Virtuelle Beratung 2.0

Zeitgemäße Kundenkommunikation funktioniert jederzeit und mit jedem Gerät

21.10.2014 von Marc Herzmann
Mit den Kunden im persönlichen Kontakt zu bleiben, ist für Unternehmen heute gar nicht mehr so leicht. Neue Technologien für Collaboration-Tools wie Videokonferenzen, Desktop-Sharing und Instant Messaging versprechen einen Kundenservice, der einfach zu nutzen und rund um die Uhr verfügbar ist – und dennoch ganz persönlich.
Mit Techniken wie WebRTC kommt der Berater ins Wohnzimmer - virtuell natürlich.
Foto: apops - Fotolia.com

Es ist kurz nach 21.00 Uhr, eine Versicherte hat eine Frage zur Auszahlung des Kinderkrankengeldes. Sie nimmt ihr iPad zur Hand und geht auf die Webseite ihrer Krankenkasse. Leider beantworten die dort verfügbaren Informationen nicht ihre Frage. Obwohl die Beratungsstelle längst geschlossen ist, kann die Versicherte per Klick auf den Videobutton direkten Kontakt mit ihrer Versicherung aufnehmen. Bevor der Anruf von einem Mitarbeiter im Contact Center entgegengenommen wird, hört sie eine nette Willkommensansage.

Weil die Mitarbeiter im Contact Center sehen können, von welchem Bereich der Webseite der Anrufer kommt, nimmt ein geeigneter Ansprechpartner das Telefonat an. Nachdem die Versicherte mit einem Klick der Übertragung ihres Bildes zugestimmt hat, sitzt sie ihrem Berater quasi persönlich gegenüber. Sie können die offenen Fragen im Handumdrehen klären und füllen auch gemeinsam das digitale Formular aus, das die Krankenkasse von der Versicherten noch benötigt. So sind alle offenen Punkte innerhalb kürzester Zeit erledigt.

Moderner Online-Kundenkontakt ist persönlich

Soweit die Ideallösung. Bislang versteht der Markt unter virtueller Beratung in erster Linie Chat-Funktionen, Infoportale mit Videoinhalten auf Unternehmenswebsites, Rückrufservices (Callback) oder Avatare. Die neue Generation der virtuellen Beratung geht einen Schritt weiter: Unter ihr versteht man eine persönliche Beratung, die flexibel von zuhause oder von unterwegs mit einem PC oder mobilen Endgerät in Anspruch genommen werden kann. Die Kommunikation erfolgt dabei über eine gesicherte Verbindung über das Internet.

Die Kontaktaufnahme ist für den Kunden dabei so einfach wie möglich: ein Internetzugang und gängiger Browser reichen aus, zusätzliche Software muss nicht installiert werden. Darüber hinaus wird der Kunde nicht von Avataren beraten, sondern per Video in Echtzeitkommunikation von einem persönlichen Berater, der auf jede Frage eine individuelle Auskunft geben kann.

Erste Schritte zur virtuellen Beratung

Im Bankensektor gibt es bereits einige Institute, die ihren Kunden eine virtuelle Beratung per Video anbieten. Eine Schweizer Bank nutzt beispielsweise schon seit einigen Jahren die Videoberatung - allerdings mit einem kleinen Manko: Der Kunde muss zunächst die kostenlose Videoanwendung Cisco Jabber Video for TelePresence Client oder den ClearSea Client auf seinem Endgerät installieren. Über das geschützte Onlineportal vereinbart er einen Termin mit der Bank und wird von seinem Bankberater zum definierten Zeitpunkt auf seiner installierten Videoanwendung angerufen.

Eine andere Bank bietet ihre Videoberatung basierend auf dem Citrix-Produkt "GoToMeeting" an. Auch hier muss der Kunde einmalig ein Videoprogramm installieren und sich registrieren. Danach kann er die Videoberatung sofort und ohne Terminvereinbarung in Anspruch nehmen.

