Executive Mindset

Wie Leader morgen entscheiden

Kommentar  von Jörg Hawlitzeck
Im digitalen Zeitalter wird der Ruf nach Agilität und schnellem Handeln immer lauter. Entscheidend ist die Einstellung der Leader: Sie müssen die Illusion von Kontrolle aufgeben.

Das Vertrauen schwindet! Nur noch 33 Prozent der Menschen vertrauen ihrem politischen Führern und 44 Prozent ihren CEOs, so das Edelmann Trust Barometer 2018. Das heißt im Klartext: Leadership ist in der Krise. Menschen haben mehr und mehr die Nase voll davon, wie unsere Welt und unsere Unternehmen geführt werden. Sie misstrauen offiziellen Führungseliten und vertrauen mehr auf ihre Peers und soziale Netzwerke.

Leader müssen heute oft, Prozesse steuern, deren Ziele sie selbst noch gar nicht genau kennen können. Umdenken ist gefragt.
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Wie können und sollen Unternehmen, Institutionen, Organisationen und deren Leader dieser Vertrauenskrise begegnen? Eine bloße Verbesserung bestehender Systeme reicht sicherlich nicht aus. Die plakative Forderung, die Pyramide auf den Kopf zu stellen, ist meines Erachtens zu kurz gedacht. Das hierarchische System ist gescheitert. Die Pyramide funktioniert nicht mehr in Zeiten, in denen Menschen sich weltweit vernetzen und soziale Systeme wie lebendige Organismen funktionieren. Denn Hierarchie kann mit Komplexität nicht umgehen, auch wenn sie auf dem Kopf steht.

Lesetipp: BMW: "Wir lösen uns von starren Hierarchien"

Ein Zersprengen bestehender Formen, Entwürfe jenseits des sprichwörtlichen Tellerrandes (oder besser ganz ohne Teller?), eine Revolutionierung der Einstellung sind vielmehr gefragt. Diffuse Orientierungslosigkeit ist bei vielen Führungskräften spürbar: Woran sich orientieren in Zeiten, in den die einzige Konstante die Veränderung zu sein scheint?

In der Tat hat sich die Natur von Veränderungen selbst verändert. Vorbei sind die Zeiten, in denen man einen großen Plan berechnen und Folienakrobaten einen Masterplan entwerfen lassen konnte, um die unangenehmen Entscheidungen nicht selbst an die Mannschaft kommunizieren zu müssen. Vielmehr müssen Manager heute oftmals Prozesse steuern, deren Ziel sie selbst noch gar nicht genau kennen können. Und dabei Orientierung und Sicherheit vermitteln. Sie stehen heutzutage vor allem in der Verantwortung, die Menschen für den erfolgreichen Umgang mit immer schnelleren Veränderungen fit zu machen.

Top-10-Faktoren der Jobmotivation
Top 10 Faktoren der Jobmotivation
Die Studie der ManpowerGroup hat die zehn wichtigsten Faktoren der Motivation im Arbeitsalltag identifiziert.
1. Gutes Arbeitsverhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten
Der menschliche Faktor zählt: 65 Prozent der Befragten sind motivierter im Job, wenn sie mit Kollegen und Chefs gut auskommen. 2014 waren es noch 77 Prozent.
2. Flexible Arbeitszeiten
Gleitzeit oder ein Arbeitszeitkonto bleiben wichtige Motivatoren, sind allerdings auf dem Rückzug. Nur jeden zweiten Arbeitnehmer (50 Prozent) spornt flexibles Kommen und Gehen an. Im Vorjahr war dies noch bei 67 Prozent der Fall.
3. Freundschaftliches Verhältnis zu Kollegen
Für 42 Prozent der Deutschen ist es wichtig, auch nach Feierabend den Kontakt zu anderen Kollegen zu pflegen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Letztes Jahr war es 45 Prozent.
4. Kostenlose Getränke vom Arbeitgeber
Geringer Aufwand, große Wirkung: Für 33 Prozent Arbeitnehmer sind kostenlose Getränke am Arbeitsplatz motivierend für den Job – ein Prozent mehr als bei der Vorjahresbefragung.
5. Teamarbeit
33 Prozent der Arbeitnehmer haben mehr Spaß im Job, wenn sie häufig in Gruppen arbeiten. „Die Arbeitnehmer schätzen zwar den Kontakt zu ihren Kollegen – doch ständige Meetings und Arbeitsgruppen empfinden zwei Drittel eher lästig als motivierend“, sagt Herwarth Brune, Vorsitzender der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland.
6. Ansprechende Raumgestaltung
Die Büroatmosphäre hat auf ebenso wenig Befragte eine motivierende Wirkung. 32 Prozent arbeiten aus eigener Sicht produktiver, wenn die Optik im Büro stimmt. Das bedeutet drei Prozentpunkte Einbuße im Vergleich zum Vorjahr.
7. Betriebliche Gesundheitsförderung
Beratung durch den Betriebsarzt und vom Arbeitgeber bezahlte Präventionskurse sind gut für die Motivation. 31 Prozent der Mitarbeiter arbeiten befreiter, wenn sie wissen, dass ihr Unternehmen die Gesundheit der Angestellten fördert. 2014 waren es 38 Prozent.
8. Guter Kaffee
Augen auf beim Kaffeekauf: Für 28 Prozent der Mitarbeiter fördert die Qualität des Koffeingetränks die Motivation am Arbeitsplatz. Guter Kaffee rutscht damit in die Top 10 der Arbeitsmotivatoren und holt im Vergleich zu 2014 fünf Prozentpunkte auf.
9. Pflanzen im Büro
Grünpflanzen heben die Stimmung und sorgen für ein besseres Raumklima. Ein Prozent mehr als letztes Jahr, nämlich 27 Prozent der Befragten, können besser arbeiten, wenn Zimmerpflanzen im Büro stehen.
10. Motivation durch Büromöbel
Mit Investitionen in moderne Bürowelten können Arbeitgeber punkten: 25 Prozent der Arbeitnehmer lassen sich durch zeitgemäßes, ergonomisches Design motivieren – vier Prozent mehr als 2014.

