Abschied vom Personality-Konzept Big Blue scheitert am zu komplexen Workplace-OS

13.01.1995

MUENCHEN (CW) - Big Blue hat sich mit seinem Workplace-OS-Projekt uebernommen. Mitte des Jahres soll das Microkernel-Betriebssystem nun nur in einer OS/2-Version auf den Markt kommen. Der Plan, ueber sogenannte Personalities andere Systeme wie AIX, Taligent, OS/400, Windows oder Mac-OS einzubinden, wurde aufgegeben.

"Das Personality-Konzept hat sich verwischt", spielt Lee Reiswig, Group-Manager von IBMs Division Personal Systems Products (PSP), die Probleme des Unternehmens herunter. Urspruenglich sollten mit Hilfe der Personalities gleichzeitig verschiedene Betriebssysteme und die zugehoerigen Anwendungen auf ein und demselben Microkernel laufen koennen.

Durch den Verzicht auf dieses Konzept verliert das Workplace-OS ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenueber den Produkten anderer Hersteller. Negative Auswirkungen auf das Hardwaregeschaeft sind nicht auszuschliessen. "Warum sollte ich statt einem Intel- Rechner einen Power-PC kaufen, wenn ich darauf nicht gleichzeitig das Mac-OS, NT und OS/2 laufen lassen kann?", fragt beispielsweise David Mallinckrodt von Mallinckrodt Medical Inc., St. Louis. Er hatte gehofft, durch die Workplace-OS-Personalities eine einheitliche Plattform fuer saemtliche Desktop-Anwender zu bekommen.

Laut IBM brauchen die User diese Hoffnung nicht gaenzlich aufzugeben. Man stehe zu dem Versprechen, mit Workplace-OS die Integration von Fremd-Betriebssystemen zu unterstuetzen. Diese Moeglichkeit soll nun ab 1996 geschaffen werden - allerdings auf Emulationsbasis.

Das heisst, dass beim Ablauf zum Beispiel einer Windows-Anwendung der Intel-Befehlssatz in Kommandos fuer den Power-PC umgesetzt wird, bevor der Kernel sie verarbeitet. Dieses Verfahren hat nach Meldungen der amerikanischen CW-Schwesterpublikation "Infoworld" neben Geschwindigkeitseinbussen zur Folge, dass der Sourcecode der Anwendungen anders als beim Personality-Konzept neu kompiliert werden muss.

Laut IBM-Deutschland ist damit die Personality-Idee keineswegs gestorben. Schliesslich seien auch OS/2 und die DOS/Windows- Funktionen Personalities des Mach-Microkernels. Letztere muessten jedoch auf OS/2 als sogenannte Master-Personality zurueckgreifen, erklaert Markus Hieronimus, Brand-Manager LAN.

Obwohl Big Blue offenbar selbst davon abrueckt, fordert das Unternehmen nun Entwickler und Drittanbieter auf, Personalities fuer das Microkernel-Betriebssystem zu schreiben. Analysten zweifeln jedoch, ob Microsoft, Apple und Co. auf dieses Angebot eingehen werden. Auch diese Hersteller fuerchten die enormen technischen Probleme, an denen das Personality-Konzept nach IBM- Angaben gescheitert ist.

Als weiteren Grund fuer ihre Neuorientierung in Sachen Workplace-OS fuehrt die IBM an, dass ihre Kunden eher weniger als mehr Betriebssysteme wollten. Big Blue hofft zudem, das mehrfach verschobene Produkt nach dem Technologieverzicht nun endgueltig Mitte 1995 ausliefern zu koennen. "Im Betriebssystem-Markt mit seinen geringen Margen laesst es sich nicht durchhalten, dem Anwender die Wahl beliebiger Systemumgebungen zu ermoeglichen", unterstuetzt Richard Buchanan, Software-Analyst bei Forrester Research, die IBM-Entscheidung.