Gotomeeting
Citrix GoToMeeting
Die Vollversion von Citrix GoToMeeting kann man 30 Tage lang kostenlos testen, auch ohne Kreditkarte. Citrix wirbt mit drei Hauptfunktionen, in dieser Reihenfolge: Bildschirmfreigabe, Telefonkonferenzen und Videokonferenzen in HD-Qualität.
Citrix GoToMeeting
Bei der Erstanmeldung verlangte Citrix den Namen, die Email-Adresse und ein möglichst kompliziertes Passwort des neuen Users. Die Anmeldung verlief erfreulich interaktiv: Name: Schön Sie zu treffen! Email: Sieht gut aus. Kompliziertes Passwort: Das funktioniert. Schwache Passwörter wurden in roter Schrift bemängelt und abgelehnt.
Citrix GoToMeeting
Kurz nach der Registrierung auf der Citrix GoToMeeting Website kam eine Email und bestätigte die kostenlose Einladung für unbegrenzte Online-Meetings mit jeweils bis zu 25 Teilnehmern…
Citrix GoToMeeting
…Mit der gleichen Email kam auch der Button: GoToMeeting herunterladen. Zugleich wurde das Ende des Testzeitraumes zum 17. Juni 2014 angekündigt. Danach würde ein reguläres Abo „nur“ 46,80 Euro pro Monat kosten.
Citrix GoToMeeting
Der Download der „Citrix Online Launcher.exe“ Datei hat 224 KiloByte auf der Festplatte des Laptops belegt.
Citrix GoToMeeting
Per Mausklick auf „Teilnehmer einladen” kopierte Citrix GoToMeeting alle Einladungsdaten in die Zwischenablage. Wahlweise wurde vom UCC-Programm auch eine komplette Einladungsmail erstellt. In Letzterer mussten wir nur noch die Mailadresse des gewünschten Empfängers eingeben.
Citrix GoToMeeting
So kam die Einladungsmail des Testers im Googlemail-Account der Gesprächspartnerin an.
Citrix GoToMeeting
Per Mausklick kann man zusätzlich zum Audio-Video-Stream den kompletten Bildschirminhalt des eigenen Rechners an den oder die Meeting-Partner übertragen. Doch man sollte aufpassen, dass sich keine wichtigen Passwörter und Dokumnte mehr auf dem Deskop zu sehen sind.
Citrix GoToMeeting
Der Video-Proc-Verstärker konnte das vorher schon gut gewesene Videobild der C930e Webcam in einer Citrix GoToMeeting Konferenz nochmals verbessern. Zieht man den Hintergrund-Regler nach rechts, so wird der Raum hinter dem Sprecher stark abgedunkelt und die Kamera überträgt fast nur noch das Gesicht. Mit diesem Schieber konnte der Autor die Hintergrundumgebung weitgehend ausblenden
Citrix GoToMeeting
Nach Abschaltung der Automatik konnten wir mit dem Fokus-Schieberegler selbst bestimmen, ob nun das blaue Käppi, das blasse Gesicht, oder der schwarze DIN-A3-Scanner im Regal scharf gestellt wird. Solche Raffinessen sind mit fest eingebauten Laptop-Webcams in der Regel nicht möglich.
Citrix GoToMeeting
Zu guter Letzt konnten die User auch selber bestimmen, ob ihre Videobilder im Breitformat 16:9 oder im Standardformat 4:3 mit Citrix GoToMeeting gesendet werden.

Diese Lösungen sind ein erster Schritt auf dem Weg zur "echten" virtuellen Beratung. Die Hürden sind allerdings noch groß, denn solange Kunden immer erst eine zusätzliche Software installieren müssen, bleibt die Akzeptanz bei den Anwendern eher gering.

Anwenderfreundlichkeit ist der Schlüssel

Im Mittelpunkt einer virtuellen Beratung steht daher die "Barrierefreiheit". Denn ein Videoanruf muss für Kunden so einfach wie möglich sein - ohne zusätzliche Software zu installieren und unabhängig vom Endgerät. Der Anruf soll durch einen einfachen Klick auf der Webseite des Unternehmens initiiert werden. Dadurch haben Kunden neben dem Besuch einer Filiale die Möglichkeit, rund um die Uhr Kontakt mit einem Mitarbeiter aufzunehmen.

Diese Beratungsform richtet sich insbesondere an berufstätige Personen, aber auch an Menschen, die aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung eine Geschäftsstelle nicht aufsuchen können. Zudem eignet sich diese Beratung, um junge Leute anzusprechen, die Geschäftsbeziehungen gerne schnell und flexibel über das Internet oder via Smartphone pflegen. Denn gerade dieser Trend hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

WebRTC als Grundlage für zeitgemäße virtuelle Beratung

Möglich wird eine solche barrierefreie Beratung mit der neuen Technologie WebRTC (Web Real-Time Communication), einem offenen Standard für die Echtzeitkommunikation. WebRTC ermöglicht das Streamen von Daten-, Video- und Audio-Echtzeitkommunikation über das Web, ohne vorher ein Plug-in installieren zu müssen.

Während Microsoft auf Skype setzt, unterstützen Webbrowser wie Google Chrome oder Mozilla Firefox WebRTC.
Foto: Klaus Hauptfleisch (Screenshot)

Um mit einer videofähigen Gegenstelle zu sprechen, ist lediglich ein Webbrowser notwendig, der WebRTC unterstützt - beispielsweise Opera, Google Chrome oder Mozilla Firefox. Damit verläuft die Kommunikation plattformunabhängig und kann von stationären Geräten wie PCs, Macs oder mobilen Endgeräten ausgeführt werden. Auf der Website des Unternehmens muss dann nur ein Button existieren, der nach dem Anklicken sofort einen Videoanruf aufbaut.

