Alternativen zu Entlassungen

Wie IT-Firmen ihre Personalkosten senken

02.06.2009 von Winfried Gertz
Übereilt Mitarbeiter zu entlassen ist kein Ruhmesblatt. Einige IT-Firmen haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Dell streicht Stellen in der Produktion, Novell macht mehrere Büros dicht, und Nokia wirft gleich 1700 Leute raus. Viele Jobs sind bedroht. Selbst Google, IBM und Microsoft müssen auf die Bremse treten. Bei aller Angst, die solche Nachrichten hervorrufen, heißt es in diesen Tagen, Ruhe zu bewahren. Zwar steckt laut einer Umfrage von Towers Perrin bereits jedes vierte Unternehmen in der Restrukturierung. "Die IT-Branche ist aber noch nicht so betroffen wie die Automobilindustrie, Finanzdienstleistung und der Maschinenbau", beschwichtigt Towers-Perrin-Berater Martin Hofferberth. Noch beruhigender klingt, was Bitkom-Sprecher Stephan Pfisterer über den IT-Arbeitsmarkt vermelden kann: "In deutschen Betrieben herrscht ein stabiles Beschäftigungsniveau. Alle rund 15.000 Informatikabsolventen werden 2009 einen Job finden."

Martin Hofferberth, Towers Perrin: Bonusauszahlungen werden verschoben.

Viele Personalleiter können sich laut Hofferberth weder erklären, warum die Probleme entstanden sind, noch ahnen sie, was ihnen womöglich noch ins Haus steht. "Einigen fällt es schwer, verlässliche Pläne aufzustellen. Andere verschieben die Auszahlung von Boni für 2008 um ein halbes Jahr." Auch Karl-Heinz Stroh, Personalvorstand der Heimwerker-Marktkette Praktiker, tut sich schwer. "Dauert die konjunkturelle Schwäche noch länger, müssen wir Neuland betreten." Alles was der Beschäftigungssicherung diene, habe "unbedingt Vorrang".

Kurzarbeit bei Praktiker

Als erstes Handelsunternehmen meldete Praktiker Kurzarbeit an und verhängte einen Einstellungsstopp in allen nicht kundennahen Bereichen. Um weitere Personalkosten zu sparen, möchte Stroh zusätzlich dem Beispiel der Metallindustrie folgen, wo viele Betriebe die zuvor vereinbarte tarifliche Gehaltserhöhung verschieben. Ebenfalls geplant ist, die Arbeitszeit bei entsprechendem Gehaltsverzicht abzusenken. Stroh hofft, dass die Sozialpartner mitziehen, um Entlassungen abzuwenden.

Karl-Heinz Stroh, Praktiker-Märkte: 'Wir wollen die Arbeitszeit bei entsprechendem Gehaltsverzicht reduzieren.'

Auf die eigene IT legt Stroh ein besonderes Augenmerk. Nicht antasten in der Krise will er den "Nukleus an sehr gut qualifizierten Fachkräften, unser Investment in die Zukunft". Damit meint er etwa diejenigen, die an der Schnittstelle zu Service-Providern "das Prozess-Know-how haben und die Qualität bei der Einhaltung der Service-Level-Agreements (SLA) sichern". Wie andere Anwender will auch Praktiker Outsourcing-Verträge neu verhandeln, Laufzeiten verkürzen oder einst ausgelagerte Services sogar wieder ins Unternehmen zurückholen.

Wenn Anwender wie Praktiker massiv Kosten einsparen, schlägt dies auf die Lieferanten durch. Lizenzumsätze rauschen in den Keller, und margenträchtige Services stehen auf dem Prüfstand. Sofort rückt der Personalaufwand als größter Kostenblock ins Visier. Bereits im Herbst kündigte SAP Einsparungen an. Nach dem Motto: "Kleinvieh macht auch Mist" wurde zunächst das Reise- und Verköstigungsbudget gekürzt. "Allein für Kunden-Meetings darf der Caterer gerufen werden", erläutert SAP-Sprecher Günther Gaugler.

