Zweites quelloffenes VoIP kommt von Pingtel

17.06.2005 von Jürgen Hill
Nach Asterisk offeriert nun ein zweiter Anbieter eine Open-Source-Lösung für VoIP. Sie beruht auf Vorarbeit der SIPfoundry-Community.

Pingtels SIPxchange Softphone (Bilder: Pingtel)

Ähnlich wie durch Linux bei den Betriebsystemen mit Linux wird auch bei Voice over IP der Open-Source-Gedanke immer populärer. Nach den ersten zaghaften Gehversuchen von Mark Spencer mit Asterisk haben sich die Anhänger offener VoIP-Software mittlerweile in einer eigenen Community organisiert, der in Westborough, Massachusetts, ansässigen SIPfoundry (www.sipfoundry.org). Mit Pingtel offeriert ein erster Hersteller eine VoIP-TK-Anlage, die auf dem Open-Source-Projekt von SIPfoundry basiert.

Damit ist Pingtel einer der ersten US-amerikanischen Hersteller, der auf Basis von SIPfoundry VoIP-Lösungen in Europa vermarktet. Im zweiten Halbjahr will das Unternehmen, so President und CEO William Rich, dann auch mit regionalen Partnern, die es allerdings erst noch finden muss, in Deutschland aktiv werden. Das Konzept des Amerikaners orientiert sich dabei an dem bekannten Geschäftsmodell von Red Hat oder Suse: Wie dort mit Linux, schnürt Pingtel die Open-Source-Software zu eigenen Distributionen zusammen und vermarktet diese dann. Als Mehrwert für den Anwender gibt es dazu den Siebn-mal-24-Stunden-Support eines professionellen Dienstleisters für den vereinbarten Zeitraum. Verlängert der Anwender danach den Supportvertrag nicht, kann er die Software, wie es dem Open-Source-Gedanken entspricht, kostenlos weiterbenutzen.

Derzeit offeriert Pingtel drei TK-Anlagen als Open-Source-Distribution sowie ein Softphone. Die Einstiegslösung ist dabei "SIPxchange", die auf SIPx basiert. Dank der modularen Architektur läuft die Software laut Pingtel auf jeder handelsüblichen Server-Hardware mit Linux-Betriebssystem. Zudem unterstütze sie eine Vielzahl von IP-Telefonen und Gateways und arbeite reibungslos mit älteren Komponenten zusammen.

Während SIPxchange lediglich mit den rudimentären Funktionen einer TK-Anlage aufwartet, geht Pingtel mit der "Enterprise SIPxchange PBX" einen Schritt weiter. Diese IP-Telefonie-Lösung für den Einsatz in kleinen und mittelständischen Unternehmen offeriert Zusatz-Features wie integrierter Anrufbeantworter, automatische Anrufannahme oder Begrüßung und Vermittlung.

Schema von Pingtels IP-Telefonielösung "SIPxchange PBX"

Vom Funktionsumfang her eher für größere Unternehmen konzipiert ist dagegen der "SIPxchange Call Manager". Er ist eine SIP-Kommunikationsplattform, die einen SIP-Proxy-Server, Anrufverteilung (Call Routing) und Sicherheitsfunktionen umfasst, und eignet sich für konvergente Umgebungen, in denen IP-Telefonie und klassische TK-Systeme zum Einsatz kommen. Die Software unterstützt sowohl Least Cost Routing als auch die Vernetzung von traditionellen TK-Systemen über IP-Gateways, im Fachjargon als Toll Bypass bezeichnet. Ferner können in die Kommunikationsplattform Sprachspeichersysteme von Drittanbietern eingebunden werden. Ebenso möglich sind laut Pingtel die Integration von Media-Servern und -Gateways Dritter zur Nachrichtenübermittlung, interaktive sprachbasierende Antwortsysteme oder Konferenzschaltungen.