Mensch im Mittelpunkt

Wie wäre es da eigentlich, wenn wir dabei die Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen würden? Um aus "für die Menschen" ein "mit den Menschen" zu machen? Dies ist vor allem möglich innerhalb eines lebendigen Systems, in dem miteinander Erfahrungen gemacht und ausgetauscht werden und in dem individuelle und kollektive Erfahrungen gleichwertig sind. Ein solches System organisiert und führt sich selbst.

Die Natur macht es uns vor: Unser Gehirn besteht aus rund 86 Milliarden Zellen. Es gibt Strukturen und Koordinationsmechanismen. Aber es gibt keine Nervenzelle, die aufstünde, um zu sagen: "Ich bin der Boss. Jeder Gedanke, der gedacht wird, muss vorab von mir geprüft und freigegeben werden!" Ein solch komplexes System wie unser Gehirn würde sofort kollabieren, wenn es so geführt würde.

Was hindert uns eigentlich daran, die Natur zum Vorbild zu nehmen für die Organisation unserer Unternehmen?

Befreite Unternehmen

Es gibt sie bereits, die sich selbstführenden Organisationen, zum Beispiel in unserem Nachbarland Frankreich. Eine Reihe von geschäftsführenden Gesellschaftern hat dort ihr eigenes Unternehmen befreit und sich selbst damit überflüssig gemacht. Wie das möglich sein soll?

Diese Manager transformieren sich selbst, ihre Einstellung und die Struktur ihrer Unternehmen radikal, um die allgemeinen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter besser zu erfüllen. Sie sind davon überzeugt, dass der Mensch Vertrauen verdient. Und dass ihre Mitarbeiter bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie sich selbst führen. Der oberste Zweck ihrer Unternehmen ist es, die Mitarbeiter zu eigenverantwortlichen und glücklichen Menschen zu machen.

Den Geschäftsführern von Unternehmen wie Chronoflex (Service-Unternehmen für Industrie-Hydraulik-Anlagen), Favi (Automobilzulieferer) oder Poult (Nahrungsmittelproduzent für Kekse) ist eins gemein: Sie haben ihr eigenes Ego zurückgestellt. Au revoir gesagt zu Statussymbolen wie Dienstwagen, dem größten Büro, der Krawatte oder dem Privatparkplatz. Sie haben dem althergebrachten System von Vorhersage und Kontrolle, von Zwang, Bedrohung und Angst eine klare Absage erteilt. Sie haben losgelassen.

Zum Dank ernten sie ein sich weitgehend selbst organisierendes System, in dem Mitarbeiter eigenverantwortlich über Arbeits- und Urlaubszeiten, Gehälter oder Projekte entscheiden.