SAP zahlt hohe Abfindungen

Als im ersten Quartal die Softwareerlöse um ein Drittel sanken, wurde die zweite Restrukturierungsrunde eingeläutet: Medienberichten zufolge gibt es erstmals in der SAP-Geschichte eine Nullrunde beim Gehalt, rund 45 Millionen Euro spart SAP damit ein. Bis Ende 2009 soll die Mitarbeiterzahl von weltweit 51.500 auf 48.500 sinken, nach Angaben der Gewerkschaft Verdi entfallen allein in Deutschland 640 Stellen. Um Mitarbeitern den Abgang zu versüßen, würden hohe Abfindungssummen in Aussicht gestellt. Mit dem Betriebsrat vereinbart seien für die ersten 15 Jahre Betriebszugehörigkeit zwei Monatsgehälter pro Jahr. Ab dem 16. Jahr kommen ein volles Monatsgehalt dazu, heißt es bei Verdi.

Die Maßnahme kommt so gut an, dass mehr Mitarbeiter ausscheiden wollen als vorgesehen. Gaugler zufolge wird jeder Fall geprüft, das Management kann sein Veto einlegen: "Schließlich wollen wir nicht unsere Schlüsselkräfte verlieren." Weniger zimperlich gegenüber Beschäftigten ist Hewlett-Packard. Tausende Arbeitsplätze vor allem bei der HP-Tochter EDS sollen wegfallen. In betroffenen Regionen schalteten sich deutsche Ministerpräsidenten ein.

Dass internationale IT-Konzerne trotz hoher Gewinne Personal abbauen wollen, ist für Helga Schwitzer, im Vorstand der IG Metall für die IT-Branche zuständig, nicht nachzuvollziehen. "Viele Firmen interessiert nicht die Bohne, dass Tausende Mitarbeiter in anderen Ländern wegen der Shareholder-Value-Politik ihre Arbeitsplätze verlieren." Wenn Beschäftigte eines von Schwitzer nicht namentlich genannten amerikanischen Konzerns freiwillig auf drei bis fünf Prozent Gehalt verzichten sollten und Vorgesetzte gleichzeitig Abbaugespräche führten, "ist das pure Erpressung". Schwitzer meint, viele Manager würden auf der Krisenstimmung "mitsurfen". Ohne von der Krise betroffen zu sein, werde mit Gehaltssenkung, Sozialabbau und Kündigungen gedroht.

IBM spart an Freiberuflern

Bei IBM scheint man solche Kritik ernst zu nehmen. Die internen Arbeitsplätze sind sicher - noch: Um Kosten zu sparen, wurden jüngst zahlreiche Verträge mit IT-Freiberuflern vorzeitig gekündigt. Und wer ab August bei IBM einen Arbeitsvertrag unterschreibt, erhält keine betriebliche Altersversorgung mehr. In guten Zeiten würden solche Einschnitte Belegschaften auf die Barrikaden treiben. In der Krise indes wird die Politik der kleinen Schritte begrüßt, solange es keine Kündigungen gibt. Nur neun Prozent der deutschen Personalleiter, ergab eine Umfrage des Freiburger Haufe-Verlages, Herausgeber des "Personal-Magazins", erwägen betriebsbedingte Kündigungen.

Itelligence fliegt zweiter Klasse

Dass das Management in der IT-Branche meist kühlen Kopf bewahrt, zeigt auch Dieter Schoon, Personalchef der Bielefelder Itelligence. Er senkt zum Beispiel das Personalbudget, indem Trainings kaum noch extern stattfinden und Mitarbeiter dafür genauer ausgewählt werden. Zudem werde zweiter Klasse geflogen und nur im Einzelfall mit Headhuntern zusammengearbeitet. Auch dies ist in der Krise nötig: "Zum Kicken treffen wir uns nicht mehr wie früher freitags um zwei, sondern erst am Samstag."

