IBM-Chef Jetter

"Wir sind permanent auf dem Trimm-dich-Pfad"

17.02.2009 von Martin Bayer
Welche Antworten IBM auf die Herausforderungen der weltweiten Finanzkrise hat und was von Hype-Themen wie Cloud Computing, SOA und Green IT zu halten ist, diskutierte IBMs Deutschland-Geschäftsführer Martin Jetter mit CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Spürt die IBM Deutschland die Krise?

JETTER: Unsere weltweiten Geschäftsergebnisse sprechen für sich. Wir hatten 2008 ein Rekordjahr bei Umsatz, Profit und Cashflow. Unser Finanzchef Mark Loughridge hat Deutschland mit sieben Prozent Umsatzwachstum im vierten Quartal als bestes G7-Land hervorgehoben. Unsere Entwicklungs-Roadmap ist verlässlich. Wir verfolgen eine klare Strategie und ebenso klare Produktpläne. Unsere Investitionen der jüngeren Vergangenheit zahlen sich aus. Denn Angebote müssen heute mit höchster Qualität aufwarten. Die Kunden erwarten nachvollziehbare und vor allem kurzfristige Rentabilität. Dazu müssen die Angebote an die wirtschaftliche Situation und die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Branche angepasst werden.

CW: Feilschen die Kunden härter um den Preis?

JETTER: Anfangs haben wir sehr einfache Diskussionen um Rabatte geführt. Inzwischen hat sich die Qualität der Gespräche deutlich geändert. Kunden stellen fest, dass simple Forderungen nach Preisnachlässen die eigentlichen Probleme nicht lösen. Auch in der Krise darf der Blick für das Wesentliche nicht verloren gehen.

CW: Demnach planen die Unternehmen mittelfristig und wollen nicht nur schnelle Kostensenkungen?

JETTER: Absolut - effiziente und schlanke Anwendungslandschaften stehen hoch im Kurs. Gerade jetzt ist die Zeit reif, um bestehende Strukturen nachhaltig zu verändern. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir gerade jetzt mit einer umfassenden Vision an den Markt gehen. Unter dem Stichwort ‚smarter Planet’ widmen wir uns den wichtigen Infrastrukturen unserer Zeit: Klima, Wasser, Gesundheit, Energie, Verkehr. Wir sind seit Jahren in diesen Feldern aktiv und können hier auf eine Vielzahl erfolgreicher IT-Projekte verweisen. Diese Themen beschäftigen auch unsere Kunden. Dass wir als One-Stop-Shop wirklich integrierte Lösungen anbieten können, kommt gut an.

CW: Wenn Sie von veränderten Strukturen sprechen, sehen Sie dann auch ein Umdenken der Unternehmen im Bereich Sourcing?

JETTER: Die Bereitschaft, Make-or-buy-Entscheidungen neu zu treffen, ist deutlich gestiegen. Auch hier scheint mir die derzeitige Wirtschaftslage ein wichtiger Treiber zu sein. Manche Kunden sehen nur den reinen Kostenfokus - fixe in variable Kosten zu verwandeln. Nachhaltiger ist allerdings die strategische Betrachtung: Was kann ich richtig gut, wo sollte ich investieren - und wo nicht? Es ist doch so: Auch wenn sich ganze Branchen derzeit kollektiv um Unterstützung durch die öffentliche Hand bemühen, hört der Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen angeschlagener Branchen deshalb nicht auf. Im Gegenteil - Wettbewerbsfähigkeit ist nie wichtiger als in einer Krise.

"IBM häutet sich permanent"

CW: Wie steht es um IBMs Wettbewerbsfähigkeit? Das Unternehmen hat sich im vergangenen Jahr neu strukturiert. Was hat das gebracht?

JETTER: Wir haben Anfang 2008 zunächst unserer Außendienstorganisation komplett neu aufgestellt. Heute ist der Vertrieb konsequent nach Branchen ausgerichtet und andererseits regional. Ersteres ist wichtig, um die Herausforderungen unserer Kunden zu verstehen, Letzteres, um mit der Lösung quasi "um die Ecke" bereitzustehen. Wir haben dazu viel positives Feedback von unseren Kunden und Geschäftspartnern bekommen. Laut unseren Zufriedenheitsbefragungen fühlen sie sich sowohl branchenspezifisch als auch in IT-Fragen besser betreut.

CW: Was hat sich intern bei IBM getan?

JETTER: Als zweites großes Veränderungsprojekt haben wir unter dem Schlagwort "OneIBM" die internen und externen Dienstleistungsfunktionen neu aufgestellt und entlang der Wertschöpfungskette in vier homogene Einheiten gegliedert. Das ganze Projekt hat praktisch hundertprozentige Zustimmung gefunden und ist leise und harmonisch über die Bühne gegangen. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, wenn rund ein Drittel der Belegschaft in andere Gesellschaften wechselt. Wir wollten jeden mitnehmen auf diesem Weg, und das ist uns auch gelungen. Und auch hier sind die Kunden zufriedener. Unsere Servicequalität hat sich im Vergleich zum Vorjahr weiter verbessert.

