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"Das Realtime Enterprise ist erst der Anfang."

15.11.2005
Während IT-Verantwortliche noch am Konzept des Echtzeitunternehmens basteln, zeichnet Gartners Forschungschef Peter Sondergaard im Gespräch mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann schon die nächste Zukunftsvision.

CW: Wie entwickelt sich der IT-Markt in diesem und im nächsten Jahr?

SONDERGAARD: In Dollar gerechnet, wird der weltweite IT-Markt im laufenden Jahr um 5,4 Prozent wachsen, 2006 um 5,6 Prozent. In Europa fällt das Wachstum etwas geringer aus.

CW: Geben die Unternehmen wieder mehr Geld für IT aus?

SONDERGAARD: CIOs betrachten IT-Kosten nicht mehr als wichtigsten Faktor. Vielmehr geht es darum, wie sich der Umsatz durch IT-gestützte Initiativen steigern lässt. Wir rechnen mit einem leichten Wachstum der IT-Budgets: 2,5 Prozent in diesem und rund drei Prozent im nächsten Jahr.

CW: Welche Themen brennen IT-Verantwortlichen auf den Nägeln?

SONDERGAARD: Ein vordringliches Anliegen ist es, Business- und IT-Ziele in Einklang zu bringen. Betrachtet nach Technologien, stehen Security-Tools, Business Intelligence und geschäftsprozessorientierte Software im Mittelpunkt. Auch die Einführung drahtloser Techniken und Voice over IP gehören dazu. Insbesondere Virtualisierungslösungen gewinnen an Bedeutung, sei es für Speichersysteme, Server oder Netze.

CW: In den letzten Jahren hat Gartner für das Konzept des Realtime Enterprise geworben. Zugleich hieß es, die Unternehmen ständen auf diesem Weg noch ganz am Anfang. Welche Fortschritte sehen Sie heute?

SONDERGAARD: Wir beobachten beispielsweise eine deutliche Zunahme an virtuellen Speichertechniken. Gleiches gilt für Server-Plattformen, die ein Realtime-Unternehmen ermöglichen. Zudem gibt es verstärkte Bemühungen, Applikationen so zu verändern, dass sie sich schneller an veränderte Geschäftsanforderungen anpassen lassen. In den letzten zwölf Monaten sind die Unternehmen diesbezüglich vorangekommen. Bis das große Ziel erreicht ist, werden aber noch mehrere Jahre vergehen.

CW: Ist das Echtzeitunternehmen noch immer eine Vision?

SONDERGAARD: Es ist eine Richtung, die viele bereits eingeschlagen haben. Visionen sind immer undeutlich. Für etliche Organisationen ist das Ziel inzwischen aber klar formuliert. Deshalb sagen wir, Unternehmen sollten nicht beim Realtime Enterprise (RTE) stehen bleiben. Es ist nicht das Ende.

CW: Was kommt danach?

SONDERGAARD: Das lässt sich mit den Begriffen Sensing und Responding beschreiben. Nach Konzepten wie RTE, On Demand oder Adaptive Enterprise müssen die Überlegungen weitergehen. Zukünftige Architekturen sollten es erlauben, Ereignisse zu verstehen, bevor sie eintreten. Dazu bedarf es vorausschauender Funktionen. Die Realtime-Architektur muss in eine antizipierende überführt werden.

CW: Wird das die Leitidee der nächsten Gartner-Symposien sein?

SONDERGAARD: Sie können davon ausgehen, dass wir mehr zu dem Thema beitragen werden. Tatsächlich gibt es schon Praxisbeispiele.

CW: Welche?

SONDERGAARD: Einige Hollywood-Filmstudios etwa verfolgen, wie bestimmte Filme auf Internet-Plattformen wie Blogs kommentiert werden. Mit Hilfe von Predictive-Modelling-Methoden versuchen sie, Diskussionen zu beeinflussen und ihre Einnahmen zum Filmstart zu erhöhen.

CW: Anbieter von Business-Intelligence-Werkzeugen versprechen solche Prognosen bereits seit längerem.

SONDERGAARD: Wenn die entsprechende Software installiert ist und die nötigen Daten vorliegen, ist das grundsätzlich möglich. Allerdings befindet sich etwa das Data Warehouse meistens im Besitz weniger Mitarbeiter im Unternehmen, die damit ihre Analysen machen. Nötig sind aber auch Sensing-Instrumente außerhalb der Firma, und zwar dort, wo sich Veränderungen ergeben, die eine Reaktion erfordern. Der Fokus der Business-Intelligence- und Data-Warehouse-Anbieter muss sich auf das Unternehmensumfeld ausdehnen.

CW: Welche Teile der IT sind noch vom Konzept des Sensing und Responding betroffen?

SONDERGAARD: Das Realtime-Unternehmen dreht sich um Personen, die direkt in einem bestimmten IT-unterstützten Prozess stecken. Sensing und Responding geht in der Wertschöpfungskette einen Schritt weiter, es bezieht Geschäftspartner und die Partner dieser Partner mit ein. Das beeinflusst beispielsweise drahtlose Techniken, RFID oder andere Systeme, die Informationen sammeln. Für sich genommen bedeuten diese Daten nichts. Erst die Aggregation ermöglicht es, zu reagieren. Es ist wie bei der Wettervorhersage.