Wunsch und Wirklichkeit

Wo sind die mobilen Nutzer?

13.05.2010 von Manfred Bremmer
Das Interesse an mobilem Internet und Apps ist gewaltig. Die tatsächliche Nutzung durch die Anwender weniger.

Der mobile Boom hat nicht nur die Nutzer erfasst, auch viele Unternehmen wollen auf der Welle mitschwimmen. In der Hoffnung auf neue Umsatzströme entwickeln sie spezielle, an die kleinen Smartphone-Displays und niedrige Bandbreiten angepasste Websites oder geben für gutes Geld eigene mobile Anwendungen in Auftrag.

Das iPhone als Wegbereiter

Besonders im Trend liegen Programme für Apples iPhone - die Koppelung des schicken Touchscreen-Geräts mit dem iTunes-Portal und dem dahinterliegenden App Store hat den mobilen Apps erst zum Durchbruch verholfen. Dank der großen Beliebtheit, aber auch aus Mangel an alternativen Marktplätzen zählt der App Store mittlerweile über 185.000 Anwendungen für iPhone, iPod Touch oder iPad, die Zahl der Downloads hat unlängst die Grenze von vier Milliarden überschritten. Doch während diese Werte die Popularität von Apple und seinen Produkten klar dokumentieren, sagen sie nur wenig über den Erfolg der einzelnen Programme im App Store und ihrer Entwickler. In Wirklichkeit fällt die Bilanz der meisten Apps-Schreiber eher schlecht aus, so schlecht, dass der frühere Nokia-Manager und Mobility-Berater Tomi Ahonen sogar Analogien zu den Goldsuchern im 19. Jahrhundert sieht. Schon damals habe sich der Großteil des gefundenen Goldes im Nachhinein als Katzengold erwiesen, unkt er, während der Gemischtwarenhändler vor Ort mit dem Verkauf der teuren Werkzeuge und Schürfrechte den größten Profit erzielt habe.

Schlechter Schnitt für Entwickler

Um diese Behauptung zu untermauern, macht der Finne eine einfache Rechnung auf: Nach Schätzungen von Morgan Stanley wurden 2009 insgesamt 780 Millionen Dollar Umsatz mit iPhone Apps erwirtschaftet - zieht man davon 30 Prozent als Provision für den App-Store-Betreiber Apple ab, bleiben etwa 546 Millionen Dollar für die Entwickler übrig. Dieser Summe stehen laut Ahonen geschätzte Kosten von rund 4,5 Milliarden Dollar für die Entwicklung der damals etwa 150.000 Apps, das sind 30.000 Dollar je Programm, gegenüber.

iPhone-Nutzer suchen bevorzugt nach Spiele-Apps, E-Books interessieren sie wenig.
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Die Leidtragenden sind in erster Linie kleinere Entwickler, die davon träumen, mit ihren iPhone-Apps auf einen Schlag reich und berühmt zu werden. Für große Unternehmen mit bereits etablierten Marken sind die Chancen erheblich besser, in die Download-Charts vorzurücken. Zudem spielen hier die Entwicklungskosten angesichts dicker Marketing-Budgets eine eher nachrangige Rolle. Diesen Anbietern geht es oft nicht um den Erlös aus dem App-Verkauf, sondern um Folgeumsätze aus dem Geschäft mit digitalem Angebot und Waren oder schlicht um einen Image-Gewinn. Folgerichtig sind diese Apps oft kostenlos zu haben - und sie werden überdurchschnittlich oft heruntergelanden.

Unterschiedliche Erfolgsaussichten

Wie erfolgreich eine Anwendung ist, hängt offenbar stark davon ab, um welchen App-Typ es sich handelt. Wie der Empfehlungsdienst für iPhone-Anwendungen Apptizr herausfand (PDF), klaffen Angebot und Nachfrage im App Store stark auseinander. So machte die Kategorie E-Books im ersten Quartal 2010 mit 22 Prozent die größte Gruppe der angebotenen Bezahl-Apps aus. Unter den tatsächlich verkauften Anwendungen erreichte sie dagegen nur einen Anteil von drei Prozent. Entwickler investieren demnach besser in Spiele, Unterhaltung und Produktivitäts-Tools, die drei Topkategorien bei kostenpflichtigen Apps. Besonders viel Potenzial weist laut Apptizr zudem der Bereich Utilities auf: Die auf dem Meinungsportal surfenden Anwender verbringen hier ein Viertel der Zeit, die sie für den Dienst aufwenden. Die Kategorie Spiele bringt es laut Apptizr immerhin auf 15 Prozent, während die Besucher der Website nur zwei Prozent ihrer Verweildauer auf der Suche nach neuen Büchern seien.

