CeBIT 2009

Willkommen in der "Webciety"

02.10.2008 von Sascha Alexander
CeBIT-Chef Ernst Raue legt 2009 den Messeschwerpunkt auf das Thema Web x.0. Gleichzeitig sollen Besucher und Aussteller intensiver betreut werden. Die COMPUTERWOCHE hatte Gelegenheit zum Gespräch.

CW: Zur CeBIT 2008 hatten Sie ein radikal verändertes Messekonzept angekündigt. Unter der Bezeichnung Business Solutions, Public Sector und Home & Mobile Solutions ordneten Sie die Messehallen nach drei Ausstellungs- und Themenschwerpunkten und schufen mit Technology & Infrastructure noch eine weitere Kategorie als thematische Grundlage der anderen Angebote. Ist dieses Konzept aufgegangen?

Raue: Das Konzept hat sich bewährt (siehe den Abschlussbericht zur CeBIT 2008). Wir haben nicht nur die Messe und unser Kongressprogramm vertikal ausgerichtet, sondern sprechen jetzt auch im Vorfeld der CeBIT potenzielle Besucher und Anwendergruppen gezielt an, um sie mit den Anbietern vor Ort zusammenzubringen. Wir arbeiten dabei mit Industrie- und Interessensverbänden zusammen.

Direktmarketing statt Hallenverwaltung

CW: Wie sieht das konkret aus?

Raue: Wir haben beispielsweise 2008 für das Thema Public Sector 500 Bürgermeister auf die CeBIT geholt, um ihnen in geführten Touren die Softwarelösungen für den öffentlichen Dienst nahezubringen. Das ist das Ergebnis der Kooperation mit dem niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Ergänzt wurde dieses Angebot durch Vorträge von Ausstellern sowie vom Bund. Dieser Service kam gut an, wir werden das auch fortsetzen. Das Thema Public Sector wollen wir aber nicht nur lokal, sondern auch auf europäischer Ebene angehen. So wird voraussichtlich im nächsten Jahr EU-Kommissarin Viviane Reding in Hannover zu dem Thema sprechen.

CW: Vermutlich können Sie für Ihr Marketing auf einen entsprechend großen Adressbestand zurückgreifen.

Raue: Auf der einen Seite stehen uns in der Tat mehrere Hunderttausend qualifizierte Adressen zur Verfügung. Aber wichtig sind eben auch die gezielten Kooperationen mit Verbänden oder speziellen Communities.

Was die CeBIT 2009 bringt
Ernst Raue über Popularität
Die CeBIT ist für Messechef Raue nach wie vor eine der populärsten Veranstaltungen der Welt. Eines sei in den letzten Jahr klar geworden: Die Industrie will weiterhin eine CeBIT als Kommunikationsplattform haben.
Ernst Raue über Webciety
Raue will mit dem Thema Webciety auf der nächsten CeBIT das Internet in seinen verschiedenen Ausprägungen und mit seinen Business-Modellen darstellen und erlebbar machen.
Ernst Raue über Web 2.0
Raue widerspricht dem Eindruck, man reagiere mit der wachsenden Einbeziehung des Web in das Messekonzept auf den Web-2.0-Hype. Es sei vielmehr die Konsequenz daraus, dass das Internet inzwischen in alle Lebensbereiche hereinragt. Die CeBIT müsse dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Ernst Raue über CIOs
IT-Manager haben laut Raue die Messe für sich neu entdeckt. IT-Lösungen seien immer komplexer und vernetzter geworden - das treibe CIOs nach Hannover. Sie erwarten dann allerdings kompakte Informationen und exklusive Treffen vor Ort.
Ernst Raue über IFA
Die Internationale Funkausstellung (IFA) ist für Raue keine Konkurrenz zur CeBIT. Vielmehr habe die IFA eine komplett andere Ausrichtung, was sich an der jüngst präsentierten weißen Ware deutlich gezeigt habe. Die CeBIT sei hingegen eine internationale Businessmesse.
Ernst Raue über Direktmarketing
Früher war ein Messestand einfach Teil des Marketing-Mix eines Ausstellers und der Veranstalter verwaltete das Messegelände . Heute entwickele man gemeinsam mit den Ausstellern die Inhalte der CeBIT, sagte Messechef Ernst Raue.

CW: Müssen Sie auch Ihre Aussteller anders betreuen als früher?

Raue: Wir arbeiten heute sehr viel enger zusammen. Früher war ein Messestand einfach Teil des Marketing-Mix, und wir haben das Messegelände verwaltet. Heute entwickeln wir gemeinsam mit den Ausstellern die Inhalte der CeBIT. Wir kennen die Ziele der Unternehmen und arbeiten gemeinsam daran, dass diese auch erreicht werden. Eines ist klar geworden: Die Industrie will eine CeBIT als Kommunikationsplattform haben (Nachrichten und Hintergründe zur letzten CeBIT finden Sie hier).

CW: Wie haben die Hersteller auf das neue CeBIT-Konzept reagiert?

