Angriff auf Traditionsbranche

Wie InsurTechs Versicherungen transformieren

26.05.2017 von Stefan Fritz
Aktuell sorgen InsurTechs für die Weiterentwicklung in der Versicherungsbranche. Aber welche Vorteile bieten sie und wem nutzen sie überhaupt etwas?

InsurTechs sind kleine, agile Unternehmen, die durch Digitalisierung neue oder modifizierte Services, Produkte oder Geschäftsmodelle in der Versicherungsbranche anbieten, die dem Kunden mehr Nutzen bringen sollen als herkömmliche Produkte und Services. Sie positionieren sich dazu zwischen der eigentlichen Versicherung und den Kunden und versuchen so, über die gegenwärtigen Schwachpunkte im Bereich des nahtlosen digitalen Kundenerlebnisses neue Kunden zu finden. Beispiele sind Appsichern, Knip oder GetSafe.

Was bringen InsurTechs dem Versicherten?
Foto: CoolR - shutterstock.com

Was InsurTechs können

• Die Auswahl der besten Versicherung optimieren.
• Den Betreuungsprozess optimieren.
• Die Schadensabwicklung optimieren.
• Das Risikoportfolio des Versicherers optimieren, in den meisten Fällen über die Beeinflussung und Auswahl von Kunden mit möglichst geringeren Risiken.

Auswahloptimierung für die beste Versicherung

Im Versicherungsbereich gibt es viele Vergleichsportale, die teilweise auch den Produkt- und Servicevergleich für andere Branchen übernehmen (Check24, billiger.de, verivox). Die InsurTechs lösen dabei die einzelne Versicherung vom Angebotsprozess und dem Einfluss auf den Kunden.

Diese Portale sind im Grunde die Nachfolger der "Drückerkolonnen"in der digitalen Welt und bündeln ein massives Portfolio. Wann werden InsurTechs ihre Macht ausspielen und den Versicherern die Regeln für die Zusammenarbeit diktieren und die Margenverteilung zurechtbiegen?

Betreuungsprozess in Perfektion

Das Aufgabengebiet des typischen Versicherungsmaklers umfasst sowohl die Betreuung der Kunden, als auch die Begleitung des Auswahlprozesses. Ein großer Bereich für Knip, GetSafe & Co. und ein direkter Angriff auf die Makler.

Durch die genaue digitale Kundenanalyse verfügen sie über bessere und strukturiertere Informationen als der gewöhnliche Makler von nebenan. Mit volldigitalisierten Prozessen können die InsurTechs ihren Kunden ein umfassenderes Portfolio mit einer nahezu perfekten Abstimmung auf deren persönliche Wünsche anbieten.

Gegenüber den reinen Vergleichsportalen erzeugen sie für Kunden einen echten Mehrwert und stellen daher für die Versicherer eine noch größere Bedrohung dar: Schließlich managen sie übergreifend die Kundenbeziehung zum Versicherer.

Neuer Effizienzbereich: Schadensabwicklung

Bei der Schadensabwicklung läuft bislang fast alles papierorientiert, von der Schadensmeldung bis zur Regulierung. Für die Effizienzsteigerung durch Digitalisierung ergibt sich ein weites Feld. Doch diese Steigerungen sind gering, denn ein normaler Nutzer möchte ja nicht für jeden Versicherungstyp eine eigene App installieren.

Das Potential für die Versicherer liegt in perfekten Serviceanwendungen, die das Kundenvertrauen festigen und Kunden mit einem reibungslosen Kundenerlebnis überraschen. Vertrauen durch Marke und Service als Währung des digitalen Zeitalters!

Risikoportfoliooptimierung durch prädiktive Systeme

Prädiktive Systeme haben für die Versicherungswelt Vor- und Nachteile. Die Versicherer verbessern damit ihr Portfolio und wollen vor allem eine Minimierung des eigenen Risikos erreichen. Oft vergessen sie dabei jedoch, dass der wunderbare Service, der dem Kunden mit Apps und Fitnessarmbändern vorgespiegelt wird, an guten Tagen ein schönes Gimmick ist, sich aber im Leistungsfall, zum Beispiel bei der Krankenversicherung, unkalkulierbar gegen den Kunden richten kann.

