Handel sucht IT-Profis

Alle Hände voll zu tun

21.01.2010 von Winfried Gertz
Wer im Handel vorne mitmischen will, muss ordentlich in IT investieren Für Profis bieten sich interessante Aufgaben und Jobs.
Karl-Heinz Stroh, Praktiker: "Der Handel bietet zum Teil interessantere Jobs als IT-Hersteller." (Fotos: Praktiker)

Damit Verbraucher zufrieden den Laden verlassen und bei nächster Gelegenheit gleich wieder vorbeischauen, greift im Handel ein Rad ins andere. Nicht nur der Verkäufer muss sein Bestes geben. Ohne vorausschauende Lagerhaltung, auf den Punkt getaktete Logistik und eine Produktentwicklung, die auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten ist, geht nichts. "Für den reinen Techie ist das weniger interessant", erklärt Karl-Heinz Stroh, als Personalvorstand der Baumarktkette Praktiker auch für die IT verantwortlich. "Wer aber die Verknüpfung von IT und Geschäft sucht, hat im Handel bessere Perspektiven als bei manchen IT-Herstellern."

Ein Beispiel ist die Rewe-Gruppe in Köln, einer der größten Handelskonzerne Europas. Rund 15.000 Supermärkte in 16 Ländern sind jeden Tag bis zu 15 Stunden geöffnet. Ohne "Hochleistungs-IT", so IT-Vorstand Frank Wiemer, "ist moderner Lebensmittelhandel nicht denkbar." IT-Systeme, die vielfältige Prozesse in Warenwirtschaft, Logistik, Verkauf und Verwaltung steuern, "werden immer enger miteinander vernetzt und tauschen ihre Daten in beschleunigtem Tempo aus", so Wiemer. Diesen Trend bestätigt die Münchner Experton Group in einem Branchenreport. Danach versprechen sich die Firmen von vernetzten IT-Systemen präzisere Informationen, mit denen sie nicht allein ihre Lieferketten besser planen und steuern, sondern auch den Einkauf sowie die Bestandsführung optimieren können.

Bei Rewe wird in zahlreichen Projekten an der Zukunft gebastelt. Strategische Impulse liefert die IT im Fuhrpark-Management, im Datenaustausch mit Geschäftspartnern oder bei neuen Bezahlsystemen - man denke nur ans Bezahlen per Fingerabdruck. Perspektivisch, wagt Weimer eine Prognose, werde der Personalbedarf in der IT deshalb eher wachsen. "Hier liegt für Handelsunternehmen ein immenses Potenzial."

Organisatorisch ist der IT-Bereich, der bei Rewe immerhin 700 Mitarbeiter beschäftigt, interner Dienstleister für alle strategischen Geschäftseinheiten. Ähnlich bei Praktiker, wo man von der konzernweiten Serviceorganisation spricht. Ihre Aufgabe liegt darin, sämtliche Kernprozesse entlang der Lieferkette zu unterstützen. Laut Stroh entwickelt sie als "Enabler" das Geschäft weiter und schöpft so neuen Wert. "Es gibt keine IT-Funktion ohne diesen Zusatznutzen für das Geschäft."

Strategische Bedeutung der IT steigt

Roman Melcher, DM Drogeriemärkte: "Wir tun nicht alles, was verlangt wird."

Service heißt auch das Motto der IT-Abteilung der Drogeriekette DM. Das bedeutet keineswegs, dass sie lediglich ausführendes Organ ist. Roman Melcher, in der Geschäftsführung für die Informationstechnik zuständig, zieht auch mal die Reißleine, wenn unangemessene Erwartungen an ihn herangetragen werden. Insofern agiere die interne IT keineswegs genauso wie ein externer Dienstleister.

In Kürze wird DM bei Köln das nach eigenen Angaben "modernste Logistikzentrums Europas" in Betrieb nehmen. Es ist komplett automatisiert und IT-gestützt. "Dieses Leuchtturmprojekt zeigt, wie wichtig IT für uns ist: Wir wollen Prozessführer sein, sonst könnten wir unser niedriges Preisniveau kaum halten", gibt Melcher die Marschrichtung vor.

Wer neue Geschäftsfelder erschließen und zusätzliches Wachstum erzeugen will, muss also in der IT die Weichen stellen. Dieses Prinzip beherzigt auch Holger Rommel, IT-Chef der Gries Deco Company in Niedernberg. In Einkaufszentren betreibt die Firma Shops, die auf Wohnaccessoires spezialisiert sind und auf große Nachfrage treffen. Binnen drei Jahren sollen allein in Deutschland 180 neue Läden eröffnet werden. Weitere Shops entstehen in der Schweiz beim Handelsriesen Migros. "Neben der Mehrsprachigkeit und der Währungsfrage ergeben sich dort neue Bestellprozesse, Buchungskreise und Warenverteilformen, die von der IT abgebildet werden müssen", erläutert Rommel.

An attraktiven Aufgaben besteht kein Mangel. Zwar gibt es laut Experton Group vielerorts noch Nachholbedarf bei der Harmonisierung von Systemen. Auch der Automatisierungsgrad lässt hier und da noch zu wünschen übrig. Doch auf der Suche nach Wettbewerbsvorteilen wächst das Bewusstsein für die strategische Bedeutung der unternehmenseigenen IT.