Im Contact Center läuft alles zusammen

Wie auf Unternehmensseite eine Videokommunikation auf Basis von WebRTC umgesetzt werden kann, beschreibt ein Beispiel, bei dem Cisco-Lösungen zum Einsatz kommen: Die Mitarbeiter im Call Center sind mit Unified Communication (UC)-Clients wie dem Cisco Jabber Client oder einem videofähigen Hardware-Telefon mit entsprechendem Headset ausgestattet. Das Zustellen der eingehenden Calls übernimmt eine Lösung wie Cisco Contact Center.

Darüber hinaus sorgt diese dafür, dass ein Begrüßungsvideo eingespielt wird oder eine Warteschleife läuft, wenn alle Gesprächspartner besetzt sind. Der Unified Communications Manager übernimmt dann neben der Registrierung und Verwaltung der UC-Clients oder Endgeräte und des Telefonroutings sowohl das Management der Videoendgeräte als auch die Bandbreitenkontrolle und Anrufverteilung.

Eine Multipoint Control Unit (MCU) verbindet die Datenströme zwischen Callcenter-Agenten und Anrufer. Außerdem müssen entsprechende Webservices verfügbar sein, wie ein Webserver, der eine Anfrage über den Web-Button entgegennimmt und weiterleitet.

Besondere Absicherung erforderlich

Gerade für Unternehmen im Gesundheitswesen oder in der Finanzbranche, die mit sehr sensiblen Daten zu tun haben und deshalb erhöhten Datenschutzbestimmungen unterliegen, sind geschützte Internetverbindungen besonders wichtig. Daher verfügen sie in der Regel über mehrstufige Firewall-Konzepte, so genannte Sandwich-Firewalls. Dabei sind neben einer Firewall auch Netzwerkperipherie wie Router und Switches in die Filterlösung eingebunden. Damit lässt sich eine "Sandwich-Lösung" realisieren, die durch die Verwendung unterschiedlicher Systeme eine erhöhte Sicherheit gewährleistet. Denn jedes Sicherheitssystem muss einzeln - also "Tür für Tür" geöffnet werden.

Um die Videodatenströme sicher durch die Firewall zu schleusen, kommt die Cisco-Lösung Collaboration Edge zum Einsatz. Hier arbeiten die Technologien Expressway Core und Expressway Edge Hand in Hand - unterstützt von Cisco Firewall Traversal. Expressway Core fungiert als "Türsteher" im internen Netz, Expressway Edge sichert die "Tür" nach außen ab. Klickt ein Kunde auf den Videobutton, um eine Videoberatung zu starten, leitet Expressway Edge diesen an Expressway Core weiter, der dann von innen heraus eine sichere Verbindung zurück zu Expressway Edge und weiter nach außen aufbaut.

Expressway Core gibt den Call im Firmennetz über den Communications Manager an die Clients im Call Center weiter. Nachdem eine sichere Verbindung nach außen aufgebaut ist, sorgt Expressway Core dafür, dass die Leitung für die Dauer des Videocalls offen bleibt und die Medienströme über diese sichere Verbindung zwischen den beiden Endpunkten ausgetauscht werden können.

Videokommunikation auf Basis von WebRTC am Beispiel Cisco
Foto: Computacenter

Einfache Anbindung an mobile Geräte

Auch für die sichere Anbindung von mobilen Geräten kommt die Collaboration Edge-Architektur zum Einsatz. Neben der Unterstützung von WebRTC vereinfacht Collaboration Edge die Anbindung von mobilen Geräten an das Unternehmensnetzwerk: Die Anwendung ermöglicht einen einfachen Zugang ohne dedizierten VPN-SSL-Client. Es wird lediglich eine zertifikatsbasierte SSL-Verschlüsselung für die Anbindung der mobilen Endgeräte benötigt. So entfällt eine umständliche Authentifizierung mit einem separaten VPN-Client. Die Anbindung über Collaboration Edge ist für die Echtzeitkommunikation optimiert und ermöglicht neben Videokommunikation den Austausch von Instant Messaging und Präsenzinformationen sowie das Teilen des Bildschirms.

Auch nicht-technische Aspekte beachten

Neben den technischen Voraussetzungen sollten Unternehmen, die Kundenberatung per Video in Echtzeit realisieren wollen, auch einige andere Aspekte beachten: Sie müssen entsprechende Räumlichkeiten vorhalten und sich darüber bewusst sein, dass Videoberater auch optisch wahrgenommen werden. Daher ist es notwendig, diese in ihrem Auftreten und Verhalten intensiv für diese spezielle Form des Kundenkontakts zu schulen. Außerdem sollte der Arbeitsplatz gut ausgestattet und kein "Call-Center-Gefühl" vermitteln, um den Videoberater angemessen zu präsentieren. Dazu sind die Ausleuchtung und die Akustik des Raumes zu beachten.