Die pfiffigen Geschäftsideen der Insurtechs
Element Insurance
Als rein digitale Versicherungsplattform - inzwischen mit BaFin-Lizenz ausgestattet - ist Element im März 2017 angetreten, um sich im Segment der Sach-, Unfall- und Haftpflichversicherungen auszubreiten. Das Unternehmen, das vom Berliner Fintech-Company-Builder Fin Leap gegründet wurde, will Unternehmen verschiedener Branchen - vom E-Commerce bis zur klassischen Versicherung - unterstützen, individuelle und passgenaue Versicherungsprodukte für ihre Kunden zu schaffen.
Optisure
Eine Haftpflichtversicherung ausschließlich für IT-Freelancer bietet der Versicherungsmakler Optisure ab 29 Euro monatlich an. Das Unternehmen argumentiert damit, dass Freiberufler ihre hohen Risiken im Zusammenhang mit Rahmen- und Projektverträgen gesondert absichern sollten.
SmartInsurtech
SmartInsurtech schiebt sich als Plattform zwischen Versicherungskonzerne und deren Vertriebsorganisationen. Letzteren will die Hypoport-Tochter mit Web-basierten zentralen Standardlösungen helfen, ihre Hardware- und Lizenzkosten zu senken. Auch Provisionsabrechnungen und die Geschäftspost übernimmt SmartInsurtech.
Ottonova
Als erste vollständig digitale private Krankenversicherung ist Ottonova im Juli 2017 angetreten, Marktanteile zu erwerben. Das Unternehmen, das sich an dem US-Startup Oscar Health orientiert, hat eine Zulassung bei der Bafin bekommen und kann damit Verträge mit Kunden abschließen. Ins Beuteschema passen jüngere Akademiker, die keine Berührungsängste mit digitalen Technologien haben und gut verdienen.
PicSure
PicSure offeriert Versicherungskonzernen KI-Lösungen, mit denen diese einfach Sachverhalte verifizieren können. Mit einem Smartphone-Photo können beispielsweise Gegenstände wie ein Fahrrad aufgenommen und binnen Sekunden bewertet werden. Ebenso werden Bilder von Schadensfällen automatisiert beurteilt.
Wefox
Wefox bezeichnet sich als unabhängige Serviceplattform, auf der Versicherte ihre Verträge verwalten, Tarife vergleichen und sich beraten lassen können. Das Startup agiert anbieterneutral und bietet kostenfreie Services an, darunter Vertragsimport und Serviceleistungen. Es finanziert sich, indem es den Versicherungsgesellschaften Teile der Services abnimmt und dafür von ihnen kassiert. Auch hier geben Kunden eine Vertretungsvollmacht, die Wefox ermöglicht, die Vertragsdaten bei den Versicherungen abzufragen und in der App anzuzeigen.
ControlExpert
Das Unternehmen überprüft mithilfe intelligenter Algorithmen Schadensgutachten und Werkstattrechnungen auf Fehler. Damit hilft es Versicherern, Kosten zu senken. ControlExpert greift dabei auf eine Datenbank zurück, die jeden Tag um Tausende von Aufträgen aufgefüllt wird. Mit EasyClaim hat ControlExpert eine App herausgebracht, mit der Autofahrer einen Schaden direkt am Unfallort melden können.Anhand hochgeladener Fotos bekommen die Fahrer nach rund zwei Stunden eine Info, wie teuer die Reparatur wird und wo sich die nächste Werkstatt befindet
Kasko
Als digitale Versicherungsplattform für On-demand-Versicherungsprodukte bezeichnet sich Kasko. Das Unternehmen wendet sich als Vermittler mit den Angeboten großer Versicherer an digitale Marktplätze oder Reiseportale, wo entsprechende Angebote via Plugin oder API eingebunden werden können. Die Kunden haben den Vorteil kurzer Wege, außerdem müssen sie sich nicht um regulatorische Details oder technische Integration kümmern.
AppSichern
Kurzzeit-Versicherungen für besondere Situationen bietet AppSichern. Der Reiz liegt im schnellen und unkomplizierten Abschluss, der auf der Website oder über eine App getätigt werden kann. Das Startup bietet beispielsweise einen „24-Stunden-Drittfahrschutz“ für den Fall, dass ein Kunde sein Auto an einen Freund verleihen möchte. Kündigung ist nicht nötig, soll sie verlängert werden, wird der Vertrag nochmal unterzeichnet. Einen ähnlichen Dienst bietet Cuvva an.
Virado
Auf kleinteilige Produktversicherungen etwa für Smartphones, Tablets, Brillen, Gadgets, Fahrräder oder Haushaltswaren hat sich Virado spezialisiert. Das Startup richtet sich an Versicherungsmakler, die solche Produkte an Betreiber entsprechender E-Commerce-Seiten verkaufen. Virado bindet diese Angebote in die Homepages, Apps und Facebook-Seiten der B2B-Kunden aus dem Handel ein.
Wert14
Wert14 von der Rostocker SkenData GmbH ist eine Plattform für die Immobilienbewertung, die sich neuester Big-Data- und Machine-Learning-Technologien bedient, um zu einem schnellen und genauen Urteil zu kommen. Das Unternehmen erhielt 2017 den Insurance IT-Innovation Award der Uni St. Gallen.
Feelix
Ein breites Angebot rund um die digitale Finanzplanung bietet Feelix. Das Unternehmen will das Papierchaos in den Finanz- und Versicherungsordnern der Kunden beseitigen und bietet dafür eine App an. Verbraucher können damit ihre bestehenden Versicherungs-, Geldanlage-, Kredit- und Altersvorsorgeverträge managen. Hinzu kommen Vertrags- und Kreditcheck, mit denen Anwender herausfinden können, ob ihre Verträge noch aktuell und kostengerecht sind.
Fairr
Auf die Nische der Altersvorsorge-Lösungen rund um Riester- und Rürup-Rente hat sich fairr.de spezialisiert. Das Startup hilft Kunden, Zulagen und Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Das Unternehmen verzichtet auf Anschlussprovisionen und hält die Gebühren niedrig. Mit (Fonds-)Sparplänen für Riester- und Rürup-Rente verdient fairr.de Geld.
Friendsurance
Friendsurance ist zum einen ein klassischer Versicherungsmakler, der von den zirka 70 vertretenen Versicherungen bei Erfolg einen marktüblichen Bonus erhält. Zum anderen betreibt das Unternehmen ein Peer-to-Peer-Versicherungsmodell, in dem sich Versicherte zu kleinen Gruppen bis zu zehn Personen zusammenschließen und gegenseitig finanziell unterstützen. Kleinere Schäden werden aus diesem Topf bezahlt, bei größeren springt das Versicherungsunternehmen ein. Tritt bei den Versicherten kein Schaden ein, sinken die Versicherungskosten.
Haftpflicht Helden
Wer in wenigen Minuten online eine private Haftpflichtversicherung für 72 Euro jährlich abschließen will, ist bei den Haftpflicht Helden richtig. Als BaFin-zugelassener Partner im Hintergrund agiert die NV-Versicherungen VVaG. Haftpflicht Helden beschreibt transparent, was mit den Gebühren der Versicherten passiert. Wer Freunde überzeugt, sich ebenfalls dort zu versichern, senkt je nach Anzahl der Mitversicherten seine Kosten und die der Freunde.
Community Life
Als Community rund um Versicherungen präsentiert sich Community Life. Das Unternehmen bietet eine Berufsunfähigkeits- und eine Lebensversicherung und stützt sich dabei auf Angebote der internationalen Versicherungsgruppe iptiQ. Größter Vorteil ist die Anbindung an eine Community, in der über Versicherungen diskutiert wird, die neue Produkte mitentwickelt und die durch den Zusammenschluss Versicherter Lobby-Vorteile schafft.