Mehrsprachigkeit, neue Geschäftsmodelle und Verkaufskonzepte - das alles muss auch Bernd Hilgenberg von Fressnapf in der IT abbilden. Die auf Tierbedarf spezialisierte Kette mit Sitz in Krefeld wächst und verändert sich ständig. Dass nichts bleibt, wie es einmal war, spüren auch die IT-Kräfte. "War ein Mitarbeiter früher für das Rechenzentrum, den User Helpdesk und die Haustechnik zuständig, organisieren wir uns nun arbeitsteilig", sagt Hilgenberg. "Hierbei wird der optimale Einsatz der individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter berücksichtigt."

Welche IT-Experten im Handel benötigt werden, lässt sich am Beispiel von Fressnapf gut ablesen. Am dringendsten gesucht sind Kräfte fürs Rechenzentrum und Datenbanken, die auch ein Data-Warehouse betreiben können. Viele IT-Mitarbeiter von Fressnapf sind ständig unterwegs, bisweilen verbringen sie sogar die Hälfte der Arbeitszeit im Ausland. In den Filialen schulen sie Anwender von Softwareprogrammen und stellen die notwendige Prozesskompetenz sicher.

Eine lückenlose mehrsprachige Dokumentation hilft, dass die IT eine international einheitliche Qualität gewährleisten kann. "Dafür suchen wir technische Redakteure, die sich im Single-Source-Publishing auskennen und bereit sind, sich in unsere Prozesse einzuarbeiten", skizziert Hilgenberg das Anforderungsprofil. Um internationale Rollouts zu planen und zum Beispiel Kassen-Images zu verteilen, würden weitere IT-Kräfte im Bereich der Infrastruktur gebraucht. "Dazu zählen auch der zentrale User Help-Desk sowie der Telefonsupport."

IT-Mitarbeiter brauchen Prozess-Know-how

Die IT-Chefs im Handel wissen, dass sie als Arbeitgeber nicht unbedingt die erste Adresse für junge, karriereorientierte Einsteiger und berufserfahrene IT-Experten sind. Rommel von Gries Deco kämpft daher an mehreren Fronten: Während jedes Jahr zwei IT-Azubis hinzustoßen, arbeitet der IT-Chef auch mit Headhuntern zusammen, um etwa berufserfahrene SAP-Experten zu finden, die sich in den Modulen SD (Vertrieb) und MM (Materialwirtschaft) auskennen. Grundsätzlich seien Bewerber erwünscht, die Probleme lösen können. "Sie sollen nicht nur Bits und Bites, sondern auch die betriebswirtschaftlichen Prozesse im Handel verstehen", erwartet Rommel.

Bei der Rekrutierung von Mitarbeitern im IT-Bereich wird Branchenkompetenz also ebenso hoch bewertet wie IT-Kenntnis. "Wichtig ist bei IT-Einsteigern ihre Prozesskompetenz, die sie sich zum Beispiel in Praktika angeeignet haben", sagt Stroh von Praktiker. Berufserfahrene Mitarbeiter sind oft Prozess- und Projekt-Manager, die im Handel groß geworden sind und viel von Logistik verstehen. Solche Quereinsteiger sind auch bei Fressnapf in großer Zahl zu finden. "Programmierer suchen wir nicht, weil ohnehin Standardsoftware zum Einsatz kommt", sagt Hilgenberg. "Auch Ältere sind willkommen, sofern sie ein wacher Geist auszeichnet, den wir oft bei jungen Bewerbern vermissen."

Ganz anders sieht die Lage bei der Münchner Zooplus aus. Die wie Fressnapf auf Heimtierbedarf spezialisierte Firma ist ausschließlich online tätig. Auch ihr Wachstum ist beeindruckend. Trotz Wirtschaftskrise legte der Umsatz jüngst um über 50 Prozent zu. Während andere Handelsbetriebe sich schwertun, IT-Experten zu gewinnen, bewerben sich auf ein Zooplus-Inserat stets zahlreiche Interessenten, sagt Personalchefin Regina Rausch. Vor allem Entwickler schätzten am E-Commerce, "sofort zu erkennen, wie sich ihre Arbeit niederschlägt", Ihnen sei wichtig, "mit modernsten Technologien umgehen zu können". Viele fänden es "spannend", mit Entwicklern aus China und Indien in einem Team zu arbeiten und sich auf Englisch zu verständigen.

Egal ob stationär oder online: Wer einmal als IT-Experte im Handel untergekommen ist, erhält großen Freiraum, um sich weiterzuentwickeln und an neuen Aufgaben zu wachsen. DM investiert beispielsweise viel in die fachliche und persönliche Entwicklung seiner Mitarbeiter, überlässt dabei aber dem Einzelnen die Entscheidung, was er fürs Weiterkommen benötigt. Auch wie sie ihre Arbeit organisieren, stehe den Mitarbeitern frei. "Kernzeiten kennen wir nicht", sagt Melcher. Per Desk-Sharing könnten Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze teilen. Anwesend müssten sie lediglich zu Sitzungen sein, deren Termine vereinbarten sie selbst. Es herrscht großes Vertrauen. "Wie füllt jemand seinen Verantwortungsbereich aus?", heißt laut Melcher die Frage. "Und nicht, wie viele Stunden hat er dafür abgesessen."

Wer wird im Handel gebraucht?

Absolventen sind weniger gefragt, es sei denn, Bewerber haben einschlägige Praktika vorzuweisen oder kommen von einer Dualen Hochschule.