Raue: Die Aussteller hatten 2008 insgesamt eine sehr gute Messe (Auch hat niemand die Halle 1 vermisst). Aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Wir arbeiten weiter am lösungsorientierten Messekonzept arbeiten. So kommt beispielsweise nächstes Jahr in Halle 11 eine eigene "CeBIT Security World" hinzu.

Keine Angst vor der IFA

CW: Welche Rolle sollen künftig Consumer-Themen spielen? Hier hatte es in der Vergangenheit ja einigen Unmut unter den an Geschäftskunden interessierten Ausstellern gegeben. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen professionellen Zielgruppen und Verbrauchern?

Raue: Das Gelände ist groß genug für verschiedene Anwendergruppen. Wir bieten unseren Ausstellern flexible Beteiligungsmodelle. So kann jeder die von ihm favorisierte Zielgruppe ansprechen. Gerade bei den mobilen Themen ist das wichtig. Aussteller wie T-Mobile wollen neben Geschäftskunden auch Verbraucher empfangen.

CW: Sehen Sie die Internationale Funkausstellung (IFA) als Konkurrenz?

Raue: Nein, die IFA hat eine komplett andere Ausrichtung - das wird durch die jüngst präsentierte weiße Ware ganz deutlich. Die CeBIT ist eine internationale Businessmesse, die neue Themen auf die Agenda hebt und diese nachhaltig nach vorne treibt. Green IT ist hier das beste Beispiel.

Hilfe für den eiligen CIO und Messeforen

CW: Wie wollen Sie Top-IT-Entscheider nach Hannover locken? Gehen die überhaupt noch auf Messen? Es herrscht doch ein Überangebot an Veranstaltungen.

Raue: Die CIO, die Sie ansprechen, gehen wieder auf Messen. Sie haben die großen Vorteile der Messen wieder entdeckt. Wir haben diese Leute lange nicht als eigenständige Besuchergruppe wahrgenommen. Doch das hat sich geändert. IT-Lösungen sind immer komplexer und vernetzter geworden - das interessiert auch CIOs. Wir haben spezielle Programme entwickelt, die sicherstellen, dass diese Zielgruppe einen effektiven Tag in Hannover verbringen kann (Lesen Sie auch, was Branchen-Promis zur CeBIT sagen).

CW: Wie wichtig sind bisherige "Messen in der Messe" wie zum Beispiel die Foren für BI/EII, SOA und für CRM?

Raue: Die Zahl solcher Foren und Kooperationen wird weiter steigen, weil wir das Fachwissen ihrer Veranstalter brauchen. So wollen wir nächstes Jahr beispielsweise mehr zu Open Source und Cloud Computing machen.

Green IT und Webciety

CW: Wie könnte man denn die CeBIT zu einem Happening wie die Consumer Electronic Show machen und mehr eigene Highlights schaffen?

Raue: Eine CeBIT muss die relevanten Themen der internationalen IT-Industrie aufgreifen. Das beste Beispiel ist das zuvor nur am Rande beachtete Thema Green IT (Zahlreiche Beiträge hierzu finden Sie in unserem Knowledge Center Green IT). Jetzt läuft eine breite Diskussion. 2009 kooperieren wir mit dem Bundesministerium für Umwelt und planen eine eigene Ausstellung in Halle 8. Große Firmen wie Cisco oder IBM sind sehr interessiert (Auf der diesjährigen Messe kündigten Hersteller an sich Vorreiter im Klimaschutz machen zu wollen). Die CeBIT kann also Themen bündeln wie keine andere Veranstaltung. Ein neues Kernthema wird 2009 das Web und dessen Nutzung für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen sein. Wir haben dazu den Begriff "Webciety" geprägt.

Internet der Dienste in Hannover

CW: Springt die Messe damit auch auf den Web-2.0-Zug auf?

Raue: Nein, wir springen nicht auf Züge auf, wir versuchen höchstens, die Lokomotive unter Dampf zu setzen. Web 2.0 ist viel zu eng gedacht. Wir wollen mit Webciety das Internet in seinen vielen verschiedenen Ausprägungen und mit seinen Business-Modellen darstellen und erlebbar machen. Web 2.0 wäre nur ein kleiner Ausschnitt. Es geht hier also um das "Internet der Dienste" und weniger um die technische Infrastruktur. Das Wort Webciety beschreibt, dass das Internet inzwischen in alle Lebensbereiche hereinragt. Die CeBIT wird zeigen, dass wir mit dem Internet vor einer neuen Entwicklungsstufe stehen (Es gibt bereits erste Informationen zum Rahmenprogramm der Webciety).

CW: Die CeBIT hat diesbezüglich Kontakte mit Kalifornien geknüpft und für 2009 erstmals einen Bundesstaat zum Messepartner erkoren. So wollen Sie dort ansässige Web-2.0-Akteure wie Google, Facebook oder LinkedIn für die Messe gewinnen.

Raue: Bisher gab es nur Partnerländer. Doch im Silicon Valley bewegt sich so viel, dass wir mit Kalifornien kooperieren wollen. Die Unternehmen können dann ihre Visionen vorstellen. Und wir sind mit all den Unternehmen im Gespräch. Klar ist es unser Ziel, sie auf einer CeBIT in Hannover zu haben.