Die Kunden merken dies bei aller Spiellaune mit den neuen Gimmicks sehr wohl, denn es herrscht ein Ungleichgewicht zwischen den Partnern. Die Versicherer werten eine große Menge an Daten aus und der Kunde kann lediglich aus seinem eigenen Leben seine persönliche Statistik machen. Missverhältnisse sind für vertrauensvolle und langfristige Kundenbeziehungen nie gut.

Prädiktive Systeme und Prozesse sollten deshalb nur dort verwendet werden, wo sie dem Kunden durch Rückmeldung einen klaren Vorteil bieten.

Blick in andere Branchen

Die Effizienzgewinne und möglichen Marktaussichten all dieser Digitalisierungstrends scheinen beträchtlich; beim Blick über den Tellerrand in andere Branchen gerät man dann aber doch ins Stocken: Der Großteil der Bemühungen ist nach innen in die jeweilige Branche gerichtet und verbessert den Anbieter.

Bei diesem eindimensionalen Verhalten fehlen jedoch die echten Investitionen in neue Geschäftsmodelle, Produkte und Plattformen. Effizienz ist wichtig, aber ohne Innovation für jedes Unternehmen ein enormer Nachteil.

Die traditionelle Automobilbranche erfährt dies gerade durch die disruptiven Neuerungen wie Tesla (Elekromobilität) oder durch den Trend zu neuen Carsharing-Konzepten à la Car2Go und DriveNow.

Wer ist der "neue" Kunde?

