Videokonferenzen

Zuhause in der Ferne treffen

08.07.2011 von Johannes Klostermeier
Anzeige  Man muss nicht immer woandershin fahren, um an wichtigen Besprechungen und Konferenzen teilzunehmen. Heute kann man vieles auch per Videokonferenz erledigen. Das spart Kosten, schont Umwelt und Nerven – und dennoch kann man seinem Gesprächspartner in die Augen blicken. Doch viele Menschen wissen die Vorteile von Videokonferenzen noch nicht zu schätzen.

„Auf Dienstreise gehen, das klingt toll, ein bisschen wie Urlaub. Spannende Orte, ferne Länder – doch erholt kommen nur die Wenigsten zurück", schreibt Sven Astheimer im „FazNet" im Artikel „Wir sind reisefertig". Die „Ostthüringer Zeitung" regt sich darüber auf, dass immer noch Tausende von Beamten zwischen Berlin und Bonn hin und her pendeln: „Zehn Millionen Euro nur für Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin", heißt es dort tadelnd.

Dass es auch anders geht, wollen die Anbieter von Videokonferenzsystemen beweisen. Wie etwa das Unternehmen Cisco, das mit so genannten Telepresence-Systemen Videokonferenzräume anbietet. Es ist ein schöner Tag im Mai 2009, als eine Premiere dafür bei T-Systems stattfindet. In Berlin, Bonn, Frankfurt, München, Darmstadt und Stuttgart hält die Deutsche Telekom, die für ihre Geschäftskunden den Live-Conferencing-Dienst Telepresence anbietet und die dafür notwendige Hardware von Cisco bezieht, erstmals eine Pressekonferenz an mehreren Standorten gleichzeitig ab.

Die Ausführung des Konferenzraums ist originell, denn nur die Hälfte des Raums ist real, in der anderen Hälfte Seite „sitzen" virtuell die zugeschalteten Vertreter in den anderen Großstädten, die aber nur auf der Leinwand zu sehen sind. Doch bald vergessen die Teilnehmer fast, dass die anderen per Ton und Bild nur zugeschaltet sind.

Telefone wie das Cisco Cius haben Bildtelefonie schon eingebaut.
Foto: Cisco

„Immersive Telepresence" heißt diese teure Lösung im Firmenjargon, ein vollausgestatteter Meeting-Raum mit einer optimalen Anordnung von Tisch, Kameras und großformatigen HD-Bildschirmen. Preiswerter ist es, sie nur dann anzumieten, wenn man sie braucht. Der nächste Schritt auf dem Weg zur Professionalität sind Videokonferenzlösungen, „Multipurpose Systeme", die sich auch für größere Konferenzräume oder Besprechungszimmer eignen. Daneben gibt es Personal Video-Systeme, kompakte Lösungen für unterwegs, für das Videotelefonieren am eigenen Büroschreibtisch oder auch im Homeoffice.

Viel Reisezeit und damit verbundene Kosten sparen die Mitarbeiter, sie schonen gleichzeitig die Umwelt und ihre Nerven. Das sind die Argumente, die die Anbieter der Videokonferenzlösungen immer wieder betonen. Die Deutsche Telekom würde so, hieß es damals von ihr, mindestens zehn Prozent ihrer bisherigen jährlichen Reisekosten einsparen können.

Spart Zeit, senkt Kosten und ist gut für die Umwelt und die Nerven

Der Automobilzulieferer Veritas, ein Hersteller von Fluid- und Spritzgieß-Systemen im hessischen Gelnhausen, war als ein Vorreiter und Testkunden von modernen Zusammenarbeitsplattformen schon vor zwei Jahren bei der Vorführung in Berlin dabei. Man wolle „neue Wege gegen Verschwendung bei Automobilprojekten gehen“, sagte der Bereichsleiter der Entwicklung Fluid bei Veritas, Martin Ehret.

Martin Ehret, Bereichsleiter der Entwicklung Fluid bei Veritas, schätzt den virtuellen Projektraum.
Foto: Veritas

Veritas mit über 2.800 Beschäftigten an sieben Standorten ist nicht nur in Deutschland sondern auch international vertreten: Neben dem Kompetenzzentrum in Gelnhausen, gibt es noch Produktionsstätten in Österreich, Ungarn, Mexiko und der Türkei. Als Pilotkunde nutzt das Unternehmen eine virtuelle Projektplattform, die auch Videokonferenzen ermöglicht. Wenn man über ein neues Produkt nachdenkt und es hin und her geht zwischen Veritas, den Kunden und den anderen Lieferanten, dann ist die reibungslose Kommunikation immens wichtig.

Veritas hat damals die Kooperation zunächst einmal intern zwischen dem Vertriebsstandort in Detroit und zwei Stellen in der Zentrale in Gelnhausen ausprobiert. Das Fazit war positiv: „Die Konferenzen im virtuellen Projektraum, bei der man auch einmal ein Bauteil hochhalten und zeigen kann, bringen unheimlich viel“, findet Ehret. „Es ist fast so, als ob man sich gegenüber sitzt.“

Letztlich wolle man erreichen, dass alle Mitarbeiter an allen Standorten auf alle Daten zugreifen können, die sie benötigen. „Alle sollen denselben Stand haben“, sagt Ehret. Dabei gehe es um Videokonferenzen, Voice over IP, Office-Anwendungen und CAD.

