Smart Assistants for Regulatory Affairs

Wie Merck Process Mining und Robotic Process Automation nutzt

16.05.2019 von Manfred Bremmer
In Zeiten der Digitalisierung ist es für Unternehmen wie Merck besonders wichtig, Prozesse effizienter zu gestalten und valide Entscheidungen auf Basis von Daten treffen zu können. Der Darmstädter Wissenschafts- und Technologiekonzern setzt dabei im Regulatory-Bereich, wo es u.a. um die Zulassung neuer Produkte geht, auf RPA und Process Mining.

Der Bereich Regulatory Affairs im Unternehmensbereich Healthcare von Merck befasst sich weltweit mit der Einreichung, Zulassung und Lizensierung von Arzneien. Da der Darmstädter Konzern in über 66 Ländern mit teilweise stark unterschiedlichen Anforderungen aktiv ist, gilt es, große Mengen an Daten unter Zeitdruck und mit hohem technischem Aufwand an die verschiedenen Gesundheitsbehörden zu übermitteln. Hierfür sind moderne Arbeitsmittel und flexible Lösungen notwendig, die es ermöglichen automatisch Daten und Dokumente zu verarbeiten und gleichzeitig aufwendige manuelle Datenverarbeitung zu verringern.

Indem Software-Roboter langweilige repetitive Aufgaben übernehmen, werden menschliche Ressourcen für sinnschaffende Aufgaben frei.
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Ressourcen für sinnschaffende Tätigkeiten freiräumen

"Dazu muss man wissen, dass der Regulatory-Bereich ein Arbeitnehmer-Markt ist, das heißt, man kann die Experten nicht mit langweiligen Aufgaben belasten", berichtet Regina Freunscht, Head of Regulatory Affairs Operations im Unternehmensbereich Healthcare von Merck, im Gespräch: "Nicht nur, dass die Mitarbeiter heute nicht mehr so wie vor 5 Jahren arbeiten wollen - neu eingestellte Kollegen gaben auch an, sie wollen in drei Jahren nicht mehr so wie heute arbeiten.

Entsprechend wichtig sei es, Ressourcen freizuräumen, die es den Experten ermöglichen, sinnschaffend zu arbeiten", erklärt Freunscht. "Da wir in dem Bereich wachsen, aber nicht ständig mehr Geld investieren können, kam die Idee, bestimmte Tätigkeiten durch Robotic Process Automation (RPA) zu automatisieren", berichtet die Merck-Managerin. Dies setzte jedoch einen Sprung ins kalte Wasser voraus, denn wie Freunscht erklärt: "Jeder spricht über RPA, aber es gibt kaum Beispiele aus der Praxis."

Fakten schlagen Meinungen

"Jeder spricht über RPA, aber es gibt kaum Beispiele aus der Praxis." Regina Freunscht, Merck
Foto: Mario Drescher

Mangels Blaupausen entschloss sich die Managerin dazu, eine Vorreiterrolle einzunehmen und ein eigenes Projekt zu starten - allerdings nicht nach der Standard-Vorgehensweise, denn wie sie erläutert, "das hätte viel zu lange gedauert", und auch nicht mit einem Extra-Team. Besonders war auch die Vorgehensweise: Anstatt sich auf das Bauchgefühl zu verlassen und Mitarbeiter nach Vorgängen zu fragen, die sie gerne automatisieren würden, setzte Merck auf Process Mining, um die "Pain Points" und Möglichkeiten zu identifizieren. Dazu wurde ein Schwerpunktsystem ausgewählt und der darin laufende Datenverkehr überprüft.

"Ziel war es, die 20 Prozent der Prozesse zu finden, die zu 80 Prozent des Datenverkehrs und -Volumens beitragen", erklärt Freunscht. Mit diesen datengestützten Erkenntnissen habe man dann echte Lernerfolge erzielt. "Ohne das Gender-Thema allzu sehr zu strapazieren, haben die harten Daten und Fakten mir dabei geholfen, um als Frau unter männlichen Wissenschaftlern Gehör zu finden", berichtet die Merck-Managerin.