Videokonferenz-Knigge
Knigge für Video Conferencing
Die Technik ist heute nicht mehr das Problem. Vom Tablet bis zum Raumsystem reicht die Palette der Endgeräte. Über den Erfolg der virtuellen Meetings entscheiden deshalb oft weiche Faktoren wie Benimmregeln.
Dos
Sprechen Sie deutlich in Videokonferenzen. Die Möglichkeit, jeden Teilnehmer gut zu verstehen, ist entscheidend für eine erfolgreiche Videokonferenz.
Dos II
Halten Sie es einfach. Wenn Sie zu einem Videomeeting einladen, stellen Sie sicher, dass die Instruktionen für die Einwahl einfach und verständlich beschrieben sind und die anderen Teilnehmer sich schnell und problemlos einwählen können.
Dos III
Schau mir in die Augen, Kleines. Der gute Blickkontakt mit allen Teilnehmern eines Videomeetings ist sehr wichtig.
Don'ts
Klingelnde Handys sind auch in der virtuellen Welt der Meeting-Killer Nummer Eins. Führen Sie Ihren neuesten Klingelton also erst nach dem Treffen vor.
Don'ts II
Kein Multitasking während der Konferenz. Ihre Kollegen merken nämlich, wenn Sie andere Dinge nebenher erledigen - und das stört erheblich.
Don'ts III
Jederzeit und überall zu arbeiten ist zwar ein Plus der modernen Technik. Doch Supermarkt, Bahnhofshalle oder Flughafen sind eher unpassende Orte für ein Video Meeting.
Don'ts IV
Musik und andere Hintergrundgeräusche wie spielende Kinder lenken andere ab. Im Büro hängen Sie am Besten ein "Nicht stören"-Schild vor die Türe.
Andere Länder, andere Sitten
Seien Sie pünktlich. Vor allem in den USA beginnen auch virtuelle Meetings zur vorgesehenen Zeit und enden auch wie geplant.
Andere Länder, andere Sitten II
Vermeiden Sie in Konferenzen mit Japanern offene Kritik. Lernen Sie "nein" zu sagen, ohne es tatsächlich zu sagen.
Andere Länder, andere Sitten III
Respekt, Rang und Hierarchien sind in der chinesischen Kultur wichtig. Begegnen Sie höhergestellten Partnern oder Kollegen besonders respektvoll.
Andere Länder, andere Sitten IV
Planen Sie für Konferenzen mit Indien mehr Zeit ein. Videokonferenzen werden gerne mit einem Small Talk eingeleitet, hetzen Sie also nicht. Dennoch wird wert auf angemessene Business-Kleidung gelegt.
Andere Länder, andere Sitten V
Der sprichwörtliche britische Humor wird oft auch beim Video Conferencing eingesetzt. Einfach mitmachen.
Andere Länder, andere Sitten VI
Italiener kommunizieren nicht nur verbal, sondern auch sehr stark non-verbal. Scheuen Sie sich nicht davor, sich in Videokonferenzen über den Gesichtsausdruck und Gesten auszudrücken.
Andere Länder, andere Sitten VII
Brasilianer gehen geschäftliche Meetings eher entspannt an. Nutzen Sie Video, um Ihre Geschäftspartner kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen

Die Erfahrung zeigt, dass die interne Kommunikation bei der Einführung neuer Lösungen eine große Rolle spielt. Denn nicht jeder möchte an einem Arbeitsplatz arbeiten, an dem er ständig beobachtet werden kann und Ampelsysteme anzeigen, ob er verfügbar ist oder nicht. Daher ist es essentiell, sowohl den Betriebsrat als auch die betroffenen Abteilungen schon zu Beginn des Projektes mit ins Boot zu nehmen, deren Einverständnis einzuholen und sie in die Umsetzung einzubeziehen.

Virtuelle Beratung 2.0 als Wettbewerbsvorteil

Sind diese Voraussetzungen geschaffen, steht einer modernen virtuellen Videoberatung nichts mehr im Wege. Mit solchen Lösungen wird nicht nur ein barrierefreies Beratungsangebot geschaffen, sondern können in Zeiten hart umkämpfter Märkte auch Wettbewerbsvorteile genutzt werden. Denn wer auch via Internet mit seinen Kunden im persönlichen Kontakt bleibt, der pflegt die Kundenbeziehung auch ohne ein regelmäßiges Treffen in der Filiale langfristig. (mb)