Aber wer wird in dieser veränderten Welt der Versicherungsnehmer sein? Wer ist dann eigentlich der Kunde des Versicherers? Früher mussten wir ein Auto kaufen und dafür selbst eine Versicherung abschließen, wenn wir mobil sein wollten. Bei der Mobilität als Dienst (das heißt im "as a Service"-Geschäftsmodell) ist die Versicherungsleistung Bestandteil des Angebots. Damit bringt eine Effizienzsteigerung die Versicherer nicht voran, denn es braucht innovative Produkte sowieneue Plattformen und Servicemodelle, weil es den bisherigen Kunden gar nicht mehr gibt.

Dieses Beispiel zeigt zwei Dinge für die Versicherungswelt:

Vorreiter für die klassische Versicherungsbranche

Auch wenn sich die InsurTech-Bewegung momentan auf die Produktionsverbesserung innerhalb der Branche konzentriert, lohnt es sich darüber nachzudenken, wie man Versicherungsleistungen in hocheffizienter Form in andere Serviceketten einbauen kann.

Hier kann die traditionelle Versicherungsbranche einiges von den InsurTechs lernen. Vor einigen Jahren war White Labeling ein erster Test für standardisierte Leistungserbringung mit unterschiedlichem Auftreten zum Kunden. Dieser Ansatz hat mittlerweile das Potential, ganz neue Serviceketten bei Reisen, Vermietung von Immobilien und Mobilität zu befriedigen.

Wie sieht es mit der On-Demand-Versicherung aus, abhängig von der eigenen Risikoeinschätzung bei der jeweiligen Verwendung? Heute Vollkasko, morgen aber nicht. Dies lässt sich nur mit voll digitalen Schnittstellen abwickeln!

Warum auf Regulierung kein Verlass ist

Bei der Diskussion mit Experten der Branche über Veränderungen kommt früher oder später das Thema Regulierung auf den Tisch. Scheinbar ist diese vor allem das Feigenblatt, um die eigene Bewegungslosigkeit zu erklären. Die neuen Anbieter schieben sie gerne als Argument vor, um ihre Modelle trotz oder auch gerade wegen der Regulierung zu vermarkten.

Doch es ist nicht sinnvoll, sich auf Regulierung zu verlassen, da jede ihrer Formen erklärtermaßen endlich ist: Schließlich ändert sich die Welt - und damit die Grundlage jeder Regulierung - täglich.

Schlussendlich zeigen uns die großen Digital-Unternehmen wie Amazon die richtige Antwort: Ein absolutes Fokussieren auf den Kundennutzen und das perfekte Kundenbeziehungsmanagement.

Neugestaltung der Versicherungswelt durch Plattformökonomie

In der Welt der Plattformen wie Airbnb oder Uber legen eben diese die Regeln fest. Die Plattform bestimmt die Höhe der Transaktiongebühren und wie die Geldströme verteilt werden. Diesen Bereich einfach den InsurTechs zu überlassen ist daher gefährlich. Jede Branche sollte sich gegen solche Angriffe durch Innovation und Agilität wehren. Aktuell haben die Regulierungsvorschriften einen massiven Einfluss auf die digitale Transformation der Versicherungswelt.

Wer wirklich etwas ändern will, muss sich über all diese Dinge hinwegsetzen. Wie das gehen kann, zeigt Oscar, ein amerikanisches Startup im Bereich der Krankenversicherung. Mit einer gewaltigen Finanzierungsmacht von zirka einer Milliarde Dollar versucht Oscar als Krankenversicherer eine individuelle Leistung für den Versicherten zu schaffen und positioniert sich damit als Plattform mit Versicherungseffekt zwischen die Leistungserbringer im Gesundheitswesen (Ärzte, Krankenhäuser) und die Nutzer (die zum Glück nicht alle Patienten sind!).

Lösung: Digitalisierung innovativ nutzen

Der aktuelle Weg der InsurTechs konzentriert sich auf Produktionsoptimierung innerhalb der Versicherungsbranche und ist somit nicht disruptiv. Effizienzsteigerung ist lediglich ein Zweig der Digitalisierung.

Auf der anderen Seite zeigen die Versicherungsunternehmen ähnlich erschreckende Tendenzen: Seit vielen Jahren verfolgen sie das Ziel der Effizienzsteigerung und nutzen Digitalisierung nicht als Innovationsmotor.

Nichtsdestotrotz gibt es zwei deutlich erkennbare Lösungskonzepte, wie Versicherungen es in der „as a Service“- und Plattform-Ökonomie schaffen können: