Excellence" (CoE) zu, das überhaupt erst für die nötige Skalierbarkeit sorgt. Das CoE identifiziert den Bedarf und findet die passenden Technologien, diesen zu adressieren. Außerdem werben CoEs bei Mitarbeitern für die Akzeptanz einer Technologie, definieren Prozesse und führen auch Schulungen durch.

Für die Teilnehmer am COMPUTERWOCHE-Roundtable liegt in der "Leuchtturmfunktion" ein Hauptvorteil von CoEs - wenn sie laut genug für ihre Anliegen werben, wie Julian Beckers von Ciklum anmerkt: "Oft lohnt es sich als CoE, bewusst komplexe und aufwendige "Elfenbeinturm-Projekte" anzustoßen, um die Automatisierungsmöglichkeiten zu veranschaulichen. Ziel sollte es sein, einen Leap of Faith beim Management zu erreichen. Ist dann die Aufmerksamkeit der Führungsebene erstmal gewonnen, hat man einen guten Hebel für weitere interne Automatisierungsprojekte geschaffen."

Virtueller Round Table "Intelligent Automation"
Niklas Bläsing, CGI
"Change Manager stiften schon dadurch einen Mehrwert, dass sie unbequeme Fragen stellen. Es braucht jemanden, der immer wieder auf das “große Ganze” hinweist. Der externe Blick von Beratern kann hier oft einen Unterschied machen."
Julian Beckers, Ciklum
"Die Definition von “Intelligent Automation” ist gerade noch relativ offen. Für mich ist es die Überwindung der Frage: “Human-centric oder system-centric?” durch einen “Logic-centric”-Ansatz, bei dem das automatisierte Treffen von Entscheidungen im Mittelpunkt steht."
Matthias Bauer, Instabase
"Vor allem das erste Automationsprojekt steht oft vor gewissen regulatorischen Hürden. Sind diese einmal überwunden, ist der Weg frei für weitreichende Modernisierung."
Tobias Schicht, Leadvise Reply
"Ohne Center of Excellence (COE) geht es nicht. Natürlich sind zu Beginn eines Projektes oft Externe dabei. Dauerhaft ist ein Team auf Unternehmensseite erforderlich, das sich mit dem Thema identifiziert. Nur so lässt sich die nötige Fürsprache für weitere, komplexere Projekte unternehmensweit erreichen."
Jörg Petzhold, Matrix42
"Gewisse Workflow-gesteuerte Prozesse sind heute schon intelligent und bieten genug Anknüpfungsmöglichkeiten für Automatisierungsstrategien. Ein Beispiel wäre die automatische Erkennung gleichartiger Tickets, was das Aufkommen deutlich reduziert. Die Kernfrage, die es zu beantworten gilt, ist: Wo im Workflow automatisiere ich sinnvoll?"
Florian Lauck-Wunderlich, Pegasystems
"Die Grundfrage bei der Nutzung von Intelligent Automation sollte immer lauten: “Was möchte ich konkret lösen oder erreichen und unter welchen Rahmenbedingungen?” Je nach Antwort gibt es ganz unterschiedliche Lösungsansätze, Methoden und Tools im Wekzeugkasten."

Eine Frage der Definition

Hilfreich für die Steigerung der Akzeptanz ist auch, eine gemeinsame Definition von "Intelligent Automation" zu haben. Gegenüber "dummer" RPA kommen hier nämlich komplett unterschiedliche Mechanismen zum Tragen. Künstliche Intelligenz fungiert im Kontext von Intelligent Automation nicht als Add-On, sondern als treibende Kraft beim Treffen von Entscheidungen. Für Tobias Schicht von Reply existieren hier zwei Kategorien: "Der Unterschied zwischen 'Intelligent Process Automation' und 'Cognitive Automation' ist besonders wichtig: Ersteres heißt, unstrukturierte Daten in strukturierte Daten zu übersetzen und dann den Prozess zu automatisieren. Zweiteres meint alle Prozesse, bei denen auf Erkenntnis beruhende, kognitive Entscheidungen bei komplexen Sachverhalten zu treffen sind."

Im Service Management können dank Cognitive Automation Probleme automatisch erkannt und Maßnahmen eingeleitet werden. Darüber hinaus hilft Cognitive Automation, Lücken zwischen bestehenden RPA-Bots, API-Integrationen und anderen Low-Code-Anwendungen zu schließen. Auch altbekannte Probleme von KI und Machine Learning wie "KI-Biases" werden reduziert, während die User Experience durch die Kombination von RPA-Bots und KI-Chatbots weiter verbessert wird.

Durch den Faktor Intelligenz betreten CoEs, die das Thema Automatisierung im Unternehmen vorantreiben, aber auch kommunikativ neues Terrain. Bestand bei RPA noch das Narrativ, Mitarbeitern einfache und eintönige Arbeiten abzunehmen, kann "Intelligent Automation" auch alte Ängste vor Arbeitsplatzverlust und KI-Konkurrenz reaktivieren. Für Matthias Bauer von Instabase ist Intelligent Automation daher auch ein politisches Thema: "Die Angst von Mitarbeitern, durch Automatisierung ersetzt zu werden, sollte ganz proaktiv angesprochen und ausgeräumt werden. Wenn nicht, fehlt die Unterstützung und das Projekt ist zum Scheitern verurteilt." Ein individuelles Vorgehen, das die spezifischen Gegebenheiten im Unternehmen adressiert, ist also ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Studie "Intelligent Automation 2023": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Intelligent Automation führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Der Reifegrad entscheidet

Für Tobias Schicht liegt ein fundamentaler Unterschied darin, ob ein Automatisierungsprojekt in einem mittelständischen Betrieb oder in einem Konzern gestartet wird. "Im Mittelstand herrschen oft sehr konkrete Vorstellungen von Cognitive Automation. Use Cases werden skizziert, ohne überhaupt Automatisierungserfahrung zu haben." Der Blick von außen sei in solchen Fällen entscheidend, so der Reply-Manager: "Als Dienstleister in einer beratenden Position empfehlen wir dann ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen - beispielsweise mit einem einfach gestalteten RPA-Prozess zu starten. So können Kosten eingespart werden und es entstehen Erfolgserlebnisse sowie Begeisterung für das Thema."

Die Messung dieser Erfolgserlebnisse stellt eine weitere Challenge dar: Wenn Automatisierungsprojekte in komplett neuen Prozessen münden, ist es gar nicht so leicht zu bestimmen, ob das Projekt am Ende wirklich erfolgreich war. CoEs sollten daher die Erfolgsmessung und -kontrolle als eigenen Projektbestandteil betrachten und schon bei der Ermittlung des Status Quo möglichst methodisch vorgehen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Intelligent Automation 2023'

Florian Lauck-Wunderlich von Pegasystems sieht in der Bestimmung des Status Quo den Hauptvorteil von Process Mining: "Wenn ich das "Vorher" nicht genau kenne, besteht das latente Risiko, dass der durch intelligente Automatisierung erreichte Mehrwert nicht transparent messbar wird und sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Insofern sollten Process Mining und -Monitoring unverzichtbare Bestandteile jeder intelligenten Automatisierung sein."

Außerdem spielt schon die Formulierung dessen, was wann und wie erreicht werden soll, eine wichtige Rolle. Niklas Bläsing von CGI empfiehlt Unternehmen, kurzfristige und erreichbare Ziele zu definieren, um auch über die Anfangsphase hinaus "dranzubleiben". Erfolge sollten außerdem angemessen kommuniziert werden. Bläsing empfiehlt ein Vorgehen nach dem Motto: "Do something good and talk about it!" (mb)