Zu viele Berater für zu wenige Projekte

16.07.2002 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die wirtschaftliche Flaute trifft die IT-Consultants mit Zeitverzug. Nachdem die Branche das Jahr 2001 mit guten Ergebnissen abschließen konnte, häufen sich nun die schlechten Nachrichten. Vor allem das schnelle und ungehemmte personelle Wachstum der Vergangenheit rächt sich, denn mangels Aufträgen sinkt die Auslastungsquote der hoch bezahlten Berater.

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Die größten IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen: Die Ende Mai veröffentlichte Lünendonk-Liste berücksichtigt Anbieter, die mehr als 60 Prozent ihrer Einnahmen mit IT-Beratung und Systemintegration erzielen.   Quelle: Lünendonk

Die Branche der IT-Beratungshäuser steckt in der Krise. Nachdem die Anbieter jahrelang händedringend nach IT-Personal suchten, um der durch Jahr-2000-Problem, E-Business- und Internet-Trend ausgelösten Auftragsflut Herr zu werden, können viele Unternehmen ihre angestellten Berater nun nicht mehr ausreichend beschäftigen. Seit mehr als einem Jahr sind Entlassungen in den Beratungshäusern kein Tabuthema mehr. Die jüngsten Hiobsbotschaften verkündeten <a href="http://www.cgey.com/" target="_blank">Cap Gemini Ernst & Young</a> und <a href="http://www.accenture.com/" target="_blank">Accenture</a>. Bei dem französischen IT-Dienstleister müssen weltweit insgesamt 5500 Mitarbeiter gehen (nachdem bereits im letzten Jahr 5400 entlassen wurden), weil die Auslastungsquote der Berater mit 70 Prozent nicht den Vorstellungen des Managements entspricht. Accenture schickt insgesamt 1000 Mitarbeiter in den USA, Großbritannien und Australien die Papiere. In

Deutschland verlängerten die Verantwortlichen vorsorglich das im August 2001 eingeführte und damals auf ein Jahr beschränkte Sabbatical-Programm „Flexleave“ zur freiwilligen Arbeitszeitreduzierung.

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„Die Consulting-Häuser haben Scharen von unerfahrenen Mitarbeitern in die Unternehmen gekarrt, und die werden jetzt der Reihe nach freigesetzt.“

Marek Wojcicki, CEO von Heaven 21

Nahezu einhellig machen die Unternehmen die konjunkturelle Flaute und die damit verbundene schleppende Nachfrage nach Beratungs- und Implementierungsprojekten verantwortlich, doch diese Erklärung greift zu kurz: „Die Kunden sind müde“, weiß Marek Wojcicki, langjähriger Prüfer und Berater bei <a href="http://www.pwc.com/" target="_blank">Pricewaterhouse-Coopers</a> und leitender Mitarbeiter von Arthur Andersen, „denn die großen Beratungshäuser haben in den vergangenen Jahren nicht nur Projekte, sondern auch eine Menge Bodyleasing gemacht.“ IT-Berater hätten sich in den Kundenorganisation zeitweilig in einem Maß ausgebreitet, das die Auftraggeber unter dem Eindruck sinkender Budgets nicht mehr akzeptieren wollten. In guten Zeiten habe sich nämlich vielfach die Praxis entwickelt, dass die Consultants nach Projektende auch das operative Geschäft bestritten. „Die Häuser haben Scharen von unerfahrenen Mitarbeitern in die

Unternehmen gekarrt, und die werden jetzt der Reihe nach freigesetzt“, so der Gründer und CEO des Kölner Beratungshauses <a href="http://www.heaven21.com/" target="_blank">Heaven 21</a>, das sich auf konzeptionelle und betriebswirtschaftliche IT-Beratung konzentriert.

Erstklassige Preise für die zweite Garde

Vor allem das schnelle Personalwachstum der letzten Jahre und die einst vereinbarten hohen Gehälter setzen den Beratungshäusern nun zu. Beim Werben um die High Potentials waren nicht alle Dienstleister so erfolgreich, wie sie es sich erhofft hatten - es gab einfach zu viele Unternehmen, die sich um die hoffnungsvollen Hochschulabsolventen bemühten. Daher nahmen es die Consulting-Anbieter oftmals nicht mehr ganz so genau mit früher formulierten Einstellungskriterien. „Das Management stand damals vor der Entscheidung: Entweder sage ich Aufträge ab, oder ich entscheide mich auch für die zweitbesten Bewerber und kann das Vorhaben mit Mitarbeitern ausstatten“, schildert Christian Stöwe, Managing Partner bei <a href="http://www.fokusm.de/" target="_blank">Fokus M</a>, einem Beratungsunternehmen für Human-Resources-Management. Auch den Anwendern blieb nicht viel anderes übrig, als diese Praktiken zu akzeptieren oder Projekte zu verschieben. Mittlerweile hat

sich der Wind gedreht und vor allem die, „bei deren Einstellung Kompromisse gemacht wurden, sind derzeit schwer zu vermitteln“, so Stöwe, „die Top-Consultants sind nach wie vor ausgelastet“.

