"Wir brauchen eine Industrialisierung der IT!"

08.08.2007
Service Management statt nur Steuerung der IT-Systeme! Seit vier Jahren propagieren das vehement alle großen Anbieter der einstigen Admin-Lösungen. Doch die Masse der Anwender reagiert zurückhaltend. Olav Strand, Geschäftsführer von BMC Deutschland, verteidigt im Interview mit CW-Redakteur Ludger Schmitz die Orientierung.

CW: Wie hat sich der Markt entwickelt, seit BMC 2003 mit Business Service Management, BSM, ein neues strategisches Ziel des IT-Managements ausgegeben hat?

Strand: Der Markt hat es honoriert. Zunächst stieg die Nachfrage nur mäßig an, aber in den letzten drei Jahren verzeichnen wir nun ein deutliches Wachstum. Die Lizenzumsätze unserer BSM-Lösungen wachsen deutlich im zweistelligen Bereich. Seit etwa zwölf Monaten nimmt die Nachfrage nach einer Integration von Service Desk, Change Management und Asset Management rasant zu. Zentraler Bestandteil in praktisch allen Ausschreibungen ist die Change and Configuration Management Database, CMDB.

CW: Verwunderlich ist die Nachfrage beim Asset Management – kein neues Thema und eine Itil-Eingangsdisziplin.

Strand: Kunden verwenden als Tools für das Asset Management oft genug Excel-Anwendungen. Diese haben keine Verbindung zum Finance- und Controlling-Backoffice-System und lassen sich nur bedingt in ein umfangreicheres BSM und die zentrale CMDB integrieren. Ähnlich steht es mit den althergebrachten Trouble-Ticket-Systemen. Die meisten Unternehmen entscheiden sich heute zuerst für Incident- und Problem Management sowie für die grundlegende CMDB. Erst wenn sie eine konsistente Datenbasis haben, machen sie den nächsten Schritt. Die Einbindung von Teillösungen anderer Anbieter in ein umfassendes BSM-Konzept ist generell möglich. Die Mehrzahl der Unternehmen bevorzugt jedoch den Aufbau einer homogenen BSM-Plattform.

CW: Wie gut überprüfen Anwender ihre Service Level Agreements (SLAs)?

Strand: Es gibt kein Unternehmen mehr, das keine Service Level Agreements hätte. Aber es ist ganz unterschiedlich, was darunter verstanden und wie damit umgegangen wird. SLAs beziehen sich meist auf die Verfügbarkeit und Performance technischer Komponenten wie Server oder Netzwerke und können nur von der IT beurteilt werden. Ein höher entwickeltes Service Level Management bezieht sich auf die Anwendung, den Business Service oder den Kerngeschäftsprozess und kann auch von den Fachabteilungen überwacht werden. Hier geht es nicht nur um Antwortzeiten und Verfügbarkeiten, sondern darum, welche Geschäftsprozesse für ihr Funktionieren welche technischen Leistungen erfordern.

CW: Sind Firmen bestimmter Größen oder Branchen besonders weit bei der BSM-Implementierung?

Strand: Die so genannten Early Adopters sind eindeutig Telekommunikationsfirmen. Danach kommen Finanzdienstleister, wobei hier die Banken den Versicherungen voraus sind. Momentan entsteht eine stärkere Nachfrage aus produzierenden Unternehmen, besonders aus dem Bereich Automobilindustrie.

CW: Was sind die nachweisbaren Vorteile, wenn man Produkte für eine BSM-Strategie verwendet?

Strand: Es gibt eine Aussage von Forrester, dass Unternehmen, die BSM konsequent betreiben, bis zu 25 Prozent ihres IT-Budgets umschichten können: Bisher für die reine Aufrechterhaltung des IT-Betriebs benötigte Gelder werden dadurch für IT-Innovationen frei. Wir haben Kunden, die das bestätigen. In einem Fall konnten rund 20 Prozent des IT-Budgets von der Backoffice-Unterstützung zur Unterstützung der Kerngeschäftsprozess umgelenkt werden. Ein anderer Kunde von uns hat festgestellt, dass er unnötigerweise Speicher für mehrere Millionen Euro vorgehalten hat. Ein anderer hat 80 als gestohlen gemeldete Notebooks wieder entdeckt, denn sie waren noch im Firmennetz angemeldet.

