Chancen und Risiken der Plattformökonomie

Wie Plattformen die Digitalwirtschaft bestimmen

09.07.2019 von Dominik Rüchardt
Ein Wesensmerkmal digitaler Geschäftsmodelle ist die Plattformökonomie. Doch was versteht man darunter, wie verhält sie sich und welche Chancen aber auch Gefahren bringt sie?

Ein neues Stichwort geistert durch die Medienwelt, getragen auf der Welle der Digitalisierung und begleitet von vielen Erwartungen und großen Unsicherheiten. So wie die Ökonomie der Digitalisierung ein bisher kaum erforschtes Gebiet ist, gewinnt die Plattformökonomie möglicherweise schneller an Bedeutung, als Industrie und Politik es verstehen.

Um eine Plattformidee erfolgreich umzusetzen, müssen der Wille, die Mittel und die Fähigkeit da sein, stark und global zu wachsen und sich dabei einem harten Wettbewerb zu stellen.
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Es geht um digitale Plattformen, die sich rasend schnell ausbreiten und neue, bisher unbekannte globale Netzwerke erschaffen. Die Beispiele sind allseits bekannt: Uber, Facebook, Google, auch Apple und viele weitere wie AirBnB haben sich in kürzester Zeit zum globalen Spieler entwickelt.

Dabei treten zwangsläufig zwei Fragen auf:

Um diese Fragen zumindest teilweise zu beantworten, ist es wichtig, zunächst die Mechanismen besser zu verstehen.

Plattformökonomie nutzt Netzwerkeffekte

Die wichtigste Eigenschaft einer Plattform ist: Sie steigert den Nutzen für den einzelnen Kunden, je mehr Menschen sich ihr anschließen. Das bedeutet, jeder einzelne Nutzer der Plattform wird in dieser gleichzeitig zum Mehrwertobjekt für die anderen Nutzer.

Bei Facebook ist jeder Nutzer gleichzeitig ein potenzieller Friend für die anderen und - viel wichtiger - ein Adressat für die zahlende Kundschaft. Zusätzlich stellt jeder Nutzer kostenlos den Inhalt ein, den andere konsumieren. Facebook ist damit der Archetyp der Plattform, in der jeder Beteiligte aktiv den Mehrwert erhöht.

Bei Apple wird bei der Plattform AppStore schon schärfer in zwei Gruppen getrennt: die Kunden des AppStores und die Ersteller der Apps. Beide schaukeln sich durch ihre Zahl gegenseitig auf. Doch auch Apple-Dienste wie beispielsweise Verkehrsinformationen basieren auf dem Plattform-Konzept: Jedes einzelne Endgerät liefert die Daten, die alle nutzen.

Je größer so ein Netz, desto wertvoller und desto schwerer ist es für andere, in diesen Markt einzutreten. Google beispielsweise nutzt die Suchanfragen, um den Suchalgorithmus ständig zu verbessern. Das Unternehmen hat die meisten Daten, um damit am besten zu sein. Andere Suchmaschinen kommen kaum dagegen an, da sie für den Anwender unmittelbar schlechtere Ergebnisse liefern.

The winner takes it all

Daraus leitet sich bereits das zweite Prinzip der Plattformanbieter ab: Größe ist der wichtigste Wettbewerbsvorteil. Daher gilt für Plattformanbieter die Regel: Wachse so schnell und brutal, dass keiner mehr gegen dich ankommt.

Das hat Uber verinnerlicht. Mit enormen Geldsummen ausgestattet, führt die Company einen aggressiven Kampf um die Vorherrschaft im individuellen Personentransport. Das Unternehmen weiß: Sobald das Geschäft, zum Beispiel durch autonome Fahrzeuge, zum Normalfall wird, wird der Größte gewinnen. Er kann billiger und flexibler anbieten, er wird daher schneller weiterwachsen.

Wobei Uber genau wie AirBnB, das Problem hat, an echte Objekte und konkrete Leistungen gekoppelt zu sein. Hier tritt das dritte wichtige Prinzip auf den Plan: die Regulierung. Wegen der schnellen Auslöschung des Wettbewerbs entzieht sich eine Plattformökonomie den normalen Kräften des Marktes. Regulierung ist daher das einzige Mittel, sie zu steuern.