CW: Sind die Veränderungsprozesse nun abgeschlossen?

JETTER: IBM häutet sich permanent. Transformation und Veränderung sind das Erfolgsrezept unserer fast hundertjährigen Geschichte. Warum sollten wir damit aufhören? Denken Sie an unsere Veräußerungen und Akquisitionen in den zurückliegenden Jahren. Unser Portfolio besteht heute ganz aus höherwertigen und integrierten Leistungen. Aus margenschwachen Geschäftsfeldern steigt das Unternehmen konsequent aus. Unsere Forschungsgelder - das sind jedes Jahr sechs bis sieben Milliarden Dollar - stecken wir in Wachstumsbereiche. Es ist Normalzustand, dass wir uns kontinuierlich anpassen und erneuern. Lassen Sie es mich salopp formulieren: Wir sind permanent auf dem Trimm-dich-Pfad.

CW: Gilt das auch für Ihre Mitarbeiter?

JETTER: Das ist auch der Grund, warum wir massiv in die interne Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter investieren. Wir halten die Firma agil. Der Blutkreislauf zirkuliert. Nur wenn unsere Kunden spüren, dass wir uns fit halten, immer up-to-speed sind, halten sie uns auch die Treue.

"Cloud Computing kommt nicht von heute auf morgen"

CW: Wenn sich IBM aus margenschwachen Bereichen verabschiedet, bedeutet das nicht mittel- oder längerfristig den Ausstieg aus dem Hardwaregeschäft?

JETTER: Nein - wir investieren erhebliche Forschungs- und Entwicklungsmittel in diesen Bereich. Zu unseren integrierten Lösungen gehört gerade auch ein starkes Hardwareportfolio. Unsere Umsatzstruktur verändert sich immer wieder: Es gab Zeiten, da wurde Hardware gemietet, und Software gab es kostenfrei. Heute kostet die Software meistens mehr als die Hardware. Die Märkte und Geschäftsmodelle ändern sich, aber Vollsortimenter ist man nur mit Hardware, Software und Services.

CW: Ein Hoffnungsträger - auch für Hardware - heißt Cloud Computing. Wann wird die IT aus der Wolke kommen?

Martin Jetter, Geschäftsführer IBM Deutschland: "Auch in einer Cloud müssen Sicherheit und Hochverfügbarkeit gewährleistet sein."

JETTER: Ich sehe gute Chancen, dass das Modell zum Fliegen kommt. Allerdings nicht von heute auf morgen. Es kommt sehr darauf an, was man damit macht. Vor allem, welche Anwendungen ich in einer Cloud-Umgebung betreibe. Gerade bei geschäftskritischen und besonders anspruchsvollen Aufgaben sind noch Hausaufgaben zu erledigen, beispielsweise hinsichtlich Sicherheit und Hochverfügbarkeit. Beide müssen auch in einer Cloud gewährleistet sein, egal ob es sich um eine Private Cloud, eine Public Cloud oder ein Hybridmodell handelt. Wir verfolgen in diesem Umfeld gerade sehr spannende Entwicklungen zum Beispiel beim Provisioning und der Ressourcenzuweisung. Übrigens sagen uns auch die CIOs unserer Kunden, dass sie erst einmal die Fakten sehen wollen. Deshalb nehmen wir das Thema auch mit auf die CeBIT und diskutieren unsere Ansätze dazu.

CW: Es geht dort also erst einmal darum zu klären, was mit Cloud Computing möglich ist und was nicht?

JETTER: Davon ist auszugehen. Allerdings hoffe ich, dass in Hannover nicht nur die einfachen Cloud-Anwendungen mit privaten Daten herausgestellt werden. Cloud Computing ist ein seriöses Business-Thema. Natürlich neigen neue Unternehmen ohne Legacy-Anforderungen dazu, ein wenig freier zu agieren. Aber letztlich unterscheidet sich unsere Branche nicht von irgendeiner anderen. Kunden machen sich nicht per se von der Entscheidung "Cloud oder nicht Cloud" abhängig. Vor der Wahl der Infrastruktur steht die Business-Entscheidung. Das gilt ganz grundsätzlich in unserer Industrie. IBM ist der Erfinder des Rechenzentrums. Wir haben Erfahrungen mit geschäftskritischen Anwendungen, Infrastrukturen und Lösungen. Das sind die Assets, auf die es beim Kunden wirklich ankommt.

SOA braucht Standards

CW: Einem anderen Hype, nämlich SOA, scheint dagegen die Puste auszugehen. CIOs sagen, sie können das Thema nicht mehr hören. Sehen Sie das auch so?