Der Chef, den keiner mochte
Kumpelchefs sind keine exzellenten Führungskräfte
So lautet die These von Markus Jotzo. Er hat ein Buch zum Thema veröffentlicht, war selbst acht Jahre lang Führungskraft bei Unilever und ist heute als Speaker und Trainer tätig.
Unangenehmes Gespräch mit dem Chef
Während des Gesprächs mit dem Chef mache es dem Mitarbeiter keinen Spaß. Aber mit der Zeit werde er feststellen, dass er durch das klare und zeitnahe Feedback etwas gelernt hat.
Das macht ein exzellenter Chef
Ein exzellenter Chef beobachtet seine Mitarbeiter und ihr Verhalten genau. Er sieht sich an, welche Ergebnisse der Mitarbeiter abliefert und wie er seine Protokolle strukturiert.
Auch das macht ein exzellenter Chef
Und er achtet zum Beispiel auch darauf, wie der Schreibtisch des Mitarbeiters aussieht.
Feedback einfordern
Exzellente Chefs bitten ihre Mitarbeiter regelmäßig um Feedback. Jotzos Tipp: Er lässt seine Mitarbeiter auf einer eins bis zehn bewerten und fragt sie dann ganz gezielt, was ihnen zur zehn fehlt.
Markus Jotzo
Die Tipps für exzellente Führungskräfte stammen aus einem Interview mit Markus Jotzo über sein Buch "Der Chef, den keiner mochte".

Agile Systeme

Trivago ist ein deutsches Unicorn und ein agiles System. Entscheidungen werden in der Tech-Company in voneinander unabhängigen Teams getroffen, die jeweils nahe genug an allen relevanten Informationen dran sind. Die Entscheidungsfindung gleicht einem Beratungsprozess: Entscheiden darf, wer die Verantwortung für ein Projekt trägt. Notwendig ist allerdings, dass sich der Entscheider mit denjenigen berät, die die Kernkompetenzen im betreffenden Bereich haben, sowie mit denen, die die Entscheidung nachher umsetzen und mittragen müssen. So entsteht natürliche Autorität. Eine extrem hohe Lerngeschwindigkeit ist sichergestellt, die ein wichtiger Wettbewerbsvorteil in der Zeit des schnellen Wandels ist.

IDG Research hat eine Studie zum Arbeitsplatz der Zukunft herausgebracht

Wertschätzung für mehr Wertschöpfung

Bodo Janssen, Geschäftsführer der norddeutschen Hotelkette Upstaalboom, ging den Weg des Sinn-Stiftens: Für sich selbst, die Mitarbeiter, Kunden- und Interessengruppen und für die Gesellschaft. Von der Wertschöpfung zur Wertschätzung. Potenzialentfaltung steht seither ganz oben auf der Agenda. Der Sinn des Unternehmens besteht darin "corporate happiness" zu generieren. Menschlichkeit und Unternehmenskultur rücken in den Vordergrund, das Betriebswirtschaftliche in die zweite Reihe. Qualität, Arbeitgeberattraktivität, Weiterempfehlungsquote und mit ihnen das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens haben sich seither rasant verbessert.

Lesetipp: Was macht eigentlich ein Chief Happiness Officer?

Executive Mindset - die Einstellung des Leaders von morgen

Erfolgreiches Wirtschaften "mit den Menschen" ist offensichtlich möglich. Es ist eine Blaupause für Leadership im digitalen Zeitalter, wo der Ruf nach Agilität und schnellem Handeln immer lauter wird, um auch morgen noch mit im Spiel zu sein.

Hierzu passende Organisationsformen und Unternehmenskulturen können mannigfaltig sein. Entscheidend ist die Einstellung der Leader: Wir müssen die Illusion von Kontrolle aufgeben. Es ist wie beim Skifahren. Dort sitzen wir ja auch nicht mit unseren Freunden - dem "Lenkungskreis" - auf der Berghütte und berechnen Neigungswinkel der Piste, unser Körpergewicht, die Temperatur und Beschaffenheit des Schnees. Wir rechnen nicht den günstigsten und effizientesten Fahrweg aus und entwickeln ein wasserdichtes Controllingsystem. Um uns dann mit verschlossenen Augen auf die Piste zu stellen und die Ski verkrampft in dem vorher berechneten Winkel zu halten.

Sie schmunzeln? Im Unternehmen tun wir häufig genau das! Beim Skifahren fahren wir einfach los. Wir sind mit allen Sinnen achtsam und passen uns intuitiv an Piste, Bedingungen und andere Skifahrer an. Wir nehmen wahr und reagieren ständig. Wir spüren und antworten.

Mein Rat: Haben Sie also den Mut, Ihr Unternehmen zu führen wie der Dirigent sein Orchester. Mit hoher Sensibilität für die Menschen, starkem Vertrauen, Gespür für den Moment und Hingabe an den höheren Zweck. Die Symphonie entsteht dann wie von alleine.