Mit dem "SIP Softphone" hat das Unternehmen zudem noch ein Software-IP-Telefon für Notebooks und Desktops mit Windows als Betriebssystem im Programm. Im Gegensatz zu anderen Produkten, so Rich, überzeuge das Softphone vor allem durch seine gute Sprachqualität und seine intuitive Benutzeroberfläche.

Vom Funktionsumfang her eher für größere Unternehmen konzipiert ist dagegen der "SIPxchange Call Manager".

Darauf angesprochen, dass Pingtel mit der Idee einer kommerziell verfügbaren VoIP-TK-Anlage das Rad zum zweiten Mal erfunden habe, da mit Asterisk ja bereits eine solche Lösung existiere, lacht CEO Rich: "Ja wir sind nur die Nummer zwei." Dennoch fürchtet der Manager die Konkurrenz des bereits etablierten Asterisk-Projekts nicht, denn "wir verfolgen einen grundsätzlich anderen Ansatz". Mark Spencer habe nämlich mit Asterisk den zentralistischen Ansatz der traditionellen TK-Anlagen-Anbieter fortgeschrieben - mit dem einzigen Unterschied, dass er nun auf VoIP und Open-Source-Software basiert. "Letztlich ist diese Architektur nicht offen genug, um verteilte IP-TK-Anlagen zu realisieren", kritisiert Rich und sieht darin den Vorteil seiner eigenen Produkte auf Basis der SIPfoundry-Module.

Die Bedeutung von SIP

Zu Beginn der Diskussionen über VoIP Ende der 90er Jahre konkurrierten mit H.323 und SIP zwei Protokolle um die Gunst von Industrie und Anwendern:

H.323 ist eine übergeordnete Empfehlung der ITU Telecommunication Standardization Sector (ITU-T), in der Protokolle definiert werden, die eine audiovisuelle Kommunikation auf jedem Netzwerk ermöglichen, das Pakete überträgt. Diese Protokollfamilie beruht auf einer sehr umfangreichen Definition und ist aus diesem Grund schwer implementierbar.

SIP (Session Initiation Protocol): Im Gegensatz zu H.323 wurde SIP mit Blick auf das Internet von der IETF (Internet Engineering Task Force) entwickelt und orientiert sich an der Architektur gängiger Internet-Anwendungen. Dabei wurde von Beginn an auf leichte Implementierbarkeit, Skalierbarkeit, Erweiterbarkeit und Flexibilität geachtet. Dies ist auch der Grund, warum SIP von fast jedem Carrier weltweit eingesetzt wird und somit maximale Investitionssicherheit bietet.

Nach Ansicht von Branchenkennern waren für den Erfolg von SIP aber nicht nur technische, sondern auch wirtschaftspolitische Gründe ausschlaggebend. Da sich die europäischen TK-Hersteller, durch ihre Historie eng mit den klassischen Telcos und damit der ITU verbunden, anfangs bei der VoIP-Entwicklung stark an den ITU-Empfehlungen und damit H.323 orientierten, setzte die US-amerikanische Netzindustrie auf SIP. Als Newcomer im TK-Geschäft konnten sich diese Netzwerker mit ihrem Know-how nicht auf einen direkten Wettbewerb auf Basis von H.323 einlassen. Da die Amerikaner dann jedoch den VoIP-Markt erfolgreicher erschlossen als die Europäer, setzte sich SIP durch.

Neben diesen beiden Protokollen existieren weitere proprietäre Alternativen wie beispielsweise Skype. Diese spielen aber in Unternehmen kaum eine Rolle.

Für die meisten Anwender dürfte diese Diskussion in den akademischen Bereich gehören, solange sie keine verteilte oder gehostete IP-TK-Anlage wie das US-amerikanische Centrex-Modell wünschen, das von 15 Prozent der US-Mittelständler genutzt wird. Denn sowohl Asterisk als auch die Pingtel-Produkte lassen sich vom User nach Bedarf mit Zusatzfunktionen ausbauen und sind dank des Open-Source-Prinzips flexibler und kostengünstiger als die Lösungen etablierter VoIP-Anbieter wie Alcatel, Avaya Tenovis, Cisco oder Siemens. (hi)