CW: Stellen sich positive Ergebnisse erst nach einer gewissen Zeit, nach vielen Investitionen in Teillösungen ein?

Strand: Es ist eindeutig so, dass ein umfassendes BSM mehr ist als die Summe seiner Teile. Aber jeder einzelne Schritt hat seinen Wert. Ein kontrollierter Update-Prozess dank Change Management minimiert das Risiko von Ausfällen und die Aufwendungen für Nacharbeiten. Per Asset Management wird man möglicherweise feststellen, dass bestimmte Anschaffungen unnötig sind. Eine Performance-Analyse stellt garantiert fest, dass ein Rechenzentrum bei weitem nicht ausgelastet ist. Das Einsparpotenzial kann hier enorm sein. Zum Vergleich: Ein großes Rechenzentrum verbraucht im Jahr so viel Energie wie 18.000 Transatlantikflüge – ein ausgefeiltes Kapazitäts-Management auf BSM-Basis spart nicht nur Geld, sondern auch Emissionen.

CW: Dann geht's also mehr um Rationalisierung als um Innovation.

Strand: BSM bedeutet "Industrialisierung des IT-Betriebs". Damit werden Ressourcen für Innovationen frei. Die Qualität der internen IT-Prozesse ist vergleichbar mit dem "Handwerk der ersten Stunde". Das sind keine industrialisierten Prozesse. Man stelle sich bei einem Automobilhersteller eine Produktionsstraße vor, die zu zwölf Prozent ausgelastet ist! IT ist nicht so viel anders, sie ist eine Fertigungsstraße für Informationen.

CW: IT ist aber eine Dienstleistung und keine Massenproduktion von Waren.

Strand: Mit IT-Industrialisierung meine ich die Optimierungspotentiale im Datacenter, das heisst die kontinuierliche Verbesserung der internen IT-Prozesse, die Automatisierung von Standardabläufen sowie das Kapazitäts-Management. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Alternative dazu gibt, die IT-Auslastung zu steigern. Hier bestehen massive Einsparungspotenziale. Die Fertigung eines modernen Autos ist auch nicht komplexer als die Einrichtung und Versorgung eines Desktops mit remoten Server-Applikationen.

CW: Welche Hemmnisse stellen sich der Automatisierung durch Service Management entgegen?

Strand: Zum einen müssen die IT-Anbieter ihre Hausaufgaben machen. Wir haben bei BMC vier Jahre gebraucht, um unsere Lösungen für die verschiedenen ITIL Disziplinen zu integrieren. Und es kommen ständig weitere Aufgaben hinzu. Zum anderen ist es auf Anwenderseite eine strategische Entscheidung. Natürlich kann sich jemand für eine kurzfristig wirkende, unabhängige Punktlösung zum Beispiel für Asset Management entscheiden. Aber bei einer strategischen Entscheidung wie BSM geht es um ein großes und risikobehaftetes Projekt, weil es auch organisatorische Änderungen nach sich zieht.

CW: Warum verändert sich die Organisation?

Strand: BSM führt im Datacenter zu einer Re-Fokussierung auf den Kunden. Die bisherige primäre Sicht auf technische Komponenten weicht der Sicht auf die Qualität der Business Services oder der unterstützten Geschäftsprozesse. Die Mitarbeiter im Datacenter werden dann auch an ihrem Beitrag zur Kundenzufriedenheit gemessen. Das erfordert ein Umdenken und Offenheit für Veränderungen bei den etablierten Mitarbeitern.

CW: Die IT-Spezialisten setzen dem Service Management den meisten Widerstand entgegen.