Plug-and-Play statt Messestand

CW: Aber ist eine solche Web-2.0-Welt mit ihren auch gesellschaftlichen Auswirkungen auf einer Messe wirklich abbildbar?

Raue: Zunächst geht es uns nicht darum, hip zu sein, sondern die Weiterentwicklung des Marktes aufzugreifen. Wir müssen diese Entwicklung in die Messe einbinden, ansonsten würde der CeBIT künftig etwas fehlen. Und deshalb wollen wir langfristig dem Internet eine reale "Homebase" bieten (Einen Vorgeschmack auf den digitalen Messestand finden Sie hier). Die Umsetzung ist aber anders als bei der herkömmlichen Ausstellung. Wir brauchen neue Instrumente. In der Webciety Area in Halle 6 werden die Aussteller ohne Messebauer auskommen, sondern nur ihren Laptop mitbringen und den Stand damit "bespielen". Wir haben sozusagen die Plug-and-Play-Präsentation entwickelt.

CW: Was steht im Vordergrund: Anregungen für neue Geschäftsmodelle oder eine Übersicht über Dienste im Web?

Raue: Wir wollen zunächst in einem übersichtlichen Rahmen interessierten Unternehmen zeigen, wie sie ihr Geschäft mit Hilfe des Webs anders machen können, was innovative Ideen, Prozesse und Werbung betrifft. Zugleich ist es eine Chance für Startups, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wir stehen vor einer neuen Nutzung von IT, die die kommenden Jahre ganz massiv prägen wird. Die CeBIT ist der beste Ort auf der Welt, um diese Entwicklung aufzuzeigen.

Internet 2010 - die CeBIT als Web-Veranstaltung

CW: Könnten Sie sich auch eine virtuelle CeBIT vorstellen? Dieses Jahr hatten Sie ja schon einen Versuch in Second Life gestartet.

Raue: Wir arbeiten intensiv daran und investieren derzeit große Beträge in eine neue Web-Plattform. Auf ihr wollen wir begleitend zur Messe ganzjährig IT-Themen vorantreiben. Ziel ist es, unsere Stärken aus unseren realen Messen in die virtuelle Welt zu transferieren. Denkbar ist auch, Inhalte und Angebote mit den jeweils aktuell laufenden CeBITs in Australien oder Eurasia zu koppeln.

CW: Wann wird diese Plattform kommen?

Raue: Sie ist heute schon zum Teil verfügbar. Wir entwickeln sie derzeit unter dem Projektnamen "Internet 2010" weiter.

CW: Geht es Ihnen auch darum, eine Art Social Network für IT-Interessierte aufzubauen? Nur Produkte und Aussteller darzustellen wäre doch sicher zu wenig.

Raue: Derzeit bildet unsere Website in erster Linie den Messekatalog ab. Das wird auch 2009 noch so sein. Künftig wollen wir aber einen Marktplatz schaffen, der nicht nur Produkte präsentiert, sondern auch die dazugehörigen Dienstleistungen, Diskussionen, Veranstaltungen und Informationen.

CW: Sie hatten bereits 2007 die Initiative "CeBIT Next" vorgestellt, hinter der sich ein Chat- und Innovationsideen-Portal für Besucher und Aussteller verbarg. Wie haben sich diese Aktivitäten weiterentwickelt?

Raue: Die Initiative ging damals von IBM aus und wurde von den Besuchern gut angenommen. Die Erfahrungen und Fragen aus diesem Versuch fließen in die Entwicklung von Internet 2010 mit ein.

CeBIT - beliebt, benötigt?

CW: Für wie populär halten Sie denn heute die CeBIT?

Raue: Die CeBIT ist sicher nach wie vor eine der populärsten Veranstaltungen der Welt. Sie müssen sich nur die kommunikative Kraft anschauen. 7000 Medienvertreter aus aller Welt kommen, um von Hannover aus zu berichten. Denn die CeBIT schafft es einen spannenden Dreiklang zu kreieren: Einen einzigartigen Dreiklang aus Wirtschaft, Politik und Medien - und das auf internationalem Niveau.

CW: Trotz einer um einen Tag kürzeren Veranstaltung konnten Sie 2008 die Zahl der Besucher um drei Prozent auf 495.000 erhöhen. Die Zahl der Aussteller sank allerdings um 300 auf 5845 Aussteller aus 77 Ländern. Und auch die Ausstellungsfläche nahm gegenüber dem Vorjahr um 14 Prozent auf 241.000 Quadratmeter ab. Was erwarten Sie für 2009?

Raue: Wichtiger als die reinen Zahlen ist für mich mittlerweile, dass wir die richtigen Themen für die Zukunft besetzen. Hausmessen der Hersteller ergänzen die CeBIT, Fachmessen haben für uns den Schrecken verloren, weil wir deren Themen nun ebenso bedienen können. Auch große Anbieter kehren zurück. Sie wollen aber keine klassischen Stände mehr bauen, sondern sich flexibler darstellen. Eine reine Image-Messe wie früher kann sich nicht mehr tragen.