JETTER: Man könnte das denken, und auch aus der einen oder anderen Diskussion mit Kunden hören wir Ähnliches heraus. Beklagt wird in erster Linie die Komplexität der SOA-Thematik. Andererseits sagen Marketiers gern: Wenn jemand etwas nicht mehr hören kann, dann ist es angekommen. Aber ernsthaft - wir machen nach wie vor interessante SOA-Projekte. Ich sehe gute Chancen, SOA als Standard dauerhaft zu etablieren. Natürlich versuchen verschiedene Hersteller, ihre Sicht durchzusetzen. Daraus resultiert auch ein Teil der Komplexität und begrifflichen Verwirrung. Doch letztendlich gibt gerade SOA den Kunden die Entscheidungsfreiheit über ihre Anwendungslandschaft zurück. Es stünde uns als Branche gut zu Gesicht, hier für offene Standards zu sorgen.

CW: Das große Thema auf der CeBIT im vergangenen Jahr war Green IT. Wie geht es damit aus Ihrer Sicht weiter?

JETTER: Wir machen gute Fortschritte. Green IT war keine Eintagsfliege und schon gar kein Hype-Thema. Ökonomie und Ökologie sind den CEOs gleichermaßen wichtig. Eine unserer Studien belegt das ungebrochene Interesse an grünen Themen. Das pflanzt sich weiter fort. Auch in unserer Infrastruktur. Mit Konsolidierung, Virtualisierung und Services rund um unsere energie- und materialeffizienten Rechenzentren geben wir die richtigen Antworten. Wir nennen das Dynamic Infrastructure. Entscheidend ist, dass sich die Investitionen rechnen. Hier haben wir gute Argumente auf unserer Seite und können das auch belegen. Die Zertifizierung von Rechenzentren, die wir gemeinsam mit dem TÜV und der Dekra vorantreiben, wird hier einen guten Beitrag leisten. Das ist die Seriosität, die das Thema verdient.

CW: Ein Wort zu den Services: Business Process Outsourcing (BPO) hat in Deutschland nie richtig abgehoben. Wie beurteilen Sie das, und welche Trends sehen Sie ganz allgemein im Outsourcing?

JETTER: Der BPO-Markt hat sich hierzulande nicht so entwickelt, dass man von einem Durchbruch sprechen könnte. Es bleibt abzuwarten, ob das Thema nun durch die Krise einen zweiten Wind bekommt. Bisher liegt der Schwerpunkt der Nachfrage jedenfalls eher im angelsächsischen Markt. Durch unsere globale Zusammenarbeit und Integration bleiben wir hier aber trotzdem auf Ballhöhe. Insgesamt sehen wir einen klaren Trend zu kosteneffizienten Lösungen in der kompletten Leistungskette - von Infrastruktur- und Anwendungs-Outsourcing über Testing bis zu Kapazitäts-Balancing oder Erneuerung von Applikationen.

"Der Umzug in Halle 2 ist aufgegangen"

CW: Mit welchen Themen kann Deutschland im internationalen IBM-Verbund punkten?

JETTER: Wir haben hier in Deutschland eine Fülle von Kompetenzen sowohl in der internen wie auch in der externen Leistungserbringung. Das stellen wir im Rahmen der "Centers-of-Excellence"-Initiative zunehmend auch dem internationalen Verbund zur Verfügung. Ein Beispiel ist unsere SAP-Kompetenz: Die hat weiterhin weltweit höchste Bedeutung. Auch unsere Forschungs- und Entwicklungskapazitäten möchte ich an dieser Stelle nennen. Wir holen immer wieder herausragende Aufträge nach Deutschland und in unsere Entwicklungszentren, allen voran nach Böblingen, aber auch in die kleineren und spezialisierten Teams in Mainz, München, Kassel oder Berlin. Außerdem haben wir Branchen-Know-how beispielsweise für die Automobilindustrie, die Finanzwirtschaft, die Energieversorgung oder auch die öffentliche Verwaltung. Insgesamt arbeitet rund ein Drittel unserer Executives aus Deutschland heraus oder weltweit verteilt in internationalen Aufgabenstellungen.

CW: Welche Erwartungen hat IBM im Jahr der Krise an die CeBIT?

Das Konzept für den IBM-Messestand auf der CeBIT 2009 - der Umzug in Halle 2 ist für einen längeren Zeitraum angelegt, auch wenn das Messe-Engagement immer wieder hinterfragt wird.

JETTER: Die CeBIT ist nach wie vor wichtig für IBM. Das ist ein klares Bekenntnis für die IT-Messe. Im vergangenen Jahr haben wir eine positive Bilanz ziehen können. Der Auszug aus Halle 1 und das neue Konzept sind aufgegangen. Wir haben über 200 000 Besucher gezählt, die über unseren Stand gelaufen sind. Damit hatte fast die Hälfte aller CeBIT-Besucher 2008 Berührung mit IBM.

CW: Wie weit reicht diese Treue?

JETTER: Unsere Vereinbarungen mit der Messegesellschaft machen wir nicht öffentlich. Doch trotz der langjährigen Verträge hinterfragen auch wir jährlich unser CeBIT-Engangement. Allerdings macht man derartige Investitionen, wie wir sie für den Umzug von Halle 1 in Halle 2 getätigt haben, nicht nur für ein Jahr.