Firmen wie Uber investieren große Summen, um einen gerade erst entstehenden Markt zu dominieren.
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Das geht umso leichter, wenn konkrete Dinge und Leistungen vorhanden sind, deren Umgang mit Regeln versehen und überprüft werden kann. So beschränken nun viele Städte durch Vermietungsgesetze die Nutzung von AirBnB, andere Städte schränken Uber mit den Personenbeförderungsgesetzen massiv ein. Die Regulierung bezieht sich dabei aber niemals auf einen Anbieter direkt, sondern stets auf ein Geschäftsmodell. Die Verhandlungen um die Zulässigkeit von Geschäftsmodellen, beziehungsweise um die Feinheiten ihrer Ausprägung mit Ministerien und Kommunen, ist daher ein wichtiges Arbeitsfeld für Lobbyisten geworden.

Plattformen stehen zwischen Anbieter und Kunde

Kern des Plattformgeschäftes ist, dass die angebotenen Leistungen nicht vom Plattformbetreiber selbst erbracht werden. Das erlaubt dem Betreiber eine nahezu grenzenlose Skalierung ohne große eigene Investitionen. Das Geschäftsmodell einer Plattform speist sich in der Regel aus zwei Quellen: Vermittlungsgebühr und Werbung.

Dabei kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt zum Tragen: die Schnittstelle zum Endkunden. Diese Schnittstelle ist es, die in der Kette der Beteiligten an einem Geschäft die größte Macht und die größten Gewinne bedeutet. Das ist der treibende Aspekt, beispielsweise wenn es um neue Arten der Mobilität geht. Die konventionellen Autohersteller befürchten, zum Teil einer Lieferkette degradiert und dabei austauschbar zu werden.

Die vorherrschende Macht als Marke wäre dahin, wenn der Kunde nicht mehr mit einem BMW zur Arbeit fährt, sondern mit einem Uber. Im vergangenen Jahrzehnt hat es dabei bereits viele Verlierer gegeben: Reisebüros, Telefonbuchverlage, lokale Anzeigenblätter, Kinos. Derzeit sind auch die Fernsehsender dabei, hilflos Youtube sowie globalen Streaming-Plattformen zuzusehen, wie sie mehr und mehr Marktanteile gewinnen.

Plattformen im B2B-Geschäft haben ihre eigenen Regeln

Neben den auch im Privatkundengeschäft bekannten Plattformen gibt es auch im B2B-Sektor Plattformen. Das können Handelsplattformen sein, etwa zur Vermittlung von industriellen Leistungen oder Softwareplattformen. Handelsplattformen, sogenannte Marketplaces, bieten jede Art von Industriedienst an. Das Spektrum reicht von Nischenprodukten im speziellen Industrien, etwa um Daten von speziellen Formaten in andere umzuwandeln, bis zum Angebot von Dienstleistungen und Ressourcenkapazitäten. Etwa Konstruktionsarbeiten, Simulationsberechnungen oder einfachfreier Rechnerkapazität.

Diese Plattformen dienen der Optimierung in einem Marktgefüge, das Aufgaben außerhalb der eigenen Kernkompetenz auslagert. Hier sind Aspekte wie Genauigkeit der Leistungsbeschreibung und Qualitätssicherheit von besonderer Bedeutung. Daher sind diese Plattformen in der Regel sehr marktspezifisch. Und vergleichsweise wenig konsolidiert.

Softwareplattformen bieten dagegen die Grundlage für einen einheitlichen Datenverkehr innerhalb eines Geschäftsfeldes. Sie bewegen sich im Bereich zwischen Standardisierung und Innovation und zielen dabei auf Marktsituationen, die einerseits einen hohen Bedarf an Harmonisierung von Abläufen haben, andererseits einem Innovationstempo unterliegen, welches einer Standardisierung im Weg steht.

Es gab bereits in der Vergangenheit plattformähnliche Effekte, etwa dass Automobilunternehmen sich auf eine einheitliche Software für Bauteilkonstruktion geeinigt haben, um den Datenverkehr in der Lieferkette zu vereinfachen. Eine an sich gute Idee, die anderseits teilweise in hohe Abhängigkeiten von Herstellern geführt hat mit allen Folgen. Ergebnis war in diesem Fall ein massives Bestreben in der Industrie zur Standardisierung, um diese Abhängigkeit aufzulösen.

Absehbare Konsolidierung

Je umfassender eine brancheninterne Vernetzung stattfindet, desto größer ist die Chance für eine Plattform. Beim Themenfeld Industrie 4.0 ist beispielweise eine baldige branchenbezogene Konsolidierung absehbar, da viele vernetzte Geschäftsmodelle von der Zuverlässigkeit einer grundlegenden Softwareinfrastruktur abhängig sind. Die gibt es, sofern das Themenfeld noch nicht durch Standards definiert ist, in der benötigten Stabilität und Schnittstellensicherheit in der Regel nur auf Basis einer Plattform.

