Ein neues Stichwort geistert durch die Medienwelt, getragen auf der Welle der Digitalisierung und begleitet von vielen Erwartungen und großen Unsicherheiten. So wie die Ökonomie der Digitalisierung ein bisher kaum erforschtes Gebiet ist, gewinnt die Plattformökonomie möglicherweise schneller an Bedeutung, als Industrie und Politik es verstehen.
Es geht um digitale Plattformen, die sich rasend schnell ausbreiten und neue, bisher unbekannte globale Netzwerke erschaffen. Die Beispiele sind allseits bekannt: Uber, Facebook, Google, auch Apple und viele weitere wie AirBnB haben sich in kürzester Zeit zum globalen Spieler entwickelt.
Dabei treten zwangsläufig zwei Fragen auf:
Die Chance: Kann ich ebenfalls so eine Plattform erschaffen?
Die Gefahr: Kann so eine Plattform mein Geschäft in kürzester Zeit massiv beeinflussen?
Um diese Fragen zumindest teilweise zu beantworten, ist es wichtig, zunächst die Mechanismen besser zu verstehen.
Plattformökonomie nutzt Netzwerkeffekte
Die wichtigste Eigenschaft einer Plattform ist: Sie steigert den Nutzen für den einzelnen Kunden, je mehr Menschen sich ihr anschließen. Das bedeutet, jeder einzelne Nutzer der Plattform wird in dieser gleichzeitig zum Mehrwertobjekt für die anderen Nutzer.
Bei Facebook ist jeder Nutzer gleichzeitig ein potenzieller Friend für die anderen und - viel wichtiger - ein Adressat für die zahlende Kundschaft. Zusätzlich stellt jeder Nutzer kostenlos den Inhalt ein, den andere konsumieren. Facebook ist damit der Archetyp der Plattform, in der jeder Beteiligte aktiv den Mehrwert erhöht.
Bei Apple wird bei der Plattform AppStore schon schärfer in zwei Gruppen getrennt: die Kunden des AppStores und die Ersteller der Apps. Beide schaukeln sich durch ihre Zahl gegenseitig auf. Doch auch Apple-Dienste wie beispielsweise Verkehrsinformationen basieren auf dem Plattform-Konzept: Jedes einzelne Endgerät liefert die Daten, die alle nutzen.
Je größer so ein Netz, desto wertvoller und desto schwerer ist es für andere, in diesen Markt einzutreten. Google beispielsweise nutzt die Suchanfragen, um den Suchalgorithmus ständig zu verbessern. Das Unternehmen hat die meisten Daten, um damit am besten zu sein. Andere Suchmaschinen kommen kaum dagegen an, da sie für den Anwender unmittelbar schlechtere Ergebnisse liefern.
The winner takes it all
Daraus leitet sich bereits das zweite Prinzip der Plattformanbieter ab: Größe ist der wichtigste Wettbewerbsvorteil. Daher gilt für Plattformanbieter die Regel: Wachse so schnell und brutal, dass keiner mehr gegen dich ankommt.
Das hat Uber verinnerlicht. Mit enormen Geldsummen ausgestattet, führt die Company einen aggressiven Kampf um die Vorherrschaft im individuellen Personentransport. Das Unternehmen weiß: Sobald das Geschäft, zum Beispiel durch autonome Fahrzeuge, zum Normalfall wird, wird der Größte gewinnen. Er kann billiger und flexibler anbieten, er wird daher schneller weiterwachsen.
Wobei Uber genau wie AirBnB, das Problem hat, an echte Objekte und konkrete Leistungen gekoppelt zu sein. Hier tritt das dritte wichtige Prinzip auf den Plan: die Regulierung. Wegen der schnellen Auslöschung des Wettbewerbs entzieht sich eine Plattformökonomie den normalen Kräften des Marktes. Regulierung ist daher das einzige Mittel, sie zu steuern.
Das geht umso leichter, wenn konkrete Dinge und Leistungen vorhanden sind, deren Umgang mit Regeln versehen und überprüft werden kann. So beschränken nun viele Städte durch Vermietungsgesetze die Nutzung von AirBnB, andere Städte schränken Uber mit den Personenbeförderungsgesetzen massiv ein. Die Regulierung bezieht sich dabei aber niemals auf einen Anbieter direkt, sondern stets auf ein Geschäftsmodell. Die Verhandlungen um die Zulässigkeit von Geschäftsmodellen, beziehungsweise um die Feinheiten ihrer Ausprägung mit Ministerien und Kommunen, ist daher ein wichtiges Arbeitsfeld für Lobbyisten geworden.