Strand: Es werden Erbhöfe verletzt, Bereiche restrukturiert, Mitarbeiter müssen auf verschiedenen Ebenen überzeugt werden. In einem zunehmend industrialisierten Prozess wird die Produktionstiefe der einzelnen IT-Mitarbeiter sinken. Ihre Arbeitsleistung muss zu mindestens 80 Prozent auf ihre Kernkompetenz bezogen sein. Und das schränkt die Kreativität des Einzelnen ein; da gibt es keine Bastelecken mehr. Bisherige Hierarchien ändern sich zu virtuellen, zeitlich begrenzten Teams. Veränderung wird von vielen per se als negativ empfunden.

CW: Wer BSM will, muss also erst einmal im eigenen Hause überzeugen.

Strand: Es geht um Change-Management in der gesamten IT-Abteilung. Dieser Prozess muss vom Vorstand getragen werden. Wichtig ist die Information der Mitarbeiter über die neuen Prozesse, deren Bedeutung für das Unternehmen und ihre individuelle Rolle, damit sie sich darin wiederfinden können und ihren Beitrag zum Erfolg kennen. Der Erfolg einer BSM-Strategie hängt von den Menschen ab, die sie umsetzen. Wenn man die Mitarbeiter nicht dort abholt, wo sie sind, und wenn man sie nicht zum Ziel führt, hat man schon am Anfang verloren.

CW: Die Anbieter argumentieren mit den Kostenvorteilen von BSM; aber nach einer Forrester-Analyse erleben die Anwender in erster Linie eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse und eine bessere Qualität der IT-Services.

Strand: Beides trifft zu und bestimmt den Erfolg von BSM. Nehmen wir das Thema Automatisierung von Standardabläufen. Neben Qualitätssicherung und Risikominimierung erreichen unsere Kunden dadurch auch Kostenvorteile. Reduzierung von Ausfallzeiten, schnellere Fehlerbearbeitung, weniger fehlerträchtige Updates und Patches, höhere Transparenz bei Veränderungen, eine konsistente Datenbasis, einfachere Budgetierung und IT-Finanzplanung – alle diese Aspekte ziehen Kostenvorteile nach sich und bestimmen den Erfolg von BSM.

CW: Die vier großen Service-Management-Anbieter haben in den letzten Jahren vor allem mit Übernahmen neuer innovativer Wettbewerber Schlagzeilen gemacht. Wird BMC weiter Newcomer aufkaufen?

Strand: Wir sind nicht traurig über innovative Newcomer. Das hält uns beweglich. Im Zweifel müssen wir uns kaufmännisch entscheiden: Make or buy? Die Big Four werden auch in den nächsten vier Jahren dominierend bleiben. Es bleibt die Frage, was kommt nach Business Service Management? BSM ist heute so weit wie ERP vor 15 Jahren. Wir haben noch einen großen Markt vor uns. Wir müssen uns dynamischer entwickeln als andere.

CW: Um was ging es BMC bei der Übernahme von Proactive Net?

Strand: Sie beseitigte ein bisheriges Defizit bei der Automatisierung im Bereich Netzwerk- und System-Monitoring. Viele Anwender haben über die hohen Betriebskosten in diesem Bereich geklagt und werden von uns nun mit einer selbst lernenden Lösung bedient, die die Maintenance-Kosten dramatisch senkt. Wir bekommen damit außerdem das Intelligent Ticketing, das uns gefehlt hat.

CW: Welche Auswirkungen haben Open-Source-Alternativen wie OTRS, Nagios etc.?

Strand: Open Source hat seine Berechtigung, weil der Markt es akzeptiert. Weil wir auf der Kostenseite nicht mit Open Source konkurrieren können, müssen wir unser Angebot mit Werten anreichern. Das setzt uns unter einen gesunden Konkurrenzdruck, der uns zwingt, immer besser zu werden. Ich glaube, Open Source wird im Laufe der Zeit seinen Stellenwert auch im IT Service Management einnehmen. Diese Konkurrenz wird aber aufgrund der Komplexität des Themas bei den unterschiedlichen Anwendern immer nur einen gewissen Anteil erreichen. (ls)


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