IoT-Produkte und -Strategien der Hersteller
IoT-Produkte und -Strategien der Hersteller
Im Zukunftsmarkt des Internet of Things (IoT) bringt sich nahezu jeder große IT-Hersteller in Stellung. Manchmal ist der Marktzugang nachvollziehbar, manchmal werden auch Nebelkerzen geworfen und vorhandene Produkte umdefiniert. Wir geben einen Überblick über die Strategien der wichtigsten Player.
Microsoft
Wie über 200 andere Unternehmen war der Softwarekonzern bis vor kurzem Mitglied in der von Qualcomm initiierten Allianz AllSeen und wechselte kürzlich in die neu formierte Open Connectivity Foundation. Deren Ziel ist die Entwicklung einer einzelnen Spezifikation oder zumindest eines gemeinsamen Sets an Protokollen und Projekten für alle Typen von IoT-Geräten.
Microsoft
Auf Client-Seite fungiert Windows 10 IoT Core als mögliches Betriebssystem für industrielle Geräte. Das Beispiel zeigt ein Roboter-Kit.
Microsoft
Als Cloud-Plattform stellt Microsoft die Azure IoT-Suite bereit. Diese enthält bereits einige vorkonfigurierte Lösungen für gängige Internet-of-Things-Szenarien. Mit dem Zukauf des italienischen IoT-Startups Solair wird das Portfolio erweitert.
Amazon
Das Portfolio erstreckt sich mit AWS Greengrass bis in den Edge-Bereich. So können IoT-Devices auf lokale Ereignisse reagieren, lokal auf die von ihnen erzeugten Daten wirken können, während die Cloud weiterhin für Verwaltung, Analyse und dauerhafte Speicherung verwendet wird.
IBM
Im März 2015 hat Big Blue mitgeteilt, über die nächsten vier Jahre rund drei Milliarden Dollar in den Aufbau einer IoT-Division zu investieren. Sie soll innerhalb des Unternehmensbereichs IBM Analytics angesiedelt sein. IBM will hier neue Produkte und Services entwickeln. Im Zuge dessen wurde auch die "IBM IoT Cloud Open Platform for Industries" angekündigt, auf der Kunden und Partner branchenspezifisch IoT-Lösungen designen und umsetzen können.
Intel
Obwohl sich Intel mit seinen Ein-Prozessor-Computern "Galileo" und "Edison" im Bereich der Endgeräte für das Zeitalter von Wearables und IoT schon gut gerüstet sieht, will das Unternehmen mehr vom Kuchen. "Das Internet of Things ist ein End-to-End-Thema", sagte Doug Fisher, Vice President und General Manager von Intels Software and Services Group, zur Bekanntgabe der IoT-Strategie vor einem halben Jahr. Deren Kernbestandteil ist demnach ein Gateway-Referenzdesign, das Daten von Sensoren und anderen vernetzten IoT-Geräten sammeln, verarbeiten und übersetzen kann.
Intel
Im Zentrum der IoT-Strategie des Chipherstellers steht eine neue Generation des "Intel IoT Gateway". Auf Basis der IoT Plattform bietet Intel eine Roadmap für integrierte Hard- und Software Lösungen. Sie umfasst unter anderem API-Management, Software-Services, Data Analytics, Cloud-Konnektivität, intelligente Gateways sowie eine Produktlinie skalierbarer Prozessoren mit Intel Architektur. Ein weiterer maßgeblicher Bestandteil der Roadmap ist IT-Sicherheit.
SAP
Bei der SAP IoT-Plattform "HANA Cloud Platform for IoT" handelt es sich um eine IoT-Ausführung der HANA Cloud Platform, die um Software für das Verbinden und Managen von Devices sowie Datenintegration und -analyse erweitert wurde. Die Edition ist integriert mit SAPs bereits vorgestellten IoT-Lösungen "SAP Predictive Maintenance and Service", "SAP Connected Logistics" und "Connected Manufacturing".
Hewlett-Packard
HP hat Ende Februar 2015 seine "HP Internet of Things Platform" präsentiert. Das Unternehmen richtet sich damit an "Communications Service Providers", die in die Lage versetzt werden sollen, "Smart Device Ecosystems" zu schaffen - also in ihren Netzen große Mengen an vernetzten Produkten und Endgeräten zu verwalten und die entstehenden Daten zu analysieren.
PTC
Mit der Übernahme von ThingWorx konnte der amerikanische Softwareanbieter PTC zu Beginn vergangenen Jahres zum Kreis der vielversprechendsten Internet-of-Things-Anbieter aufschließen. Das Unternehmen bietet mit "ThingWorx" eine Plattform für die Entwicklung und Inbetriebnahme von IoT-Anwendungen in Unternehmen an.