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Einen Imageschaden trug die Branche davon, weil auch für die zweite Garde erstklassige Preise verlangt wurden - doch diese Zeiten sind vorbei. Die Dresdner Bank etwa verfolgt das Ziel, Beraterhonorare drastisch zu senken; die Hypo-Vereinsbank reduziert die Zahl der IT-Dienstleister, um nur noch mit wenigen strategischen Partnern zusammenzuarbeiten. Mit ihnen schließt der Finanzkonzern derzeit neue Rahmenverträge ab, und dabei „wird deutlich härter verhandelt als in früheren Zeiten“, so Knut Hansen von der HVB-Konzernkommunikation. Den Consultants bleibt in der derzeitigen Lage vielfach nichts anderes übrig, als lediglich über die Höhe der Abstriche zu diskutieren. Das fällt umso schwerer, je austauschbarer die Dienstleistungen sind, wobei es „durchaus noch Häuser gibt, die Leistungen zu den früher üblichen Konditionen verkaufen können“, beschwichtigt Klaus Reiners, Pressesprecher des Bundesverbands deutscher

Unternehmensberater (<a href="http://www.bdu.de/" target="_blank">BDU</a>).

Auf einem kürzlich turnusmäßig vom BDU veranstalteten informellen Treffen zeigten sich die CEOs großer IT-Beratungshäuser noch einmütig, was die Zukunft der Branche betrifft: Mittelfristig ist sie düster, denn die wirtschaftliche Delle ist tiefer als erwartet. Im laufenden Jahr rechnen die Manager nicht mit einer Besserung, weil nach wie vor große Investitionszurückhaltung bei den Anwenderunternehmen herrscht. Mit spitzen Ohren versuchen die CEOs Hinweise von Kunden zu orten, die zumindest auf Besserung für das erste Quartal 2003 hoffen lassen. Angesichts der derzeit schlechten Lage kommt es in der Branchen mehr und mehr zum Hauen und Stechen. „Bei der Neuverteilung von Aufträgen gibt es vereinzelt Wettbewerber, die Leistungen zu ungewöhnlich niedrigen Preisen anbieten“, bestätigt Jörg Forthmann, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des IT-Beratungshauses <a href="http://www.mummert.de/" target="_blank">Mummert +

Partner</a>.

Die Lünendonk-Liste Jahr für Jahr erstellt die Lünendonk GmbH, Bad Wörishofen, eine neue Liste der 25 größten IT-Beratungs- und Systemintegrations-Unternehmen in Deutschland (obige Grafik zeigt die ersten zehn). Die aktuelle Tabelle basiert auf Umsatzzahlen aus dem Jahr 2001 und lässt von einer Krise kaum etwas erahnen. Während dieses Marktsegment insgesamt einen Nachfrageschub von sieben Prozent erlebt (hier berufen sich die Lünendonk-Berater auf die Diebold Deutschland GmbH), legten die 25 größten Häuser um 16 Prozent zu. Das Gesamtvolumen des Markts betrug laut Diebold 9,3 Milliarden Euro. Die in der Lünendonk-Liste vertretenen Unternehmen nahmen insgesamt 6,2 Milliarden Euro im Inland ein. Im vergangenen Jahr waren bei ihnen rund 50000 Mitarbeiter (elf Prozent mehr als im Jahr 2000) angestellt. Den Pro-Kopf-Umsatz steigerten die Anbieter von 144000 Euro auf 152000 Euro. Weil die Zahl und Bedeutung der von großen Anwenderunternehmen ausgegliederten

IT-Bereiche ständig wächst, wurden erstmals auch Dienstleiter wie Lufthansa Systems und TLC in die Liste aufgenommen.

Schlecht, schlechter, drittes Quartal?

Was der Branche zunehmend fehlt, sind langfristig angelegte Großprojekte, die sie zumindest eine Weile durch flaue Wirtschaftszeiten tragen könnten. Mittlerweile werden nahezu alle Vorhaben in Teilprojekte zergliedert, nach erreichten Meilensteilen abgerechnet und genauen Nutzenrechnungen unterzogen. Zwar kündigen die Kunden, die unter den Zwängen schmalerer IT-Budgets leiden, keine laufenden Vorhaben, doch gibt es deutlich weniger Anschlussverträge, so dass sich die Flaute erst zeitversetzt bemerkbar macht.

Für das letzte Jahr bezifferte beispielsweise die <a href="http://www.diebold.de/" target="_blank">Diebold Deutschland GmbH</a> die Einnahmen der IT-Systemintegrations- und -Beratungshäuser auf insgesamt 9,3 Milliarden Euro in Deutschland, womit der Markt immerhin auf ein ansehnliches Wachstum von sieben Prozent (Vorjahr neun Prozent) verweisen konnte.

„Das Jahr 2001 müssen die Unternehmen nicht verstecken“, erläutert Heinz Streicher, Berater beim Consulting- und Marktforschungshaus <a href="http://www.luenendonk.de/" target="_blank">Lünendonk GmbH</a>, Bad Wörishofen, „der Einbruch kommt erst in diesem Jahr.“ Ernüchternde bis mäßige Quartalszahlen von Accenture, Cap Gemini Ernst & Young, <a href="http://www.eds.com/" target="_blank">EDS</a> oder der IBM-Sparte <a href="http://www.ibm.com/services" target="_blank">Global Services</a> deuten bereits darauf hin, dass von den einst erfolgsverwöhnten IT-Dienstleistern in diesem Jahr nichts Gutes zu erwarten ist. „Die Signale aus der Branche zeigen, dass auf das schlechte erste Quartal ein noch schlechteres zweites Quartal folgte“, schildert Streicher. Und die traditionell schwachen Sommermonate schlagen erst im dritten Quartal zu Buche.