Alles über Netweaver: Plattformen verändern IT und Business

03.04.2007 von Lars Erdmann
SAP, IBM und Microsoft kombinieren ihre Produkte mit Infrastruktur. Unternehmen müssen festlegen, wer wie zum Zuge kommt.
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Bei der Produktentwicklung, -fertigung sowie Vermarktung, Vertrieb und Service wird die IT zu einem kritischen Erfolgsfaktor. Sie muss daher flexibel genug sein, um mit sich ständig ändernden Anforderungen Schritt halten zu können. Führende Analysten sprechen in diesem Zusammenhang vom "Real Time Enterprise".

Hier lesen Sie ...

  • warum Unternehmen sich eine Plattformstrategie zulegen sollten;

  • wann die "Best-of-Breed"- und wann die "Best-of-Brand"-Methode sinnvoll ist;

  • dass Firmen festlegen müssen, welche Funktionen auf der Plattform von SAP, Microsoft und IBM laufen sollen;

  • dass Netweaver neben SAP- auch Java- und SOA-Know-how voraussetzt.

  • dass die Zentralisierung von Softwarediensten auf Seiten der Fachanwender zu Machtkämpfen führt.

Das Ziel ist verständlich, aber für eine erfolgreiche Umsetzung müssen mehrere, sich teilweise widersprechende Anforderungen erfüllt werden. Individuelle IT-Lösungen, die meist nicht in die Kernprozesse oder Backendsysteme integriert sind, lassen sich am schnellsten realisieren. Ist eine Backend-Integration gewünscht, müssen die Release-Zyklen von Applikationen koordiniert werden. Dafür brauchen größere Unternehmen eine Vorlaufzeit von drei bis sechs Monaten, was oft als zu lang empfunden wird.

Auf der anderen Seite sind die langfristigen Kosten von individuell gebauten Insellösungen oft deutlich höher als zunächst angenommen, wenn eine neue Infrastruktur aufgebaut und neue Technik verwendet wird, für die im Betrieb häufig noch kein Know-how zur Verfügung steht. Diese Lösungen können oft auch im Bezug auf Qualität nicht alle Erwartungen erfüllen, da die Komponenten neu erstellt wurden und umfangreiche Tests selten in die dynamische Planung passen. Häufig erreichen Anwender erst mit den nachfolgenden Releases die notwendige Stabilität und den gewünschten Funktionsumfang. Insgesamt erhöht sich die Komplexität der IT-Landschaft durch diesen "pragmatischen" Ansatz und widerspricht damit der ursprünglichen Intention.

Der Lösungsansatz der IT-Hersteller für diese Problematik lautet SOA (Service-orientierte Architektur) und genießt seit einigen Jahren hohe Aufmerksamkeit auf vielen Konferenzen und in der einschlägigen Fachliteratur. Besonders SAP, IBM und Microsoft sind im europäischen Markt präsent bei der Vermarktung ihrer SOA-basierenden Plattformen.

Netweaver-Überlegungen beim Release-Wechsel des ERP-Systems

SAP setzt als SOA-Plattform auf "Netweaver". Kunden des Softwarekonzerns fragen sich angesichts eines anstehenden Release-Wechsels auf ERP 2005 häufig, wie sie Netweaver verwenden sollen sowie welche Auswirkungen beziehungsweise Kosten damit verbunden sind.

Um Fragen nach Einsatzbereichen, Rollout-Strategien und Auswirkungen zu beantworten, sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:

  1. Definition einer langfristigen IT-Architektur

  2. Erarbeitung einer IT-Governance auch in Bezug auf den Einsatz von Technik bei der Umsetzung von Anforderungen

  3. Betrachtung der Aufwände/Kosten für die organisatorische und technische Einführung.

In einigen Bereichen mit sehr spezifischen Anforderungen bestehen zu Individualentwicklungen heute noch keine Alternativen. Dies bedeutet, dass im Hinblick auf die Implementierungszeit oft Kompromisse eingegangen werden müssen.

Auf der Seite der Standardprodukte gibt es zwei Strategien, um eine IT-Architektur zu definieren: Der Einsatz des jeweils besten Produktes für die gestellten Anforderungen ("Best-of-Breed") oder die Fokussierung auf wenige, dafür umfangreiche Produkte oder Plattformen ("Best-of-Brand"). Der erste Ansatz führt in den meisten Fällen zu einer größeren Heterogenität und somit Komplexität der gesamten IT-Landschaft. Die "Best-of-Brand" oder Plattformstrategie hat zwar einerseits den Nachteil, einige Anforderungen unter Umständen nicht optimal abzudecken (zum Beispiel war lange Zeit die Übertragung großer Datenmengen über die Netweaver Exchange Infrastructure der SAP keine Stärke des Produkts), bietet aber auf der anderen Seite erhebliche Vorteile:

"Best-of-Brand" hat somit das größte Potenzial, langfristig die Agilität der IT zu erhöhen, und sollte daher bei der Entwicklung der IT-Architektur wo immer möglich berücksichtigt werden. Dies kann auch die Migration bestehender Anwendungen auf die zentrale Plattform beinhalten.

IT-Governance

"Best-of-Brand"-Strategien lassen sich nur umsetzen, wenn eine IT-Governance etabliert wurde. Entsprechende Prozesse und Gremien zu definieren kostet Zeit und Geld. Gleichzeitig müssen dem Business (Demand-Seite) die Möglichkeiten einer Plattform verdeutlicht werden.