Dieter Schoon, Itelligence: 'Der Freitagnachmittags-Kick ist auf Samstag verschoben.'

Nicht gespart wird hingegen an den geldwerten Nebenleistungen. Wer einen BMW als Firmenwagen fahre, müsse nicht befürchten, in Kürze in einen Passat gedrängt zu werden. Freilich ist Gespür für Kosten gefragt: "Ehe drei Berater mit drei Autos zum Kunden fahren", erwartet Schoon, "sollten sie sich gemeinsam in einem Wagen auf die Reise begeben." Viele IT-Dienstleister würden diese Politik der kleinen Schritte befolgen, beobachtet Hartmut Lüerßen vom Marktforscher Lünendonk. Personal, das wegen auf Eis gelegter Projekte nicht eingesetzt werden kann, baue Zeitkonten ab, nehme Urlaub und qualifiziere sich gezielt weiter. Lüerßen: "Manchmal müssen Berater auch Vertriebsaufgaben übernehmen, zum Beispiel Neukunden akquirieren und Angebote erstellen."

Variable Gehälter gestrichen

Die Krise hat die IT-Branche also fest im Griff. Pläne werden über den Haufen geworfen, manchmal kommt es ganz dick. Glück im Unglück hatte der IT-Dienstleister Sepago. Kurz bevor der "Credit Crunch" die Wirtschaft weltweit kollabieren ließ, verkauften die Kölner dem US-Konzern Citrix ein selbst entwickeltes Tool. "Der Deal war wie ein Ritterschlag und brachte uns ordentlich Cash", sagt Geschäftsführer Carsten Brüggerhoff. Inzwischen sind die Amerikaner in den Abwärtssog geraten und entlassen viele Mitarbeiter. Der eine oder andere heuerte gleich bei Sepago an. "Früher kannte uns niemand", sagt der Manager. "Nun bewerben sich Leute, die wir vorher kaum hätten gewinnen können."

Fünf vor zwölf ist es hingegen beim Lünener IT-Dienstleister Itemis. Der mehrmals als Arbeitgeber ausgezeichnete Spezialist für modellbasierende Softwareentwicklung musste seine Berater sogar in Kurzarbeit schicken. "So katastrophal wie heute war es selbst nicht, als der neue Markt kollabierte", sagt Vorstand Jens Wagener. Entschlossen zog Itemis die Reißleine: Gestrichen wurden die variablen Gehaltsbestandteile.

Beschäftigungsgarantie für Itemis-Mitarbeiter

Dafür gibt Itemis eine Beschäftigungsgarantie und investiert offensiv. Neben dem Vertrieb, der Banken als neue Zielgruppe erschließen soll, intensiviert Itemis seine Forschungsaktivitäten als Mitglied der Eclipse Automotive Working Group. Mitarbeiter in Kurzarbeit, deren reduziertes Gehalt von der Firma bezuschusst wird, werden derzeit intensiv geschult. Keine Frage: Die IT-Branche hat aus dem Sündenfall vor acht Jahren ihre Lehren gezogen. "In Scharen wurden damals Mitarbeiter rekrutiert, mit viel Aufwand eingearbeitet und dann plötzlich vor die Tür gesetzt", erinnert sich Praktiker-Personalchef Stroh. "Zwar sanken so die Kosten. Aber das Investment in die Zukunft war vernichtet."

Besonnen bleiben und dabei die Zukunft nicht aus den Augen verlieren - das scheint für viele Firmen das Leitmotiv zu sein. Hofferberth von Towers Perrin zeigt sich gemäßigt optimistisch: Weder seien die meisten IT-Jobs massiv bedroht, noch werde der Arbeitsmarkt austrocknen. Seine Botschaft macht Mut: "IT wird künftig noch wichtiger für die Wirtschaft. Innovation, Globalisierung und Vernetzung sind nicht mehr aufzuhalten."

Wie Unternehmen ihre Personalkosten senken

(Quelle: Haufe Konjunktur-Cockpit)