Plattformen stehen zwischen Anbieter und Kunde
Kern des Plattformgeschäftes ist, dass die angebotenen Leistungen nicht vom Plattformbetreiber selbst erbracht werden. Das erlaubt dem Betreiber eine nahezu grenzenlose Skalierung ohne große eigene Investitionen. Das Geschäftsmodell einer Plattform speist sich in der Regel aus zwei Quellen: Vermittlungsgebühr und Werbung.
Dabei kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt zum Tragen: die Schnittstelle zum Endkunden. Diese Schnittstelle ist es, die in der Kette der Beteiligten an einem Geschäft die größte Macht und die größten Gewinne bedeutet. Das ist der treibende Aspekt, beispielsweise wenn es um neue Arten der Mobilität geht. Die konventionellen Autohersteller befürchten, zum Teil einer Lieferkette degradiert und dabei austauschbar zu werden.
Die vorherrschende Macht als Marke wäre dahin, wenn der Kunde nicht mehr mit einem BMW zur Arbeit fährt, sondern mit einem Uber. Im vergangenen Jahrzehnt hat es dabei bereits viele Verlierer gegeben: Reisebüros, Telefonbuchverlage, lokale Anzeigenblätter, Kinos. Derzeit sind auch die Fernsehsender dabei, hilflos Youtube sowie globalen Streaming-Plattformen zuzusehen, wie sie mehr und mehr Marktanteile gewinnen.
Plattformen im B2B-Geschäft haben ihre eigenen Regeln
Neben den auch im Privatkundengeschäft bekannten Plattformen gibt es auch im B2B-Sektor Plattformen. Das können Handelsplattformen sein, etwa zur Vermittlung von industriellen Leistungen oder Softwareplattformen. Handelsplattformen, sogenannte Marketplaces, bieten jede Art von Industriedienst an. Das Spektrum reicht von Nischenprodukten im speziellen Industrien, etwa um Daten von speziellen Formaten in andere umzuwandeln, bis zum Angebot von Dienstleistungen und Ressourcenkapazitäten. Etwa Konstruktionsarbeiten, Simulationsberechnungen oder einfachfreier Rechnerkapazität.
Diese Plattformen dienen der Optimierung in einem Marktgefüge, das Aufgaben außerhalb der eigenen Kernkompetenz auslagert. Hier sind Aspekte wie Genauigkeit der Leistungsbeschreibung und Qualitätssicherheit von besonderer Bedeutung. Daher sind diese Plattformen in der Regel sehr marktspezifisch. Und vergleichsweise wenig konsolidiert.
Softwareplattformen bieten dagegen die Grundlage für einen einheitlichen Datenverkehr innerhalb eines Geschäftsfeldes. Sie bewegen sich im Bereich zwischen Standardisierung und Innovation und zielen dabei auf Marktsituationen, die einerseits einen hohen Bedarf an Harmonisierung von Abläufen haben, andererseits einem Innovationstempo unterliegen, welches einer Standardisierung im Weg steht.
Es gab bereits in der Vergangenheit plattformähnliche Effekte, etwa dass Automobilunternehmen sich auf eine einheitliche Software für Bauteilkonstruktion geeinigt haben, um den Datenverkehr in der Lieferkette zu vereinfachen. Eine an sich gute Idee, die anderseits teilweise in hohe Abhängigkeiten von Herstellern geführt hat mit allen Folgen. Ergebnis war in diesem Fall ein massives Bestreben in der Industrie zur Standardisierung, um diese Abhängigkeit aufzulösen.
Absehbare Konsolidierung
Je umfassender eine brancheninterne Vernetzung stattfindet, desto größer ist die Chance für eine Plattform. Beim Themenfeld Industrie 4.0 ist beispielweise eine baldige branchenbezogene Konsolidierung absehbar, da viele vernetzte Geschäftsmodelle von der Zuverlässigkeit einer grundlegenden Softwareinfrastruktur abhängig sind. Die gibt es, sofern das Themenfeld noch nicht durch Standards definiert ist, in der benötigten Stabilität und Schnittstellensicherheit in der Regel nur auf Basis einer Plattform.