Die Frage, wie viel sich mit der Nutzung der Zusammenarbeits-Plattform genau einsparen ließ, blieb damals offen, wie das genaue Berechnen des Return-on-Investment von Videokonferenz-Systemen auf Euro und Cent überhaupt schwierig ist. Die Zahl der Flüge habe man aber um zehn bis 15 Prozent reduzieren können, ebenso sank der Aufwand für Kommunikation und Koordination. „Der Einsatz von Collaboration-Tools bietet noch viel Potenzial", so das Fazit.

„Telepresence-Lösungen lassen sich einfach, schnell und kostengünstig überall im Unternehmen einsetzen", wirbt Cisco. „Zur effektiven Nutzung von Videokonferenzen muss die Technologie bezahlbar, skalierbar und interoperabel sein", sagt Thomas Nicolaus, der verantwortliche Head of Telepresence Video bei dem Anbieterunternehmen. Das bedeutet, dass die Anwendungen auch mit Systemen andere Anbieter problemlos zusammenarbeiten müssen.

Statt zu reisen, muss man sich nur in den Videokonferenzraum setzen.
Foto:

Auch Smartphones können in Videokonferenzen und Video-Calls integriert werden. Apple hat mit dem iPhone der vierten Generation Videokonferenzen von Haus aus integriert. Per „Facetime" können sich iPhone-Besitzer via W-Lan unterhalten und gleichzeitig gegenseitig sehen. Googles neues Angebot Google+ ermöglicht ebenfalls Videotreffen. Sie heißen bei Google „Hangouts". Aus dem Browserfenster heraus lassen sich Videositzungen mit bis zu zehn Netzwerkteilnehmern eröffnen. Auch Facebook plant angeblich in Kürze die Integration von Video-Chats in sein Netzwerk.

Viele Führungskräfte lieben Reisen - und kennen Videotelefonie nicht

Allerdings lassen sich festgefügte Verhaltensweisen der Mitarbeiter offenbar nur sehr schwer ändern. Einer Umfrage des Unternehmens Tata Communications zufolge reisen angestellte Führungskräfte immer noch sehr viel hin und her. Demnach ist fast die Hälfte der über 100 befragten Führungskräfte im Jahr bis zu 60 Tage unterwegs. Jeder fünfte Manager gibt im Jahr mehr als 36.000 Euro alleine für Geschäftsreisen aus.

Wie CIO.de berichtete, gaben bei der Umfrage 91 Prozent der Befragten an, dass sie das persönliche Zusammentreffen gegenüber elektronischer Telekommunikation bevorzugen. Der persönliche Kontakt und die bessere Vertrauensbasis, die das direkte Aufeinandertreffen ermögliche, seien unschätzbare Vorteile. Nur 7,1 Prozent der Befragten greifen stattdessen zum Telefonhörer, gerade einmal zwei Prozent entscheiden sich für eine Videokonferenz. Hier besteht also noch ein großer Aufholbedarf, und die Anbieter von Videolösungen müssen Überzeugungsarbeit leisten.

84 Prozent der Befragten sagten zumindest, dass sie Konferenzen per Video an Stelle von Telefonaten durchführen wollten, „wenn man den Kosten- und Zeitfaktor nicht berücksichtigen müsste“. Immerhin 46 Prozent waren der Ansicht, dass Videokonferenzen der Kommunikation den Geschäftsbeziehungen genauso förderlich sind wie die persönlichen Treffen.

Technische Vorurteile wiegen schwer: Ton und Bild schlecht, Sicherheit fraglich?

Doch die technischen Vorurteile wiegen offenbar noch schwer: Zu großer Aufwand, Probleme bei der Bild- und Tonqualität sowie Sicherheitsbedenken wurden oft als negative Aspekte genannt. Und ob die nötige Technologie auch beim Gegenüber vorhanden sei, das finden viele sehr fraglich. Zudem kennen offenbar 90 Prozent der Führungskräfte neue Möglichkeiten wie Telepresence-Konferenzräume gar nicht.

Videokonferenzen lassen sich nur mit einer Belohnung durchsetzen, sagt Russell Green.
Foto: Green

Russell Green, Experte für Online Collaboration und Projektmanagement, meint: „Nach Ereignissen wie etwa dem Vulkanausbruch in Island nehmen Videokonferenzen zwar kurzeitig zu. Doch zu reisen und zu fliegen scheint für viele immer noch ein Privileg zu sein, egal wie viele Stunden dabei verloren gehen.“ Nur wenn von ganz oben verfügt werde, dass die Mitarbeiter Web-Konferenzen nutzen müssen und zum Beispiel jede Reise genehmigt werden muss, würde sich diese moderne Form der Kommunikation wahrscheinlich durchsetzen. „Als bloße Option wird es niemand machen. Wenn die Nutzer aber belohnt würden, sähe das sicher anders aus.“

Hoffnung machen den Anbietern die Markforscher von Frost & Sullivan. Sie haben in ihrer Studie zum „European Videoconferencing Endpoints Market“ einen Anstieg der Umsätze mit High-Tech-Video-Konferenz-Systemen (Desktop- und Raumsysteme mit hoher Auflösung) gemessen: Sie lagen 2010 bei 514,8 Millionen Dollar – eine Steigerung von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bis 2016 werde der Markt einen Umsatz von fast dem Dreifachen, 1,43 Milliarden Dollar, schaffen, heißt es. Und viele Firmen, die ursprünglich nur ein System suchten, um hin und wieder eine Videokonferenz abzuhalten, planen danach den Aufbau einer umfassenden Unified-Communications-Plattform.