Unternehmens-Apps
Pizza Hut iPhone App
Pizza Hut bietet eine iPhone-App an, mit der man seine Pizza individuell belegen und anschließend direkt bestellen kann. Obwohl nur in den USA verfügbar, registrierte die Fast-Food-Kette in den ersten zwei Wochen 100.000 Downloads, die Umsätze stiegen (trotz/wegen eines Discounts von 20 Prozent) in drei Monaten um über eine Million Dollar.
DB Stadtrad iPhone App
Der Fahrradverleih der Deutschen Bahn zeigt auf einem virtuellen Stadtplan die Standorte aller aktuell verfügbaren Leihfahrräder an. Die Nutzer können Fahrräder direkt reservieren und die Bestellung samt Bezahlung über die App abwickeln.
VW Scirocco iPhone App
Beispiel für das Thema Spiele-Apps als Marketing-Tool ist das Scirocco-Rennspiel von VW.
Qype Radar iPhone App
Die App des Bewertungsportals Qype zeigt zu unterschiedlichen Kategorien oder Suchbegriffen (z.B. Restaurants, KZF-Werkstatt, Buchladen, etc.) die von den Usern Bewerteten Einträge – entweder in Form einer Adressliste oder über eine Verknüpfung mit Google Maps.
Maggi Eieruhr iPhone App
Viele Apps machen sich für die Anwender nützlich. Sie profitieren davon, dass man das Handy stets bei sich trägt – so können Sie ihre Dienste immer und an jedem Ort anbieten. Beispiel dafür ist die Maggi Eieruhr...
Marken-Apps
Es gibt jedoch noch mehr Beispiele für solche nutzwertige Apps: Einkaufsliste, Stadtführer, Gedächtnisstütze oder Eieruhr.
Marken-Apps
Weit verbreitete Konzepte sind auch Bestell-Tools, Shopfinder, Produktkonfiguratoren, interaktive Kataloge oder Broschüren sowie Service-Tools.

Auch wenn sich der Hype um mobile Apps vornehmlich um iPhone, iPod Touch und iPad dreht - der Anteil der Bevölkerung, der ein mobiles Apple-Gerät besitzt, ist nach wie vor gering. Wer primär auf Reichweite aus ist, sollte seine Zielgruppe daher auf verschiedenen Plattformen erreichen und nicht technisch einschränken, rät Mobility-Experte Ahonen. Bestes Beispiel dafür seien ortsbezogene Dienste, neudeutsch Location based Services genannt. Diese hätten ab Mitte 2008 eine neue Blütezeit erlebt, als Apple GPS-Unterstützung in die zweite Generation des iPhone einbaute. Dabei werde jedoch vergessen, dass nur 0,5 Prozent der Erdbewohner ein iPhone besitzen. Smartphones werden immerhin von 13 Prozent der Weltbevölkerung genutzt, aber selbst von diesen Geräten unterstütze nicht jedes GPS. Wolle man möglichst viele Nutzer ansprechen, seien entsprechend die von fast allen Handys beherrschten Dienste SMS, MMS oder WAP die bessere Wahl.

Nutzung nimmt zu, Nutzerzahlen stagnieren

Foto: Accenture

Interessante, wenn auch teilweise etwas desillusionierende Einblicke über die deutsche Mobilfunknutzung liefert die Accenture-Studie "Mobile Web Watch 2010", in deren Rahmen Anfang des Jahres 3006 Internet-Nutzer ab 14 Jahren befragt wurden. Dabei ergab sich, dass sich das mobile Internet gemessen an der Zahl der Nutzer noch nicht im Aufwind befindet. Hochgerechnet dürften 7,7 Millionen Personen ab 14 Jahren mit ihrem Handy ins Internet gehen, in absoluten Zahlen so viele wie im Vorjahr. Weil die Grundgesamtheit der deutschen Internet-Nutzer etwas wuchs, ging der Anteil mobiler Surfer sogar leicht von 18 auf 17 Prozent zurück.

Allerdings sind die mobilen Web-Nutzer immer häufiger online: 43 Prozent gehen mindestens täglich mit dem Handy ins Internet (zehn Prozent mehr als im Vorjahr). Auch die Akzeptanz von Social Networks und Video-Streams beziehungsweise -Downloads stieg im Vergleich zu 2009 deutlich - von zwölf auf 23 respektive 22 Prozent. Außerdem laden inzwischen 41 Prozent der mobilen Surfer auch Apps auf ihr Device.

Selbst Internet-fähige Smartphones werden häufig wie normale Handys genutzt.
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Geht es nach der Verbreitung geeigneter Endgeräte, ist die breite Nutzung von Apps und Mobile Web hierzulande ohnehin nur noch eine Frage der Zeit: So besitzen bereits 69 Prozent der Umfrageteilnehmer ein Internet-fähiges Handy, bei sechs Prozent davon handelt es sich um ein Apple iPhone, 19 Prozent machen andere Smartphones mit Touchscreen (16 Prozent) oder ohne (drei Prozent) aus. zwölf Prozent sind so genannte Business-Handys, dazu zählt Accenture klassische Blackberries und für die E-Mail-Nutzung angepasste Mobiltelefone (etwa Nokia E-Series). Dass sie diese Geräte nicht zum mobilen Web-Surfen verwenden, begründen die Verweigerer primär mit den verbundenen Kosten - hier sind laut Accenture vor allem die Mobilfunkanbieter gefordert, mit Schnupper- und Einstiegsangeboten und einer einfachen, transparenten Preisstruktur die Hemmschwellen zu senken.

Kosten im Auge behalten

Längerfristig dürfte das mobile Internet trotz Anlaufschwierigkeiten zum Massenmedium werden. Entsprechend sollten Unternehmen die Entwicklung beobachten und mit fortschreitender Nutzerzahl - bezogen auf die jeweilige Zielgruppe - Angebote bereitstellen. Heike Scholz, Betreiberin des Blogs "Mobile Zeitgeist" und Beraterin, rät in diesem Zusammenhang, die Kosten im Auge zu behalten, da sich mit M-Commerce bis auf weiteres wenig Geld verdienen lasse. In ihrem Vortrag "Mit mobilen Angeboten Geld verdienen oder dienen iPhone & Co. nur zur Markenbildung?" auf der "Internet World" empfahl sie Firmen, zunächst vorrangig mobile Websites einzusetzen, da der primäre Kontaktpunkt das mobile Web via Browser sein werde. Mobile Apps seien nur für sehr loyale Kunden geeignet.