Der Konsolidierungsprozess wird einhergehen mit der Realisierung großer Vernetzungsszenarien auf Unternehmensebene. Dann werden Nachfolgeeffekte eintreten und Nischenanbieter, die für einen Demonstrator noch ausreichende Technologie geliefert haben, müssen großen Anbietern weichen, die vom Lösungsumfang und der Verbreitung her in der Lage sind, ganze Industrien weltweit zu unterstützen und ihre Anforderungen zu einem gemeinsamen Modell zu führen.
Plattformen erfordern Distanz zum eigenen Geschäft
Doch zurück zur Fragestellung, ob sich das eigene Geschäft für eine Plattform eignet. Kern einer Prüfung ist die Frage: Gibt es ein Szenario, in dem eine große Nutzerzahl für jeden einzelnen Nutzer einen deutlichen Vorteil darstellt?
Die Zutaten für so ein Geschäftsmodell können breit gestreut sein. Von der reinen Handelsplattform, eBay ist dabei ein klassisches Modell, das allein durch die Marktgröße als Plattform dominiert, bis zum global verteilten Computerspiel. Wichtig ist dabei vor allem die Stabilität des Angebotes. Eine Plattform wird schnell von einer großen Zahl von Anwendern mit sehr unterschiedlichem Hintergrund genutzt. Die Modelle müssen einfach und robust sein, die Abhängigkeit von Dritten muss dafür möglichst geringgehalten werden. Sie ist eine andauernde Fehlerquelle und sollte durch eine sehr harte Qualitätskontrolle abgesichert sein.
Möglichkeiten eröffnen sich neben dem eigenen Geschäftsumfeld derzeit durch die zunehmende Vernetzung des öffentlichen Raumes. Potenzial für eine Plattform hätte beispielsweise eine Parkplatz-Finder-App, die in der Lage wäre, Parkplätze nicht nur zu Orten, sondern auch intelligent zuzuweisen. Hier treten allerdings derzeit Kommunen in den Wettbewerb mit Automobilherstellern, wer Zugriff auf Information zu freien Parkplätzen erhält.
Denkbar sind auch Geschäftsnetzwerke zu bestimmten Themen oder um bestimmte Standards herum. Ebenso wie der AppStore für allgemeine Apps sind auch Marktplätze für Spezialthemen attraktiv. Etwa für Dienstleistungen, von der Partnervermittlung bis zur Ingenieursleistung. Doch so einfach sind die Themen nicht zu finden.
Eine Plattform ist ein Schaufenster, in das alle etwas hineinlegen. Das kann auch sehr schnell unübersichtlich und damit unattraktiv werden. Sie benötigt also strenge Regeln und sehr einfache Prinzipien. Dazu muss der Nutzen für den Einzelnen deutlich größer sein als seine gefühlte Leistung, die er einbringt. Viele erste Versuche von Plattformen, wo etwa private Handwerksleistungen getauscht werden sollten ("Tausche Bohren gegen Blumengießen.") sind beispielsweise schnell unübersichtlich und leiden an mangelnder Qualitätssicherung.
Der Plattformmarkt ist hart umkämpft
Ein weiterer Aspekt bei Plattformen ist das Thema der Finanzkraft. Es steht weiterhin sehr viel Geld zur Verfügung, um in erfolgversprechende Geschäftsmodelle zu investieren. Sobald eine Plattform oder ihr Thema daher erfolgreich ist, wird sie vermutlich entweder gekauft oder es wird mit hohem Investitionsvolumen ein Konkurrenzprodukt geschaffen. Plattformanbieter sollten sich dessen bewusst sein und geschickt verhalten.
Insgesamt ist das Finden einer durchschlagenden Plattformidee angesichts der enormen Potenziale ein heiß umkämpfter Markt und voller Risiken. Die Idee muss sitzen und es müssen der Wille, die Mittel und die Fähigkeit da sein, stark und global zu wachsen und sich dabei einem harten Wettbewerb zu stellen, der sich aus finanzstarken Gegnern einserseits und einer auf Regulierung bedachten öffentlichen Hand andererseits zusammensetzt. (mb)