Der Konsolidierungsprozess wird einhergehen mit der Realisierung großer Vernetzungsszenarien auf Unternehmensebene. Dann werden Nachfolgeeffekte eintreten und Nischenanbieter, die für einen Demonstrator noch ausreichende Technologie geliefert haben, müssen großen Anbietern weichen, die vom Lösungsumfang und der Verbreitung her in der Lage sind, ganze Industrien weltweit zu unterstützen und ihre Anforderungen zu einem gemeinsamen Modell zu führen.

Plattformen erfordern Distanz zum eigenen Geschäft

Doch zurück zur Fragestellung, ob sich das eigene Geschäft für eine Plattform eignet. Kern einer Prüfung ist die Frage: Gibt es ein Szenario, in dem eine große Nutzerzahl für jeden einzelnen Nutzer einen deutlichen Vorteil darstellt?

Die Zutaten für so ein Geschäftsmodell können breit gestreut sein. Von der reinen Handelsplattform, eBay ist dabei ein klassisches Modell, das allein durch die Marktgröße als Plattform dominiert, bis zum global verteilten Computerspiel. Wichtig ist dabei vor allem die Stabilität des Angebotes. Eine Plattform wird schnell von einer großen Zahl von Anwendern mit sehr unterschiedlichem Hintergrund genutzt. Die Modelle müssen einfach und robust sein, die Abhängigkeit von Dritten muss dafür möglichst geringgehalten werden. Sie ist eine andauernde Fehlerquelle und sollte durch eine sehr harte Qualitätskontrolle abgesichert sein.

Ebay dominiert allein durch die Marktgröße als Plattform.
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Möglichkeiten eröffnen sich neben dem eigenen Geschäftsumfeld derzeit durch die zunehmende Vernetzung des öffentlichen Raumes. Potenzial für eine Plattform hätte beispielsweise eine Parkplatz-Finder-App, die in der Lage wäre, Parkplätze nicht nur zu Orten, sondern auch intelligent zuzuweisen. Hier treten allerdings derzeit Kommunen in den Wettbewerb mit Automobilherstellern, wer Zugriff auf Information zu freien Parkplätzen erhält.

Denkbar sind auch Geschäftsnetzwerke zu bestimmten Themen oder um bestimmte Standards herum. Ebenso wie der AppStore für allgemeine Apps sind auch Marktplätze für Spezialthemen attraktiv. Etwa für Dienstleistungen, von der Partnervermittlung bis zur Ingenieursleistung. Doch so einfach sind die Themen nicht zu finden.

Eine Plattform ist ein Schaufenster, in das alle etwas hineinlegen. Das kann auch sehr schnell unübersichtlich und damit unattraktiv werden. Sie benötigt also strenge Regeln und sehr einfache Prinzipien. Dazu muss der Nutzen für den Einzelnen deutlich größer sein als seine gefühlte Leistung, die er einbringt. Viele erste Versuche von Plattformen, wo etwa private Handwerksleistungen getauscht werden sollten ("Tausche Bohren gegen Blumengießen.") sind beispielsweise schnell unübersichtlich und leiden an mangelnder Qualitätssicherung.

Der Plattformmarkt ist hart umkämpft

Ein weiterer Aspekt bei Plattformen ist das Thema der Finanzkraft. Es steht weiterhin sehr viel Geld zur Verfügung, um in erfolgversprechende Geschäftsmodelle zu investieren. Sobald eine Plattform oder ihr Thema daher erfolgreich ist, wird sie vermutlich entweder gekauft oder es wird mit hohem Investitionsvolumen ein Konkurrenzprodukt geschaffen. Plattformanbieter sollten sich dessen bewusst sein und geschickt verhalten.

Insgesamt ist das Finden einer durchschlagenden Plattformidee angesichts der enormen Potenziale ein heiß umkämpfter Markt und voller Risiken. Die Idee muss sitzen und es müssen der Wille, die Mittel und die Fähigkeit da sein, stark und global zu wachsen und sich dabei einem harten Wettbewerb zu stellen, der sich aus finanzstarken Gegnern einserseits und einer auf Regulierung bedachten öffentlichen Hand andererseits zusammensetzt. (mb)