Scrum statt Six Sigma

Merck startete im November 2018 das Projekt SARA (Smart Assistants for Regulatory Affairs) mit Unterstützung der Managementberatung Leadvise Reply. Dazu wurden Experten-Teams zusammengestellt und Rapid Prototypes definiert, die in den darauffolgenden zwölf Wochen entwickelt wurden. "Die Anwender spielen mit den unfertigen Prototypen, es erfolgt ein Feinschliff und wenn alles funktioniert, wird es validiert und geht von der Entwicklung in die Produktion", beschreibt Freunscht die Vorgehensweise. Zusätzliche Ressourcen habe es nicht gegeben, aber die Mitarbeiter seien hoch motiviert gewesen und profitierten heute bereits davon.

Ein Beispiel für ein umgesetztes Projekt ist das automatische Erkennen und Weiterbearbeiten von Zulassungsbescheiden. Dazu muss man wissen, dass Merck seine Anträge für Neuzulassungen oder Änderungsanträge nicht nur bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) oder dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen muss, sondern praktisch jedes Land seine eigene Zulassungsbehörde besitzt. Selbst eine Änderung des Logos, wie sie Merck 2015 vornahm, erfordert dabei eine neue Genehmigung.

Alle 15 Minuten eine Einreichung

Bei mehr als 500 Arzneigruppen und Lizenzen in über 66 Ländern kommt die Zulassungsabteilung auf 7.500 bis 10.000 behördliche Einreichungen pro Jahr, das macht ca. alle 15 Minuten eine Einreichung bei einer Behörde. Doch damit nicht genug: die nachfolgenden behördlichen Genehmigungen gehen in verschiedenen Formaten ein - als Freitext in einer E-Mail, einem Brief, innerhalb eines Formulars und dazu noch in verschiedenen Sprachen und Schriften.

"Der herkömmliche Weg war, dass ein Mitarbeiter die E-Mail oder den Brief öffnet und die unstrukturierten Daten manuell in das Regulatory Information Management System (RIMS) eingibt", berichtet die Merck-Managerin. Die anderen Abteilungen (z.B. die Produktion) prüften regelmäßig neue Eingänge, holten sie von dort ab und veranlassten die nächsten Schritte. Mit Unterstützung von RPA läuft der Prozess nun deutlich schneller ab: Ein Computer übernimmt die Strukturierung der unstrukturierten Daten, erkennt also mithilfe von Text Mining Sprache, Format sowie die hinterlegte Information und überträgt diese zusammen mit einem Hyperlink zum abgelegten Original in das System.

Ausbaufähiges Konzept

Wie Freunscht erklärt, ist das Konzept mit RPA weiter ausbaufähig. So könnte als zusätzlicher Validierungsschritt vor der Einreichung eines Antrags eine automatische Überprüfung auf Vollständigkeit und richtige Formate stattfinden. So würden inzwischen etwa die Packungsbeilagen von Arzneien nicht nur als PDF benötigt, sondern verstärkt auch die Schlüsselwörter in einem Datenpaket angefordert, was bei allen benötigten Formaten und Sprachen eine große Herausforderung darstelle. Statt Stichproben vorzunehmen, könne ein Roboter hierbei eine Vollabdeckung bieten, ergänzt Stefan Gössel von Leadvise Reply, denn: "Qualität ist nicht verhandelbar, darf aber nicht dazu führen, dass man langsamer wird."

Daneben gebe es viele weiterführende Ideen, erklärt Freunscht, wobei Process Mining dabei helfe, den Bedarf an KI zu entdecken, quasi klar zu sehen. Die Herausforderung sei, aus den verschiedenen SW-Tools das jeweils richtige auszuwählen. Die Managerin sieht entsprechend als längerfristiges Ziel die Entwicklung eines Toolsets, also verschiedener Automatisierungswerkzeuge, die je nach Bedarf eingesetzt werden können.

Während das Projekt voranschreitet und weitere Lernerfolge gemacht werden, lässt der Bereich Mitarbeiter von Leadvise Reply schulen, damit diese künftig selbst Softwareroboter programmieren und die automatisierten Prozesse überwachen können. Auch die Offshoring-Unit von Merck in Indien befasse sich stark mit RPA. "Wir sehen das als Starthilfe, um auf eigenen Füßen zu stehen", erklärt Freunscht.

Ihr zufolge stößt das Thema RPA in den anderen zwei Bereichen des Darmstädter Wissenschafts- und Technologiekonzerns: Life-Science und Performance Materials inzwischen ebenfalls auf reges Interesse. "Wir haben erkannt, dass es sich bei RPA um einen ungehobenen Schatz handelt, den es zu heben gilt. Und mithilfe von Process Mining gehen wir dabei sehr zielorientiert vor und machen die Erfolge transparent und messbar."