Bei fast allen Unternehmen zeigt aber die Erfahrung, dass konkrete Business-Anforderungen allein die Implementierung von Plattformen nicht rechtfertigen konnten. Es muss daher ein Budget bereitgestellt werden, um die Plattformen initial zu implementieren und anschließend konkrete Lösungen darauf zu realisieren. Solche Anfangsinvestitionen haben die Verantwortlichen von vornherein einzukalkulieren.

Bleibt die Frage nach der Plattform. Für welche sollte man sich als Kunde entscheiden? Firmen müssen festlegen, auf welcher Architektur generische Funktionen wie Portale, Business Intelligence (BI) und Enterprise-Application-Integration (EAI) laufen sollen. Es ist vielen Softwarekunden noch nicht bewusst, dass sie die Plattformentscheidung oft gar nicht mehr selbst treffen können: SAP, Microsoft und IBM haben eigene Infrastrukturen etabliert, auf denen ihre Produkte aufsetzen. Somit erhält der Kunde mit der Software unweigerlich auch die Plattform des Herstellers.

Geht man von einem typischen mittelgroßen Unternehmen im europäischen Raum aus, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Softwareplattformen von SAP, Microsoft und IBM (beispielsweise Lotus Notes und Websphere Integrator) zum Zuge kommen. Dadurch stehen dem Unternehmen zum Beispiel für den Bau von Firmenportalen gleich drei Produkte zur Auswahl, denn alle genannten Anbieter liefern Komponenten dafür mit.

Die Frage muss also lauten: Für welchen Zweck setze ich welche Plattform ein? Einige Unternehmen haben zusammen mit den Herstellern Richtlinien für den strategischen Einsatz der jeweiligen Plattformen definiert.

Die Einhaltung dieser Richtlinien ist ebenfalls Aufgabe der IT-Governance. Sonst ist gerade bei einer plattformorientierten Strategie die Gefahr von Doppelspurigkeiten und Insellösungen (nur dieses Mal auf Basis unterschiedlicher Plattformen) sehr hoch.

Voraussetzungen schaffen

Bei vielen Unternehmen werden die Möglichkeiten der vorhandenen Plattformen, insbesondere bei Netweaver, aber noch gar nicht in vollem Umfang genutzt. Dies liegt oft daran, dass neben den technischen auch organisatorische Voraussetzungen geschaffen werden müssen - und zwar gleichermaßen auf der Seite der Fachbereiche und der IT.

Plattformen stellen Funktionen unternehmensweit bereit (Shared Services), was die Entwicklung und Wartung vereinfacht. Auf Business-Seite ist eine Zentralisierung jedoch oft mit erheblichen Machtkämpfen verbunden. Wer übernimmt die Verantwortung für die Systeme zur Kundenverwaltung? Wer entscheidet über Release-Strategien bei BI-Applikationen? Für die IT ist es daher oft schwer, Entscheidungsträger zu finden, die eine Plattformstrategie unterstützen.

Die Entwicklung von wiederverwendbaren Services (Grundgedanke der SOA) führt auf Business-Seite zu neuen Verantwortlichkeiten. Es müssen beispielsweise zentrale Zuständigkeiten für die übergreifenden Services definiert werden, damit eine konsistente Verwendung und Weiterentwicklung stattfinden kann. Diese Zuständigkeiten können entweder einer existierenden Organisationseinheit zugeordnet sein oder müssen durch Gremien gemeinschaftlich verwaltet werden. Die Regelung dieser neuen Verantwortlichkeiten sollte beispielsweise bei der Einführung von Netweaver ebenfalls frühzeitig geplant werden.

Aber auch die IT-Organisation bleibt von den Auswirkungen einer Plattform als Basis für die Umsetzung einer SOA nicht verschont. Besonders im Bereich SAP sind die Auswirkungen auf die internen Competence Center dramatisch. Bisher waren die internen SAP Competence Center an den Modulen von SAP ausgerichtet. Experten für MM, SD etc. setzen die jeweiligen Anforderungen in ihren Bereichen um. Die Anforderungen des Business werden in Zukunft jedoch noch viel stärker prozessorientiert erfolgen. Dies bedingt Fachwissen über verschiedene Lösungsmodule und Netweaver-Komponenten. Hier müssen neue Produkt- beziehungsweise Service-Manager auf Seiten der IT ausgebildet werden, um die geschäftlichen Anforderungen in technische Spezifikationen zu übersetzen.

Das bisherige modulorientierte Serviceportfolio entspricht heute auch nicht mehr der SAP-Philosophie. Dies zeigt sich am deutlichsten in der neuen Preispolitik, bei der Lizenzen nach Prozessen bezahlt und Services aus unterschiedlichen Bereichen der SAP-Lösungen verwendet werden. Ein Logistikprozess beispielsweise enthält Dienste aus den SAP-Lösungen Supply-Chain-Management und ERP sowie den Netweaver-Komponenten "Enterprise Portal" und "BI". Die Implementierung eines solchen Prozesses sowie dessen Betrieb und Weiterentwicklung verlangen nach einem breiteren Wissen bei den IT-Mitarbeitern als bisher.

Erweiterungen des besagten Logistikprozesses können Anwender über Java oder .NET vornehmen. Das Problem dabei ist, dass die klassischen Java- oder .NET-Entwickler meist nur wenig über die SAP-Geschäftslogik wissen. Dies führt zu unnötigen Entwicklungen, schlechter Nutzung der bestehenden ERP-Funktionen und im Extremfall sogar zu Konflikten mit Standardprozessen der Software.

Vermeiden lässt sich dies nur durch eine Neuausrichtung der Mitarbeiterausbildung in der IT. Die Anwender müssen sowohl verschiedene SAP-Lösungen und deren Aufbau und Zusammenspiel kennen als auch Abap, Java und JEE beherrschen. (fn)